Irrlauf der Tugend und Aufruhr der Liebe - das wechselvolle Leben eines deutschen Revolutionärs
Einer der einflussreichsten deutschen Jakobiner in der Französischen Revolution: Eulogius Schneider ist Franziskaner und Priester, Hofprediger und Professor der Schönen Wissenschaften, erfolgreicher Lyriker und Theologe, streitbarer Aufklärer. Farbig und historisch exakt erzählt Michael Schneider die turbulente Lebens- und Liebesgeschichte eines Mannes, der vom Vorkämpfer der großen Freiheits- und Gleichheitsideale zum öffentlichen Ankläger des elsässischen Revolutionstribunals wird. Während Eulogius Schneider mit der fahrbaren Guillotine das Niederelsaß heimsucht, verliert er sein Herz an Sara Stamm, Tochter eines verarmten Weinhändlers. Kurz nach der Verlobung wird er von St. Just gestürzt und muss in der Pariser Abbaye de Saint Germain des Près auf seinen Prozess warten. Mit ihm in der Zelle sitzt sein aristokratischer Gegenspieler, der Graf Merville.Ein faszinierendes Revolutionsleben und eine exemplarische Geschichte über den »Gewaltidealismus«, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.
Einer der einflussreichsten deutschen Jakobiner in der Französischen Revolution: Eulogius Schneider ist Franziskaner und Priester, Hofprediger und Professor der Schönen Wissenschaften, erfolgreicher Lyriker und Theologe, streitbarer Aufklärer. Farbig und historisch exakt erzählt Michael Schneider die turbulente Lebens- und Liebesgeschichte eines Mannes, der vom Vorkämpfer der großen Freiheits- und Gleichheitsideale zum öffentlichen Ankläger des elsässischen Revolutionstribunals wird. Während Eulogius Schneider mit der fahrbaren Guillotine das Niederelsaß heimsucht, verliert er sein Herz an Sara Stamm, Tochter eines verarmten Weinhändlers. Kurz nach der Verlobung wird er von St. Just gestürzt und muss in der Pariser Abbaye de Saint Germain des Près auf seinen Prozess warten. Mit ihm in der Zelle sitzt sein aristokratischer Gegenspieler, der Graf Merville.Ein faszinierendes Revolutionsleben und eine exemplarische Geschichte über den »Gewaltidealismus«, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2001Eulogius, die fahrende Guillotine
Michael Schneider träumt von der unblutigen Revolution
Einprägsam, ja unvergeßlich sind die Szenen in der Abbaye de Saint-Germain-des-Près, die Robespierre 1793/1794 als Gefängnis nutzen ließ, wo Aristokraten und Kurtisanen, Girondisten und Cordeliers, der ganze vom Tugendterror der Revolution aussortierte Auswurf miteinander lebt - eine Gesellschaft der Gleichen, weil alle die Guillotine erwartet, und doch der Ungleichen, denn unter den Eingesperrten herrschen dieselben Gesetze wie draußen auch: der Wille zur Macht, die Gier der Sinne, das Recht des Geldes.
Auch Eulogius Schneider hat es in diese Vorhölle verschlagen, einen deutschen Jakobiner, Expriester, Poeten und Philosophieprofessor, der bis zu seiner Verhaftung öffentlicher Ankläger des Revolutionstribunals in Straßburg war, mitverantwortlich für eine Anzahl Todesurteile, die ihm die Beinamen "Marat von Straßburg" und "Blutsäufer des Elsaß" eingetragen haben. Drei Tage vor Danton, im April 1794, wird er guillotiniert. Aus seinem Leben hat Michael Schneider einen spannenden, auf Dokumente und historische Recherchen gestützten Roman gemacht, ein Haupt- und Lebenswerk, denn unverkennbar geht eine zentrale eigene Lebenserfahrung mit ein - die Erfahrung mit der studentischen Rebellion der 1968er und 1970er Jahre, an der Michael Schneider lebhaft, aber schon damals mit prüfender Distanz teilnahm. Am Fall des Eulogius Schneider werden noch einmal die Fragen von damals diskutiert: Ob die Gewalt ein geeignetes, ein notwendiges, ein zulässiges Mittel im Kampf um die Verbesserung der Welt sein könne.
