Produktdetails
- Verlag: Goldmann Verlag
- ISBN-13: 9783442760015
- ISBN-10: 3442760011
- Artikelnr.: 22321376
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2000Die Ephemeriden der Provence
Schwer verdaulich: Gustaf Sobins Roman "Der Trüffelsucher"
Der Engländer Peter Mayle, dessen Provence-Bücher zur Erschließung der letzten stillen Winkel dieser Region maßgeblich beigetragen haben, hat in einem Kapitel seiner launigen Landeskunde die Vor- und Nachteile des Trüffelsuchens mit Hunden beziehungsweise Schweinen erläutert. Jetzt macht Gustaf Sobin, seit fünfunddreißig Jahren in Südfrankreich ansässig und gleichwohl vom Verlag als "der sinnlichste unter den amerikanischen Dichtern unserer Zeit" beworben, sich für die dritte Methode stark: Eine Fliege aus der Familie der Ephemeriden, die ihre Eier im Gras oder Gesträuch über den kostbaren Knollen abzulegen pflegt, weist dem Trüffler den Weg, weil sie aufgescheucht wird, wenn er an der richtigen Stelle auf den Busch klopft.
Wo aber der britische Wahlprovenzale Mayle das streng duftende schwarze Gold ganz diesseitig unter kulinarischem und kommerziellem Aspekt betrachtet, wühlt sein Kollege aus Amerika in erotisch-mystischen Abgründen. Der Romanheld Philippe Cabassac, Professor für die aussterbende provenzalische Sprache und selbst auch nicht mehr taufrisch, erlebt nach dem Verzehr von Trüffelomeletts leidenschaftliche Nächte mit seiner jungen, im Jenseits weilenden Gattin. Und da es stets besagte Fliege ist, die ihn zu solchen Genüssen führt, bedeutet ihm das verräterische Insekt bald mehr als anderen Leuten ihr Hund oder ihr Schwein. "Kommt schon", fleht der Zweizentnermann mit der stahlgerahmten Brille das Ungeziefer an, "ich will eure Flügel sehen, eure kleinen Flügel." Der Leser, voll böser Ahnungen, sieht vor seinem inneren Auge Männer in weißen Kitteln nahen, aber bis dahin hat es noch Weile, denn bevor Monsieur Cabassac von Trüffeldelikatessen auf Anstaltsverpflegung umgestellt wird, muss die tragische Liebesgeschichte zwischen dem alternden Wissenschaftler und der schönen Studentin erzählt werden.
Es beginnt, wie so oft, im Hörsaal, wo die hoch gewachsene Julieta in der letzten Reihe sitzt, linkshändig schreibt und mit "Lichtfacetten auf vollem dunklen Haar" den Herrn Professor von der provenzalischen Linguistik ablenkt. Es spitzt sich nach einer Vorlesung zu, als die Geheimnisumwitterte schweigend im Kreis ihrer Kommilitonen steht und den Gelehrten anstarrt, "nicht mit den Augen, sondern mit ihrer hohen, leuchtenden, weißen Stirn". Danach holt sie umstandslos ihr Köfferchen und folgt Cabassac auf das bröckelnde bäuerliche Anwesen, das er mit seiner betagten Tante teilt. Unterwegs hält man kurz in Aix, was dem Autor Gelegenheit gibt, in der Manier preisgünstiger Reiseführer von der "gut ausgestatteten Universitätsbibliothek", dem "breiten, stattlichen Cours Mirabeau" und den "reichgestalteten ockerfarbenen Fassaden" zu schwärmen. Dann beginnen stille Tage im Klischee: Julieta, die von Ordensschwestern erzogene Vollwaise, hat endlich eine Heimat gefunden, und Cabassac, bis dato überzeugter Junggeselle, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, weil sie ihn an seine Mutter erinnert, deren Bild gleich einer Kamee "in sein Bewußtsein geschnitzt" ist.
Da werden schwere provenzalische Lehnstühle vor den Kamin gerückt, "einfache, aber köstliche Landgerichte" zubereitet und gewärmte Handtücher an die Badezimmertür gebracht; dazu gibt es ein Gläschen Quittenlikör und Lyriklesungen in dem "sterbenden Idiom, das die beiden wie instinktiv zur Sprache ihrer Intimität gemacht hatten". Die Intimität findet dann auch noch einen handfesteren Ausdruck, aber erst nach Monaten gemeinsamer Sprachforschung, in denen der Professor sich damit begnügen muß, die Angebetete beim Wannenbad zu belauschen und sich ihre "hohe, junoartige Gestalt" im Moment des Auftauchens vorzustellen: "Ihr langer, schlanker Torso schien auf den Punkt in der Mitte zuzustreben, der von einem Strudel drahtigen Haares verhüllt war." Als das Paar an einem heimatfilmreifen Gebirgsbach endlich hüllenlos im Strudel der Leidenschaft versinkt, wird Julieta prompt schwanger, was sie zu gehauchten Dankesbekundungen hinreißt, den Erzeuger hingegen eifersüchtig macht, denn "es gab keinen Raum für ein Drittes in seinem Herzen".
