Nominiert zum Fußballbuch des Jahres 2022 Der Torwart machte Geschichte als der »Held von Sevilla«, als er im Finale des Fußball-Europapokals der Landesmeister 1986 gegen den FC Barcelona alle vier Elfmeter hielt und Steaua Bukarest zum Triumph verhalf. Helmut Duckadam brachte sein größter Sieg - Unglück: Er geriet in die Hände der rumänischen Staatssicherheit. Und spielte nicht mehr in der Meisterschaft. Nicht mehr im Weltfinale gegen River Plate aus Argentinien. Nicht mehr im Supercup-Finale in Monaco. Er wurde zu einer Legende. Zu einem Mythos.»Der Junge aus der Daitschenstross, aus einem Dorf, von dem niemand zuvor etwas gehört hatte, wird jetzt zum Ducadam oder Duckadam. Und verschwindet wieder. Das Haus des Volkes, des Genossen Nicolae Ceau escu, das zweitgrößte Gebäude der Welt, steht noch da, es wird immer da stehen, auch in tausend Jahren. Das menschliche Gedächtnis ist kurz, das Gute wird schnell vergessen. Nur an das Böse wird erinnert, hunderte, tausende von Jahren. Ducki, Helmut Duckadam, den letzten Berin -puv , hat man schon vergessen. Oder?«Radins Roman verzaubert durch seinen Humor, der deutsche, österreichische, ungarische und rumänische Geschichte verblüffend leicht vor uns entfaltet. Er erzählt von einem fantastischen Sportler und wunderbaren Menschen - und von den deutschen Gemeinschaften der Gubaschen und Beriner aus dem kleinen Ort Semlak, in dem Duckadam aufwuchs. Deren Leben, Denken und Sprache, mit ihrem eigenen Tonfall und Witz, in dem die Tragik und Weisheit von Jahrhunderten mitschwingt, werden in diesem einzigartigen Roman lebendig.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2022Triumph und Tragik eines Torwarthelden
Helmut Duckadam pariert vier Elfmeter im Europapokalfinale 1986 und wird als "Held von Sevilla" verehrt. Dann macht ihm Rumäniens Regime das Leben schwer.
Von Stephan Löwenstein, Wien
Im Jahr 1986 hat sich im Europapokal der Fußball-Landesmeister eine Sensation ereignet. Erstmals gewann eine Mannschaft aus dem kommunistischen Ostblock die bedeutendste Trophäe für europäische Vereinsmannschaften: Steaua Bukarest. Und zwar gegen den berühmten FC Barcelona, noch dazu auf spanischem Boden, in Sevilla. Mehr Außenseiter geht kaum. Der Spielverlauf passte dazu. 120 Minuten lang fiel kein reguläres Tor, dann brauchte es acht Elfmeter, damit Steaua 2:0 gewann.
Da liegt es auf der Hand, dass es der Tormann war, der die Heldengeschichte schrieb. Auf Youtube kann man sie nachsehen, mit rumänischem Kommentar. Barcelona, dirigiert vom famosen Bernd Schuster, dominiert das Spiel. Schuster selbst vergibt die größte Chance - ein Kopfball, nicht seine Paradedisziplin. Dann kommen auch die Rumänen zu ein paar gefährlichen Weitschüssen. Am Ende ist es die erwartete Abwehrschlacht. Der Torwart von Steaua faustet Hereingaben aus dem Strafraum, hechtet knapp vorbeitrudelnden Querschlägern hinterher, reklamiert erfolgreich ein tückisches Handspiel der Katalanen, die sich in letzter Minute ein Tor zu ergaunern hoffen (das scheint in jenem Jahr in Mode gewesen zu sein). Aber seine Stunde schlägt erst im Elfmeterschießen. Vier von vier Schüssen gehalten, das hat weder zuvor noch danach ein Torwart in einem derart bedeutenden Endspiel bewerkstelligt. Da versteht man sogar den rumänischen Kommentator: "Bravo, Duckadam! Extraordinare!"
Helmut Duckadam hieß dieser extraordinäre Tormann des rumänischen Landesmeisters von 1985 und 1986. Der Vorname deutet schon darauf: Er ist ein Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien, ein "Schwabe", wie man dort sagt. Über Duckadams Sportlerleben ist jetzt ein Buch aus der Feder seines Landsmanns Milan Radin erschienen, als Roman angelegt: "Der Tormann". Eine geplante Lesung in Österreich fiel pandemiebedingt aus, doch hatte die F.A.Z. Gelegenheit, mit Radin und Duckadam ein Videogespräch zu führen.
