James Hamilton-Paterson, Autor der vielgerühmten "Seestücke" und "Wasserspiele", gilt vielen Kritikern und Lesern als der größte Erzähler über das Meer nach Melville und Conrad. Seine einfühlsame und poetische Geschichte um die letzte Seereise des berühmten englischen Komponisten Edward Elgar wurde von der New York Times zum Roman des Jahres gewählt. Sir Elgar steht am Ende einer großen internationalen Karriere. Die Melodien der Meere und Flüsse haben ihn über Jahrzehnte zu seinen schönsten Kompositionen inspiriert. Doch jetzt ist er ausgebrannt. Er bucht eine Kreuzfahrt nach Brasilien und will dort das berühmte Opernhaus von Manaos besuchen. Als er an einem stürmischen Novembertag des Jahres 1923 an Bord geht, hofft er, seine Enttäuschungen hinter sich zu lassen. Einsam und verbittert gibt er sich seiner Passion für das Meer hin und kann doch dessen unhörbare Musik nicht zu Papier bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2000Alter Sack auf glücklicher Reise
Zweideutig: James Hamilton-Paterson träumt mit Gerontius
Edward Elgar oder Sir Edward Elgar, wie nach seinem siebenundvierzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, unternahm Ende 1923, drei Jahre nach dem Tod seiner Frau und vier Jahre nach der Fertigstellung seiner letzten bedeutenden Komposition, eine Schiffsreise von Liverpool über den Atlantik nach Brasilien und auf dem Amazonas bis nach Manaos hinauf. Wenig ist über diese Reise bekannt; mit dem Tod Lady Elgars 1920, die Tagebuch geführt, jedes Konzertprogramm und jeden Zeitungsausschnitt gesammelt hatte, endete die minutiöse Dokumentation eines Komponistenlebens, die vielleicht in der Musikgeschichte ihresgleichen sucht. James Hamilton-Paterson hat das biographische Vakuum vor einigen Jahren gefüllt, indem er die Reise Elgars zum Thema eines Romans gemacht hat: "Gerontius". Nun ist dieser in der deutschen Übersetzung Wolfgang Kreges erschienen.
Das englische Original ist ein melancholischer Versuch über die Kunst und das Leben, ein "Tod in Venedig" in der angelsächsischen Variante: ein Rechenschaftsbericht über das, was vom Tage übrigbleibt. Die Reise des alten Mannes über das Meer in den Urwald spielt dem Autor dabei wie von selbst die Metaphern zu: das Schiff, das Meer, der Fluß. Das Schiff hat Hamilton-Paterson mit starken Charakteren bevölkert, in deren Talenten, Kauzigkeiten und Einsamkeiten sich der Komponist spiegeln kann: Am handfesten Kapitän, am unter fragwürdigen Umständen aus der Armee entlassenen, sado-masochistischen Schiffsarzt, an der in der Malerei die Freiheit suchenden Frau, an den beiden Spielernaturen entzünden sich die Reflexionen des Komponisten. Hamilton-Paterson hat diese in ein Beziehungsgeflecht eingebettet: Zur Fülle der Metaphern treten die Anspielungen auf Leben und Werk des Komponisten, die der Autor feinsinnig einzusetzen versteht, ohne daß ihn die Vorgaben der historischen Person Elgar behindern. Nur das "Journal", das Elgar im Roman während seiner Reise führt, möchte man als dramaturgisch fragwürdig bezeichnen. An wen es sich richtet, ist nicht klar. So gewinnt man den Eindruck, daß der Autor nach einem Ventil für den Druck suchte, der sich bei der Ansammlung biographischen Faktenwissens aufgestaut hatte.
Sonst aber ist Hamilton-Patersons Geschicklichkeit bewunderswert: Mit der Ungeniertheit des Romanciers schaltet er sich ins Rätselraten um Elgars "Enigma-Variationen" ein, indem er das Geheimnis jener dreizehnten Variation, deren Subjekt Elgar hinter drei Sternchen verborgen hat, lüftet. Der echte Elgar hatte über diese Variation geschrieben: "Die Sternchen stehen für den Namen einer Dame, die sich zur Zeit der Komposition auf einer Seereise befand. Die Trommeln suggerieren das entfernte Grollen der Schiffsmotoren, über dem die Klarinette eine Phrase aus Mendelssohns ,Meeresstille und glückliche Fahrt' zitiert."
