Der schmächtige Außenseiter Andy muss im Alter von 17 Jahren feststellen, dass ihm seine erste Zigarette übermenschliche Kräfte verleiht. Von dieser nikotingegebenen Macht bereits überfordert, fällt ihm wenig später ein Erbe seines Vaters in die Hände: ein Todesstrahler wie aus einem Ed-Wood-Film. Nur allzu bald lernt er, dessen zerstörerische Kraft für seine egoistischen und gänzlich banalen Zwecke einzusetzen.Was als Coming-of-Age-Erzählung beginnt, wandelt sich rasant zur abgründigen Satire. Indem Daniel Clowes einen orientierungslosen Teenager über Gut und Böse entscheiden lässt, entlarvt er die moralische Zwiespältigkeit jeder einfachen Heldengerechtigkeit.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013Der Junge mit
dem Todesstrahl
Daniel Clowes erkundet im Comic
Superhelden-Fantasien
Zahlreich sind sie, die Leiden des jungen Andy. Seine Eltern sind lange tot, die Großmutter auch, und dem Großvater, mit dem er zusammenlebt, geht es gesundheitlich immer schlechter. In der Schule ist Andy ein Außenseiter. Und Dusty, das blonde American Dream Girl, in das er sich vor ein paar Jahren in Kalifornien verliebt hat, antwortet nicht auf seine Briefe. Sein einziger Freund ist Louie, ein dreister Italoamerikaner, der gerne dunkle Kleidung trägt und beim Punk-Hören Mordgelüste verspürt.
Dann passiert eines Tages das Unglaubliche: Andy, der Schwächling, hat Riesenkräfte – weil er zu rauchen begonnen hat. Als Baby, erfährt er, sind ihm Hormone verabreicht worden, die das Nikotin nun aktiviert. Außerdem erbt er eine Erfindung seines Vaters, eine futuristische Waffe. Sie sieht aus wie ein Kinderspielzeug; ihr Strahl aber löst alles auf. Und so zieht Andy los, um in seiner Stadt ein wenig aufzuräumen: „Es gibt immer einen Arsch“, erklärt er, „der eine Lektion braucht.“
Das klingt nach einer klassischen Superheldenstory, wie sie von den amerikanischen Mainstream-Verlagen seit Jahrzehnten immer wieder erzählt wird. Aber dem ist nur scheinbar so. Denn das Wunderbare, das in „Der Todesstrahl“ in den Teenager-Alltag tritt, krempelt diesen nicht wirklich um; es ergibt sich vielmehr ein bizarres, latent komisches Spannungsverhältnis. Andys Gegner sind keine maskierten Superschurken. Sie sind Loser wie er selbst. „Der Todesstrahl“ ist keine Superhelden-Fantasie, sondern offenbart die pubertären Quellen, aus denen diese sich speist; die Graphic Novel fungiert als ihr eigener ironischer Kommentar.
Im Original ist „Der Todesstrahl“ schon 2004 erschienen, in der Heftreihe „Eightball“, in der Daniel Clowes fast alle seiner Arbeiten publiziert hat. Wie in seiner Graphic Novel „Wilson“ (2010) bedient er sich auch hier eines collagehaften Erzählprinzips. Die Geschehnisse werden nicht nur in der Rückblende geschildert, von einem längst erwachsenen Andy, sondern auch sprunghaft und mit einigen Abschweifungen. Die einzelnen „Kapitel“ sind kurz, höchstens zwei Seiten lang, und durch die Fülle von Figuren darin entsteht ein genaues Bild der Welt, in der Andy lebt. So verbinden sich in „Der Todesstrahl“ epische Weite und eine pointierte Darstellungsweise, wie sie für Short Stories typisch ist.
Im Vergleich zu seinem Frühwerk, das teilweise arg im Schatten David Lynchs stand, hat Clowes als Erzähler große Fortschritte gemacht. Und ein toller Zeichner ist er ohnehin. „Der Todesstrahl“ spielt in den späten Siebzigern, und natürlich schöpft Clowes reichlich aus der damaligen populären Kultur: Andys Schwarm sieht aus, als sei sie der „Partridge Family“ entsprungen, es fehlt nicht an Schlaghosen, Schnurrbärten und komischen Brillen, und das beige Papier sowie die Kolorierung erinnern an alte Superhelden-Comics. Ein kuscheliges Retro-Feeling wird aber nicht zelebriert. Clowes reproduziert den Zeichenfundus nicht einfach, er stellt ihn aus – sowohl in erzählerischer wie in zeichnerischer Hinsicht ist „Der Todesstrahl“ ein Beispiel für die hohe Kunst, Faszination und Distanziertheit in prekärer Balance zu halten.
CHRISTOPH HAAS
Daniel Clowes (Text und Zeichnungen) : Der Todesstrahl. Comic. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl und Heinrich Anders. Reprodukt Verlag, Berlin 2013. 48 Seiten, 20 Euro.