Um es gleich zu sagen, als Roman überzeugt das Buch nicht wirklich, und auch formal holpert es hier und da. Aber es ist auch eigentlich keine Fiktion, sondern gibt szenisch ausgeschmückt wieder, was Duckadam selbst und weitere Zeitgenossen erzählen. Und diese Geschichte ist lesenswert. Sie wirft nicht nur ein Schlaglicht darauf, wie Leistungssport im kommunistischen Regime funktionierte, sondern auch auf die komplexe Situation der ethnischen Minderheiten. Radin weiß, wovon er da schreibt: Er selbst stammt aus einer serbischen Familie im rumänischen Temeschwar, der 1989 die Flucht nach Österreich gelang.
Mit einer Fluchtgeschichte steigt Radin auch ein, und das ist gleich eine aberwitzige Geschichte aus der Untergangszeit des Zweiten Weltkriegs. Im August 1944 näherte sich die sowjetische Front der rumänischen Hauptstadt Bukarest, die dortige Regierung versuchte sich mit einem Seitenwechsel zu retten und erklärte dem vormaligen Verbündeten Deutschland den Krieg. Viele der plötzlich zu Feinden im eigenen Land gewordenen Rumäniendeutschen flohen in einem Treck in Richtung Westen, kreuz und quer durch Ungarn, darunter ein Mädchen namens Lisa-Elisabeth, die später Duckadams Mutter werden sollte. Am Ende mussten sie doch in ihr siebenbürgisches Dorf bei Arad, nahe der ungarischen Grenze, zurück. Ihr Besitz aber wurde durch das neue Regime enteignet oder kollektiviert.
Entsprechend ärmlich ging es zu im Dorf Semlak (rumänisch: Semlac) und in der Familie, in die Helmut Duckadam 1959 geboren wurde. Fußball wurde nach dem dörflichen Prinzip gespielt: eine Wiese voll Maulwurfhügel, zwei Mannschaften, ein Tor, ein Tormann - Duckadams sportliche Grundschule. In den siebziger Jahren wurde er in der Schulmannschaft ins Tor befördert, dann auch in der heimischen Dorfgenossenschaft. Die Fußballmannschaften waren im sozialistischen Staat an Betriebe und Produktionsgenossenschaften angebunden. Etwa in Arad: Vagonul, die Eisenbahnbauer; FZ, die Zuckerfabrik; und für die Textilfabrik der Erstligaklub UTA Arad, der 1969 und 1970 die rumänische Meisterschaft holte. Für Helmuts sportlichen Horizont war UTA das Traumziel.
Als mit 16 die Entscheidung für eine Ausbildung anstand, entschied sich Duckadam daher für eine Lehre nicht als Schuster oder so im Dorf, sondern als Fräser-Hobler in Arad. Ein ehemaliger UTA-Tormann, "Genosse Professor Duschan", hatte ihn bei den Dorfspielen entdeckt und zu einer der Jugendmannschaften in Arad geholt, die er trainierte. Das hieß: Abfahrt mit dem Zug ab Semlak um fünf Uhr früh, ein Torwarttraining, die Ausbildung mit zwei Tagen Schule und drei Tagen Arbeit an der "Industrial 1", dann entweder die Rückfahrt nach Hause oder Nachmittagstraining und Übernachtung in der Sportschule.
1976 nahm ihn UTA auf und reichte ihn weiter (das klingt ganz wie ein kapitalistisches Leihgeschäft dieser Tage) zwecks Erlangung von Spielerfahrung zum Drittligaklub Constructorul, die Bauarbeiter, wie der Name schon sagt. 1978 dann die erste Einwechslung in einem Erstligaspiel. Nach einem Abstieg von UTA konnte er sich in zwei Jahren Tingeln durch die Karpatendörfer in die erste Mannschaft spielen. Nach dem Wiederaufstieg wurde auch der Nationaltrainer auf Duckadam aufmerksam, doch zu mehr als zwei offiziellen Spielen für Rumäniens A-Team reichte es nicht. Dafür durfte er mit einer B-Nationalmannschaft an einer ziemlich abenteuerlichen Freundschaftsspielreise durch Süd- und Mittelamerika teilnehmen.