Um Gustaf Sobins Adjektiv-Orgie abzukürzen: Julieta hat eine Fehlgeburt, wird für unfruchtbar erklärt und stirbt an ihrem Seelenschmerz. Cabassac, von Schuldgefühlen gequält, sucht Trost in den erwähnten Trüffelträumen, in denen ihm die Tote leibhaftig erscheint, sich abermals von ihm schwängern läßt und mit ihm in Avignon ihre Umstandskleider kauft. Der besessene Knollensucher, der sich zur Vaterschaft nun freudig bekennt, hat unterdessen seinen Universitätsjob eingebüßt und seinen Hof einem Bauspekulanten überantwortet, was ihn freilich nicht daran hindert, noch schnell ein Kinderzimmer einzurichten. Die letzte Trüffel der Saison, schon leicht angefault, läßt ihn Julietas Niederkunft hautnah miterleben, und die Tante spielt die Hebamme. Kurz danach kommt die Polizei mit dem Räumungsbefehl.
In der Provence wimmelt es von Eigenbrötlern und komischen Käuzen, von Gespenstern und anderen unerklärlichen Phänomenen, und würde jemand diese Geschichte dort zu vorgerückter Stunde in einer Kneipe zum besten geben, hätte man gewiß Vergnügen daran. Der Autor Sobin aber serviert den getrüffelten Kaiserschmarrn mit vollem Ernst und schwüler Erotik, und hätte er nicht noch ein wenig Sprachwissenschaft, Pflanzenkunde und Folklore beigemischt, um den Anschein von Seriosität zu wahren, so könnte man meinen, er wähne den Geschmack seiner Leser in jenen unterirdischen Tiefen, die dem teuersten aller Speisepilze ideale Wachstumsbedingungen bieten.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Gustaf Sobin: "Der Trüffelsucher". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2000. 191 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwer verdaulich: Gustaf Sobins Roman "Der Trüffelsucher"
Der Engländer Peter Mayle, dessen Provence-Bücher zur Erschließung der letzten stillen Winkel dieser Region maßgeblich beigetragen haben, hat in einem Kapitel seiner launigen Landeskunde die Vor- und Nachteile des Trüffelsuchens mit Hunden beziehungsweise Schweinen erläutert. Jetzt macht Gustaf Sobin, seit fünfunddreißig Jahren in Südfrankreich ansässig und gleichwohl vom Verlag als "der sinnlichste unter den amerikanischen Dichtern unserer Zeit" beworben, sich für die dritte Methode stark: Eine Fliege aus der Familie der Ephemeriden, die ihre Eier im Gras oder Gesträuch über den kostbaren Knollen abzulegen pflegt, weist dem Trüffler den Weg, weil sie aufgescheucht wird, wenn er an der richtigen Stelle auf den Busch klopft.
Wo aber der britische Wahlprovenzale Mayle das streng duftende schwarze Gold ganz diesseitig unter kulinarischem und kommerziellem Aspekt betrachtet, wühlt sein Kollege aus Amerika in erotisch-mystischen Abgründen. Der Romanheld Philippe Cabassac, Professor für die aussterbende provenzalische Sprache und selbst auch nicht mehr taufrisch, erlebt nach dem Verzehr von Trüffelomeletts leidenschaftliche Nächte mit seiner jungen, im Jenseits weilenden Gattin. Und da es stets besagte Fliege ist, die ihn zu solchen Genüssen führt, bedeutet ihm das verräterische Insekt bald mehr als anderen Leuten ihr Hund oder ihr Schwein. "Kommt schon", fleht der Zweizentnermann mit der stahlgerahmten Brille das Ungeziefer an, "ich will eure Flügel sehen, eure kleinen Flügel." Der Leser, voll böser Ahnungen, sieht vor seinem inneren Auge Männer in weißen Kitteln nahen, aber bis dahin hat es noch Weile, denn bevor Monsieur Cabassac von Trüffeldelikatessen auf Anstaltsverpflegung umgestellt wird, muss die tragische Liebesgeschichte zwischen dem alternden Wissenschaftler und der schönen Studentin erzählt werden.
