Vaduz, 1983: Ein deutscher Schauspieler kommt nach einem Gastspiel-Auftritt mit einem Mann ins Gespräch. Staunend erkennt er die unverwechselbare Stimme - und erschrickt über das müde Gesicht: Es ist der weltberühmte Oskar Werner, Theatergott und oscarnominierter Filmstar. In dieser Nacht erzählt Werner sein erstaunliches Leben: ein Wiener Bub aus armen Verhältnissen, der früh an der "Burg" spielte, der gegen die Nazis opponierte, desertierte und knapp dem Tod entkam. Später liegt Werner die Welt zu Füßen, er arbeitet mit Richard Burton, François Truffaut. Dann aber lehnt er Angebote etwa von Stanley Kubrick ab - aus künstlerischen Zweifeln, die er nur noch trinkend erträgt ... Den jüngeren Kollegen wird diese Nacht verändern - er blickt in den Abgrund einer gequälten Seele, erkennt die Tragik des Ruhms. Michael Degen ist Oskar Werner ("Jules und Jim", "Das Narrenschiff" u.a.) wirklich begegnet. Packend erzählt er von jener Nacht, schildert Werners Leben, das durch finstere Zeiten, über Glanz und Triumph in die Selbstzerstörung führte. Und Michael Degen berichtet von anderen prägenden Erlebnissen, mit Gustaf Gründgens oder Ingmar Bergman. Fast eine künstlerische Autobiographie - neben "Nicht alle waren Mörder" das persönlichste Buch des großen Schauspielers und Autors.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2015Werden Sie nie
so wie ich!
Michael Degen hat ein wunderbares Buch
über seinen Schauspielerkollegen,
den legendären Oskar Werner, geschrieben
VON HELMUT SCHÖDEL
Das Gedächtnis der Schauspieler funktioniert nicht selten anekdotisch. Diese Anekdoten leben von berühmten Namen oft schon verblichener Größen, sind Bonmots aus dem Theaterleben oder auch reine Kantinenobsessionen. Da kann es dann sein, dass sich früher ein Kleindarsteller in Tetschen-Bodenbach aus dem Weihnachtsmärchen hinausintrigiert fühlte, unerklärlicherweise durch Gründgens. Oder Fehling. Oder viel später durch Peter Zadek, aber dann schon in Ulm. So verhelfen die Anekdoten einer vergänglichen Kunst zu Nachruhm.
Anekdotenalarm bestand auch bei einem Buch, das der Schauspieler und Schriftsteller Michael Degen vorlegt: „Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung“. Es geht um die Begegnung mit dem Schauspieler-Mythos Oskar Werner, einem Manieristen und Selbstdarsteller vor dem Herrn, um den sich unzählige Anekdoten ranken. Aber Michael Degen war immer auch schon als Schauspieler sehr reflektiert, der Protagonist als Gentlemen, die alte Schule, die auch in diesem Buch alle Klippen überwindet.
Michael Degen ist ein Mann, der überdies Kultur immer als einen Auftrag verstand, der sich nicht bloß in der Kunst, sondern im Leben behaupten muss. Obwohl er schon als Junge in Berlin unter der Verfolgung durch die Nazis leiden musste und später mit den antisemitistischen Umtrieben der Neonazis konfrontiert wurde. Nichts konnte seine Haltung brechen, nie ließ er sich zum Opfer machen, nie verlor er seine Souveränität. Und so ist auch dieses Buch keine Anekdotensammlung, sondern ein erhellender, stets spannender Beitrag über das Unglück des Erfolgs, der nicht nur Oskar Werner erklärt, ohne sich über dessen Fehler zu erheben.
Das Buch beginnt mit einer Gastspielvorstellung in Vaduz, wo Degen den Jean in Strindbergs „Fräulein Julie“ spielte. Oskar Werner passt ihn nach der Vorstellung ab und bittet ihn in sein liechtensteinisches Domizil, einsam und mit Panoramafenstern zur Berglandschaft. Seine Mitbewohner sind Fernet-Branca- und Weinflaschen. Er hat ein Bedürfnis nach Gespräch und fordert auch Degen zu Erzählungen aus seinem Leben auf. „. . . ich liebe den Erfolg und die Literatur“, schwärmt Oskar Werner, und Michael Degen versucht, dessen Redeschwall, in dem sich Traum und Wirklichkeit gute Nacht sagen, für eine mitfühlende, aber auch analytische Sicht zu präparieren. Er hat ihn nicht nur einmal getroffen und will uns etwas zeigen über diese Gegensätze von Schein und Sein, der künstlerischen Behauptung und der persönlichen Schwäche, zwischen Oskar Werner und Oskar Josef Bschließmayer, wie er eigentlich hieß, diese ganze Schizophrenie des Erfolgs.
