Von seinen Filmen sagt man, die Bilder und Töne würden in Ewigkeit überdauern. Emir Kusturica, der gelegentlich den Mund recht vollnimmt, traut dieser Einschätzung nicht und schreibt vorsichtshalber seine Erinnerungen auf: beginnend an seinem ersten Schultag, als Juri Gagarin ins All flog, bis zu dem Tag, als Johnny Depp sein Freund wurde. Er folgt der Chronologie, aber das ist auch alles, was das Buch mit einer normalen Lebensgeschichte gemein hat.
"Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht" ist ein Gesamtkunstwerk, das genau die Bilder erschafft, die man von Kusturica kennt: wilde Geschichten vom Balkan, quirlig, heiter, sentimental, brutal. Sein Buch ist ein adaptierter Autorenfilm, der die gedrehten und ungedrehten Szenen eines Lebens vorführt. Die Geschichte vom unglücklichen Alkoholiker in Sarajewo, der mit einer Prostituierten verheiratet ist und dann erfriert. Die Geschichte von dem Psychiater, der Kusturica in einer Schaffenskrise helfen soll und dann selbst Trost braucht. Die Geschichte von der Frau seines Lebens. Die Geschichte vom Urknall der Begegnung mit Tante Biba, später dann mit Federico Fellini und Ivo Andric Tränen und Gelächter über eine wahnwitzige Welt. Ein Tagebuch wie es dem Nachkommen des Gottes Dionysos würdig ist. Obwohl er doch lediglich, weist Kusturica die Übertreibung zurück, "der Sohn des Vaters von Dionysos" sei.
"Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht" ist ein Gesamtkunstwerk, das genau die Bilder erschafft, die man von Kusturica kennt: wilde Geschichten vom Balkan, quirlig, heiter, sentimental, brutal. Sein Buch ist ein adaptierter Autorenfilm, der die gedrehten und ungedrehten Szenen eines Lebens vorführt. Die Geschichte vom unglücklichen Alkoholiker in Sarajewo, der mit einer Prostituierten verheiratet ist und dann erfriert. Die Geschichte von dem Psychiater, der Kusturica in einer Schaffenskrise helfen soll und dann selbst Trost braucht. Die Geschichte von der Frau seines Lebens. Die Geschichte vom Urknall der Begegnung mit Tante Biba, später dann mit Federico Fellini und Ivo Andric Tränen und Gelächter über eine wahnwitzige Welt. Ein Tagebuch wie es dem Nachkommen des Gottes Dionysos würdig ist. Obwohl er doch lediglich, weist Kusturica die Übertreibung zurück, "der Sohn des Vaters von Dionysos" sei.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011Tito, Thesen, Temperamente
Der gebürtige Bosnier und große europäische Filmemacher Emir Kusturica präsentiert sich
in seiner Autobiographie so kontrovers wie eh und je Von Marius Nobach
Darüber, dass Emir Kusturica zu den bedeutendsten europäischen Autorenfilmern der letzten dreißig Jahre gehört, herrscht unter Filmexperten weitgehend Einigkeit. Gerade einmal acht Spielfilme hat der gebürtige Bosnier bisher gedreht und es trotz dieses schmalen Œuvres zum international bekanntesten und angesehensten Regisseur aus dem ehemaligen Jugoslawien gebracht. Bereits sein Debütfilm gewann den Goldenen Löwen in Venedig – da war Emir Kusturica gerade 26 –, zweimal erhielt er die Goldene Palme in Cannes. Mit seinen mal verspielten, mal rauen Werken, die alle Genregrenzen überschreiten, wurde er zum Chronisten der Geschichte des Balkans im 20. Jahrhundert. Während seine künstlerischen Fähigkeiten außer Frage stehen, ist Kusturica jedoch wegen seines mitunter ruppigen Auftretens, vor allem aber wegen seiner kontroversen politischen Ansichten, immer wieder heftig kritisiert worden. So präsentierte er sich nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens als unverhohlener Befürworter eines großserbischen Staates und fiel durch Sympathiebekundungen für mutmaßliche Kriegsverbrecher auf.
