Bekanntlich sind auf der Welt nur zwei Dinge sicher: der Tod und die Steuern. Allerdings scheint Benjamin Franklins Bonmot nicht für alle zu gelten. Multinationale Großkonzerne entwickeln immer ausgeklügeltere Methoden, um ihre Gewinne am Fiskus vorbeizuschleusen, Steuerparadiese unterbieten sich in der Konkurrenz um die Gelder Wohlhabender. In den USA müssen Milliardäre dank Trumps Reformen inzwischen weniger an den Staat abtreten als ihre Assistenten.
Die beiden Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman rekonstruieren, wie es zu dieser Ungerechtigkeit kommen konnte. Sie erklären Steuervermeidungsstrategien, zeigen auf, wie Steuerungerechtigkeit und Ungleichheit miteinander verbunden sind, und formulieren Vorschläge für gerechtere Abgabensysteme in einer globalisierten Welt. Wir müssen verhindern, so die renommierten Ungleichheitsforscher, dass eine Konzentration des Reichtums in den Händen weniger die demokratischen Entscheidungen vieler aushebelt.
Die beiden Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman rekonstruieren, wie es zu dieser Ungerechtigkeit kommen konnte. Sie erklären Steuervermeidungsstrategien, zeigen auf, wie Steuerungerechtigkeit und Ungleichheit miteinander verbunden sind, und formulieren Vorschläge für gerechtere Abgabensysteme in einer globalisierten Welt. Wir müssen verhindern, so die renommierten Ungleichheitsforscher, dass eine Konzentration des Reichtums in den Händen weniger die demokratischen Entscheidungen vieler aushebelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2020Plutokratie gegen Demokratie
Mit unorthodoxer Methodik: Emmanuel Saez und Gabriel Zucman nehmen die amerikanische Steuerpolitik ins Visier
Dass niemand gerne Steuern zahle, klingt wie eine althergebrachte Weisheit. Sie entpuppt sich aber bei genauerer Betrachtung als demokratietheoretischer Kommentar. Er verweist auf eine Gesellschaft, in der nur zähneknirschend kollektive Aufgaben finanziert werden - wohl wissend, dass die Steuern, die man selbst nicht zahlt, jemand anderes zahlen wird. Wenn Demokratie nichts weiter als ein großer moderierter Interessenkonflikt ist, dann exemplifiziert Steuerüberwälzung - ob parlamentarisch errungen oder klandestin ergaunert - ihr politisches Prinzip. Ein emphatischerer Demokratiebegriff wirkt daher unweigerlich auf die Bedeutung von Steuern zurück. In einer Republik mögen sie ihre Zahler gar mit Stolz erfüllen. Statt als Resultat eines (verlorenen) Konflikts erscheinen sie dort als gelebte demokratische Praxis.
Ein progressives Steuersystem gilt zugleich als Bollwerk gegen die stets drohende Gefahr der Plutokratie. Davon zeigen sich zumindest die beiden kalifornischen Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman überzeugt. Ihr nun auch auf Deutsch vorliegendes Buch sorgt in der Fachwelt aus mindestens zwei Gründen für Furore. Zum einen wollen die Kollegen beziehungsweise Schüler von Thomas Piketty mit ihm den Nachweis erbracht haben, dass der amerikanische Steuerstaat das freie Wirken der Marktkräfte mittlerweile nicht mehr konterkariert, sondern intensiviert: Das Steuersystem der Vereinigten Staaten mache die Armen ärmer und die Reichen reicher. Deshalb plädieren die beiden Autoren zum anderen für massive Steuererhöhungen. Ginge es nach ihnen, wären jährlich bis zu drei Prozent des Vermögens steuerlich zu konfiszieren, um den bereits entstandenen Schaden zu beheben.
Die Kritik der ökonomischen Zunft ließ angesichts solcher Thesen nicht lange auf sich warten. Studien zur Genese ökonomischer Ungleichheit wird bekanntermaßen stets vorgehalten, die Umverteilungsdynamiken ausgewachsener Wohlfahrts- und Steuerstaaten unzureichend zu würdigen. So steigen doch die Steuertarife mit wachsendem Einkommen, zusätzlich versteuern Vermögende ihren Grundbesitz, und im Erbfall werden ihre Nachkommen sogar nochmals zur Kasse gebeten. Darüber hinaus gilt das Steuersystem der Vereinigten Staaten in der vergleichenden Forschung als besonders progressiv. Und selbst wenn Verteilungsprobleme bestehen würden, wären Vermögenssteuern sicher nicht das erste Mittel der Wahl. Nicht nur würden sie Leistungsanreize beschädigen und seien daher ineffizient. Auch falle es schwer, vorhandenes Vermögen praktisch zu ermitteln. Wenn der Fiskus bereits Probleme hat, den korrekten Wert von Immobilien zu schätzen, wie soll er erst mit Gemälden, Oldtimern oder Briefmarkensammlungen verfahren?