ILLUSTRATION: AUS DEM BESPR. BAND
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
dem Todesstrahl
Daniel Clowes erkundet im Comic
Superhelden-Fantasien
Zahlreich sind sie, die Leiden des jungen Andy. Seine Eltern sind lange tot, die Großmutter auch, und dem Großvater, mit dem er zusammenlebt, geht es gesundheitlich immer schlechter. In der Schule ist Andy ein Außenseiter. Und Dusty, das blonde American Dream Girl, in das er sich vor ein paar Jahren in Kalifornien verliebt hat, antwortet nicht auf seine Briefe. Sein einziger Freund ist Louie, ein dreister Italoamerikaner, der gerne dunkle Kleidung trägt und beim Punk-Hören Mordgelüste verspürt.
Dann passiert eines Tages das Unglaubliche: Andy, der Schwächling, hat Riesenkräfte – weil er zu rauchen begonnen hat. Als Baby, erfährt er, sind ihm Hormone verabreicht worden, die das Nikotin nun aktiviert. Außerdem erbt er eine Erfindung seines Vaters, eine futuristische Waffe. Sie sieht aus wie ein Kinderspielzeug; ihr Strahl aber löst alles auf. Und so zieht Andy los, um in seiner Stadt ein wenig aufzuräumen: „Es gibt immer einen Arsch“, erklärt er, „der eine Lektion braucht.“
Das klingt nach einer klassischen Superheldenstory, wie sie von den amerikanischen Mainstream-Verlagen seit Jahrzehnten immer wieder erzählt wird. Aber dem ist nur scheinbar so. Denn das Wunderbare, das in „Der Todesstrahl“ in den Teenager-Alltag tritt, krempelt diesen nicht wirklich um; es ergibt sich vielmehr ein bizarres, latent komisches Spannungsverhältnis. Andys Gegner sind keine maskierten Superschurken. Sie sind Loser wie er selbst. „Der Todesstrahl“ ist keine Superhelden-Fantasie, sondern offenbart die pubertären Quellen, aus denen diese sich speist; die Graphic Novel fungiert als ihr eigener ironischer Kommentar.
Im Original ist „Der Todesstrahl“ schon 2004 erschienen, in der Heftreihe „Eightball“, in der Daniel Clowes fast alle seiner Arbeiten publiziert hat. Wie in seiner Graphic Novel „Wilson“ (2010) bedient er sich auch hier eines collagehaften Erzählprinzips. Die Geschehnisse werden nicht nur in der Rückblende geschildert, von einem längst erwachsenen Andy, sondern auch sprunghaft und mit einigen Abschweifungen. Die einzelnen „Kapitel“ sind kurz, höchstens zwei Seiten lang, und durch die Fülle von Figuren darin entsteht ein genaues Bild der Welt, in der Andy lebt. So verbinden sich in „Der Todesstrahl“ epische Weite und eine pointierte Darstellungsweise, wie sie für Short Stories typisch ist.
Im Vergleich zu seinem Frühwerk, das teilweise arg im Schatten David Lynchs stand, hat Clowes als Erzähler große Fortschritte gemacht. Und ein toller Zeichner ist er ohnehin. „Der Todesstrahl“ spielt in den späten Siebzigern, und natürlich schöpft Clowes reichlich aus der damaligen populären Kultur: Andys Schwarm sieht aus, als sei sie der „Partridge Family“ entsprungen, es fehlt nicht an Schlaghosen, Schnurrbärten und komischen Brillen, und das beige Papier sowie die Kolorierung erinnern an alte Superhelden-Comics. Ein kuscheliges Retro-Feeling wird aber nicht zelebriert. Clowes reproduziert den Zeichenfundus nicht einfach, er stellt ihn aus – sowohl in erzählerischer wie in zeichnerischer Hinsicht ist „Der Todesstrahl“ ein Beispiel für die hohe Kunst, Faszination und Distanziertheit in prekärer Balance zu halten.
CHRISTOPH HAAS
Daniel Clowes (Text und Zeichnungen) : Der Todesstrahl. Comic. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl und Heinrich Anders. Reprodukt Verlag, Berlin 2013. 48 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nur auf den ersten Blick ist dies eine Superhelden-Geschichte, erklärt Christoph Haas, auch wenn Daniel Clowes' Comic alle dafür nötigen Ingredienzien enthält: Eines Tages entdeckt der Schwächling Andy, dass er Riesenkräfte hat und sein Kinderspielzeug in Wirklichkeit eine futuristische Superwaffe. Den entscheidenden Unterschied erkennt Haas aber darin, dass Andy nicht den Superschurken das Handwerk legt, sondern anderen armen Schweinen. Damit wird für den Rezensenten aus der Superhelden-Fantasie eine Geschichten über die pubertären Quellen, aus denen sich diese speist. Mit dieser im Original bereits 2004 erschienenen Geschichte hat sich Clowes in den Augen des Rezensenten zum großen Erzähler gewandelt. Ein "toller Zeichner" war er bis dahin sowie schon.
© Perlentaucher Medien GmbH
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