Elgarianer glauben zu wissen, daß sich hinter den Asterisken Elgars Bekanntschaft Lady Mary Lygon verbirgt. Hamilton-Paterson formt aus deren Initialen ein "Lena meine Liebe" und meint damit Elgars frühe Verlobte Helen Weaver, die als eindrucksvoller Charakter (und als Deutsche) gegen Ende des Romans auftritt. Mit ihr hatte Elgar in der Version Hamilton-Patersons vierzig Jahre zuvor in Leipzig Mendelssohns Ouvertüre gehört. "Meeresstille und glückliche Fahrt" wird so zum Leitmotiv des Buches. Im Mendelssohn-Zitat, das Hamilton-Paterson immer wieder zitiert, bündeln sich alle Motivstränge. Es steht für das dahingegangene Leben, für gescheiterte Liebe (zu Helen und zur Musik) und für die Zuneigung Elgars zur deutschen Kultur. Es steht für die tatsächliche und die metaphorische Schiffsreise; in ihm begegnen sich der reale und der fiktive Elgar.
Die Bündelung der Motive in einem Zentralmotiv ist der raffinierteste Kunstgriff in einer raffiniert gewobenen Erzählung. Das größte Kompliment aber, das man dem Roman machen kann, betrifft seine Gestimmheit. Hamilton-Paterson gelingt ein Tonfall, der die Melancholie der Elgarschen Musik, diese Stimmung sehnsüchtigen Bedauerns, wie ein Schwamm aufgesogen zu haben scheint.
Von diesem Tonfall bleibt in der Übersetzung Wolfgang Kreges kaum etwas übrig. Aus einem still-introvertierten Buch ist bei Krege ein laut-geschwätziges geworden. Der Grund dafür liegt in einer Mischung aus Übersetzungsfehlern, mangelndem Empfinden für den Klang der englischen Sprache und fehlender Eleganz im Umgang mit dem Deutschen. Hinzu kommt die Unkenntnis der Elgarschen Biografie, die zur sinnentstellenden Übersetzung von Anspielungen führt. Die Zerstörung des originalen Tonfalls wird nicht nur dadurch bewirkt, daß Krege den Text mit teutonischen Ausrufungszeichen gestreuselt hat, die er nur an den wenigen Stellen wegläßt, wo Hamilton-Paterson selbst sie gesetzt hat; sie rührt auch von einer übersetzerischen Unbedenklichkeit, über die man sich nur wundern kann. Wenn Elgar von dunklen Erinnerungen gepeinigt wird, stellt er im Original bitter fest: "It was insane, this black world." Bei Krege wird daraus ein gut gelauntes "Wahnsinn, diese Welt, schwarz in schwarz!". Wer "old fellow" mit "alter Sack" übersetzt, traut sich einiges zu; wer zu Sätzen wie "Der Abend war nicht geradezu warm" ("quite warm") gelangt, kann sich von der Originalsprache nicht ausreichend freimachen.
Ärgerlicher sind die Übersetzungen von Anspielungen, die Krege nicht verstanden hat. Wenn Elgar in Anspielung auf Hubert Parrys Ode "Blest Pair of Sirens" von "Cursed pair of sirens" spricht, dann wird daraus in der Übersetzung "Verfluchtes Sirenenpärchen!" Hätte Krege gewußt, daß es sich bei "Fortiter et fide" um die Inschrift auf Lady Elgars Grabstein handelt, hätte er begriffen, daß unter dieser Inschrift vieles begraben ist, sie aber keinesfalls irgendwelchen Dingen zugrunde liegt. Die drei Asterisken, mit denen der Autor den zentralen Abschnitt über Elgars Jugendliebe, auf jene dreizehnte Variation Bezug nehmend, vom übrigen Text abgrenzt, sind in der deutschen Fassung weggefallen; dies immerhin mag nicht Fehler des Übersetzers sein. Hamilton-Paterson imitiert gelegentlich Elgars phonetische Spielereien mit einzelnen Wörtern. Sein "intelleckshul" - anders geschrieben, aber genauso ausgesprochen wie "intellectual" - transformiert Krege in das ebenso abfällige wie ordinäre "Intelleckmich". Da wundert es nicht, das "brainy" mit "Hirnverrenker" übersetzt wird.
Am schwersten aber wiegt, daß Wolfgang Krege die Bedeutung des Zentralmotivs nicht erkannt hat; wie sonst läßt sich erklären, daß die erste Erwähnung von "Meeresstille und Glückliche Fahrt" ("Calm Sea and Prosperous Voyage") von ihm als "Ruhige See und glückliche Reise" übersetzt wird? Da half es wohl nicht, daß Elgar sich im Verlauf des Romans Gedanken über die Angemessenheit der englischen Übersetzung des Mendelssohn-Titels macht. Da half es auch nicht, daß der originale deutsche Titel im Roman mehrfach zitiert wird. Da hilft wohl nur, auf die Lektüre der deutschen Übersetzung dieses gelungenen, stimmigen Romans zu verzichten und auf das Original zurückzugreifen.
