Produktdetails
  • Verlag: Goldmann Verlag
  • ISBN-13: 9783442760015
  • ISBN-10: 3442760011
  • Artikelnr.: 22321376
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2000

Trüffelträume
Gustav Sobins provençalisches Märchen
Aus Patrick Süskinds Roman Das Parfum wissen wir, welche unbeherrschbaren Obsessionen Duftstoffe, ja Gerüche auslösen können, in welche sinnlichen Ekstasen und außerirdische Zustände man durch einen bestimmten Geruch oder Geschmack zu gelangen vermag. Die Sehnsucht nach den künstlichen Paradiesen, in die uns bestimmte Liquide und Duftstoffe führen können, ist sicher so alt wie die Menschheit selbst.
Die Provence hat viel zu bieten an berauschenden Essenzen und den Geschmacksnerv betörenden Kostbarkeiten. Im Sommer benebelt der süß herbe Lavendel die Sinne, im Winter lockt die Trüffel mit ihrem Aroma den Connaisseur an die Ränder der Steineichenwälder. Denn dort im mageren, leicht rissigen Erdreich wächst gut versteckt jene unscheinbare Köstlichkeit, die ein wahres Delirium an Genuss und Sucht bewirken kann und die den ihr Verfallenen in der Zeit der Trüffelernte – von Ende November bis zum Beginn der Mandelbaumblüte im März – zu akribischer Suche verlockt.
Philippe Cabassac, Professor der Linguistik oder besser gesagt der provençalischen Sprache in Aix-en-Provence ist der Trüffel verfallen. Denn sie, die ihm von Kindheit an als eine winterliche Delikatesse vertraut ist und die er als alteingesessener Provençale findig zu erschnuppern weiß, ist der Schlüssel zu einem ganz eigenen halluzinatorischen Wahrnehmungsbereich, für den ihn der Verzehr eines Trüffelomelettes empfänglich macht.
Der Amerikaner Gustav Sobin ist der Autor dieser ungewöhnlichen Geschichte vom Trüffelsucher, die den Leser in die obsessiven Zonen der Begierde eines erotischen Träumers führt. Sobin lebt seit 35 Jahren in der Provence, nicht weit von Isle-sur-la-Sorgue, der Heimatstadt des von ihm verehrten französischen Dichters René Char, in dessen Tradition auch seine eher hermetische Lyrik steht. Sein dritter Roman, Der Trüffelsucher, aber ist überhaupt nicht hermetisch. Es ist die schwelgerische Hommage eines Provençophilen an seine Wahlheimat, die ihn – wie eine Geliebte – mit den Reizen ihrer herben Schönheit verzaubert hat und mit den Gerüchen und Genüssen ihrer irdischen Schätze verwöhnt. Sobin erzählt das Märchen von einem, der auszog, sich in der bildreichen Klangfülle des provençalischen Idioms, in der Physiognomie ihrer Laut-Landschaft das Wesen einer alten Kultur zu vergegenwärtigen und zu bewahren.
Nicht von ungefähr heißt die alte Tante von Philippe Cabassac Miréio, wie die Titelheldin von Frédéric Mistrals provençalischem Poem. Mit ihr bewohnt Cabassac ein altes bäuerliches Anwesen, das schon immer seiner Familie gehört und ihn von klein auf mit den saisonalen Freuden der provençalischen Küche vertraut gemacht hat. Den eher ein wenig monotonen Alltag der beiden verändert die Bekanntschaft mit Julieta, einer rätselhaften jungen Frau, die erst Cabassacs Studentin ist, dann seine Geliebte und schließlich seine Frau wird. „Vielleicht ist es nicht so sehr eine Person, in die wir uns verlieben, als eine Distanz, eine Tiefe, die diese Person zufällig verkörpert. ” Was Philippe Cabassac in den ersten Tagen seines Zusammenlebens mit Julieta in sein Tagebuch schreibt, ist symptomatisch für die Art ihrer Beziehung und bereitet den Nährboden für jenes exzessive Traumleben, das ihn nach dem Tod Julietas mit all dem entschädigt, was die Wirklichkeit ihm vorenthalten hat. Denn die Trüffel, die unterirdisch an den Wurzeln der Steineichen wächst und sich dem erfahrenen Trüffelsucher durch Schwärme kleinster Fliegen bemerkbar macht, die ihre Eier im duftgeschwängerten Erdreich ablegen – die Trüffel ist der Auslöser einer „disposicioun”, die zu wahrhafter Verzückung und Entrückung führt.
Und weil der Professor im Liebestaumel mit der toten Julieta über dem Wahn die Wirklichkeit vergisst, hat das Märchen von der erotischen Heilkraft der Trüffel auch ein trauriges Ende. Denn, hingegeben an seine hemmungslose Trüffelsucht und die dadurch ausgelösten nächtlichen sexuellen Halluzinationen, die sich in den seltsamsten Tagträumen fortsetzen, verliert Philippe Cabassac völlig den Anschluss an die Realität und damit nicht nur seinen Lehrstuhl an der Universität, sondern auch Haus und Hof, die ihm ein geschickter Makler zum Verkauf abschwatzt, während sich Cabassac unter Trüffeleinwirkung ganz real auf die Traumgeburt seines Kindes vorbereitet.
In der Darstellung der geträumten Liebesszenen übertreibt Gustav Sobin manchmal ein wenig. Dann verliert sich das nachhaltige Aroma der Droge Trüffel in der Idylle, in den schwärmerischen Phantasien eines Erotomanen. Aber das Urbild der Provence, das Sobin mit dieser Geschichte vom Trüffelsucher verwebt, übersteht diesen süßlichen Duft unbeschadet.
VERA BOTTERBUSCH
GUSTAV SOBIN: Der Trüffelsucher. Roman. Aus dem Amerikanischen von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2000. 192 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2000

