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Warum ist der Tod eines Menschen immer eine Art Skandal? Warum ruft dieses ganz normale Ereignis bei jenen, die dabei Zeuge sind, ebensoviel Neugier wie Grauen hervor? Wie kommt es, dass man sich nicht längst an dieses natürliche und doch stets zufällige Geschehen gewöhnt hat? In seinem philosophischen Hauptwerk analysiert Vladimir Jankélévitch das Ereignis des Todes in seiner ganzen Banalität und Fremdheit, in seiner Widersprüchlichkeit und auch im Kontext der komplexen Auslegungen, die der Tod in der Geschichte der Philosophie erfahren hat.

Produktbeschreibung
Warum ist der Tod eines Menschen immer eine Art Skandal? Warum ruft dieses ganz normale Ereignis bei jenen, die dabei Zeuge sind, ebensoviel Neugier wie Grauen hervor? Wie kommt es, dass man sich nicht längst an dieses natürliche und doch stets zufällige Geschehen gewöhnt hat? In seinem philosophischen Hauptwerk analysiert Vladimir Jankélévitch das Ereignis des Todes in seiner ganzen Banalität und Fremdheit, in seiner Widersprüchlichkeit und auch im Kontext der komplexen Auslegungen, die der Tod in der Geschichte der Philosophie erfahren hat.
Autorenporträt
Vladimir Jankélévitch (1903-1985) war ein französischer Philosoph, Musiker und Musikwissenschaftler. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurde ihm während des Zweiten Weltkriegs die Staatsangehörigkeit entzogen. 1941 trat er der Résistance bei. Nach dem Krieg unterrichtete er von 1951 bis 1979 auf dem Lehrstuhl für Moralphilosophie an der Sorbonne in Paris. Sein umfangreiches Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Die Sorge lebt zwischen Heute und Morgen
Vor Dürers Melancholie aufrecht stehen: Vladimir Jankélévitchs gut gebaute Studie über den Tod / Von Joseph Hanimann

Ein Buchtitel ist bei Vladimir Jankélévitch nie einfach eine Themenvorgabe, sondern Leitmotiv eines rhapsodischen Denkens mit Vor- und Rückgriffen auf andere Schriften. Dies besonders im Fall von "La mort", der schon im Wort einsilbig trocken in die sonst bei diesem Philosophen eher singenden Werktitel hallt. Im übrigen gilt, was Platon schon wußte: Daß es zum Tod nichts zu wissen gibt. Alles Nachdenken über den Tod hat, soll es nicht in Nachdenken übers Leben verfallen, nur die Wahl zwischen Siesta und Panik, schreibt der Autor. Beides war diesem Quergänger der französischen Nachkriegsphilosophie gleichermaßen fremd. Darum hat er sich zeitlebens mit diesem Thema befaßt. Sein erstes Seminar dazu soll er vierzigjährig am Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Toulouser Café gehalten haben. 1966 erschien das hier vorliegende Monumentalwerk. Noch 1994, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte er das - auf deutsch seit zwei Jahren ebenfalls vorliegende - Gesprächsbuch "Kann man den Tod denken?"

Natürlich kann man das nicht. Das Buch sollte besser meiden, wer auf scharfe Konzepte, griffige Thesen, knappe Formulierungen, jähe Offenbarung aus ist. Obschon mit denkbar einfacher Kapiteleinteilung - der Tod diesseits des Todes, der Tod im Augenblick des Todes, der Tod jenseits des Todes - veranstaltet der Autor einen Reigen philosophischer, literarischer, musikalischer Zitate und Anspielungen, daß einem schwindlig werden kann. Doch hat das nichts mit der barocken Faszination am Grausen der "Danses macabres" zu tun, die der Philosoph, ebenso wie die euphemisierende Todesvision der Weisen und Frommen, abtut als "apophatische Inversion" - das wüste Knochenrasseln in Liszts Scherzos, die das "Dies irae" parodierende Staccato- und Pizzicato-Buffonnerie der "Danse macabre", die schrägen Späße Mephistos in der "Faust-Symphonie".

Von der barocken oder romantischen Totenschädelästhetik hält Jankélévitch so wenig wie von der philosophischen Verklärung - Lukrez tat, was er konnte, um uns von der Natürlichkeit des existentiell Widernatürlichen zu überzeugen, verkannte aber die Herausforderungskraft des Phänomens. Auch das unter Freunden Sich-in-den-Tod-Hineinreden von Sokrates in Platons "Phaidon" kommt dem Philosophen Jankélévitch verdächtig vor. Der über die Kapitel hin elliptisch kreisenden Darstellung Jankélévitchs zufolge ist der Tod jene radikal fremde Außeninstanz, die dem Leben von der Geburt an seine Form gibt und dieses zu einem Sein zum Tode macht - wenn auch anders als bei Heidegger. Dieser kommt bekanntlich bei Jankélévitchs nach dem Krieg so wenig wie alle anderen deutschen Philosophennamen mehr vor.