Von der Spannung zwischen diesen zwei Gesichtern lebt auch Kusturicas Autobiographie „Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht“. Anekdotisch erzählt der Regisseur von seiner Jugend im kommunistischen Jugoslawien unter Josip Broz Tito und von seiner Familie, die dem Regime kritisch gegenüber steht. Neben einer Reihe exzentrischer Onkel und Tanten setzt Kusturica insbesondere seinen Eltern ein literarisches Denkmal: Seiner hart arbeitenden Mutter Senka und seinem Vater Murat, der stundenlang in der Kneipe über Politik diskutieren kann und es als Zumutung empfindet, sich mit Alltagserscheinungen wie einem kaputten Dach oder dem Antrag für eine eigene Heizung abzugeben. Dem System gilt er als „Problemfall“, aber nicht als gefährlich, so dass Kusturica, der das Temperament seines Vaters geerbt hat, von dessen Querdenkertum profitieren und es später nachahmen kann. Mit viel Sorgfalt und Witz rekonstruiert Kusturica seine Anfänge auf dem Weg zum Filmemacher: Von seinen ersten Kinoerfahrungen über die Szenen aus seinen Lieblingsfilmen, die er als Kind nachspielt, bis hin zum Rat des befreundeten Regisseurs Šiba Krvavac, selbst Filme zu drehen.
Rückblickend beschreibt Kusturica seine überbordende Phantasie und den Glauben an die Umsetzung scheinbar unmöglicher Ideen als ideale Voraussetzungen für seine Berufswahl. Nachdrücklich huldigt er auch seinen Vorbildern Anton Tschechow, dem jugoslawischen Nationalschriftsteller Ivo Andric und vor allem Federico Fellini, dessen „Amarcord“ er zur Initialzündung für seine eigene Arbeit erklärt: „Amarcord bedeutete für meine Filme das, was der Urknall für das Weltall bedeutete.“
Es ist eine im Wesentlichen ungebrochene berufliche Erfolgsgeschichte, die Kusturica dem Leser offeriert. Nur beiläufig streift er seine bei Dreharbeiten regelmäßig auftretenden Depressionen. Ausführlich setzt er sich hingegen mit den Widerständen auseinander, die ihm als politisch engagiertem Regisseur im staatlich kontrollierten Filmsystem Jugoslawiens entgegenschlugen. Kusturica gelingt es, die Repressionen einer Diktatur in all ihrem Wahnwitz aufzuzeigen, indem er die staatlichen Interventionen bei seinem Tito-kritischen zweiten Spielfilm „Papa ist auf Dienstreise“ schildert. Das von ihm abgedruckte Sitzungsprotokoll des „Künstlerischen Beirates der Arbeiterorganisation ‚Sutjeska Film‘“ gibt Zeugnis darüber ab, in welchem Maße der Staat versuchte, Einfluss auf das Drehbuch zu nehmen. Seitenlang finden sich Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge wie „Es ist nicht gut, die Geheimdienstler als Idioten darzustellen“ oder „Die Parteiversammlung sollte seriös ablaufen“.
Kusturicas hintersinniger Einblick in seinen Werdegang und sein lockerer, sympathischer Erzählton mit vielen fast lyrischen Passagen sind ein reines Lesevergnügen. Weniger erfreulich ist die Art und Weise, wie er mit der Kritik an seinen Äußerungen zum Jugoslawienkrieg und seinem umstrittenen Film „Underground“ umgeht. Den Zusammenbruch Jugoslawiens empfindet er als bewusst herbeigeführten Akt der Politik, hinter dem er das westliche Ausland, insbesondere die USA, als Drahtzieher vermutet. Als hätten die nationalistischen Strömungen der einzelnen Balkanvölker seit den 80er Jahren nicht das Geringste mit dem Ende des Vielvölkerstaats zu tun gehabt. Auch die serbischen Verbrechen an der bosnischen Zivilbevölkerung erwähnt Kusturica mit keiner Silbe. Stattdessen wiederholt er seine schon in Interviews geäußerte These, die Bombardierung Serbiens durch die Nato sei nichts als ein verbrecherischer Angriff auf ein kleines Volk gewesen, das auf seiner eigenen Identität bestanden hätte.