MICHAEL GASSMANN
James Hamilton-Paterson: "Der Traum des Gerontius". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000, 358., geb., 38,- DM.
James Hamilton Paterson: "Gerontius". Soho Press, New York 1991. 264 pp., br., etwa 42,- DM.
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Zweideutig: James Hamilton-Paterson träumt mit Gerontius
Edward Elgar oder Sir Edward Elgar, wie nach seinem siebenundvierzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, unternahm Ende 1923, drei Jahre nach dem Tod seiner Frau und vier Jahre nach der Fertigstellung seiner letzten bedeutenden Komposition, eine Schiffsreise von Liverpool über den Atlantik nach Brasilien und auf dem Amazonas bis nach Manaos hinauf. Wenig ist über diese Reise bekannt; mit dem Tod Lady Elgars 1920, die Tagebuch geführt, jedes Konzertprogramm und jeden Zeitungsausschnitt gesammelt hatte, endete die minutiöse Dokumentation eines Komponistenlebens, die vielleicht in der Musikgeschichte ihresgleichen sucht. James Hamilton-Paterson hat das biographische Vakuum vor einigen Jahren gefüllt, indem er die Reise Elgars zum Thema eines Romans gemacht hat: "Gerontius". Nun ist dieser in der deutschen Übersetzung Wolfgang Kreges erschienen.
Das englische Original ist ein melancholischer Versuch über die Kunst und das Leben, ein "Tod in Venedig" in der angelsächsischen Variante: ein Rechenschaftsbericht über das, was vom Tage übrigbleibt. Die Reise des alten Mannes über das Meer in den Urwald spielt dem Autor dabei wie von selbst die Metaphern zu: das Schiff, das Meer, der Fluß. Das Schiff hat Hamilton-Paterson mit starken Charakteren bevölkert, in deren Talenten, Kauzigkeiten und Einsamkeiten sich der Komponist spiegeln kann: Am handfesten Kapitän, am unter fragwürdigen Umständen aus der Armee entlassenen, sado-masochistischen Schiffsarzt, an der in der Malerei die Freiheit suchenden Frau, an den beiden Spielernaturen entzünden sich die Reflexionen des Komponisten. Hamilton-Paterson hat diese in ein Beziehungsgeflecht eingebettet: Zur Fülle der Metaphern treten die Anspielungen auf Leben und Werk des Komponisten, die der Autor feinsinnig einzusetzen versteht, ohne daß ihn die Vorgaben der historischen Person Elgar behindern. Nur das "Journal", das Elgar im Roman während seiner Reise führt, möchte man als dramaturgisch fragwürdig bezeichnen. An wen es sich richtet, ist nicht klar. So gewinnt man den Eindruck, daß der Autor nach einem Ventil für den Druck suchte, der sich bei der Ansammlung biographischen Faktenwissens aufgestaut hatte.
Sonst aber ist Hamilton-Patersons Geschicklichkeit bewunderswert: Mit der Ungeniertheit des Romanciers schaltet er sich ins Rätselraten um Elgars "Enigma-Variationen" ein, indem er das Geheimnis jener dreizehnten Variation, deren Subjekt Elgar hinter drei Sternchen verborgen hat, lüftet. Der echte Elgar hatte über diese Variation geschrieben: "Die Sternchen stehen für den Namen einer Dame, die sich zur Zeit der Komposition auf einer Seereise befand. Die Trommeln suggerieren das entfernte Grollen der Schiffsmotoren, über dem die Klarinette eine Phrase aus Mendelssohns ,Meeresstille und glückliche Fahrt' zitiert."
Elgarianer glauben zu wissen, daß sich hinter den Asterisken Elgars Bekanntschaft Lady Mary Lygon verbirgt. Hamilton-Paterson formt aus deren Initialen ein "Lena meine Liebe" und meint damit Elgars frühe Verlobte Helen Weaver, die als eindrucksvoller Charakter (und als Deutsche) gegen Ende des Romans auftritt. Mit ihr hatte Elgar in der Version Hamilton-Patersons vierzig Jahre zuvor in Leipzig Mendelssohns Ouvertüre gehört. "Meeresstille und glückliche Fahrt" wird so zum Leitmotiv des Buches. Im Mendelssohn-Zitat, das Hamilton-Paterson immer wieder zitiert, bündeln sich alle Motivstränge. Es steht für das dahingegangene Leben, für gescheiterte Liebe (zu Helen und zur Musik) und für die Zuneigung Elgars zur deutschen Kultur. Es steht für die tatsächliche und die metaphorische Schiffsreise; in ihm begegnen sich der reale und der fiktive Elgar.
