»Die Reihe der Flipper, ihre leuchtenden Scheiben, sind das Band, das die Bruchstücke meines Lebens zusammenhält.«
Funkelnde Flipperautomaten stehen im Mittelpunkt von Andreas Bernards autobiografischer Erzählung. Die Entdeckung der Geräte in der Kindheit. Die Streifzüge durch die Lokale des Viertels, in denen sich das Gespür für die Standorte der Maschinen ebenso herausprägt wie das innere Bild der Heimatstadt. Und das Flippern als Linderungsmittel gegen Einsamkeit und Langeweile und später als Vehikel einer ersten Liebe.
Flipperautomaten standen zwischen den 1960er und 1990er Jahren in fast jeder Kneipe, jeder Bar, jedem Spielsalon. In den Filmen der Nouvelle Vague und des neuen deutschen Kinos von Wenders und Fassbinder, in den frühen Romanen von Modiano, Murakami und Rainald Goetz hatten sie ihren festen Platz. Ausgehend von den Spielautomaten erzählt Andreas Bernard die Geschichte einer Jugend und einer Stadt im Wandel. Denn im Aussterben der Flipper Ende der neunziger Jahre spiegeln sich weitaus größere Veränderungen, die etwa die Gestalt der Städte betreffen und das Ende der Industriearbeit in Deutschland. Ähnlich wie sein Vorgängerbuch »Wir gingen raus und spielten Fußball« ist »Der Trost der Flipper« gleichermaßen zeitgeschichtlicher Kommentar und literarische Erinnerung.
Funkelnde Flipperautomaten stehen im Mittelpunkt von Andreas Bernards autobiografischer Erzählung. Die Entdeckung der Geräte in der Kindheit. Die Streifzüge durch die Lokale des Viertels, in denen sich das Gespür für die Standorte der Maschinen ebenso herausprägt wie das innere Bild der Heimatstadt. Und das Flippern als Linderungsmittel gegen Einsamkeit und Langeweile und später als Vehikel einer ersten Liebe.
Flipperautomaten standen zwischen den 1960er und 1990er Jahren in fast jeder Kneipe, jeder Bar, jedem Spielsalon. In den Filmen der Nouvelle Vague und des neuen deutschen Kinos von Wenders und Fassbinder, in den frühen Romanen von Modiano, Murakami und Rainald Goetz hatten sie ihren festen Platz. Ausgehend von den Spielautomaten erzählt Andreas Bernard die Geschichte einer Jugend und einer Stadt im Wandel. Denn im Aussterben der Flipper Ende der neunziger Jahre spiegeln sich weitaus größere Veränderungen, die etwa die Gestalt der Städte betreffen und das Ende der Industriearbeit in Deutschland. Ähnlich wie sein Vorgängerbuch »Wir gingen raus und spielten Fußball« ist »Der Trost der Flipper« gleichermaßen zeitgeschichtlicher Kommentar und literarische Erinnerung.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Persönliche Erinnerungen, Nerd-Wissen über Subkulturen und Ausgrabungen unserer jüngsten Vergangenheit prägen dieses Buch über den Spielautomaten "Flipper", das dem Rezensenten Florian Werner gut gefiel. Werner ist beeindruckt von Andreas Bernards "präzisem" Gedächtnis und seinem schlauen Auge: Wo andere nur die Langeweile eines Spielautomaten sehen würden, erkennt Bernard Gesten und Mimiken, die ganze Rituale ausmachen, so der Rezensent begeistert. Bernard zeigt, so versteht der Rezensent das Buch, dass das Spielerlebnis am Flipper mehr ist als nur die Maximierung der gesammelten Punkte. Es sei vielmehr eine "mystische Erfahrung", bei der es um die Überwindung der persönlichen Einsamkeit geht. Bernard malt die Spielrituale so "liebevoll", dass sich auch der sehnende Rezensent seine eigene Flippererfahrung zurückwünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2024Maschine in tausend Gestalten
Für Andreas Bernard sind Jugenderinnerungen eine runde Sache. Vor zwei Jahren veröffentlichte der 1969 in München geborene Kulturwissenschaftler das Bolzplatzmemoir "Wir gingen raus und spielten Fußball" (F.A.Z. vom 15. 10. 2022). Auf ähnliche Weise verknüpft Bernard in seinem neuesten Essay eine epochentypische Skizze der eigenen Adoleszenz mit der historischen Würdigung eines Spielzeugs in Kugelform. Nur ist der Ball diesmal nicht aus Kunstleder, sondern aus Metall und titscht in einem grellbunt blinkenden Kasten zwischen Hebeln und Schlagtürmen hin und her.