Letztlich jedoch gibt sich Kusturica – wohl auch mit Blick auf seine westlichen Leser – in seinen politischen Aussagen zurückhaltender und zahmer als bei manchen Interviews der Vergangenheit. Bezeichnenderweise spart er auch die letzten zehn Jahre komplett aus, in denen er weniger durch seine Filme Schlagzeilen machte als durch seine Auftritte als Sänger der Musikgruppe No Smoking Orchestra , bei denen er gegen ein unabhängiges Kosovo wettert, sowie durch seinen Einsatz für Radovan Karadzic, der sich in Den Haag wegen des Massakers von Srebenica verantworten muss. Äußerst fadenscheinig wirkt Kusturicas Versuch, seine frühere Sympathie für Slobodan Miloševic herunterzuspielen. Im Gespräch mit seiner Mutter räumt er freimütig ein, er sei ein politischer Idiot gewesen, erklärt aber gleichzeitig: „Ich bleibe bei dem, was ich einmal gesagt habe, egal wie es wirklich ist.“ So steht am Ende der Lektüre die Erkenntnis, dass Kusturica zwar ein begnadeter Geschichtenerzähler ist – doch die Unfähigkeit, die eigenen Fehler zuzugeben, wirft nach wie vor einen beträchtlichen Schatten auf sein künstlerisches Werk.
Emir Kusturica
Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht. Mein bisheriges Leben
Aus dem Serbischen von Mascha Dabic. Albrecht Knaus Verlag, München 2011. 352 Seiten, 19,99 Euro.
„Es ist nicht gut,
die Geheimdienstler
als Idioten darzustellen“
„Das Leben ist ein Wunder“ – dieses Motto ist auch der Titel seines Films von 2004, bei dessen Dreharbeiten Emir Kusturica hier zu sehen ist. Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der gebürtige Bosnier und große europäische Filmemacher Emir Kusturica präsentiert sich
in seiner Autobiographie so kontrovers wie eh und je Von Marius Nobach
Darüber, dass Emir Kusturica zu den bedeutendsten europäischen Autorenfilmern der letzten dreißig Jahre gehört, herrscht unter Filmexperten weitgehend Einigkeit. Gerade einmal acht Spielfilme hat der gebürtige Bosnier bisher gedreht und es trotz dieses schmalen Œuvres zum international bekanntesten und angesehensten Regisseur aus dem ehemaligen Jugoslawien gebracht. Bereits sein Debütfilm gewann den Goldenen Löwen in Venedig – da war Emir Kusturica gerade 26 –, zweimal erhielt er die Goldene Palme in Cannes. Mit seinen mal verspielten, mal rauen Werken, die alle Genregrenzen überschreiten, wurde er zum Chronisten der Geschichte des Balkans im 20. Jahrhundert. Während seine künstlerischen Fähigkeiten außer Frage stehen, ist Kusturica jedoch wegen seines mitunter ruppigen Auftretens, vor allem aber wegen seiner kontroversen politischen Ansichten, immer wieder heftig kritisiert worden. So präsentierte er sich nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens als unverhohlener Befürworter eines großserbischen Staates und fiel durch Sympathiebekundungen für mutmaßliche Kriegsverbrecher auf.