Die Ephemeriden der Provence
Schwer verdaulich: Gustaf Sobins Roman "Der Trüffelsucher"

Der Engländer Peter Mayle, dessen Provence-Bücher zur Erschließung der letzten stillen Winkel dieser Region maßgeblich beigetragen haben, hat in einem Kapitel seiner launigen Landeskunde die Vor- und Nachteile des Trüffelsuchens mit Hunden beziehungsweise Schweinen erläutert. Jetzt macht Gustaf Sobin, seit fünfunddreißig Jahren in Südfrankreich ansässig und gleichwohl vom Verlag als "der sinnlichste unter den amerikanischen Dichtern unserer Zeit" beworben, sich für die dritte Methode stark: Eine Fliege aus der Familie der Ephemeriden, die ihre Eier im Gras oder Gesträuch über den kostbaren Knollen abzulegen pflegt, weist dem Trüffler den Weg, weil sie aufgescheucht wird, wenn er an der richtigen Stelle auf den Busch klopft.

Wo aber der britische Wahlprovenzale Mayle das streng duftende schwarze Gold ganz diesseitig unter kulinarischem und kommerziellem Aspekt betrachtet, wühlt sein Kollege aus Amerika in erotisch-mystischen Abgründen. Der Romanheld Philippe Cabassac, Professor für die aussterbende provenzalische Sprache und selbst auch nicht mehr taufrisch, erlebt nach dem Verzehr von Trüffelomeletts leidenschaftliche Nächte mit seiner jungen, im Jenseits weilenden Gattin. Und da es stets besagte Fliege ist, die ihn zu solchen Genüssen führt, bedeutet ihm das verräterische Insekt bald mehr als anderen Leuten ihr Hund oder ihr Schwein. "Kommt schon", fleht der Zweizentnermann mit der stahlgerahmten Brille das Ungeziefer an, "ich will eure Flügel sehen, eure kleinen Flügel." Der Leser, voll böser Ahnungen, sieht vor seinem inneren Auge Männer in weißen Kitteln nahen, aber bis dahin hat es noch Weile, denn bevor Monsieur Cabassac von Trüffeldelikatessen auf Anstaltsverpflegung umgestellt wird, muss die tragische Liebesgeschichte zwischen dem alternden Wissenschaftler und der schönen Studentin erzählt werden.