Es beginnt, wie so oft, im Hörsaal, wo die hoch gewachsene Julieta in der letzten Reihe sitzt, linkshändig schreibt und mit "Lichtfacetten auf vollem dunklen Haar" den Herrn Professor von der provenzalischen Linguistik ablenkt. Es spitzt sich nach einer Vorlesung zu, als die Geheimnisumwitterte schweigend im Kreis ihrer Kommilitonen steht und den Gelehrten anstarrt, "nicht mit den Augen, sondern mit ihrer hohen, leuchtenden, weißen Stirn". Danach holt sie umstandslos ihr Köfferchen und folgt Cabassac auf das bröckelnde bäuerliche Anwesen, das er mit seiner betagten Tante teilt. Unterwegs hält man kurz in Aix, was dem Autor Gelegenheit gibt, in der Manier preisgünstiger Reiseführer von der "gut ausgestatteten Universitätsbibliothek", dem "breiten, stattlichen Cours Mirabeau" und den "reichgestalteten ockerfarbenen Fassaden" zu schwärmen. Dann beginnen stille Tage im Klischee: Julieta, die von Ordensschwestern erzogene Vollwaise, hat endlich eine Heimat gefunden, und Cabassac, bis dato überzeugter Junggeselle, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, weil sie ihn an seine Mutter erinnert, deren Bild gleich einer Kamee "in sein Bewußtsein geschnitzt" ist.
Da werden schwere provenzalische Lehnstühle vor den Kamin gerückt, "einfache, aber köstliche Landgerichte" zubereitet und gewärmte Handtücher an die Badezimmertür gebracht; dazu gibt es ein Gläschen Quittenlikör und Lyriklesungen in dem "sterbenden Idiom, das die beiden wie instinktiv zur Sprache ihrer Intimität gemacht hatten". Die Intimität findet dann auch noch einen handfesteren Ausdruck, aber erst nach Monaten gemeinsamer Sprachforschung, in denen der Professor sich damit begnügen muß, die Angebetete beim Wannenbad zu belauschen und sich ihre "hohe, junoartige Gestalt" im Moment des Auftauchens vorzustellen: "Ihr langer, schlanker Torso schien auf den Punkt in der Mitte zuzustreben, der von einem Strudel drahtigen Haares verhüllt war." Als das Paar an einem heimatfilmreifen Gebirgsbach endlich hüllenlos im Strudel der Leidenschaft versinkt, wird Julieta prompt schwanger, was sie zu gehauchten Dankesbekundungen hinreißt, den Erzeuger hingegen eifersüchtig macht, denn "es gab keinen Raum für ein Drittes in seinem Herzen".
Um Gustaf Sobins Adjektiv-Orgie abzukürzen: Julieta hat eine Fehlgeburt, wird für unfruchtbar erklärt und stirbt an ihrem Seelenschmerz. Cabassac, von Schuldgefühlen gequält, sucht Trost in den erwähnten Trüffelträumen, in denen ihm die Tote leibhaftig erscheint, sich abermals von ihm schwängern läßt und mit ihm in Avignon ihre Umstandskleider kauft. Der besessene Knollensucher, der sich zur Vaterschaft nun freudig bekennt, hat unterdessen seinen Universitätsjob eingebüßt und seinen Hof einem Bauspekulanten überantwortet, was ihn freilich nicht daran hindert, noch schnell ein Kinderzimmer einzurichten. Die letzte Trüffel der Saison, schon leicht angefault, läßt ihn Julietas Niederkunft hautnah miterleben, und die Tante spielt die Hebamme. Kurz danach kommt die Polizei mit dem Räumungsbefehl.
In der Provence wimmelt es von Eigenbrötlern und komischen Käuzen, von Gespenstern und anderen unerklärlichen Phänomenen, und würde jemand diese Geschichte dort zu vorgerückter Stunde in einer Kneipe zum besten geben, hätte man gewiß Vergnügen daran. Der Autor Sobin aber serviert den getrüffelten Kaiserschmarrn mit vollem Ernst und schwüler Erotik, und hätte er nicht noch ein wenig Sprachwissenschaft, Pflanzenkunde und Folklore beigemischt, um den Anschein von Seriosität zu wahren, so könnte man meinen, er wähne den Geschmack seiner Leser in jenen unterirdischen Tiefen, die dem teuersten aller Speisepilze ideale Wachstumsbedingungen bieten.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Gustaf Sobin: "Der Trüffelsucher". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2000. 191 S., geb., 36,- DM.
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