Wer von Michael Degen sonst gar nichts weiß, kennt ihn wenigstens als Vorgesetzten von Commissario Brunetti in zahllosen Donna-Leon-Verfilmungen, denn er kann auch Unterhaltung. Aber er war schon nach Hitlers Krieg der Hamlet bei Horst Caspar, hat später bei dem schwedischen Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman gespielt und in Peter Zadeks Berliner Inszenierung von Sobols „Ghetto“. Er überlebte in der Zeit der Verfolgung in Berliner Laubenpieper-Kolonien, worüber er ein bewegendes Buch schrieb: „Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin“. Er fühlte sich in politisierten Zeiten mehr zu als konservativ verschrienen Regisseuren wie Rudolf Noelte hingezogen, der wie er selbst eher als Könner denn als Aufreger arbeiten wollte. Michael Degen wurde bekannt und blieb zurückhaltend.
Oskar Werner war ein Österreicher aus Wien, seine Mutter arbeitete in einer Hutfabrik. Er spielte schon als junger Mann am Burgtheater, machte eine internationale Filmkarriere, zum Beispiel bei François Truffaut („Jules und Jim“, „Fahrenheit 451“), trat im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen auf und ist vor allem noch als großer Rezitator im Gedächtnis, manieriert und mit neurotischen Zügen, gefeiert als österreichisches Genie voller aufbrausender Gefühle.
Diese beiden, der große Irrationale und der subtile Denker, treffen sich und reden über ihren Beruf. Einen „Hurenberuf“ nennt ihn Oskar Werner wegen des ständigen Zwangs zur Anbiederung. Er sagt: „Schauspieler ist doch kein Beruf für einen Erwachsenen.“ Da schmiert sich immer noch jemand das Gesicht an, steigt in fremde Kleider und behauptet, König Lear zu sein. Drückt sich in dieser Ablehnung die Unlust des Verwandlungsschauspielers an der Zurücknahme der eigenen Person aus? Hat vielleicht ein Künstler, der seine ganze Persönlichkeit ins Spiel bringt, solche Probleme nicht? Dient Schauspielerei der Illusion, oder soll sie enthüllen? Wer dieses Buch liest, wird nicht kalmiert mit Geschichtchen, sondern denkt mit, ganz ohne Fernet und Wein und Co. Man hat das Gefühl, dass man dabei ist.
Degen mischt sich immer nur sehr behutsam in Werners Reden ein, um das egozentrische Genie ruhig zu halten, fordert aber vom Künstler auch eine ethische Verantwortung. Natürlich kann sich Degen auch nicht dazu verstehen, im Schauspieler nur den Gaukler zu sehen, kann er Oskar Werners masochistischer Selbstverachtung nicht folgen. Zu klug, zu differenziert war seine eigene Arbeit.
Er zollt bei diesem Nachtgespräch, das bis zum Morgen dauert, seinem Gegenüber aber Respekt und bedauert dessen Traurigkeit, wenn Werner ihm zuprostet: „Auf einen guten und ruhigen Tod im eigenen Bett.“ Auch Oskar Werners Vorstellung vom Theater als Klassiker-Museum teilt er nicht, aber es gelingt ihm über die vielen Stunden hin, das Gespräch immer in der Balance zu halten.
Natürlich ist auch viel von der Hitlerzeit die Rede und von deren Folgen, die für Michael Degen bis in die Gegenwart reichen. Oskar Werner war nach Bombenangriffen in Wien verschüttet und desertierte am Ende. Degen erhielt noch in seiner Zeit am Bayerischen Staatsschauspiel unter Kurt Meisels Intendanz einen Drohbrief von einem neidischen Kollegen, der sich als Mitglied einer Terrorgruppe ausgab und von ihm verlangte, er solle das Theater unverzüglich verlassen, sonst würde man ihn „vergasen“ wie seine „Glaubensgenossen im Dritten Reich“.