Es beginnt, wie so oft, im Hörsaal, wo die hoch gewachsene Julieta in der letzten Reihe sitzt, linkshändig schreibt und mit "Lichtfacetten auf vollem dunklen Haar" den Herrn Professor von der provenzalischen Linguistik ablenkt. Es spitzt sich nach einer Vorlesung zu, als die Geheimnisumwitterte schweigend im Kreis ihrer Kommilitonen steht und den Gelehrten anstarrt, "nicht mit den Augen, sondern mit ihrer hohen, leuchtenden, weißen Stirn". Danach holt sie umstandslos ihr Köfferchen und folgt Cabassac auf das bröckelnde bäuerliche Anwesen, das er mit seiner betagten Tante teilt. Unterwegs hält man kurz in Aix, was dem Autor Gelegenheit gibt, in der Manier preisgünstiger Reiseführer von der "gut ausgestatteten Universitätsbibliothek", dem "breiten, stattlichen Cours Mirabeau" und den "reichgestalteten ockerfarbenen Fassaden" zu schwärmen. Dann beginnen stille Tage im Klischee: Julieta, die von Ordensschwestern erzogene Vollwaise, hat endlich eine Heimat gefunden, und Cabassac, bis dato überzeugter Junggeselle, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, weil sie ihn an seine Mutter erinnert, deren Bild gleich einer Kamee "in sein Bewußtsein geschnitzt" ist.

Da werden schwere provenzalische Lehnstühle vor den Kamin gerückt, "einfache, aber köstliche Landgerichte" zubereitet und gewärmte Handtücher an die Badezimmertür gebracht; dazu gibt es ein Gläschen Quittenlikör und Lyriklesungen in dem "sterbenden Idiom, das die beiden wie instinktiv zur Sprache ihrer Intimität gemacht hatten". Die Intimität findet dann auch noch einen handfesteren Ausdruck, aber erst nach Monaten gemeinsamer Sprachforschung, in denen der Professor sich damit begnügen muß, die Angebetete beim Wannenbad zu belauschen und sich ihre "hohe, junoartige Gestalt" im Moment des Auftauchens vorzustellen: "Ihr langer, schlanker Torso schien auf den Punkt in der Mitte zuzustreben, der von einem Strudel drahtigen Haares verhüllt war." Als das Paar an einem heimatfilmreifen Gebirgsbach endlich hüllenlos im Strudel der Leidenschaft versinkt, wird Julieta prompt schwanger, was sie zu gehauchten Dankesbekundungen hinreißt, den Erzeuger hingegen eifersüchtig macht, denn "es gab keinen Raum für ein Drittes in seinem Herzen".

Um Gustaf Sobins Adjektiv-Orgie abzukürzen: Julieta hat eine Fehlgeburt, wird für unfruchtbar erklärt und stirbt an ihrem Seelenschmerz. Cabassac, von Schuldgefühlen gequält, sucht Trost in den erwähnten Trüffelträumen, in denen ihm die Tote leibhaftig erscheint, sich abermals von ihm schwängern läßt und mit ihm in Avignon ihre Umstandskleider kauft. Der besessene Knollensucher, der sich zur Vaterschaft nun freudig bekennt, hat unterdessen seinen Universitätsjob eingebüßt und seinen Hof einem Bauspekulanten überantwortet, was ihn freilich nicht daran hindert, noch schnell ein Kinderzimmer einzurichten. Die letzte Trüffel der Saison, schon leicht angefault, läßt ihn Julietas Niederkunft hautnah miterleben, und die Tante spielt die Hebamme. Kurz danach kommt die Polizei mit dem Räumungsbefehl.

In der Provence wimmelt es von Eigenbrötlern und komischen Käuzen, von Gespenstern und anderen unerklärlichen Phänomenen, und würde jemand diese Geschichte dort zu vorgerückter Stunde in einer Kneipe zum besten geben, hätte man gewiß Vergnügen daran. Der Autor Sobin aber serviert den getrüffelten Kaiserschmarrn mit vollem Ernst und schwüler Erotik, und hätte er nicht noch ein wenig Sprachwissenschaft, Pflanzenkunde und Folklore beigemischt, um den Anschein von Seriosität zu wahren, so könnte man meinen, er wähne den Geschmack seiner Leser in jenen unterirdischen Tiefen, die dem teuersten aller Speisepilze ideale Wachstumsbedingungen bieten.

KRISTINA MAIDT-ZINKE

Gustaf Sobin: "Der Trüffelsucher". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2000. 191 S., geb., 36,- DM.

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