1983 dann der Wechsel in die Hauptstadt. Steaua ("Der Stern") war der Klub der Armee. Duckadam bekam folglich eine Uniform (die aber offenbar kaum getragen wurde) und wurde in die Kurse einer Technischen Hochschule gesteckt, Fachrichtung Motoren und Luftfahrzeuge, um nach der Fußballerzeit einmal Flugzeuge reparieren zu können.
Der Ehrgeiz der unterschiedlichen Organisationen im kommunistischen System spiegelte sich im Fußball wieder. Autor Radin nennt das "Die große Schlacht der Generäle", Duckadam sollte damit noch eine ungemütliche Erfahrung machen. Die Armee hielt sich Steaua, die Miliz (Innenministerium) und der Geheimdienst Securitate waren bei Dinamo und Victoria "involviert". Dann gab es noch Sportul Studentesc, die Universitätsmannschaft. Dort hatte ein Sohn des Genossen Generalsekretär das Sagen, Nicu Ceausescu, Leiter des kommunistischen Jugendverbands und Jugendminister. Der machte sich, so Radin, gern einen Spaß daraus, die Generäle aufzumischen, und wurde entsprechend wenig von denen geschätzt. Steaua wiederum wurde protegiert von Valentin Ceausescu, dem ältesten Sohn des Staatschefs. Der promovierte Physiker, der sich aus der Politik ferngehalten hatte und als einziges engeres Familienmitglied nach 1989 ohne Anklage davonkam, wird von Radin/Duckadam als beliebt und von menschlicher Wesensart beschrieben. Aber auf das Fortkommen "seines" Vereins sahen er und die Armeegeneräle offensichtlich dennoch scharf.
Die schönste Anekdote dazu ist die vom Zahnarztsessel. Der wurde eines Tages zur Verblüffung des diensthabenden Arztes auf Geheiß von "ganz oben" im Universitätskrankenhaus Bukarest abmontiert und in einem Gebäude beim Steaua-Stadion Ghencea aufgebaut. Warum? Weil für Steaua der schussgewaltige Offensivspieler László Bölöni gewonnen werden sollte. Bölöni hatte neben dem Fußball ein Medizinstudium absolviert. In seiner siebenbürgischen Heimatstadt Targu Mures praktizierte er als Zahnarzt und schoss seine Tore. Seine Forderung für einen Wechsel zu Steaua war die Einrichtung einer Ordination samt Ausstattung. Bölöni sollte übrigens später im Finale von Sevilla einige gefährliche Weitschüsse für sein Team abgeben - und einen der Elfmeter verschießen.
Das "Spiel der Spiele" also, wie Radin es nennt. Steaua hatte sich auf einem zugegebenermaßen glücklichen Pfad gegen Velje BK (Dänemark), Honvéd Budapest, Kuusysi Lahti (Finnland) und RSC Anderlecht (der immerhin die Bayern bezwungen hatte) fürs Finale qualifiziert. Die Rumänen, ohnedies in vielerlei Hinsicht Außenseiter, mussten noch dazu in letzter Minute über einen jugoslawischen Agenten einen frischen Trikotsatz (aus Westdeutschland) einfliegen lassen, weil man nicht bedacht hatte, dass auch Barcelona in Blau-Rot aufzulaufen pflegt und diesbezüglich als Heimmannschaft behandelt wurde. Rührend die Beschreibung, wie "Ducki" die neuen, "deutschen" Torwarthandschuhe die ganze Nacht streichelt, weil sie so anders gewesen seien als die, die er aus seiner Jugend kannte. Und heute kaum zu glauben, dass sein Team Flutlichtspiele gar nicht gewohnt war. Duckadam war froh, dass er wenigstens in zwei Extratrainings üben konnte, Flanken unter diesen Sichtverhältnissen abzufangen.
Was war die wichtigste Sache nach einem solchen sportlichen Triumph? Eine Benachrichtigung per Telegramm an die heimische Kommunistische Partei, in der unbedingt der Genosse Ceausescu adressiert und gerühmt werden muss, aber auch eine Huldigung an die "Genossin Akademikerin Doktor Inginer Elena Ceausescu" nicht vergessen werden darf. Es ist eine glückliche Idee Radins, nicht nur dieses Telegramm im Wortlaut abzudrucken, sondern immer wieder in seinem Buch durch Zitate aus offiziellen Dokumenten das Kolorit der politischen Umstände in Erinnerung zu bringen.