Am Ende kann es Degen nicht verhindern, dass ihn der schwerst alkoholisierte Oskar Werner mit seinem Auto zum Hotel fährt: „Ich betete seit langer Zeit zum ersten Mal, aber mit tiefer Inbrunst . . .“ Zum Abschied sagt ihm sein berühmter Chauffeur: „Werden Sie nie so wie ich, nie.“
In einem kurzen Epilog berichtet Michael Degen von Oskar Werners Tod in Marburg, wo er eine Lesung halten wollte, die abgesagt werden musste, weil nur zehn Karten verkauft worden waren. Am Abend zuvor hatte Werner, „das Debakel vor Augen“, kurz vor Mitternacht einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. „Der traurige Prinz“ ist ein wunderbares Buch über die Last der Begabung, das Gift der Träume und den Triumph der Banalität.
Michael Degen: Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Ein Nachtgespräch zwischen
dem subtilen Denker
und dem großen Irrationalen
Das Bühnen-Debakel
vor Augen, starb Oskar Werner
an einem Herzinfarkt
Das gefährdete Genie Oskar Werner (Mitte) in Truffauts „Jules und Jim“, 1961. Foto: OBS
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
so wie ich!
Michael Degen hat ein wunderbares Buch
über seinen Schauspielerkollegen,
den legendären Oskar Werner, geschrieben
VON HELMUT SCHÖDEL
Das Gedächtnis der Schauspieler funktioniert nicht selten anekdotisch. Diese Anekdoten leben von berühmten Namen oft schon verblichener Größen, sind Bonmots aus dem Theaterleben oder auch reine Kantinenobsessionen. Da kann es dann sein, dass sich früher ein Kleindarsteller in Tetschen-Bodenbach aus dem Weihnachtsmärchen hinausintrigiert fühlte, unerklärlicherweise durch Gründgens. Oder Fehling. Oder viel später durch Peter Zadek, aber dann schon in Ulm. So verhelfen die Anekdoten einer vergänglichen Kunst zu Nachruhm.
Anekdotenalarm bestand auch bei einem Buch, das der Schauspieler und Schriftsteller Michael Degen vorlegt: „Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung“. Es geht um die Begegnung mit dem Schauspieler-Mythos Oskar Werner, einem Manieristen und Selbstdarsteller vor dem Herrn, um den sich unzählige Anekdoten ranken. Aber Michael Degen war immer auch schon als Schauspieler sehr reflektiert, der Protagonist als Gentlemen, die alte Schule, die auch in diesem Buch alle Klippen überwindet.
Michael Degen ist ein Mann, der überdies Kultur immer als einen Auftrag verstand, der sich nicht bloß in der Kunst, sondern im Leben behaupten muss. Obwohl er schon als Junge in Berlin unter der Verfolgung durch die Nazis leiden musste und später mit den antisemitistischen Umtrieben der Neonazis konfrontiert wurde. Nichts konnte seine Haltung brechen, nie ließ er sich zum Opfer machen, nie verlor er seine Souveränität. Und so ist auch dieses Buch keine Anekdotensammlung, sondern ein erhellender, stets spannender Beitrag über das Unglück des Erfolgs, der nicht nur Oskar Werner erklärt, ohne sich über dessen Fehler zu erheben.
Das Buch beginnt mit einer Gastspielvorstellung in Vaduz, wo Degen den Jean in Strindbergs „Fräulein Julie“ spielte. Oskar Werner passt ihn nach der Vorstellung ab und bittet ihn in sein liechtensteinisches Domizil, einsam und mit Panoramafenstern zur Berglandschaft. Seine Mitbewohner sind Fernet-Branca- und Weinflaschen. Er hat ein Bedürfnis nach Gespräch und fordert auch Degen zu Erzählungen aus seinem Leben auf. „. . . ich liebe den Erfolg und die Literatur“, schwärmt Oskar Werner, und Michael Degen versucht, dessen Redeschwall, in dem sich Traum und Wirklichkeit gute Nacht sagen, für eine mitfühlende, aber auch analytische Sicht zu präparieren. Er hat ihn nicht nur einmal getroffen und will uns etwas zeigen über diese Gegensätze von Schein und Sein, der künstlerischen Behauptung und der persönlichen Schwäche, zwischen Oskar Werner und Oskar Josef Bschließmayer, wie er eigentlich hieß, diese ganze Schizophrenie des Erfolgs.
Wer von Michael Degen sonst gar nichts weiß, kennt ihn wenigstens als Vorgesetzten von Commissario Brunetti in zahllosen Donna-Leon-Verfilmungen, denn er kann auch Unterhaltung. Aber er war schon nach Hitlers Krieg der Hamlet bei Horst Caspar, hat später bei dem schwedischen Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman gespielt und in Peter Zadeks Berliner Inszenierung von Sobols „Ghetto“. Er überlebte in der Zeit der Verfolgung in Berliner Laubenpieper-Kolonien, worüber er ein bewegendes Buch schrieb: „Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin“. Er fühlte sich in politisierten Zeiten mehr zu als konservativ verschrienen Regisseuren wie Rudolf Noelte hingezogen, der wie er selbst eher als Könner denn als Aufreger arbeiten wollte. Michael Degen wurde bekannt und blieb zurückhaltend.