Von der Spannung zwischen diesen zwei Gesichtern lebt auch Kusturicas Autobiographie „Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht“. Anekdotisch erzählt der Regisseur von seiner Jugend im kommunistischen Jugoslawien unter Josip Broz Tito und von seiner Familie, die dem Regime kritisch gegenüber steht. Neben einer Reihe exzentrischer Onkel und Tanten setzt Kusturica insbesondere seinen Eltern ein literarisches Denkmal: Seiner hart arbeitenden Mutter Senka und seinem Vater Murat, der stundenlang in der Kneipe über Politik diskutieren kann und es als Zumutung empfindet, sich mit Alltagserscheinungen wie einem kaputten Dach oder dem Antrag für eine eigene Heizung abzugeben. Dem System gilt er als „Problemfall“, aber nicht als gefährlich, so dass Kusturica, der das Temperament seines Vaters geerbt hat, von dessen Querdenkertum profitieren und es später nachahmen kann. Mit viel Sorgfalt und Witz rekonstruiert Kusturica seine Anfänge auf dem Weg zum Filmemacher: Von seinen ersten Kinoerfahrungen über die Szenen aus seinen Lieblingsfilmen, die er als Kind nachspielt, bis hin zum Rat des befreundeten Regisseurs Šiba Krvavac, selbst Filme zu drehen.
Rückblickend beschreibt Kusturica seine überbordende Phantasie und den Glauben an die Umsetzung scheinbar unmöglicher Ideen als ideale Voraussetzungen für seine Berufswahl. Nachdrücklich huldigt er auch seinen Vorbildern Anton Tschechow, dem jugoslawischen Nationalschriftsteller Ivo Andric und vor allem Federico Fellini, dessen „Amarcord“ er zur Initialzündung für seine eigene Arbeit erklärt: „Amarcord bedeutete für meine Filme das, was der Urknall für das Weltall bedeutete.“
Es ist eine im Wesentlichen ungebrochene berufliche Erfolgsgeschichte, die Kusturica dem Leser offeriert. Nur beiläufig streift er seine bei Dreharbeiten regelmäßig auftretenden Depressionen. Ausführlich setzt er sich hingegen mit den Widerständen auseinander, die ihm als politisch engagiertem Regisseur im staatlich kontrollierten Filmsystem Jugoslawiens entgegenschlugen. Kusturica gelingt es, die Repressionen einer Diktatur in all ihrem Wahnwitz aufzuzeigen, indem er die staatlichen Interventionen bei seinem Tito-kritischen zweiten Spielfilm „Papa ist auf Dienstreise“ schildert. Das von ihm abgedruckte Sitzungsprotokoll des „Künstlerischen Beirates der Arbeiterorganisation ‚Sutjeska Film‘“ gibt Zeugnis darüber ab, in welchem Maße der Staat versuchte, Einfluss auf das Drehbuch zu nehmen. Seitenlang finden sich Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge wie „Es ist nicht gut, die Geheimdienstler als Idioten darzustellen“ oder „Die Parteiversammlung sollte seriös ablaufen“.
Kusturicas hintersinniger Einblick in seinen Werdegang und sein lockerer, sympathischer Erzählton mit vielen fast lyrischen Passagen sind ein reines Lesevergnügen. Weniger erfreulich ist die Art und Weise, wie er mit der Kritik an seinen Äußerungen zum Jugoslawienkrieg und seinem umstrittenen Film „Underground“ umgeht. Den Zusammenbruch Jugoslawiens empfindet er als bewusst herbeigeführten Akt der Politik, hinter dem er das westliche Ausland, insbesondere die USA, als Drahtzieher vermutet. Als hätten die nationalistischen Strömungen der einzelnen Balkanvölker seit den 80er Jahren nicht das Geringste mit dem Ende des Vielvölkerstaats zu tun gehabt. Auch die serbischen Verbrechen an der bosnischen Zivilbevölkerung erwähnt Kusturica mit keiner Silbe. Stattdessen wiederholt er seine schon in Interviews geäußerte These, die Bombardierung Serbiens durch die Nato sei nichts als ein verbrecherischer Angriff auf ein kleines Volk gewesen, das auf seiner eigenen Identität bestanden hätte.