Drei Jahrzehnte trennten Michael Schneider von den damaligen Vorgängen, drei Jahrzehnte trennen auch seine Erzählerfigur, den Arzt Nepomuk Brenner, von der Zeit der Guillotine. Der Romancier hat sich in Brenner ein Sprachrohr geschaffen. Zugleich aber spricht Anteilnahme auch aus den Tagebuchnotizen, Briefen und inneren Monologen, mit denen sich Eulogius persönlich vorstellt. Zwei Seelen wohnen in Schneiders Brust: die des gutmütigen, ein wenig feigen Nepomuk und die vom Dämon getriebene des Eulogius.
Faust geistert überall zwischen den Zeilen herum. Aber nicht an Goethe orientiert sich das Buch, sondern an Thomas Mann. "Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde", so lautet der Untertitel von dessen Roman "Doktor Faustus", und "Leben und Kampf des Franziskaners und Jakobiners Eulogius Schneider, welcher auf dem Blutgerüste starb, erzählt von einem Freunde" ist der zweite Untertitel des Romans "Der Traum der Vernunft". Auch den leicht verstaubten Tonfall teilen sich Nepomuk Brenner und Serenus Zeitblom, der Erzähler des "Doktor Faustus". Michael Schneider hat der Versuchung nicht widerstanden, immer wieder fast wörtliche Formulierungen aus dem "Faustus", gelegentlich auch aus dem "Zauberberg", zu übernehmen. Etwas leichtsinnig fordert er damit einen Vergleich heraus, dem er nicht gewachsen ist. Wo Thomas Mann bei aller Quellenabhängigkeit ein stimmiges Kunstgebilde schafft, in dem es "keine freie Note" gibt, kein Detail, das sich über seine historische Richtigkeit hinaus nicht auch künstlerisch rechtfertigen könnte, bleibt Schneiders Erzählerfigur blaß und konstruiert, die epischen Massen verselbständigen sich, das Stofflich-Historische drängt sich in den Vordergrund, das Lehrhafte und Reflektierende springt aus dem Erzählfluß heraus, das Geredete überwiegt das Gestaltete. Entstanden ist ein profund gemachter historischer Roman, aber kein großes Kunstwerk.
Ein zweites Vorbild mäandert, fast unvermeidlich, durch das Werk: Georg Büchners Schauspiel "Dantons Tod". Alle Fragen, die Michael Schneider an Eulogius Schneider durchexerziert, hat Büchner an Danton schon durchgespielt - Nihilismus und Theodizee, Gewalt und Menschlichkeit, Liebe und Sinnenglück, Liebe und Tod. Die rasante Knappheit der Szenen und Sentenzen bei Büchner steht mahnend am Wege, wenn Eulogius die gleichen Themen viel ausführlicher diskutiert, ohne daß ein höherer Erkenntnisertrag herauskäme.
Daß der Intellektuelle und Historiker in Michael Schneider stärker ist als der Künstler, zeigt besonders deutlich die Liebesgeschichte. Eulogius heiratet Sara, eine Ansammlung aller weiblichen Vorzüge und Republikanerin dazu. Sie ist so sanft, daß sie Schmeißfliegen nicht erschlägt, sondern aus dem Hause geleitet. Eulogius aber zertritt Ungeziefer und beliefert die Guillotine. Wie und warum sie diesen ungemütlichen Gesellen lieben kann, bleibt unerfindlich. Sara ist ein Kunstgebilde, das dazu dient, die Gewaltfrage ins Relief zu treiben, ein heller Hintergrund, vor dem sich der düstere Held abhebt.