Die Bündelung der Motive in einem Zentralmotiv ist der raffinierteste Kunstgriff in einer raffiniert gewobenen Erzählung. Das größte Kompliment aber, das man dem Roman machen kann, betrifft seine Gestimmheit. Hamilton-Paterson gelingt ein Tonfall, der die Melancholie der Elgarschen Musik, diese Stimmung sehnsüchtigen Bedauerns, wie ein Schwamm aufgesogen zu haben scheint.
Von diesem Tonfall bleibt in der Übersetzung Wolfgang Kreges kaum etwas übrig. Aus einem still-introvertierten Buch ist bei Krege ein laut-geschwätziges geworden. Der Grund dafür liegt in einer Mischung aus Übersetzungsfehlern, mangelndem Empfinden für den Klang der englischen Sprache und fehlender Eleganz im Umgang mit dem Deutschen. Hinzu kommt die Unkenntnis der Elgarschen Biografie, die zur sinnentstellenden Übersetzung von Anspielungen führt. Die Zerstörung des originalen Tonfalls wird nicht nur dadurch bewirkt, daß Krege den Text mit teutonischen Ausrufungszeichen gestreuselt hat, die er nur an den wenigen Stellen wegläßt, wo Hamilton-Paterson selbst sie gesetzt hat; sie rührt auch von einer übersetzerischen Unbedenklichkeit, über die man sich nur wundern kann. Wenn Elgar von dunklen Erinnerungen gepeinigt wird, stellt er im Original bitter fest: "It was insane, this black world." Bei Krege wird daraus ein gut gelauntes "Wahnsinn, diese Welt, schwarz in schwarz!". Wer "old fellow" mit "alter Sack" übersetzt, traut sich einiges zu; wer zu Sätzen wie "Der Abend war nicht geradezu warm" ("quite warm") gelangt, kann sich von der Originalsprache nicht ausreichend freimachen.
Ärgerlicher sind die Übersetzungen von Anspielungen, die Krege nicht verstanden hat. Wenn Elgar in Anspielung auf Hubert Parrys Ode "Blest Pair of Sirens" von "Cursed pair of sirens" spricht, dann wird daraus in der Übersetzung "Verfluchtes Sirenenpärchen!" Hätte Krege gewußt, daß es sich bei "Fortiter et fide" um die Inschrift auf Lady Elgars Grabstein handelt, hätte er begriffen, daß unter dieser Inschrift vieles begraben ist, sie aber keinesfalls irgendwelchen Dingen zugrunde liegt. Die drei Asterisken, mit denen der Autor den zentralen Abschnitt über Elgars Jugendliebe, auf jene dreizehnte Variation Bezug nehmend, vom übrigen Text abgrenzt, sind in der deutschen Fassung weggefallen; dies immerhin mag nicht Fehler des Übersetzers sein. Hamilton-Paterson imitiert gelegentlich Elgars phonetische Spielereien mit einzelnen Wörtern. Sein "intelleckshul" - anders geschrieben, aber genauso ausgesprochen wie "intellectual" - transformiert Krege in das ebenso abfällige wie ordinäre "Intelleckmich". Da wundert es nicht, das "brainy" mit "Hirnverrenker" übersetzt wird.
Am schwersten aber wiegt, daß Wolfgang Krege die Bedeutung des Zentralmotivs nicht erkannt hat; wie sonst läßt sich erklären, daß die erste Erwähnung von "Meeresstille und Glückliche Fahrt" ("Calm Sea and Prosperous Voyage") von ihm als "Ruhige See und glückliche Reise" übersetzt wird? Da half es wohl nicht, daß Elgar sich im Verlauf des Romans Gedanken über die Angemessenheit der englischen Übersetzung des Mendelssohn-Titels macht. Da half es auch nicht, daß der originale deutsche Titel im Roman mehrfach zitiert wird. Da hilft wohl nur, auf die Lektüre der deutschen Übersetzung dieses gelungenen, stimmigen Romans zu verzichten und auf das Original zurückzugreifen.
MICHAEL GASSMANN
James Hamilton-Paterson: "Der Traum des Gerontius". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000, 358., geb., 38,- DM.
James Hamilton Paterson: "Gerontius". Soho Press, New York 1991. 264 pp., br., etwa 42,- DM.
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"Hier ist der Autor auf der Höhe seiner Kunst, keiner schreibt wie er über Wasserwelten." (Stuttgarter Zeitung)