Sein Beruf ist Journalist, seine Passion die Musik, sein Leitstern der Pianist Alfred Brendel. "Der Übergänger" handelt von der übergroßen Verehrung des Erzählers für Brendel. Gerade deswegen wagt er es lange Zeit nicht, ihn um ein Interview zu ersuchen; als er es dann doch tut, wird die Bitte prompt abgeschlagen. Er schickt Brendel aber einen Text, den er über ihn geschrieben hat. Nun ist dieser zu einem Treffen bereit, es wird jedoch immer wieder verhindert. Als der Erzähler vom bevorstehenden Rückzug Alfred Brendels aus dem Konzertleben erfährt, beschließt er, es noch einmal zu versuchen. Armin Thurnher, Autor und Herausgeber der Wiener Stadtzeitung Falter, hat einen hinreißenden Roman geschrieben, eine Annäherung mit Elementen einer Autobiographie, die in zahlreichen Irrungen das Ziel immer wieder verfehlt.
Armin Turnher, sonst eher bekannt für seinen Wiener Schmäh, verbeugt sich in seinem Brendel-Roman "Der Übergänger" tief vor dem großen Pianisten.
Von Hans-Jürgen Schings
Irgendetwas läuft schief. Auch beim besten Willen auf beiden Seiten können der Verehrer und der Verehrte nicht zusammenkommen. Terminkalender spielen nicht mit, Telefonate missglücken, Hindernisse aller Art stellen sich in den Weg, von "Trenn- und "Verhinderungsteufeln" gar ist die Rede. Der Verehrte und Verfehlte ist Alfred Brendel, der verfehlende Verehrer Armin Thurnher. Der bekannte Wiener Journalist und politische Schriftsteller zeigt gewitzt und vergnüglich, wie sich aus solcher an Slapstick grenzender "Verfehlungsgeschichte" ganz von selbst ein veritabler Roman entwickelt. Nicht nur das "Brendelbuch", das der Verleger anregt und die Mutter immer wieder zweifelnd anmahnt, nicht also ein ausgewalztes Interview mit musikalisch-biographischen Lektionen, sondern unversehens ein quicklebendiges Stück wohlorganisierter Literatur.
Natürlich gehört auch Thurnher, der Erzähler, der sich um die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit wenig schert, zum Kartell der Wiener Schmähjournalisten. Satire und Wortwitz gehen ihm leicht von der Hand, die Wiener Gesellschaft gibt eine dankbare Zielscheibe ab. Jetzt freilich geht es um Verehrung, einen regelrechten "Brendel-Tick", und Verehrung ist schwierig, darf jedenfalls nicht umstandslos daherkommen. Nur Ungläubigen ist Verehrung möglich, Gläubige hingegen haben nur Lachen und Kriege - mit dem kryptischen Leitzitat hält sich der Erzähler das Simpel-Affirmative vom Leibe. Deshalb also Umwege, ja "Verfehlungen", bis hin zur Maxime, die Verehrung bestehe geradezu in der Verfehlung: "Ohne Verfehlung keine Verehrung." Wir verstehen: auch heute noch ist ein Ideal nicht einfach zu haben.
Wir nehmen aber auch wahr: Einen Genie-Kult gibt es hier nur mit Augenzwinkern. Als Brendel selbst davon hört, dass das Buchprojekt, das man ihm widmen möchte, den Titel "Die Verfehlung des Alfred Brendel" tragen soll ("aber natürlich ist nicht seine gemeint, sondern meine"), reagiert er ebenso neugierig wie besorgt und denkt sofort, andere Verfehlungen kommen gar nicht in Betracht, an Missgriffe am Klavier, sei er doch bekannt dafür, "nicht immer alle Tasten zu treffen". Ein "Pamphlet" also? "Ich verfehle Sie, Sie verfehlen nichts", beteuert Armin Thurnher, dem sein Einfall und seine "Verfehlungswut" zu Recht gefällt.
Die Zeit der Verfehlungen nutzt er, um seine Verehrungs-Kompetenz nachzuweisen. Auch er hat es am Piano, dank eines Lehrers von besonderer Qualität, zu bescheidenen Fähigkeiten gebracht, zu spät allerdings und von der Frage "Willst du Klavierlehrer werden?" in engen Grenzen gehalten. Immerhin erleben wir den tüchtigen Amateur ("Üben hilft") im Zusammenspiel mit Profis, die sich ihre chinesische Höflichkeit nicht nehmen lassen: "Tan's net komponieren, Herr Doktor." Auch sonst ist Musikalisches an der Tagesordnung.