Der Schüler in Wipfeld, der Student in Würzburg, der Franziskaner in Bamberg, der Prediger in Stuttgart, der Professor in Bonn: überall wiederholt sich das gleiche Muster. Eulogius probt den antiautoritären Aufstand, und die Geschichte endet mit Strafandrohung und Entlassung. Um eine psychologische Erklärung dafür zu geben, läßt der Autor Schneider seinen Namensvetter ganz am Schluß eine Schuld gestehen. Er habe mit seiner Schwester ein inzestuöses Verhältnis gehabt, sie sei seinetwegen ins Wasser gegangen. Ein abzutragendes Schuldtrauma wird uns als psychoanalytischer Motor des gewalttätigen Idealismus angeboten. Eulogius ist einer von denen, die das Gute wollen und das Böse schaffen. Eigentlich müßte er nach einer solchen Selbsterkenntnis erledigt sein. Doch gleich nach seinem Geständnis wiederholt sich das alte Muster. "Ich würde sie alle unter die Guillotine bringen", donnert er los. Sogleich sendet ihm sein Körper strafend einen Asthmaanfall. Das wirkt ein kleines bißchen lächerlich.
Michael Schneider sympathisiert mit der Revolution, nicht aber mit ihren Schrecken. So mengt er jedem Ja immer ein Nein bei, der typische Intellektuelle, der nicht weiß, wohin er gehört. Der nichts verraten will, die Revolution nicht, aber auch nicht die Toleranz, die Freiheit sowenig wie die Gleichheit, obgleich er weiß, daß beide zusammen nicht möglich sind. Er läßt seinen Eulogius im Gefängnis pointierte Dialoge führen mit dem mesmeristischen Aristokraten Merville, der ihn demaskiert und seinen Altruismus als verstecken Egoismus durchschaut. Merville behält fast immer recht gegen das Holzschnittpathos des gewesenen öffentlichen Anklägers, aber Michael Schneider will ihn nicht recht haben lassen. Er läßt alles auf hohem Niveau diskutieren, auch die ästhetizistische Antwort, auch die religiöse. Aber er distanziert sich auch von allem. Wenn die Welt nun einmal nicht zu retten ist, wenn man zwar gelegentlich das eine oder andere zum Besseren wenden kann und soll, aber ein Paradies auf Erden nicht möglich ist, dann ist ein ästhetizistischer Standpunkt, der die Welt als Schauspiel betrachtet, so redlich wie ein religiöser, der die Unheilbarkeit der Welt ein für allemal anerkennt und auf einen Himmel hofft. Vor den ersten Fragen ist Schneider aber so ratlos wie vor den letzten.
Das Buch endet wie Thomas Manns "Doktor Faustus" mit der Bitte um Verständnis für eine tragische Verstrickung. Der gute Wille des Eulogius wird bis zum Schluß geehrt, die bösen Folgen aber werden allerlei Umständen zugeschrieben. Napoleon habe in Wahrheit die Revolution hingerichtet, nicht Eulogius, dem in der Gesamtbilanz mehr Ehre zukomme, als ihm die Nachwelt bisher zugestand. Besser als mit diesem reichlich verspäteten Wunsch schlösse das Buch mit dem Stoßgebet des Thomas Mannschen Faust-Romans: "Gott sei deiner armen Seele gnädig!"
HERMANN KURZKE
Michael Schneider: "Der Traum der Vernunft". Roman eines deutschen Jakobiners. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 634 S., geb., 48,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Schneider träumt von der unblutigen Revolution
Einprägsam, ja unvergeßlich sind die Szenen in der Abbaye de Saint-Germain-des-Près, die Robespierre 1793/1794 als Gefängnis nutzen ließ, wo Aristokraten und Kurtisanen, Girondisten und Cordeliers, der ganze vom Tugendterror der Revolution aussortierte Auswurf miteinander lebt - eine Gesellschaft der Gleichen, weil alle die Guillotine erwartet, und doch der Ungleichen, denn unter den Eingesperrten herrschen dieselben Gesetze wie draußen auch: der Wille zur Macht, die Gier der Sinne, das Recht des Geldes.