Das ist schade, hier besonders. Denn der Dialog zwischen den beiden wohl einzigen großen Philosophen Westeuropas, die im vergangenen Jahrhundert sich auf einen Entwurf zu diesem Thema einließen, wäre anregend gewesen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie den Tod nicht als äußeren Endpunkt, sondern als ein der Existenz innewohnendes und zugrundeliegendes Agens verstanden. Im Unterschied zu Heidegger war der französische Moralphilosoph aber ein Metaphysiker. Er, der über Schelling promoviert hatte, ein großer Leser Georg Simmels war und als begabter Pianist Schubert und Schumann über alles schätzte, hatte nach der Erfahrung - als Résistant - mit dem Nationalsozialismus beschlossen, fortan ohne die deutsche Kultur auszukommen. Er spielte mit Vorliebe Ravel, Fauré, Debussy, denen er mehrere Studien widmete, bewunderte Mussorgski und zitiert in diesem Buch neben Platon oder Epikur gern Marc Aurel, Montaigne, Pascal, die Kirchenväter, die russische Literatur.

Da "der" Tod nicht gedacht werden kann, sieht der Autor nur zwei Möglichkeiten: jene des Nachdenkens "über" den Tod in Andeutung und Periphrase bis hin zum Schweigen beziehungsweise zum Geschwätz - oder die Möglichkeit, an etwas anderes zu denken, beispielsweise an Lebende, die sterblich sind und die es wissen. Zwischen dieser Alternative bewegt sich Jankélévitchs Reflexion, vorab im ausführlichen ersten Teil des Buchs über den Tod vor dem Augenblick des Sterbens, also mitten im Leben. Möge man im Sinne des "Memento mori" ihm fest ins Antlitz schauen und wie Pascal jede Ablenkung zurückweisen oder, wie nach dem Evangelium Fénelon oder Kierkegaard nahelegten, die Sorge lieber aufs Heute statt aufs Übermorgen richten - für Jankélévitch sind beide Haltungen legitim. Dürers dunkle Melancholie und Raphaels Strahlen von Madonna und Kind haben in der Todesahnung beide recht. Entscheidend ist, daß das Denken dem Tod nicht als etwas Allgemeinem begegnet und so das absolut Meinige daran - "la mort mienne" - verrät. Jankélévitch konjugiert diese Unterscheidung grammatikalisch in den drei Personen durch.

Der Tod in der dritten Person ist schmerzlos allgemein, ein reiner Philosophen-Tod, jener in der ersten Person ein schieres Erschrecken - es sei denn, man redet wie Sokrates im "Phaidon" pausenlos an der Sache vorbei bis hin zum letzten Wunsch, dem Asklepios möge doch noch ein Hahn entrichtet werden. Die einzige Situation, wo allgemeine Gesetzmäßigkeit und unmittelbare Erfahrung tragisch zusammenwachsen, ist der Tod in der zweiten Person - auch hier ergäbe sich ein interessanter Bezug zu Heideggers Ausführungen über den Tod der Anderen.

Jankélévitch entwickelt, weniger daseinsanalytisch als ontologisch orientiert, in diesem Zusammenhang seine eigene Terminologie für den paradoxen Zusammenhang von Sein und Nichts. Er spricht vom "Organon-Obstaculum", jenem instrumentalen Hindernis der Körperlichkeit, die zugleich "trotz" und "wegen" dem Tod lebend in die Zeitlichkeit führt und uns den tragischen Horizont des "Notwendig-Unmöglichen" öffnet. Alle Menschen sind sterblich, wie wir mit logischer Unfehlbarkeit wissen - doch Wanja (aus Tolstojs "Tod des Iwan Iljitsch") ist ein Mensch, schreibt Jankélévitch. Die Hinzufügung dieser konzessiven Konjunktion ist wunderbar. Denn, so schreibt der Autor weiter, "beim Übergang vom doch zum deshalb, wenn es sich um diesen Wanja mit diesem gestreiften Spielball handelt, läßt uns ein schmerzlicher Widerstand stocken". In solchem Stocken des Denkens ist Jankélévitchs Buch der überbordenden Assoziationen am schönsten. Es wirkt wie das Eingeständnis, doch höchst gelehrsam und kunstvoll auf sechshundert Seiten gebreitet: Eigentlich gebe es zu diesem Thema nichts zu sagen. Man liest unwillkürlich weiter, überspringt, springt zurück und steht im Bann einer brillanten Causerie über Zeitlichkeit, Werden, Sinn, Absurdität, Freiheit, Hoffnung, das Nichts, das Abschiednehmen, die Ironie.