In Konzerten, Artikeln und Gesprächen lässt der Erzähler sein Bescheidwissen spielen - bis zum "zweiten Vorschlag im ersten Thema des ersten Satzes" in Mozarts a-Moll-Sonate. Neben dem Grundkurs Piano kann der Verehrer aber auch noch ein politisches Schwergewicht in seine Waagschale legen. Thurnher hat just ein Kanzlerbuch betreut und darf nun auf den "roten Kanzler" zählen. Gemeint ist Alfons Gusenbauer, der sich als Brendel-Fan entpuppt und als gebildeter und ordenspendender Begleiter in den letzten Konzerten Brendels eine gute Figur macht, natürlich zum hocherwünschten Missfallen des "schwarzen Blocks".
Auch zeigt Thurnher Abneigungen, die dem Objekt seiner Begierde zugutekommen. Die entschiedenste trägt den Namen Glenn Gould, eher gemischt sind die Gefühle gegenüber Friedrich Gulda. Gulda hat er im Konzert sowie im Interview erlebt, nur wenige Wochen vor dessen Tod. "Als Komponist beklagenswert, als Musikclown großartig", heißt das Resumee. Nur eins lässt Thurnher gelten, die "unmittelbare Evidenz" von Guldas Mozartspiel, obwohl Gulda selbst es mit seinem Ferrari vergleicht: "Glanz, Speed, Glück und Sex, darum gehe es." Ganz anders das Missfallen an Glenn Gould, über den noch immer heftig gestritten wird. Da regiert nicht anpasserische Gutgelauntheit auch zum bösen Spiel, sondern ein melancholischer Manierismus, die "Mystifizierung des exzentrischen Virtuosen" oder auch, mit einem ganz alten Wort der Erledigung, "hysterische Hypochondrie".
Damit ist zugleich das Urteil über jenen Glenn Gould gesprochen, den Thomas Bernhard zum Klavierradikalen stilisiert hatte, der rundum tabula rasa und Untergeherei schafft: "Wir begegnen einem Menschen wie Glenn und sind vernichtet." Auch Gulda und Brendel, bei Bernhard in einem Atemzug genannt, können dem Absoluten nicht standhalten: "Werden Gulda oder Brendel und sind doch nichts." Das hat Thurnher weder vergessen noch vergeben.
Die Aura, die Brendel umgibt, sieht anders aus. Brendel ist lebensfreundlich, hält es mit dem Lachen, dem manchmal "kannibalischen Brendellachen", kennt Witz und sogar den Humor in der Musik, schätzt die Literatur und produziert Gedichte, dämpft selbst die naheliegende Maliziosität gegenüber Kollegen (die "Wolfspianistin"). Da fehlt, kurzum, alles Finster-Gespreizt-Unerbittliche. "Lebensstill" sei es nach Brendels Spiel geworden, heißt es einmal in einer charakteristischen Wendung.
Inzwischen ist der Verehrer längst erhört und reich belohnt worden. Versteht sich, dass das Interview endlich zustande kommt. Man verbringt sogar einen ganzen Tag gemeinsam. Samt Kanzler besucht Thurnher die Abschiedskonzerte Brendels und den letzten Empfang. Als ihn Brendel dann auch noch umarmt - "Brendel hat mich umarmt. Die Umarmung des Alfred Brendel" -, ist das Glück vollkommen.
Thurnher bedankt sich mit glänzend erzählten Interpretationen von Brendels Konzerten und entwirft ein Porträt des Verehrten, das ihn als Klassiker feiert. Denn klassisch, in der Tat, ist nicht nur die zunehmende Beschränkung des Repertoires auf die vier Wiener Fixsterne (mit Haydn als "Altersmusik"), den Klassiker erkennt man auch am "Stil", an seiner "Stilstrebigkeit", die sein Spiel buchstäblich und überwältigend einleuchtend macht, so in Mozarts Klavierkonzert KV 271, dem "Mozartweltwunder" schlechthin: "Jeder Ton, von innen erleuchtet, leuchtet unmittelbar ein." Thurnher weiß natürlich, dass jetzt nur noch Goethe und dessen klassische Definition zuständig ist: "Stil" übertrifft die "Manier", da er auf den "tiefsten Grundfesten der Erkenntnis" beruht. Deshalb die Evidenz, die bis zur Levitation des Pianisten mit seinem Flügel führen kann, deshalb aber auch die geradezu moralische Verpflichtung, den Willen des Komponisten zu erforschen. Und deshalb schließlich die stille Überlegenheit des "Übergängers" über die Hypochondrie der Untergeher-Sekte. Sogar einen Rest bürgerlicher Utopie glaubt Thurnher da in seiner Begeisterung spüren zu können.