Letztlich jedoch gibt sich Kusturica – wohl auch mit Blick auf seine westlichen Leser – in seinen politischen Aussagen zurückhaltender und zahmer als bei manchen Interviews der Vergangenheit. Bezeichnenderweise spart er auch die letzten zehn Jahre komplett aus, in denen er weniger durch seine Filme Schlagzeilen machte als durch seine Auftritte als Sänger der Musikgruppe No Smoking Orchestra , bei denen er gegen ein unabhängiges Kosovo wettert, sowie durch seinen Einsatz für Radovan Karadzic, der sich in Den Haag wegen des Massakers von Srebenica verantworten muss. Äußerst fadenscheinig wirkt Kusturicas Versuch, seine frühere Sympathie für Slobodan Miloševic herunterzuspielen. Im Gespräch mit seiner Mutter räumt er freimütig ein, er sei ein politischer Idiot gewesen, erklärt aber gleichzeitig: „Ich bleibe bei dem, was ich einmal gesagt habe, egal wie es wirklich ist.“ So steht am Ende der Lektüre die Erkenntnis, dass Kusturica zwar ein begnadeter Geschichtenerzähler ist – doch die Unfähigkeit, die eigenen Fehler zuzugeben, wirft nach wie vor einen beträchtlichen Schatten auf sein künstlerisches Werk.
Emir Kusturica
Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht. Mein bisheriges Leben
Aus dem Serbischen von Mascha Dabic. Albrecht Knaus Verlag, München 2011. 352 Seiten, 19,99 Euro.
„Es ist nicht gut,
die Geheimdienstler
als Idioten darzustellen“
„Das Leben ist ein Wunder“ – dieses Motto ist auch der Titel seines Films von 2004, bei dessen Dreharbeiten Emir Kusturica hier zu sehen ist. Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.01.2012In der Rolle des Verräters
Der Regisseur Emir Kusturica erzählt sein Leben
Allein wegen seiner Filme muss man Emir Kusturica mögen. "Time of the Gypsies", "Schwarze Katze, weißer Kater" oder "Das Leben ist ein Wunder" sind dionysische, vor Lebenslust überbordende Erzählungen; die Menschen darin sind liebenswert skurril und exzentrisch. So wie der Regisseur aus Sarajevo, der im Übrigen zweimal die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat. Er ist nebenher auch Bassist in einer Gypsy-Punkrock-Band, Gründer eines Aussteigerdorfes in den serbischen Bergen und ein erklärter Gegner der Konsumgesellschaft. Ein sympathischer Typ, könnte man meinen.
Leider sind seine politischen Ansichten mindestens ebenso exzentrisch. Mittlerweile hat Kusturica es geschafft, sich inner- und außerhalb des Filmbetriebs zur Persona non grata zu machen: Er demonstriert gegen die Unabhängigkeit des Kosovo und lässt seine Band The Non Smoking Orchestra Texte singen wie "Wer Raso Dabic nicht liebt, kann uns mal" (Dabic war der Deckname des angeklagten Kriegsverbrechers Radovan Karadzic). Vielen gilt Kusturica als serbischer Nationalist, der sich mit Milosevic solidarisiert hat.
Wer also ist Emir Kusturica, 57, fragt man sich - und hofft, dass seine kürzlich auf Deutsch erschienene Autobiographie einem mehr darüber verrät. "Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht" heißt sie, und so schön der Titel klingt, so wenig erklärt sie einem die Widersprüche. Denn Kusturica hat nicht an einer politischen Rehabilitierung oder Klärung gearbeitet, sondern an einer belletristischen Version seiner Filme. Im Mittelpunkt des Buches steht ein Junge an der Schwelle zum Erwachsenenalter, dessen Heranreifen in allerlei kuriosen Anekdoten erzählt wird. Zum Beispiel, wie der achtjährige Emir jeden Abend um halb sieben auf die Straße läuft, um seine erste Liebe zu küssen. Snjezana heißt sie, "die Schneebedeckte", und sie erinnert in ihrer Märchenhaftigkeit an Ida aus "Schwarze Katze, weißer Kater" oder an Jasna aus "Versprich es mir". Überhaupt wirken viele Szenen wie Episoden aus Kusturicas Filmen, und er reiht sie in einer Art und Weise aneinander, dass der Leser die filmischen Überblendungen gleichsam mitliest.