Helmut Duckadam sollte nach seinem Triumph nur mehr ein Erstligaspiel bestreiten. Es war das vorletzte der rumänischen Meisterschaft 1985/86, die Steaua wieder gewinnen sollte. Dabei war er erst 27. Um die Umstände seines Karriereendes ranken sich Mythen, die für sich schon eine Geschichte sind. So soll er in die Fänge der Securitate geraten sein, oder Ceausescu habe ihn bei einem Jagdunfall angeschossen, oder Diktatorensohn Nicu Ceausescu habe ihm durch Schergen beide Arme brechen lassen, um an die Siegprämie zu gelangen, einen neuen Mercedes-Benz. Letzteres wurde Jahre später sogar in der "Bild"-Zeitung verbreitet. Es wäre eine eigene Recherche wert, wie das dorthin gelangt ist.
Tatsächlich musste sich Duckadam im Sommer 1986 einer Operation am linken Arm unterziehen, die für ihn den Abschied vom Leistungssport bedeutete. Aber nach seinen eigenen Angaben war es kein tätlicher Angriff, sondern eine Gefäßerkrankung, die wohl mit einem früheren Unfall als Kind zusammenhing. Auch das mit dem Mercedes als Siegprämie ist nicht wahr - "leider", sagt Duckadam dazu. Wahr ist aber, dass er mit dem System in einen nicht ungefährlichen Konflikt geriet. Und der hatte wiederum mit den Einflussnahmen aus der Nomenklatura auf den Fußball zu tun.
Nachdem die Meisterschaft für Steaua feststand, stellte der Trainer im letzten Meisterschaftsspiel eine Mannschaft ohne sieben Stammspieler auf. Es ging gegen Universitatea Craiova, das einen Sieg gegen Steaua benötigte, um sich für den UEFA-Cup zu qualifizieren. Gleichzeitig hoffte der Stürmerstar von Steaua, Victor Piturca, auf die Trophäe des besten Torjägers. Im Gespräch sagt Duckadam es geradeheraus: "Die Anführer haben ausgemacht, wir lassen Craiova gewinnen. Und Piturca soll drei Tore schießen." An diesem abgekarteten Spiel habe er, der Held von Sevilla, nicht teilnehmen wollen. Daher verabschiedete er sich, trotz strenger Mahnungen auch durch die Funktionäre, und fuhr nach Arad.
Tatsächlich gewann Craiova mit 5:4, und tatsächlich schoss Piturca drei Tore (davon zwei Elfmeter). Craiova kam in den UEFA-Cup. Aber mit Piturca hatten die Armeegeneräle sich verrechnet. Denn die Torjägerkanone gewann der junge Georghe Hagi, der sechs Treffer zu einem 7:5 seines Sportul Studentesc beitrug. Wir erinnern uns: Das war der Klub des aufmüpfigen Ceausescu-Sohns Nicu.
Helmut Duckadam wurde für sein unerlaubtes Entfernen von seiner Fußballtruppe vor eine Art Tribunal einbestellt, mehrere Offiziere und Parteifunktionäre und sein Trainer. Eine Stunde - so die Schilderung - lasen sie ihm reihum die Leviten und drohten mit einem Militärgericht. Seine Sicht, dass er nach seinem Triumph von Sevilla doch nicht freiwillig fünf Gegentore kassieren könne, nur damit jemand Torschützenkönig werden kann, kam offenbar nicht so gut an. Am Ende tat Duckadam das, was im Kommunismus gefragt war, er gab seinen Fehler zu und übte Selbstkritik.
Das Pokalfinale in jenem Jahr konnte er noch spielen, das Steaua knapp gegen Dinamo verlor. Dann durfte er nach Hause nach Semlak fahren und sich feiern lassen. Nach einem Sturz trat ein Aneurysma am linken Arm auf. Durch eine komplizierte OP konnte der Arm gerettet werden. Der nicht mehr leistunssporttaugliche Duckadam wurde aus der Armee aussortiert und kam mit einer Anstellung als Vizepräsident bei der Fußballabteilung der Waggonfabrik Arad unter - von Sevilla zurück zum Dorffußball, dort auch noch mal zwei Jahre auf dem Platz. Nach der Wende 1989/90 waren Ersparnisse und Wohnung dahin. Duckadam schlug sich als Züchter schottischer Schäferhunde durch, arbeitete als Grenzer. Nach 2010 durfte er eine Zeitlang das von dem umstrittenen Unternehmer und Politiker George Becali geführte Steaua als Präsident repräsentieren.
