Tragischer Unfall oder Mord?
„Es ist ein großes Haus, … und wir haben alle unsere Geheimnisse.“ (S. 386)
England 1950: Die junge Lady Anne Coke von Holkham Hall kann sich nicht vorstellen, warum ihr Großvater, der Earl of Leicester, die Treppe heruntergestürzt ist und sich das Genick gebrochen
hat, schließlich war er noch nicht besonders alt und sehr rüstig. Und warum hatte er das berühmte…mehrTragischer Unfall oder Mord?
„Es ist ein großes Haus, … und wir haben alle unsere Geheimnisse.“ (S. 386)
England 1950: Die junge Lady Anne Coke von Holkham Hall kann sich nicht vorstellen, warum ihr Großvater, der Earl of Leicester, die Treppe heruntergestürzt ist und sich das Genick gebrochen hat, schließlich war er noch nicht besonders alt und sehr rüstig. Und warum hatte er das berühmte Coke-Collier dabei, das seit Jahren nicht mehr aus dem Safe genommen wurde?
Die Dienerschaft ist überzeugt, dass der Hausgeist „Lady Mary“ hinter dem tragischen Unfall steckt, doch Anne stellt zusammen mit dem Maler und demokratischen Sozialisten Charles Elwood Ermittlungen an. Als sie die letzten Termine des Earl kontrollieren, fällt ihr ein Name ins Auge – Lavender Crane, Annes Gouvernante während des Krieges. „Allein der Name reichte aus, um Anne in tausend winzige Scherben zerbrechen zu lassen.“ (S. 43)
Die Tote auf der Treppe ist bereits der zweite Krimi aus der Feder von Anne Glenconner, der ehemaligen Hofdame von Prinzessin Margaret, und beruht wie schon „Lady Blake und das Grab im Meer“ zum Teil auf ihrer Biographie.
Lady Anne soll sich eigentlich auf ihren Debütantinnenball vorbereiten, als erst ihr Großvater und dann ein Jugendfreund tödlich verunglücken. Im Gegensatz zum Hauspersonal glaubt sie nicht, dass das Hausgespenst dahintersteckt, sondern sucht nach einem eventuellen Motiv und Täter. Dabei gerät auch ihre ehemalige Gouvernante ins Visier, an die sie sich nie erinnern wollte. „Nichts war ihr angetan worden. Überhaupt nichts. Sie hat eine kindische Gespensterjagd unternommen. Und eine grässliche Gouvernante gehabt. Nichts, worüber es sich zu reden lohnt. Nichts, woran man heute noch rühren sollte. Je weniger man darüber sprach, desto eher war es überwunden.“ (S. 150)
Anne und ihre Familie haben zwar immer noch ihren guten Namen und ihre Stellung in der Thronfolge, aber das Geld ist knapp, Essen wird rationiert und Kleidung getragen, bis sie auseinanderfällt. Ihre Mutter und ihre Schwester betreiben eine kleine Töpferei, deren Produkte Anne verkauft. Sie sind also ziemlich bodenständig, was sie immer wieder mit Charles Elwood diskutiert, der einen Umsturz der Gesellschaft fordert und sich wunderbare Wortgefechte mit ihr liefert.
Ich hatte Anne sofort ins Herz geschlossen. Sie ist intelligent, aufgeschlossen und neugierig, kümmert sich aber auch um die Belange der Angestellten – eine sehr warmherzige und umsichtige Persönlichkeit. Was sie allerdings mit Lavender Crane erleben musste, tat mir extrem leid. Besonders erschüttert hat mich, dass die Autorin dafür (leider) ihre eigene Vergangenheit bemühen konnte.
Charles Elwood spielt zwar nur eine Nebenrolle, die aber ziemlich gut. Anne zieht ihn ins Vertrauen, weil er in der Gegend der Einzige ist, der sie nicht schon seit der Kindheit kennt und ein Außenstehender ist. Allerdings macht er aus seinem Vorurteil gegen ihre Klasse und ihre Art zu leben keinen Hehl, auch wenn er bald einsieht, dass es auf Holkham Hall relativ gerecht zugeht. Er ist ruhiger und besonnener als Anne und bremst sie immer wieder, wenn sie übers Ziel hinausschießen oder sich selber in Gefahr bringen könnte.
Anne Glenconner schreibt sehr fesselnd und verbindet geschichtliche Hintergründe, reale Vorkommnisse und Fiktion. Bei Annes Jagd nach „Lady Mary“ kann man sich sogar ein bisschen gruseln. Ich fühlte mich wieder ausgezeichnet unterhalten, auch wenn ich den Täter etwas früher als Lady Anne ermittelt hatte, und hoffe auf weitere Bände.