Die Welt, die er beschreibt, ist ebenso absurd-komisch wie in seinen Filmen. In einem Moment streiten sich alternde Männer fast handgreiflich darüber, ob Titos Haare mit Henna oder Schuhcreme gefärbt seien; im nächsten Moment stirbt der Großvater - oder eigentlich auch nicht, denn "das Leben hat ihn nur ins Jenseits geschickt, damit er sich dort von seiner Güte erholt". Es ist ein Buch voller Skurrilitäten, voller Sympathie für die menschliche Irrationalität. Vergeblich aber wartet man auf einen Einblick in die Gedankenwelt von Emir Kusturica, dem politischen Hasardeur.
Auch wenn er gegen Ende des Buches das Anekdotenhafte hinter sich lässt und die politischen Ereignisse in Jugoslawien zu Beginn des Balkankonflikts in den Fokus rückt, bleibt seine Haltung uneindeutig. Die einzige Stellungnahme sind Anklagen gegen "die Kriegshetzer", zu denen er alle Teile des einstigen Vielvölkerstaates mit Unabhängigkeitsbestrebungen zählt - außer dem serbischen. Das ist nicht gerade neu, und deswegen ist die Autobiographie auch keine Quelle der Erkenntnis - umso weniger, als sie zwar im Jahr 2010 erschienen ist, aber nicht über die neunziger Jahre hinausreicht. Damit entfallen sämtliche Ereignisse der letzten Zeit, wie zum Beispiel Kusturicas Übertritt zum orthodoxen Glauben (den viele politisch interpretiert haben, als Abkehr vom bosnisch-islamischen Glauben hin zum serbischen Christentum), die Auftritte mit seiner Band und die Demonstrationen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo.
Im Gespräch versucht Kusturica immerhin eine Erklärung: Er habe sehr darunter gelitten, das Buch zu Ende zu schreiben, und für diesen schwierigsten Teil habe er keine Energie mehr gehabt. Spricht man ihn auf den Vorwurf des serbischen Nationalismus an, redet Kusturica sich in Rage: "Ich würde mich nicht als Nationalisten bezeichnen, sondern als Antiimperialisten. Man muss kein Serbe sein, um zu sehen, wie ungerecht die Kriegsökonomie ist. Für die Unabhängigkeit des Kosovo zu sein ist unehrlich. Unabhängigkeit für das Kosovo würde bedeuten, dass man das Land dieser illegalen kriminellen Gruppe überließe, die es momentan regiert. Du musst kein Nationalist sein, du kannst auch ein Skinhead sein oder Naomi Klein, um das zu sehen."
Im Buch gibt es eine Szene, in der seine Mutter ihn fragt, warum er für einen seiner Filme finanzielle Hilfe vom staatlichen Sender RTS angenommen habe, der damals vom Milosevic-Regime kontrolliert wurde. Kusturica antwortet: "Weil ich ein politischer Idiot bin." Für das Eingeständnis eines Irrtums sollte man das nicht halten. Im Gegenteil: "Ich mag es, ein politischer Idiot zu sein. Denn wenn du politisch korrekt bist, bist du ein verdammter unmoralischer Bastard." Eine klare Distanzierung von Milosevic wird man von ihm auch nicht hören. Er sagt lediglich, er sehe es nicht ein, sich von den Medien und anderen, die ihm die Rolle des Verräters aufgezwungen hätten, zum Gejagten machen zu lassen. Klüger ist man nach dem Gespräch so wenig wie nach der Lektüre.
Was also tun? Vom "politischen Idioten" absehen und sich weiter seine Filme ansehen? Womöglich verhält es sich ja so, dass Kusturicas Filme ihn beim Schreiben seiner Autobiographie inspiriert haben - und nicht die Erfahrungen seines Lebens seine Filme. Dann könnte auch die Person, die er im realen Leben verkörpert, eine Figur aus seinen Filmen sein: im Grunde sympathisch, aber leider politisch ziemlich irregeleitet. Und Emir Kusturica wäre dann der Mann, der sein Werk mit seinem Leben verwechselt hätte. Oder umgekehrt.