Die Idee zu seinem Buch, so erzählt Duckadam, kam ihm bei einer Begegnung in Moldau mit der einstigen sowjetischen Torwartikone Rinat Dassajew. Der habe ihm bei einem Glas Wein erzählt, er habe selbst zwei Bücher über seine Karriere geschrieben. Dassajews Rat: "Mach es nicht wie ich. Zu viele statistische Daten, das hat sich nicht verkauft." Später habe Duckadam Milan Radin getroffen, und sie hätten beschlossen: "Wir müssen was anderes schreiben. Ganz was anderes."
Milan Radin, Der Tormann. Roman. Leykam-Verlag, Graz-Wien 2021. 440 Seiten, 21 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helmut Duckadam pariert vier Elfmeter im Europapokalfinale 1986 und wird als "Held von Sevilla" verehrt. Dann macht ihm Rumäniens Regime das Leben schwer.
Von Stephan Löwenstein, Wien
Im Jahr 1986 hat sich im Europapokal der Fußball-Landesmeister eine Sensation ereignet. Erstmals gewann eine Mannschaft aus dem kommunistischen Ostblock die bedeutendste Trophäe für europäische Vereinsmannschaften: Steaua Bukarest. Und zwar gegen den berühmten FC Barcelona, noch dazu auf spanischem Boden, in Sevilla. Mehr Außenseiter geht kaum. Der Spielverlauf passte dazu. 120 Minuten lang fiel kein reguläres Tor, dann brauchte es acht Elfmeter, damit Steaua 2:0 gewann.
Da liegt es auf der Hand, dass es der Tormann war, der die Heldengeschichte schrieb. Auf Youtube kann man sie nachsehen, mit rumänischem Kommentar. Barcelona, dirigiert vom famosen Bernd Schuster, dominiert das Spiel. Schuster selbst vergibt die größte Chance - ein Kopfball, nicht seine Paradedisziplin. Dann kommen auch die Rumänen zu ein paar gefährlichen Weitschüssen. Am Ende ist es die erwartete Abwehrschlacht. Der Torwart von Steaua faustet Hereingaben aus dem Strafraum, hechtet knapp vorbeitrudelnden Querschlägern hinterher, reklamiert erfolgreich ein tückisches Handspiel der Katalanen, die sich in letzter Minute ein Tor zu ergaunern hoffen (das scheint in jenem Jahr in Mode gewesen zu sein). Aber seine Stunde schlägt erst im Elfmeterschießen. Vier von vier Schüssen gehalten, das hat weder zuvor noch danach ein Torwart in einem derart bedeutenden Endspiel bewerkstelligt. Da versteht man sogar den rumänischen Kommentator: "Bravo, Duckadam! Extraordinare!"
Helmut Duckadam hieß dieser extraordinäre Tormann des rumänischen Landesmeisters von 1985 und 1986. Der Vorname deutet schon darauf: Er ist ein Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien, ein "Schwabe", wie man dort sagt. Über Duckadams Sportlerleben ist jetzt ein Buch aus der Feder seines Landsmanns Milan Radin erschienen, als Roman angelegt: "Der Tormann". Eine geplante Lesung in Österreich fiel pandemiebedingt aus, doch hatte die F.A.Z. Gelegenheit, mit Radin und Duckadam ein Videogespräch zu führen.
Um es gleich zu sagen, als Roman überzeugt das Buch nicht wirklich, und auch formal holpert es hier und da. Aber es ist auch eigentlich keine Fiktion, sondern gibt szenisch ausgeschmückt wieder, was Duckadam selbst und weitere Zeitgenossen erzählen. Und diese Geschichte ist lesenswert. Sie wirft nicht nur ein Schlaglicht darauf, wie Leistungssport im kommunistischen Regime funktionierte, sondern auch auf die komplexe Situation der ethnischen Minderheiten. Radin weiß, wovon er da schreibt: Er selbst stammt aus einer serbischen Familie im rumänischen Temeschwar, der 1989 die Flucht nach Österreich gelang.