Oskar Werner war ein Österreicher aus Wien, seine Mutter arbeitete in einer Hutfabrik. Er spielte schon als junger Mann am Burgtheater, machte eine internationale Filmkarriere, zum Beispiel bei François Truffaut („Jules und Jim“, „Fahrenheit 451“), trat im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen auf und ist vor allem noch als großer Rezitator im Gedächtnis, manieriert und mit neurotischen Zügen, gefeiert als österreichisches Genie voller aufbrausender Gefühle.
Diese beiden, der große Irrationale und der subtile Denker, treffen sich und reden über ihren Beruf. Einen „Hurenberuf“ nennt ihn Oskar Werner wegen des ständigen Zwangs zur Anbiederung. Er sagt: „Schauspieler ist doch kein Beruf für einen Erwachsenen.“ Da schmiert sich immer noch jemand das Gesicht an, steigt in fremde Kleider und behauptet, König Lear zu sein. Drückt sich in dieser Ablehnung die Unlust des Verwandlungsschauspielers an der Zurücknahme der eigenen Person aus? Hat vielleicht ein Künstler, der seine ganze Persönlichkeit ins Spiel bringt, solche Probleme nicht? Dient Schauspielerei der Illusion, oder soll sie enthüllen? Wer dieses Buch liest, wird nicht kalmiert mit Geschichtchen, sondern denkt mit, ganz ohne Fernet und Wein und Co. Man hat das Gefühl, dass man dabei ist.
Degen mischt sich immer nur sehr behutsam in Werners Reden ein, um das egozentrische Genie ruhig zu halten, fordert aber vom Künstler auch eine ethische Verantwortung. Natürlich kann sich Degen auch nicht dazu verstehen, im Schauspieler nur den Gaukler zu sehen, kann er Oskar Werners masochistischer Selbstverachtung nicht folgen. Zu klug, zu differenziert war seine eigene Arbeit.
Er zollt bei diesem Nachtgespräch, das bis zum Morgen dauert, seinem Gegenüber aber Respekt und bedauert dessen Traurigkeit, wenn Werner ihm zuprostet: „Auf einen guten und ruhigen Tod im eigenen Bett.“ Auch Oskar Werners Vorstellung vom Theater als Klassiker-Museum teilt er nicht, aber es gelingt ihm über die vielen Stunden hin, das Gespräch immer in der Balance zu halten.
Natürlich ist auch viel von der Hitlerzeit die Rede und von deren Folgen, die für Michael Degen bis in die Gegenwart reichen. Oskar Werner war nach Bombenangriffen in Wien verschüttet und desertierte am Ende. Degen erhielt noch in seiner Zeit am Bayerischen Staatsschauspiel unter Kurt Meisels Intendanz einen Drohbrief von einem neidischen Kollegen, der sich als Mitglied einer Terrorgruppe ausgab und von ihm verlangte, er solle das Theater unverzüglich verlassen, sonst würde man ihn „vergasen“ wie seine „Glaubensgenossen im Dritten Reich“.
Am Ende kann es Degen nicht verhindern, dass ihn der schwerst alkoholisierte Oskar Werner mit seinem Auto zum Hotel fährt: „Ich betete seit langer Zeit zum ersten Mal, aber mit tiefer Inbrunst . . .“ Zum Abschied sagt ihm sein berühmter Chauffeur: „Werden Sie nie so wie ich, nie.“
In einem kurzen Epilog berichtet Michael Degen von Oskar Werners Tod in Marburg, wo er eine Lesung halten wollte, die abgesagt werden musste, weil nur zehn Karten verkauft worden waren. Am Abend zuvor hatte Werner, „das Debakel vor Augen“, kurz vor Mitternacht einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. „Der traurige Prinz“ ist ein wunderbares Buch über die Last der Begabung, das Gift der Träume und den Triumph der Banalität.