Um solchen Einwänden zu begegnen, weicht die Studie von vielen methodischen Standardverfahren ab. Das heizt die Kontroversen weiter an. Als strittig erweist sich etwa der Umgang mit dem Problem der Steuerinzidenz, das ihr zufolge nicht existiert. So würden ausschließlich natürliche Personen Steuern zahlen. Entrichtete Unternehmensteuern teilt die Studie aber nicht zwischen Anteilseignern und Angestellten auf, sondern schlägt sie allein Ersteren zu. Wer zusätzlich noch willens ist, den Schätzungen zum Ausmaß von Steuervermeidung zu folgen und schließlich das Nationaleinkommen als Bezugsgröße der Berechnungen zu akzeptieren, den erwarten jedoch tatsächlich spektakuläre Befunde.
Die Studie zeigt nämlich detailliert, wie sich die gesamtwirtschaftliche Steuerlast im historischen Längsschnitt auf die Bevölkerung verteilt. Dazu weist sie jeden seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gezahlten Dollar Steuern einem Steuerzahler zu: Die föderalen Verbrauchsteuern etwa den Konsumenten, die Unternehmensteuern ihren Anteilseignern. Für das Jahr 2018 resultiert daraus, dass die Arbeiterschicht, also die unteren fünfzig Prozent der Einkommensbezieher, 25 Prozent ihres Einkommens an den Fiskus abführten, während Mittel- und Oberschicht die durchschnittliche Steuerlast von 28 Prozent trugen. Lediglich die 0,1 Prozent einkommensstärksten Haushalte werden mit deutlich über dreißig Prozent veranlagt, wohingegen die reichsten 400 Amerikaner nicht mehr als 23 Prozent ihres Einkommens an Steuern abführten. Wenn diese Diagnose zutrifft, verfügen die Vereinigten Staaten über kein progressives Steuersystem, sondern allenfalls über eine "gigantische Kopfsteuer", die sich am oberen Ende der Einkommenspyramide regressiv ausgestaltet.
In historischer Perspektive gewinnt dieser Sachverhalt noch an Brisanz. So weisen die Autoren überzeugend alle kulturalistischen Diagnosen zurück, die jenseits des Atlantiks ein besonders steuerfeindliches Volk auszumachen meinen. Stattdessen sehen sie progressive Steuerpolitik von den frühen Siedlerkolonien bis hin zum New Deal im Herzen der amerikanischen Demokratie verankert. Demnach hätten lediglich die letzten vier Dekaden mit dieser Tradition gebrochen: Während die Steuerbelastung der Arbeiterschicht kontinuierlich anstieg, habe sich die der 400 Reichsten halbiert. Ein Prozess, der keineswegs einer ausführlichen Deliberation zu verdanken sei. Stattdessen signalisiere er das gefährliche Wirken plutokratischer Dynamiken.
Angesichts dessen kommt Saez' und Zucmans radikalen steuerpolitischen Vorschlägen eine gewisse Plausibilität zu. Dabei zeigen sie durchaus Alternativen auf: Falls eine saftige Vermögensteuer nicht funktioniere, wie wäre es mit einer nationalen Einkommensteuer? Prinzipiellen Einwänden gegen solche Maßnahmen - Kapital sei flüchtig, Vermögen im Zweifel nicht liquide oder schwer zu ermitteln - begegnen die Autoren jedoch mit der argumentativen Brechstange: Wenn etwas politisch wirklich gewollt würde, dann wäre es auch möglich.