Mit einer Fluchtgeschichte steigt Radin auch ein, und das ist gleich eine aberwitzige Geschichte aus der Untergangszeit des Zweiten Weltkriegs. Im August 1944 näherte sich die sowjetische Front der rumänischen Hauptstadt Bukarest, die dortige Regierung versuchte sich mit einem Seitenwechsel zu retten und erklärte dem vormaligen Verbündeten Deutschland den Krieg. Viele der plötzlich zu Feinden im eigenen Land gewordenen Rumäniendeutschen flohen in einem Treck in Richtung Westen, kreuz und quer durch Ungarn, darunter ein Mädchen namens Lisa-Elisabeth, die später Duckadams Mutter werden sollte. Am Ende mussten sie doch in ihr siebenbürgisches Dorf bei Arad, nahe der ungarischen Grenze, zurück. Ihr Besitz aber wurde durch das neue Regime enteignet oder kollektiviert.
Entsprechend ärmlich ging es zu im Dorf Semlak (rumänisch: Semlac) und in der Familie, in die Helmut Duckadam 1959 geboren wurde. Fußball wurde nach dem dörflichen Prinzip gespielt: eine Wiese voll Maulwurfhügel, zwei Mannschaften, ein Tor, ein Tormann - Duckadams sportliche Grundschule. In den siebziger Jahren wurde er in der Schulmannschaft ins Tor befördert, dann auch in der heimischen Dorfgenossenschaft. Die Fußballmannschaften waren im sozialistischen Staat an Betriebe und Produktionsgenossenschaften angebunden. Etwa in Arad: Vagonul, die Eisenbahnbauer; FZ, die Zuckerfabrik; und für die Textilfabrik der Erstligaklub UTA Arad, der 1969 und 1970 die rumänische Meisterschaft holte. Für Helmuts sportlichen Horizont war UTA das Traumziel.
Als mit 16 die Entscheidung für eine Ausbildung anstand, entschied sich Duckadam daher für eine Lehre nicht als Schuster oder so im Dorf, sondern als Fräser-Hobler in Arad. Ein ehemaliger UTA-Tormann, "Genosse Professor Duschan", hatte ihn bei den Dorfspielen entdeckt und zu einer der Jugendmannschaften in Arad geholt, die er trainierte. Das hieß: Abfahrt mit dem Zug ab Semlak um fünf Uhr früh, ein Torwarttraining, die Ausbildung mit zwei Tagen Schule und drei Tagen Arbeit an der "Industrial 1", dann entweder die Rückfahrt nach Hause oder Nachmittagstraining und Übernachtung in der Sportschule.
1976 nahm ihn UTA auf und reichte ihn weiter (das klingt ganz wie ein kapitalistisches Leihgeschäft dieser Tage) zwecks Erlangung von Spielerfahrung zum Drittligaklub Constructorul, die Bauarbeiter, wie der Name schon sagt. 1978 dann die erste Einwechslung in einem Erstligaspiel. Nach einem Abstieg von UTA konnte er sich in zwei Jahren Tingeln durch die Karpatendörfer in die erste Mannschaft spielen. Nach dem Wiederaufstieg wurde auch der Nationaltrainer auf Duckadam aufmerksam, doch zu mehr als zwei offiziellen Spielen für Rumäniens A-Team reichte es nicht. Dafür durfte er mit einer B-Nationalmannschaft an einer ziemlich abenteuerlichen Freundschaftsspielreise durch Süd- und Mittelamerika teilnehmen.
1983 dann der Wechsel in die Hauptstadt. Steaua ("Der Stern") war der Klub der Armee. Duckadam bekam folglich eine Uniform (die aber offenbar kaum getragen wurde) und wurde in die Kurse einer Technischen Hochschule gesteckt, Fachrichtung Motoren und Luftfahrzeuge, um nach der Fußballerzeit einmal Flugzeuge reparieren zu können.