MIRKA BORCHARDT
Emir Kusturica: "Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht. Mein bisheriges Leben". Knaus-Verlag, 352 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Regisseur Emir Kusturica erzählt sein Leben
Allein wegen seiner Filme muss man Emir Kusturica mögen. "Time of the Gypsies", "Schwarze Katze, weißer Kater" oder "Das Leben ist ein Wunder" sind dionysische, vor Lebenslust überbordende Erzählungen; die Menschen darin sind liebenswert skurril und exzentrisch. So wie der Regisseur aus Sarajevo, der im Übrigen zweimal die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat. Er ist nebenher auch Bassist in einer Gypsy-Punkrock-Band, Gründer eines Aussteigerdorfes in den serbischen Bergen und ein erklärter Gegner der Konsumgesellschaft. Ein sympathischer Typ, könnte man meinen.
Leider sind seine politischen Ansichten mindestens ebenso exzentrisch. Mittlerweile hat Kusturica es geschafft, sich inner- und außerhalb des Filmbetriebs zur Persona non grata zu machen: Er demonstriert gegen die Unabhängigkeit des Kosovo und lässt seine Band The Non Smoking Orchestra Texte singen wie "Wer Raso Dabic nicht liebt, kann uns mal" (Dabic war der Deckname des angeklagten Kriegsverbrechers Radovan Karadzic). Vielen gilt Kusturica als serbischer Nationalist, der sich mit Milosevic solidarisiert hat.
Wer also ist Emir Kusturica, 57, fragt man sich - und hofft, dass seine kürzlich auf Deutsch erschienene Autobiographie einem mehr darüber verrät. "Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht" heißt sie, und so schön der Titel klingt, so wenig erklärt sie einem die Widersprüche. Denn Kusturica hat nicht an einer politischen Rehabilitierung oder Klärung gearbeitet, sondern an einer belletristischen Version seiner Filme. Im Mittelpunkt des Buches steht ein Junge an der Schwelle zum Erwachsenenalter, dessen Heranreifen in allerlei kuriosen Anekdoten erzählt wird. Zum Beispiel, wie der achtjährige Emir jeden Abend um halb sieben auf die Straße läuft, um seine erste Liebe zu küssen. Snjezana heißt sie, "die Schneebedeckte", und sie erinnert in ihrer Märchenhaftigkeit an Ida aus "Schwarze Katze, weißer Kater" oder an Jasna aus "Versprich es mir". Überhaupt wirken viele Szenen wie Episoden aus Kusturicas Filmen, und er reiht sie in einer Art und Weise aneinander, dass der Leser die filmischen Überblendungen gleichsam mitliest.
Die Welt, die er beschreibt, ist ebenso absurd-komisch wie in seinen Filmen. In einem Moment streiten sich alternde Männer fast handgreiflich darüber, ob Titos Haare mit Henna oder Schuhcreme gefärbt seien; im nächsten Moment stirbt der Großvater - oder eigentlich auch nicht, denn "das Leben hat ihn nur ins Jenseits geschickt, damit er sich dort von seiner Güte erholt". Es ist ein Buch voller Skurrilitäten, voller Sympathie für die menschliche Irrationalität. Vergeblich aber wartet man auf einen Einblick in die Gedankenwelt von Emir Kusturica, dem politischen Hasardeur.