Die sich hier abzeichnende Rhetorik, die in ihrem Kern gar nicht falsch liegen mag, durchzieht bedauerlicherweise weite Teile des Buches. An vielen Stellen, wo detaillierte Abwägung angebracht gewesen wäre, dominieren die parteiinternen Diskurse der Demokratischen Partei den Text. Das hat sicherlich gute Gründe. Jedoch täuschen so selbst die geschickt eingepflegten Anekdoten nicht über den Eindruck hinweg, dass die Urteile über die Methodik der beiden Autoren, an der die Plausibilität ihrer Diagnose und ihrer Empfehlungen hängt, vom jeweils verfochtenen Demokratiebegriff abhängen werden. Gerade deshalb werden sie aber auch die weiteren Debatten prägen - zu perfekt passen ihre Befunde zu vorhandenen Argumentationsmustern, und vollkommen falsch sind sie keineswegs.
LARS DÖPKING
Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: "Der Triumph der Ungerechtigkeit".
Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert.
Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 279 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit unorthodoxer Methodik: Emmanuel Saez und Gabriel Zucman nehmen die amerikanische Steuerpolitik ins Visier
Dass niemand gerne Steuern zahle, klingt wie eine althergebrachte Weisheit. Sie entpuppt sich aber bei genauerer Betrachtung als demokratietheoretischer Kommentar. Er verweist auf eine Gesellschaft, in der nur zähneknirschend kollektive Aufgaben finanziert werden - wohl wissend, dass die Steuern, die man selbst nicht zahlt, jemand anderes zahlen wird. Wenn Demokratie nichts weiter als ein großer moderierter Interessenkonflikt ist, dann exemplifiziert Steuerüberwälzung - ob parlamentarisch errungen oder klandestin ergaunert - ihr politisches Prinzip. Ein emphatischerer Demokratiebegriff wirkt daher unweigerlich auf die Bedeutung von Steuern zurück. In einer Republik mögen sie ihre Zahler gar mit Stolz erfüllen. Statt als Resultat eines (verlorenen) Konflikts erscheinen sie dort als gelebte demokratische Praxis.
Ein progressives Steuersystem gilt zugleich als Bollwerk gegen die stets drohende Gefahr der Plutokratie. Davon zeigen sich zumindest die beiden kalifornischen Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman überzeugt. Ihr nun auch auf Deutsch vorliegendes Buch sorgt in der Fachwelt aus mindestens zwei Gründen für Furore. Zum einen wollen die Kollegen beziehungsweise Schüler von Thomas Piketty mit ihm den Nachweis erbracht haben, dass der amerikanische Steuerstaat das freie Wirken der Marktkräfte mittlerweile nicht mehr konterkariert, sondern intensiviert: Das Steuersystem der Vereinigten Staaten mache die Armen ärmer und die Reichen reicher. Deshalb plädieren die beiden Autoren zum anderen für massive Steuererhöhungen. Ginge es nach ihnen, wären jährlich bis zu drei Prozent des Vermögens steuerlich zu konfiszieren, um den bereits entstandenen Schaden zu beheben.
Die Kritik der ökonomischen Zunft ließ angesichts solcher Thesen nicht lange auf sich warten. Studien zur Genese ökonomischer Ungleichheit wird bekanntermaßen stets vorgehalten, die Umverteilungsdynamiken ausgewachsener Wohlfahrts- und Steuerstaaten unzureichend zu würdigen. So steigen doch die Steuertarife mit wachsendem Einkommen, zusätzlich versteuern Vermögende ihren Grundbesitz, und im Erbfall werden ihre Nachkommen sogar nochmals zur Kasse gebeten. Darüber hinaus gilt das Steuersystem der Vereinigten Staaten in der vergleichenden Forschung als besonders progressiv. Und selbst wenn Verteilungsprobleme bestehen würden, wären Vermögenssteuern sicher nicht das erste Mittel der Wahl. Nicht nur würden sie Leistungsanreize beschädigen und seien daher ineffizient. Auch falle es schwer, vorhandenes Vermögen praktisch zu ermitteln. Wenn der Fiskus bereits Probleme hat, den korrekten Wert von Immobilien zu schätzen, wie soll er erst mit Gemälden, Oldtimern oder Briefmarkensammlungen verfahren?
Um solchen Einwänden zu begegnen, weicht die Studie von vielen methodischen Standardverfahren ab. Das heizt die Kontroversen weiter an. Als strittig erweist sich etwa der Umgang mit dem Problem der Steuerinzidenz, das ihr zufolge nicht existiert. So würden ausschließlich natürliche Personen Steuern zahlen. Entrichtete Unternehmensteuern teilt die Studie aber nicht zwischen Anteilseignern und Angestellten auf, sondern schlägt sie allein Ersteren zu. Wer zusätzlich noch willens ist, den Schätzungen zum Ausmaß von Steuervermeidung zu folgen und schließlich das Nationaleinkommen als Bezugsgröße der Berechnungen zu akzeptieren, den erwarten jedoch tatsächlich spektakuläre Befunde.