Der Ehrgeiz der unterschiedlichen Organisationen im kommunistischen System spiegelte sich im Fußball wieder. Autor Radin nennt das "Die große Schlacht der Generäle", Duckadam sollte damit noch eine ungemütliche Erfahrung machen. Die Armee hielt sich Steaua, die Miliz (Innenministerium) und der Geheimdienst Securitate waren bei Dinamo und Victoria "involviert". Dann gab es noch Sportul Studentesc, die Universitätsmannschaft. Dort hatte ein Sohn des Genossen Generalsekretär das Sagen, Nicu Ceausescu, Leiter des kommunistischen Jugendverbands und Jugendminister. Der machte sich, so Radin, gern einen Spaß daraus, die Generäle aufzumischen, und wurde entsprechend wenig von denen geschätzt. Steaua wiederum wurde protegiert von Valentin Ceausescu, dem ältesten Sohn des Staatschefs. Der promovierte Physiker, der sich aus der Politik ferngehalten hatte und als einziges engeres Familienmitglied nach 1989 ohne Anklage davonkam, wird von Radin/Duckadam als beliebt und von menschlicher Wesensart beschrieben. Aber auf das Fortkommen "seines" Vereins sahen er und die Armeegeneräle offensichtlich dennoch scharf.
Die schönste Anekdote dazu ist die vom Zahnarztsessel. Der wurde eines Tages zur Verblüffung des diensthabenden Arztes auf Geheiß von "ganz oben" im Universitätskrankenhaus Bukarest abmontiert und in einem Gebäude beim Steaua-Stadion Ghencea aufgebaut. Warum? Weil für Steaua der schussgewaltige Offensivspieler László Bölöni gewonnen werden sollte. Bölöni hatte neben dem Fußball ein Medizinstudium absolviert. In seiner siebenbürgischen Heimatstadt Targu Mures praktizierte er als Zahnarzt und schoss seine Tore. Seine Forderung für einen Wechsel zu Steaua war die Einrichtung einer Ordination samt Ausstattung. Bölöni sollte übrigens später im Finale von Sevilla einige gefährliche Weitschüsse für sein Team abgeben - und einen der Elfmeter verschießen.
Das "Spiel der Spiele" also, wie Radin es nennt. Steaua hatte sich auf einem zugegebenermaßen glücklichen Pfad gegen Velje BK (Dänemark), Honvéd Budapest, Kuusysi Lahti (Finnland) und RSC Anderlecht (der immerhin die Bayern bezwungen hatte) fürs Finale qualifiziert. Die Rumänen, ohnedies in vielerlei Hinsicht Außenseiter, mussten noch dazu in letzter Minute über einen jugoslawischen Agenten einen frischen Trikotsatz (aus Westdeutschland) einfliegen lassen, weil man nicht bedacht hatte, dass auch Barcelona in Blau-Rot aufzulaufen pflegt und diesbezüglich als Heimmannschaft behandelt wurde. Rührend die Beschreibung, wie "Ducki" die neuen, "deutschen" Torwarthandschuhe die ganze Nacht streichelt, weil sie so anders gewesen seien als die, die er aus seiner Jugend kannte. Und heute kaum zu glauben, dass sein Team Flutlichtspiele gar nicht gewohnt war. Duckadam war froh, dass er wenigstens in zwei Extratrainings üben konnte, Flanken unter diesen Sichtverhältnissen abzufangen.
Was war die wichtigste Sache nach einem solchen sportlichen Triumph? Eine Benachrichtigung per Telegramm an die heimische Kommunistische Partei, in der unbedingt der Genosse Ceausescu adressiert und gerühmt werden muss, aber auch eine Huldigung an die "Genossin Akademikerin Doktor Inginer Elena Ceausescu" nicht vergessen werden darf. Es ist eine glückliche Idee Radins, nicht nur dieses Telegramm im Wortlaut abzudrucken, sondern immer wieder in seinem Buch durch Zitate aus offiziellen Dokumenten das Kolorit der politischen Umstände in Erinnerung zu bringen.
Helmut Duckadam sollte nach seinem Triumph nur mehr ein Erstligaspiel bestreiten. Es war das vorletzte der rumänischen Meisterschaft 1985/86, die Steaua wieder gewinnen sollte. Dabei war er erst 27. Um die Umstände seines Karriereendes ranken sich Mythen, die für sich schon eine Geschichte sind. So soll er in die Fänge der Securitate geraten sein, oder Ceausescu habe ihn bei einem Jagdunfall angeschossen, oder Diktatorensohn Nicu Ceausescu habe ihm durch Schergen beide Arme brechen lassen, um an die Siegprämie zu gelangen, einen neuen Mercedes-Benz. Letzteres wurde Jahre später sogar in der "Bild"-Zeitung verbreitet. Es wäre eine eigene Recherche wert, wie das dorthin gelangt ist.