Mit abgeklärter, analysefreudiger Sentimentalität erzählt Bernard vom "Trost der Flipper", den er Anfang der Achtziger als Schuljunge für sich entdeckte. Es geht um die längst verschwundene Gastronomie- und Stadtlandschaft der alten Bundesrepublik. Um einen diebischen, dabei herzensguten Schulfreund, um eine flippernde erste Liebe und um den mentalitätsgeschichtlichen Wandel der Zeitvergeudungsgewohnheiten.
Vor allem aber geht es um die Vergnügungsmaschine in ihren tausend Gestalten, um die haptischen Eigenheiten und das Design der unterschiedlichen Flipper-Modelle, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von amerikanischen Firmen auf den Markt gebracht wurden und vor allem hierzulande Absatz fanden, bis Videospiele und schließlich das Smartphone diesem Trend ein weltweites Ende setzten. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität war der Flipper nicht nur Unterhaltungskulturtechnik, sondern auch Diskursmaschine: Friedrich Kittler attestierte in den Sechzigern dem Stammpublikum an der blinkenden Freizeitautomaten einen tendenziell prekären oder zumindest studentisch-wackeligen Sozialstatus. Als der Regisseur François Truffaut einmal nach der großen Gemeinsamkeit der avantgardistischen französischen Kinomacher gefragt wurde, meinte er, das verbindende Element sei die Lust auf das Flippern, das er in zahlreichen Nouvelle- Vague-Filmen in Szene gesetzt sehe.
Bernard ergänzt diese Aussage um den Hinweis, dass auch im Schimanski-"Tatort" regelmäßig geflippert wird und es sich dabei sehr wahrscheinlich an eine bewusste Reminiszenz an Truffaut, Godard und Co. handelt. Ab den Siebzigern waren klassenkämpferische Flippertheorien beliebt. Der Semiotiker und Marxist Paolo Virno stellte eine Verwandtschaft zwischen Flippern, Fließband und Arbeiterwiderstand her. Andere Linke sahen im Flipper eine Metapher der politischen Ernüchterung nach '68.
Für Bernard ist es keineswegs Zufall, dass diese Form der Gesellschaftskritik gemeinsam mit dem Flipperautomaten zu Beginn des neuen Jahrtausends unterging. Die Welt der Eckkneipen, der Zechen und der industriellen Produktion wurde von der Welt der Dienstleistungen, der Kreativwirtschaft und des Homeoffice abgelöst. Die Trennung von Freizeit und Arbeit wurde zunehmend aufgeweicht.
Das ist keine weltbewegend neue Diagnose, aber bei Bernard erhält sie ihren eindrücklichen Charme durch die verspielte Schwerpunktsetzung. Auch lässt sich der schmale Band als Exerzitium in anti-reaktionärer Nostalgie lesen. So geht Bernard demonstrativ auf Distanz zu gegenwärtigen Flipper-Revivalbewegungen. Die bürokratische Feierlichkeit, mit der die Spielmaschine von privaten Sammlern und professionellen Turnierveranstaltern als Retro-Kostbarkeit inszeniert wird, stößt Bernard regelrecht ab. Denn die ursprüngliche Flipper-Faszination sei etwas Beiläufiges und ausgesprochen Robustes gewesen. Man begegnete dem Automaten zufällig in einer Imbissbude, stellte sein Bierglas auf dem Kasten ab, drückte auch mal die Zigarette darauf aus.
Dass es so ungeschlacht nie wieder werden wird, damit hat der Autor sich längst abgefunden. Das Vergnügen lässt er sich trotzdem nicht vermiesen. Wer die Seite des deutschen Flipper-Verbands GPA (German Pinball Association) aufruft, erfährt, dass im April die letzte nationale Meisterschaft abgehalten wurde. Auch Bernard hat daran teilgenommen und sich einen ansehnlichen Platz 31 erflippert. Im Ranking der Flipper-Essayistik steht er ganz oben auf dem Siegertreppchen. MARIANNA LIEDER
Andreas Bernard: "Der Trost der Flipper".
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024. 128 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Für Andreas Bernard sind Jugenderinnerungen eine runde Sache. Vor zwei Jahren veröffentlichte der 1969 in München geborene Kulturwissenschaftler das Bolzplatzmemoir "Wir gingen raus und spielten Fußball" (F.A.Z. vom 15. 10. 2022). Auf ähnliche Weise verknüpft Bernard in seinem neuesten Essay eine epochentypische Skizze der eigenen Adoleszenz mit der historischen Würdigung eines Spielzeugs in Kugelform. Nur ist der Ball diesmal nicht aus Kunstleder, sondern aus Metall und titscht in einem grellbunt blinkenden Kasten zwischen Hebeln und Schlagtürmen hin und her.