Die Studie zeigt nämlich detailliert, wie sich die gesamtwirtschaftliche Steuerlast im historischen Längsschnitt auf die Bevölkerung verteilt. Dazu weist sie jeden seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gezahlten Dollar Steuern einem Steuerzahler zu: Die föderalen Verbrauchsteuern etwa den Konsumenten, die Unternehmensteuern ihren Anteilseignern. Für das Jahr 2018 resultiert daraus, dass die Arbeiterschicht, also die unteren fünfzig Prozent der Einkommensbezieher, 25 Prozent ihres Einkommens an den Fiskus abführten, während Mittel- und Oberschicht die durchschnittliche Steuerlast von 28 Prozent trugen. Lediglich die 0,1 Prozent einkommensstärksten Haushalte werden mit deutlich über dreißig Prozent veranlagt, wohingegen die reichsten 400 Amerikaner nicht mehr als 23 Prozent ihres Einkommens an Steuern abführten. Wenn diese Diagnose zutrifft, verfügen die Vereinigten Staaten über kein progressives Steuersystem, sondern allenfalls über eine "gigantische Kopfsteuer", die sich am oberen Ende der Einkommenspyramide regressiv ausgestaltet.
In historischer Perspektive gewinnt dieser Sachverhalt noch an Brisanz. So weisen die Autoren überzeugend alle kulturalistischen Diagnosen zurück, die jenseits des Atlantiks ein besonders steuerfeindliches Volk auszumachen meinen. Stattdessen sehen sie progressive Steuerpolitik von den frühen Siedlerkolonien bis hin zum New Deal im Herzen der amerikanischen Demokratie verankert. Demnach hätten lediglich die letzten vier Dekaden mit dieser Tradition gebrochen: Während die Steuerbelastung der Arbeiterschicht kontinuierlich anstieg, habe sich die der 400 Reichsten halbiert. Ein Prozess, der keineswegs einer ausführlichen Deliberation zu verdanken sei. Stattdessen signalisiere er das gefährliche Wirken plutokratischer Dynamiken.
Angesichts dessen kommt Saez' und Zucmans radikalen steuerpolitischen Vorschlägen eine gewisse Plausibilität zu. Dabei zeigen sie durchaus Alternativen auf: Falls eine saftige Vermögensteuer nicht funktioniere, wie wäre es mit einer nationalen Einkommensteuer? Prinzipiellen Einwänden gegen solche Maßnahmen - Kapital sei flüchtig, Vermögen im Zweifel nicht liquide oder schwer zu ermitteln - begegnen die Autoren jedoch mit der argumentativen Brechstange: Wenn etwas politisch wirklich gewollt würde, dann wäre es auch möglich.
Die sich hier abzeichnende Rhetorik, die in ihrem Kern gar nicht falsch liegen mag, durchzieht bedauerlicherweise weite Teile des Buches. An vielen Stellen, wo detaillierte Abwägung angebracht gewesen wäre, dominieren die parteiinternen Diskurse der Demokratischen Partei den Text. Das hat sicherlich gute Gründe. Jedoch täuschen so selbst die geschickt eingepflegten Anekdoten nicht über den Eindruck hinweg, dass die Urteile über die Methodik der beiden Autoren, an der die Plausibilität ihrer Diagnose und ihrer Empfehlungen hängt, vom jeweils verfochtenen Demokratiebegriff abhängen werden. Gerade deshalb werden sie aber auch die weiteren Debatten prägen - zu perfekt passen ihre Befunde zu vorhandenen Argumentationsmustern, und vollkommen falsch sind sie keineswegs.
LARS DÖPKING
Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: "Der Triumph der Ungerechtigkeit".
Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert.
Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 279 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Ökonomieprofessoren ... zeigen nun in ihrer wissenschaftlich fundierten Anklageschrift Der Triumph der Ungerechtigkeit, wie Steueroasen den weltweiten Stererwettbewerb befeuern, die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern und die Demokratie untergraben.« Michael Holmes NZZ am Sonntag 20200627