Als im tiefen Saal des Musikvereins nach dem letzten öffentlichen Auftritt mit den Symphonikern die Abschiedsreden gehalten werden, dankt Brendel - den Komponisten und entschuldigt sich bei ihnen "für alles, was er ihnen angetan habe". Nicht jeder käme auf eine solche Idee. Bei Thurnher ist sie in guten Händen. Viele Leser sollten sich von seinem Verehrungs-Tick anstecken lassen.
Armin Thurnher: "Der Übergänger". Roman. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lieber als Bernhards den absoluten Kunst- und Selbstabschaffungsbegriff personifizierender "Untergeher" Gould ist dem Rezensenten die im Zentrum von Armin Thurnhers "Gegenbuch" zu Bernhard stehende pragmatische und menschenfreundliche Figur des Übergängers Alfred Brendel. Der "Brendel-Tick" des Autors, der sich in diesem Buch in Form von feuilletonistischen Geschichten über das Wiener Establishment (im Musikverein, im Waldviertel), über den Pianisten selbst und seine Zeitgenossen niederschlägt, ist Rezensent Christoph Bartmann sympathisch. Ebenso die für die urteilsfreie Konfession einer persönlichen Begeisterung (beinahe altmodisch, findet Bartmann) gewählte kleine Form.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das Buch ist äußerst anregend und amüsant, obendrein glänzend geschrieben. (...) Eine sehr komische Verfehlungsgeschichte und eine Liebeserklärung zugleich." Ulrich Weinzierl, Die Welt, 18.08.09
"Thurnhers lustvolles Spiel mit den Worten macht dieses Buch zu einem amüsanten Zeitvertreib." Konrad Holzer, Buchkultur, 10/09
"Hingebungsvolle Hymne, scharfsinnige analytische Biografie, ironische Autobiografie und Fiktion in einem." Judith Schmitzberger, Kurier, 17.10.09
"Leichthändiger, kunstverständiger Roman" Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung, 31.10.09
"Ein quicklebendiges Stück wohlorganisierter Literatur. [...] Viele Leser sollten sich von seinem Verehrungs-Tick anstecken lassen." Hans-Jürgen Schings, 27.02.10
"Die schwärmerische Verbundenheit des Erzählers mit diesem Großen der Musik führt zu feinsinnigen und kenntnisreichen Äußerungen über Musik an sich und im Speziellen zur Klaviermusik." Bettina von Seyfried, Forum Musikbibliothek, 09/
12
"Man sollte diesen geistreichen, witzigen Roman einfach lesen." Lothar Schreiner, Bühne, Mai 2010
"Thurnhers lustvolles Spiel mit den Worten macht dieses Buch zu einem amüsanten Zeitvertreib." Konrad Holzer, Buchkultur, 10/09
"Hingebungsvolle Hymne, scharfsinnige analytische Biografie, ironische Autobiografie und Fiktion in einem." Judith Schmitzberger, Kurier, 17.10.09
"Leichthändiger, kunstverständiger Roman" Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung, 31.10.09
"Ein quicklebendiges Stück wohlorganisierter Literatur. [...] Viele Leser sollten sich von seinem Verehrungs-Tick anstecken lassen." Hans-Jürgen Schings, 27.02.10
"Die schwärmerische Verbundenheit des Erzählers mit diesem Großen der Musik führt zu feinsinnigen und kenntnisreichen Äußerungen über Musik an sich und im Speziellen zur Klaviermusik." Bettina von Seyfried, Forum Musikbibliothek, 09/
12
"Man sollte diesen geistreichen, witzigen Roman einfach lesen." Lothar Schreiner, Bühne, Mai 2010