Noch weniger als über den Tod vor dem Tod scheint über den Tod im Todesmoment zu sagen zu sein. Es ist ein ausdehnungsloser Punkt, an dem, im Normalfall, Nichtsein Bewußtsein ablöst. Alle wichtigen Ereignisse wie Feldzüge, Schlachten, Naturkatastrophen, Geburten lassen sich in eine Unmenge narrativ ergiebiger Unterereignisse auflösen, konstatiert der Autor: nicht so der Tod. Wie aber mit Totenglocke und Totenmesse dem infinitesimal kurzen Augenblick des Sterbens ein Stück Ewigkeit abgetrotzt und dieser listvoll in Dauer überführt wird, so versteht auch Jankélévitch selbst diesen Moment mit Betrachtung zu blähen. Haben wir, so schreibt er, "da sich die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits dem Diskurs entzieht, lediglich die Wahl zwischen der Erzählung des Diesseits, die Biographie, und dem Roman des Jenseits, der Eschatologie und phantastische Erzählung ist?" - Nein, wir haben die virtuose Begriffspoesie eines Denkers, der alles verbindet. Ob wir dann mit den "Requiem"-Stürmen von Berlioz, dem finsteren Triumphmarsch von Liszts "Tasso" oder mit dem Pianissimo-Poeten Debussy auf den Herzstillstand horchen, überläßt der Autor uns. In allen Fällen sind seine Ausführungen Mahnung, den Tod uns nicht durch klinisch-experimentelle Letaldifferenzierung aus der Tasche spielen zu lassen.

Daraus dürfte klar sein, daß das Todesthema hier nicht die "ultima philosophia" eines mit einem Fuß schon über dem Abgrund schwebenden Jenseitswandlers ist. Dem umgänglichen Philosophen Jankélévitch bot dieses Thema Gelegenheit, sein Lieblingsthema der Grenzerfahrung bis an den äußersten Rand denkerisch abzuschreiten. Zahlreiche seiner Publikationen spielen schon im Titel auf die Grenzsituation an wie "Das schlechte Gewissen", "Die Ironie", "Abenteuer, Langeweile, Ernst", "Das Verzeihen", das (im Parerga Verlag ebenfalls gerade auf deutsch erscheinende) Buch "Von der Lüge" oder das im Titel wohl schönste Werk Jankélévitchs: "Le Jene-sais-quoi et le Presque-rien" (1957). Der Bergson-Schüler, der von 1951 bis 1979 an der Sorbonne gegen die philosophischen Zeitströmungen mehrere Studentengenerationen wie ein aus der Zeit La Rochefoucaulds verirrter Moralist in Sachen Freiheit unterwies und diese Freiheit mit seiner distanzierten Sympathie im Mai 68 auch unter Beweis stellte, hat das heute wiedererwachte allgemeine Gesellschaftsinteresse an philosophischer Reflexion subtil vorausbedient - selbst dort, wo er in seinen Büchern stolz auf jede Übersetzung der griechischen und lateinischen Textzitate verzichtete.

Die deutsche Fassung bietet in den Fußnoten auch die Übersetzungen. Die Übertragung von Brigitta Restorff ist ein Wunderwerk an Exaktheit. Jeder, dem die heutige Rückwendung zur Philosophie mehr als eine Modeströmung wert ist, wird in diesem Buch die Seiten finden, die ihn persönlich angehen.

Vladimir Jankélévitch: "Der Tod". Aus dem Französischen von Brigitta Restorff. Herausgegeben und mit einer Nachbemerkung von Christoph Lange. Vorwort von Thomas Kapielski. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 573 S., geb., 39,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hocherfreut zeigt sich Rezensent Sascha Michel darüber, dass Vladimir Jankelevitchs Hauptwerk "Der Tod" nach fast dreißig Jahren endlich in deutscher Übersetzung vorliegt. Er würdigt den 1985 fast vergessen in Paris verstorbenen Philosophen als Solitär, der sich keiner Hauptströmung der neueren Philosophie zuordnen lässt, und charakterisiert ihn als einen "bewusst antisystematischen Denker", der seinen Gegenstand eher essayistisch umkreise, als ihn auf einen sicheren Begriff zu bringen. Wie Michel berichtet, wendet sich Jankelevitch scharf gegen jede Beschönigung des Todes, gegen die Annahmen beruhigender Kontinuitäten, und betont immer wieder dessen Sinnlosigkeit. Trotzdem wertet Michel das Werk nicht als ein "düsteres oder pessimistisches" Buch, findet er doch als Kehrseite der Bestürzung über den Tod das Staunen und die Bejahung des Lebens. Insgesamt hat Michel das Buch, dessen Übersetzung er als "vorzüglich" lobt, überaus fasziniert, auch oder gerade weil es keine leichte Kost bietet. "Jede Zeile dieses Buches knirscht unverdaulich zwischen den Zähnen", kommentiert der Rezensent zusammenfassend, "in seiner philosophischen Literarizität ist es geradezu höllisch scharf von Erkenntnis; und bei aller Bitterkeit ist es von einem humanen Staunenkönnen über unsere Welt erfüllt, das einem in der Tat den Schlaf rauben kann".

© Perlentaucher Medien GmbH
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»Suhrkamp schenkt den deutschen Lesern in der Übertragung durch Brigitta Restorff ein Jahrhundertbuch. ... Jankélévitchs Buch über den Tod ist ein Geschenk, seine Lektüre weckt auf, gibt Sicherheit dafür, dass es doch gerade jetzt nicht zu Ende gehen darf. ... Der Tod ist ein großes Werk über das Leben.« Süddeutsche Zeitung