Auch Eulogius Schneider hat es in diese Vorhölle verschlagen, einen deutschen Jakobiner, Expriester, Poeten und Philosophieprofessor, der bis zu seiner Verhaftung öffentlicher Ankläger des Revolutionstribunals in Straßburg war, mitverantwortlich für eine Anzahl Todesurteile, die ihm die Beinamen "Marat von Straßburg" und "Blutsäufer des Elsaß" eingetragen haben. Drei Tage vor Danton, im April 1794, wird er guillotiniert. Aus seinem Leben hat Michael Schneider einen spannenden, auf Dokumente und historische Recherchen gestützten Roman gemacht, ein Haupt- und Lebenswerk, denn unverkennbar geht eine zentrale eigene Lebenserfahrung mit ein - die Erfahrung mit der studentischen Rebellion der 1968er und 1970er Jahre, an der Michael Schneider lebhaft, aber schon damals mit prüfender Distanz teilnahm. Am Fall des Eulogius Schneider werden noch einmal die Fragen von damals diskutiert: Ob die Gewalt ein geeignetes, ein notwendiges, ein zulässiges Mittel im Kampf um die Verbesserung der Welt sein könne.
Drei Jahrzehnte trennten Michael Schneider von den damaligen Vorgängen, drei Jahrzehnte trennen auch seine Erzählerfigur, den Arzt Nepomuk Brenner, von der Zeit der Guillotine. Der Romancier hat sich in Brenner ein Sprachrohr geschaffen. Zugleich aber spricht Anteilnahme auch aus den Tagebuchnotizen, Briefen und inneren Monologen, mit denen sich Eulogius persönlich vorstellt. Zwei Seelen wohnen in Schneiders Brust: die des gutmütigen, ein wenig feigen Nepomuk und die vom Dämon getriebene des Eulogius.
Faust geistert überall zwischen den Zeilen herum. Aber nicht an Goethe orientiert sich das Buch, sondern an Thomas Mann. "Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde", so lautet der Untertitel von dessen Roman "Doktor Faustus", und "Leben und Kampf des Franziskaners und Jakobiners Eulogius Schneider, welcher auf dem Blutgerüste starb, erzählt von einem Freunde" ist der zweite Untertitel des Romans "Der Traum der Vernunft". Auch den leicht verstaubten Tonfall teilen sich Nepomuk Brenner und Serenus Zeitblom, der Erzähler des "Doktor Faustus". Michael Schneider hat der Versuchung nicht widerstanden, immer wieder fast wörtliche Formulierungen aus dem "Faustus", gelegentlich auch aus dem "Zauberberg", zu übernehmen. Etwas leichtsinnig fordert er damit einen Vergleich heraus, dem er nicht gewachsen ist. Wo Thomas Mann bei aller Quellenabhängigkeit ein stimmiges Kunstgebilde schafft, in dem es "keine freie Note" gibt, kein Detail, das sich über seine historische Richtigkeit hinaus nicht auch künstlerisch rechtfertigen könnte, bleibt Schneiders Erzählerfigur blaß und konstruiert, die epischen Massen verselbständigen sich, das Stofflich-Historische drängt sich in den Vordergrund, das Lehrhafte und Reflektierende springt aus dem Erzählfluß heraus, das Geredete überwiegt das Gestaltete. Entstanden ist ein profund gemachter historischer Roman, aber kein großes Kunstwerk.
Ein zweites Vorbild mäandert, fast unvermeidlich, durch das Werk: Georg Büchners Schauspiel "Dantons Tod". Alle Fragen, die Michael Schneider an Eulogius Schneider durchexerziert, hat Büchner an Danton schon durchgespielt - Nihilismus und Theodizee, Gewalt und Menschlichkeit, Liebe und Sinnenglück, Liebe und Tod. Die rasante Knappheit der Szenen und Sentenzen bei Büchner steht mahnend am Wege, wenn Eulogius die gleichen Themen viel ausführlicher diskutiert, ohne daß ein höherer Erkenntnisertrag herauskäme.