Michael Degen: Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Ein Nachtgespräch zwischen
dem subtilen Denker
und dem großen Irrationalen
Das Bühnen-Debakel
vor Augen, starb Oskar Werner
an einem Herzinfarkt
Das gefährdete Genie Oskar Werner (Mitte) in Truffauts „Jules und Jim“, 1961. Foto: OBS
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2015Man macht sich ein völlig falsches Bild von sich selbst
Lebensbeichte auf privater Bühne: Michael Degen porträtiert in "Der traurige Prinz" den großen Oskar Werner
Im Jahr 1983 gastiert das Münchner Residenztheater mit einer Strindberg-Inszenierung von Ingmar Bergman in Vaduz. Michael Degen gibt in "Fräulein Julie" den Jean. Nach der Aufführung wird er zu seiner Überraschung im Foyer erwartet - von Oskar Werner, dem legendären österreichischen Schauspieler, "den ich als mein Vorbild bezeichnet hätte, wäre ich unbescheidener gewesen". Als "Roman einer wahren Begegnung" bezeichnet Michael Degen sein Buch "Der traurige Prinz", das von Oskar Werner handelt, aber durchaus auch von ihm selbst.
Bei ihrer Begegnung ist Werner einundsechzig, seine großen Erfolge liegen hinter ihm, er lebt allein und zurückgezogen in Liechtenstein in einem Haus, an dessen Pforte zur Abschreckung ein Schild prangt mit der Aufschrift: "Gewährt, daß ich ersuche - keine unangesagten Besuche." Doch den zehn Jahre jüngeren Degen lädt er zu sich ein, auf einen Absacker, anschließend werde er ihn zurück ins Hotel fahren. Aus dem "einen kleinen Drink" werden viele, die Unterhaltung, die in ihren abrupten Wechseln zwischen Abtasten und Zurückzucken, Einverständnis und Gegenwehr die Intensität eines Kammerspiels besitzt, dauert bis in die frühen Morgenstunden.
Das Gespräch nimmt damit Fahrt auf, dass Werner seinen Gast bittet, ihn mit seinem richtigen Namen anzureden: "Ich heiße Bschließmayer. Oskar Josef Bschließmayer", verkündet er in einer Art selbstironischen Bond-Paraphrase. Im Haus in Triesen angekommen, gießt er dem Gast einen Grünen Veltliner von Bründlmayer und sich einen Fernet Branca ein ("Ich muss auf meinen Magen achten") und beginnt mit einem ausholenden Gestus aus seinem Leben zu erzählen, von der Wiener Kindheit und dem geliebten Straßentheater, bei dem der Bub Passanten vorgaukelte, blind zu sein, über sein frühes Engagement am Burgtheater bis hin zu seiner ersten Ehe mit der jüdischstämmigen Elisabeth Kallina. Immer wieder kommt er auf seine Abscheu vor den Nationalsozialisten zu sprechen - ein Lebensthema, das ihn mit seinem Gesprächspartner verbindet, der als Kind jüdischer Eltern versteckt in Berlin den Krieg überlebte. Vor allem aber spricht er übers Theater, über Schauspielkollegen, Stücke und Regisseure, über die Sucht, sich in einen anderen zu verwandeln, und über den Selbstverlust, der damit einhergeht: "Man kriecht in den einen Charakter hinein, aus dem anderen heraus - und verliert schließlich den eigenen. Komplett."
Durch regen Widerspruch und einen Sinn für das Tragikomische der Situation entgeht Degen der Gefahr der Verklärung. Er begegnet Bschließmayer als Kollege, nicht als Fan. Mehr als einmal ist er verärgert über die Tiraden seines Gastgebers, mitunter sogar fast angewidert von ihm. Was ihn ausharren lässt, ist die Frage, was aus dem Menschen geworden ist, den er einmal so bewundert hat: "Wann war ihm das Talent abhandengekommen?" Eine Antwort darauf kann es höchstens zwischen den Zeilen geben.
Dass die literarische Rekonstruktion einer lange zurückliegenden Begebenheit so unaufdringlich gelungen ist, verdankt sich Degens Fähigkeit, ein psychologisches Charakterporträt zu zeichnen, ohne dabei zu psychologisieren. Seiner präzisen, dabei nie prätentiösen Sprache merkt man den lebenslangen Umgang mit Texten großer Autoren an. Oskar Werner, gezeichnet von Alkoholismus und Depressionen, hat sich für den Auftritt seiner Lebensbeichte auf privater Bühne einen klugen Zuhörer gesucht. Und weil darin womöglich ein Hilferuf steckte, liest sich "Der traurige Prinz" nicht zuletzt auch als Gewissenserforschung.
FELICITAS VON LOVENBERG.
Michael Degen: "Der traurige Prinz".
Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 251 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lebensbeichte auf privater Bühne: Michael Degen porträtiert in "Der traurige Prinz" den großen Oskar Werner
Im Jahr 1983 gastiert das Münchner Residenztheater mit einer Strindberg-Inszenierung von Ingmar Bergman in Vaduz. Michael Degen gibt in "Fräulein Julie" den Jean. Nach der Aufführung wird er zu seiner Überraschung im Foyer erwartet - von Oskar Werner, dem legendären österreichischen Schauspieler, "den ich als mein Vorbild bezeichnet hätte, wäre ich unbescheidener gewesen". Als "Roman einer wahren Begegnung" bezeichnet Michael Degen sein Buch "Der traurige Prinz", das von Oskar Werner handelt, aber durchaus auch von ihm selbst.
Bei ihrer Begegnung ist Werner einundsechzig, seine großen Erfolge liegen hinter ihm, er lebt allein und zurückgezogen in Liechtenstein in einem Haus, an dessen Pforte zur Abschreckung ein Schild prangt mit der Aufschrift: "Gewährt, daß ich ersuche - keine unangesagten Besuche." Doch den zehn Jahre jüngeren Degen lädt er zu sich ein, auf einen Absacker, anschließend werde er ihn zurück ins Hotel fahren. Aus dem "einen kleinen Drink" werden viele, die Unterhaltung, die in ihren abrupten Wechseln zwischen Abtasten und Zurückzucken, Einverständnis und Gegenwehr die Intensität eines Kammerspiels besitzt, dauert bis in die frühen Morgenstunden.
Das Gespräch nimmt damit Fahrt auf, dass Werner seinen Gast bittet, ihn mit seinem richtigen Namen anzureden: "Ich heiße Bschließmayer. Oskar Josef Bschließmayer", verkündet er in einer Art selbstironischen Bond-Paraphrase. Im Haus in Triesen angekommen, gießt er dem Gast einen Grünen Veltliner von Bründlmayer und sich einen Fernet Branca ein ("Ich muss auf meinen Magen achten") und beginnt mit einem ausholenden Gestus aus seinem Leben zu erzählen, von der Wiener Kindheit und dem geliebten Straßentheater, bei dem der Bub Passanten vorgaukelte, blind zu sein, über sein frühes Engagement am Burgtheater bis hin zu seiner ersten Ehe mit der jüdischstämmigen Elisabeth Kallina. Immer wieder kommt er auf seine Abscheu vor den Nationalsozialisten zu sprechen - ein Lebensthema, das ihn mit seinem Gesprächspartner verbindet, der als Kind jüdischer Eltern versteckt in Berlin den Krieg überlebte. Vor allem aber spricht er übers Theater, über Schauspielkollegen, Stücke und Regisseure, über die Sucht, sich in einen anderen zu verwandeln, und über den Selbstverlust, der damit einhergeht: "Man kriecht in den einen Charakter hinein, aus dem anderen heraus - und verliert schließlich den eigenen. Komplett."
Durch regen Widerspruch und einen Sinn für das Tragikomische der Situation entgeht Degen der Gefahr der Verklärung. Er begegnet Bschließmayer als Kollege, nicht als Fan. Mehr als einmal ist er verärgert über die Tiraden seines Gastgebers, mitunter sogar fast angewidert von ihm. Was ihn ausharren lässt, ist die Frage, was aus dem Menschen geworden ist, den er einmal so bewundert hat: "Wann war ihm das Talent abhandengekommen?" Eine Antwort darauf kann es höchstens zwischen den Zeilen geben.
Dass die literarische Rekonstruktion einer lange zurückliegenden Begebenheit so unaufdringlich gelungen ist, verdankt sich Degens Fähigkeit, ein psychologisches Charakterporträt zu zeichnen, ohne dabei zu psychologisieren. Seiner präzisen, dabei nie prätentiösen Sprache merkt man den lebenslangen Umgang mit Texten großer Autoren an. Oskar Werner, gezeichnet von Alkoholismus und Depressionen, hat sich für den Auftritt seiner Lebensbeichte auf privater Bühne einen klugen Zuhörer gesucht. Und weil darin womöglich ein Hilferuf steckte, liest sich "Der traurige Prinz" nicht zuletzt auch als Gewissenserforschung.
FELICITAS VON LOVENBERG.
Michael Degen: "Der traurige Prinz".
Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 251 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein wunderbares Buch über die Last der Begabung, das Gift der Träume und den Triumph der Banalität Süddeutsche Zeitung