Mit abgeklärter, analysefreudiger Sentimentalität erzählt Bernard vom "Trost der Flipper", den er Anfang der Achtziger als Schuljunge für sich entdeckte. Es geht um die längst verschwundene Gastronomie- und Stadtlandschaft der alten Bundesrepublik. Um einen diebischen, dabei herzensguten Schulfreund, um eine flippernde erste Liebe und um den mentalitätsgeschichtlichen Wandel der Zeitvergeudungsgewohnheiten.
Vor allem aber geht es um die Vergnügungsmaschine in ihren tausend Gestalten, um die haptischen Eigenheiten und das Design der unterschiedlichen Flipper-Modelle, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von amerikanischen Firmen auf den Markt gebracht wurden und vor allem hierzulande Absatz fanden, bis Videospiele und schließlich das Smartphone diesem Trend ein weltweites Ende setzten. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität war der Flipper nicht nur Unterhaltungskulturtechnik, sondern auch Diskursmaschine: Friedrich Kittler attestierte in den Sechzigern dem Stammpublikum an der blinkenden Freizeitautomaten einen tendenziell prekären oder zumindest studentisch-wackeligen Sozialstatus. Als der Regisseur François Truffaut einmal nach der großen Gemeinsamkeit der avantgardistischen französischen Kinomacher gefragt wurde, meinte er, das verbindende Element sei die Lust auf das Flippern, das er in zahlreichen Nouvelle- Vague-Filmen in Szene gesetzt sehe.
Bernard ergänzt diese Aussage um den Hinweis, dass auch im Schimanski-"Tatort" regelmäßig geflippert wird und es sich dabei sehr wahrscheinlich an eine bewusste Reminiszenz an Truffaut, Godard und Co. handelt. Ab den Siebzigern waren klassenkämpferische Flippertheorien beliebt. Der Semiotiker und Marxist Paolo Virno stellte eine Verwandtschaft zwischen Flippern, Fließband und Arbeiterwiderstand her. Andere Linke sahen im Flipper eine Metapher der politischen Ernüchterung nach '68.
Für Bernard ist es keineswegs Zufall, dass diese Form der Gesellschaftskritik gemeinsam mit dem Flipperautomaten zu Beginn des neuen Jahrtausends unterging. Die Welt der Eckkneipen, der Zechen und der industriellen Produktion wurde von der Welt der Dienstleistungen, der Kreativwirtschaft und des Homeoffice abgelöst. Die Trennung von Freizeit und Arbeit wurde zunehmend aufgeweicht.
Das ist keine weltbewegend neue Diagnose, aber bei Bernard erhält sie ihren eindrücklichen Charme durch die verspielte Schwerpunktsetzung. Auch lässt sich der schmale Band als Exerzitium in anti-reaktionärer Nostalgie lesen. So geht Bernard demonstrativ auf Distanz zu gegenwärtigen Flipper-Revivalbewegungen. Die bürokratische Feierlichkeit, mit der die Spielmaschine von privaten Sammlern und professionellen Turnierveranstaltern als Retro-Kostbarkeit inszeniert wird, stößt Bernard regelrecht ab. Denn die ursprüngliche Flipper-Faszination sei etwas Beiläufiges und ausgesprochen Robustes gewesen. Man begegnete dem Automaten zufällig in einer Imbissbude, stellte sein Bierglas auf dem Kasten ab, drückte auch mal die Zigarette darauf aus.
Dass es so ungeschlacht nie wieder werden wird, damit hat der Autor sich längst abgefunden. Das Vergnügen lässt er sich trotzdem nicht vermiesen. Wer die Seite des deutschen Flipper-Verbands GPA (German Pinball Association) aufruft, erfährt, dass im April die letzte nationale Meisterschaft abgehalten wurde. Auch Bernard hat daran teilgenommen und sich einen ansehnlichen Platz 31 erflippert. Im Ranking der Flipper-Essayistik steht er ganz oben auf dem Siegertreppchen. MARIANNA LIEDER
Andreas Bernard: "Der Trost der Flipper".
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024. 128 S., geb., 20,- Euro.
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»Ihm ist damit eine sprachlich glanzvolle, wunderbar melancholische Verneigung vor einem unterschätzten Kulturgut gelungen.« Marco Puschner, Nürnberger Nachrichten, 31. Juli 2024 Marco Puschner Nürnberger Nachrichten 20240731