Auch wenn er gegen Ende des Buches das Anekdotenhafte hinter sich lässt und die politischen Ereignisse in Jugoslawien zu Beginn des Balkankonflikts in den Fokus rückt, bleibt seine Haltung uneindeutig. Die einzige Stellungnahme sind Anklagen gegen "die Kriegshetzer", zu denen er alle Teile des einstigen Vielvölkerstaates mit Unabhängigkeitsbestrebungen zählt - außer dem serbischen. Das ist nicht gerade neu, und deswegen ist die Autobiographie auch keine Quelle der Erkenntnis - umso weniger, als sie zwar im Jahr 2010 erschienen ist, aber nicht über die neunziger Jahre hinausreicht. Damit entfallen sämtliche Ereignisse der letzten Zeit, wie zum Beispiel Kusturicas Übertritt zum orthodoxen Glauben (den viele politisch interpretiert haben, als Abkehr vom bosnisch-islamischen Glauben hin zum serbischen Christentum), die Auftritte mit seiner Band und die Demonstrationen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo.
Im Gespräch versucht Kusturica immerhin eine Erklärung: Er habe sehr darunter gelitten, das Buch zu Ende zu schreiben, und für diesen schwierigsten Teil habe er keine Energie mehr gehabt. Spricht man ihn auf den Vorwurf des serbischen Nationalismus an, redet Kusturica sich in Rage: "Ich würde mich nicht als Nationalisten bezeichnen, sondern als Antiimperialisten. Man muss kein Serbe sein, um zu sehen, wie ungerecht die Kriegsökonomie ist. Für die Unabhängigkeit des Kosovo zu sein ist unehrlich. Unabhängigkeit für das Kosovo würde bedeuten, dass man das Land dieser illegalen kriminellen Gruppe überließe, die es momentan regiert. Du musst kein Nationalist sein, du kannst auch ein Skinhead sein oder Naomi Klein, um das zu sehen."
Im Buch gibt es eine Szene, in der seine Mutter ihn fragt, warum er für einen seiner Filme finanzielle Hilfe vom staatlichen Sender RTS angenommen habe, der damals vom Milosevic-Regime kontrolliert wurde. Kusturica antwortet: "Weil ich ein politischer Idiot bin." Für das Eingeständnis eines Irrtums sollte man das nicht halten. Im Gegenteil: "Ich mag es, ein politischer Idiot zu sein. Denn wenn du politisch korrekt bist, bist du ein verdammter unmoralischer Bastard." Eine klare Distanzierung von Milosevic wird man von ihm auch nicht hören. Er sagt lediglich, er sehe es nicht ein, sich von den Medien und anderen, die ihm die Rolle des Verräters aufgezwungen hätten, zum Gejagten machen zu lassen. Klüger ist man nach dem Gespräch so wenig wie nach der Lektüre.
Was also tun? Vom "politischen Idioten" absehen und sich weiter seine Filme ansehen? Womöglich verhält es sich ja so, dass Kusturicas Filme ihn beim Schreiben seiner Autobiographie inspiriert haben - und nicht die Erfahrungen seines Lebens seine Filme. Dann könnte auch die Person, die er im realen Leben verkörpert, eine Figur aus seinen Filmen sein: im Grunde sympathisch, aber leider politisch ziemlich irregeleitet. Und Emir Kusturica wäre dann der Mann, der sein Werk mit seinem Leben verwechselt hätte. Oder umgekehrt.
MIRKA BORCHARDT
Emir Kusturica: "Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht. Mein bisheriges Leben". Knaus-Verlag, 352 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Mathias Schnitzler kennt sie alle, die politischen Verirrungen des Emir Kusturica, seine Treueschwüre gegenüber dem serbischen Präsidenten Milosevic und seine Huldigung des Kriegsverbrechers Radovan Karadzic. Aber den Regisseur liebt er trotzdem, für all seine "irrwitzen, poetischen Filme" wie "Zeit der Zigeuner" oder "Schwarze Katze, weißer Kater". In dieser Autobiografie hat Schnitzler nun erlebt, dass das reale Familiensetting bei Kusturica genauso verrückt ist wie seine Filme, Schnitzler schwärmt jedenfalls von einer "durch und durch schrägen Sippe". Mit ebenso großer Erheiterung hat er die Passagen gelesen, in denen Kusturica von seinen Kiffernächten mit Johnny Depp durchs belagerte Sarajevo erzählt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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