Daß der Intellektuelle und Historiker in Michael Schneider stärker ist als der Künstler, zeigt besonders deutlich die Liebesgeschichte. Eulogius heiratet Sara, eine Ansammlung aller weiblichen Vorzüge und Republikanerin dazu. Sie ist so sanft, daß sie Schmeißfliegen nicht erschlägt, sondern aus dem Hause geleitet. Eulogius aber zertritt Ungeziefer und beliefert die Guillotine. Wie und warum sie diesen ungemütlichen Gesellen lieben kann, bleibt unerfindlich. Sara ist ein Kunstgebilde, das dazu dient, die Gewaltfrage ins Relief zu treiben, ein heller Hintergrund, vor dem sich der düstere Held abhebt.
Der Schüler in Wipfeld, der Student in Würzburg, der Franziskaner in Bamberg, der Prediger in Stuttgart, der Professor in Bonn: überall wiederholt sich das gleiche Muster. Eulogius probt den antiautoritären Aufstand, und die Geschichte endet mit Strafandrohung und Entlassung. Um eine psychologische Erklärung dafür zu geben, läßt der Autor Schneider seinen Namensvetter ganz am Schluß eine Schuld gestehen. Er habe mit seiner Schwester ein inzestuöses Verhältnis gehabt, sie sei seinetwegen ins Wasser gegangen. Ein abzutragendes Schuldtrauma wird uns als psychoanalytischer Motor des gewalttätigen Idealismus angeboten. Eulogius ist einer von denen, die das Gute wollen und das Böse schaffen. Eigentlich müßte er nach einer solchen Selbsterkenntnis erledigt sein. Doch gleich nach seinem Geständnis wiederholt sich das alte Muster. "Ich würde sie alle unter die Guillotine bringen", donnert er los. Sogleich sendet ihm sein Körper strafend einen Asthmaanfall. Das wirkt ein kleines bißchen lächerlich.
Michael Schneider sympathisiert mit der Revolution, nicht aber mit ihren Schrecken. So mengt er jedem Ja immer ein Nein bei, der typische Intellektuelle, der nicht weiß, wohin er gehört. Der nichts verraten will, die Revolution nicht, aber auch nicht die Toleranz, die Freiheit sowenig wie die Gleichheit, obgleich er weiß, daß beide zusammen nicht möglich sind. Er läßt seinen Eulogius im Gefängnis pointierte Dialoge führen mit dem mesmeristischen Aristokraten Merville, der ihn demaskiert und seinen Altruismus als verstecken Egoismus durchschaut. Merville behält fast immer recht gegen das Holzschnittpathos des gewesenen öffentlichen Anklägers, aber Michael Schneider will ihn nicht recht haben lassen. Er läßt alles auf hohem Niveau diskutieren, auch die ästhetizistische Antwort, auch die religiöse. Aber er distanziert sich auch von allem. Wenn die Welt nun einmal nicht zu retten ist, wenn man zwar gelegentlich das eine oder andere zum Besseren wenden kann und soll, aber ein Paradies auf Erden nicht möglich ist, dann ist ein ästhetizistischer Standpunkt, der die Welt als Schauspiel betrachtet, so redlich wie ein religiöser, der die Unheilbarkeit der Welt ein für allemal anerkennt und auf einen Himmel hofft. Vor den ersten Fragen ist Schneider aber so ratlos wie vor den letzten.
Das Buch endet wie Thomas Manns "Doktor Faustus" mit der Bitte um Verständnis für eine tragische Verstrickung. Der gute Wille des Eulogius wird bis zum Schluß geehrt, die bösen Folgen aber werden allerlei Umständen zugeschrieben. Napoleon habe in Wahrheit die Revolution hingerichtet, nicht Eulogius, dem in der Gesamtbilanz mehr Ehre zukomme, als ihm die Nachwelt bisher zugestand. Besser als mit diesem reichlich verspäteten Wunsch schlösse das Buch mit dem Stoßgebet des Thomas Mannschen Faust-Romans: "Gott sei deiner armen Seele gnädig!"
HERMANN KURZKE
Michael Schneider: "Der Traum der Vernunft". Roman eines deutschen Jakobiners. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 634 S., geb., 48,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"[...] ein spannender, auf Dokumente und historische Recherchen gestützter Roman [...], ein Haupt- und Lebenswerk, denn unverkennbar geht eine zentrale eigene Lebenserfahrung mit ein [...]." FAZ