Tatsächlich musste sich Duckadam im Sommer 1986 einer Operation am linken Arm unterziehen, die für ihn den Abschied vom Leistungssport bedeutete. Aber nach seinen eigenen Angaben war es kein tätlicher Angriff, sondern eine Gefäßerkrankung, die wohl mit einem früheren Unfall als Kind zusammenhing. Auch das mit dem Mercedes als Siegprämie ist nicht wahr - "leider", sagt Duckadam dazu. Wahr ist aber, dass er mit dem System in einen nicht ungefährlichen Konflikt geriet. Und der hatte wiederum mit den Einflussnahmen aus der Nomenklatura auf den Fußball zu tun.
Nachdem die Meisterschaft für Steaua feststand, stellte der Trainer im letzten Meisterschaftsspiel eine Mannschaft ohne sieben Stammspieler auf. Es ging gegen Universitatea Craiova, das einen Sieg gegen Steaua benötigte, um sich für den UEFA-Cup zu qualifizieren. Gleichzeitig hoffte der Stürmerstar von Steaua, Victor Piturca, auf die Trophäe des besten Torjägers. Im Gespräch sagt Duckadam es geradeheraus: "Die Anführer haben ausgemacht, wir lassen Craiova gewinnen. Und Piturca soll drei Tore schießen." An diesem abgekarteten Spiel habe er, der Held von Sevilla, nicht teilnehmen wollen. Daher verabschiedete er sich, trotz strenger Mahnungen auch durch die Funktionäre, und fuhr nach Arad.
Tatsächlich gewann Craiova mit 5:4, und tatsächlich schoss Piturca drei Tore (davon zwei Elfmeter). Craiova kam in den UEFA-Cup. Aber mit Piturca hatten die Armeegeneräle sich verrechnet. Denn die Torjägerkanone gewann der junge Georghe Hagi, der sechs Treffer zu einem 7:5 seines Sportul Studentesc beitrug. Wir erinnern uns: Das war der Klub des aufmüpfigen Ceausescu-Sohns Nicu.
Helmut Duckadam wurde für sein unerlaubtes Entfernen von seiner Fußballtruppe vor eine Art Tribunal einbestellt, mehrere Offiziere und Parteifunktionäre und sein Trainer. Eine Stunde - so die Schilderung - lasen sie ihm reihum die Leviten und drohten mit einem Militärgericht. Seine Sicht, dass er nach seinem Triumph von Sevilla doch nicht freiwillig fünf Gegentore kassieren könne, nur damit jemand Torschützenkönig werden kann, kam offenbar nicht so gut an. Am Ende tat Duckadam das, was im Kommunismus gefragt war, er gab seinen Fehler zu und übte Selbstkritik.
Das Pokalfinale in jenem Jahr konnte er noch spielen, das Steaua knapp gegen Dinamo verlor. Dann durfte er nach Hause nach Semlak fahren und sich feiern lassen. Nach einem Sturz trat ein Aneurysma am linken Arm auf. Durch eine komplizierte OP konnte der Arm gerettet werden. Der nicht mehr leistunssporttaugliche Duckadam wurde aus der Armee aussortiert und kam mit einer Anstellung als Vizepräsident bei der Fußballabteilung der Waggonfabrik Arad unter - von Sevilla zurück zum Dorffußball, dort auch noch mal zwei Jahre auf dem Platz. Nach der Wende 1989/90 waren Ersparnisse und Wohnung dahin. Duckadam schlug sich als Züchter schottischer Schäferhunde durch, arbeitete als Grenzer. Nach 2010 durfte er eine Zeitlang das von dem umstrittenen Unternehmer und Politiker George Becali geführte Steaua als Präsident repräsentieren.
Die Idee zu seinem Buch, so erzählt Duckadam, kam ihm bei einer Begegnung in Moldau mit der einstigen sowjetischen Torwartikone Rinat Dassajew. Der habe ihm bei einem Glas Wein erzählt, er habe selbst zwei Bücher über seine Karriere geschrieben. Dassajews Rat: "Mach es nicht wie ich. Zu viele statistische Daten, das hat sich nicht verkauft." Später habe Duckadam Milan Radin getroffen, und sie hätten beschlossen: "Wir müssen was anderes schreiben. Ganz was anderes."
Milan Radin, Der Tormann. Roman. Leykam-Verlag, Graz-Wien 2021. 440 Seiten, 21 Euro.
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