Arnulf Baring, Jurist, Zeithistoriker, Politikwissenschaftler und Publizist, scheut sich nicht, den Meinungskonformismus politischer Korrektheit mit unbequemen Wahrheiten zu konfrontieren. So liest sich seine Autobiografie auch als scharfsinniger Kommentar zur jüngeren deutschen Geschichte. Baring entwirft das Bild einer beschädigten Nation, die bis heute um ihre Identität im Schatten des Dritten Reiches ringt. Eindringlich warnt er vor der Selbstaufgabe der Deutschen im Namen einer verfehlten Europapolitik und plädiert für die Rückbesinnung auf einen aufgeklärten Patriotismus.
Für ein Ende der Redeverbote - unter diesem Motto beleuchtet Arnulf Baring Schlüsselszenen seiner Biografie. Auf spannende Weise wird nachvollziehbar, wie seine persönlichen Erlebnisse und seine manchmal provozierenden Thesen miteinander verschränkt sind. Ausführlich erzählt er von seiner Kindheit im Dritten Reich, von Paraden und Bombennächten, aber auch von familiären Prägungen und bürgerlicher Normalität. Er schildert das politische Klima der Nachkriegsjahre, seine Erfahrungen als international geschätzter Hochschullehrer und seine Zeit im Bundespräsidialamt, die ihn zum exponierten Chronisten der Ära Brandt/Scheel machte. Zugleich ist das Buch eine meinungsfreudige, höchst aktuelle Bilanz des politischen Essayisten. Zu den Reizthemen gehören Fragen der deutschen Identität im Spannungsfeld von historischer Schuld und gegenwärtiger Krise der europäischen Union sowie Anmerkungen zum politischen und privaten Alltag als Spiegel gesellschaftlicher Verwerfungen. Damit gibt Baring ebenso berraschende wie aufschlussreiche Einblicke in den intellektuellen Kosmos seines Denkens und erweist sich nicht zuletzt als großartiger Erzähler. Schon Sebastian Haffner urteilte ber ihn: "Er ist vielleicht das größte Erzähltalent unter heute schreibenden deutschen Historikern; es ist unmöglich, von Baring nicht gefesselt zu sein."®
Für ein Ende der Redeverbote - unter diesem Motto beleuchtet Arnulf Baring Schlüsselszenen seiner Biografie. Auf spannende Weise wird nachvollziehbar, wie seine persönlichen Erlebnisse und seine manchmal provozierenden Thesen miteinander verschränkt sind. Ausführlich erzählt er von seiner Kindheit im Dritten Reich, von Paraden und Bombennächten, aber auch von familiären Prägungen und bürgerlicher Normalität. Er schildert das politische Klima der Nachkriegsjahre, seine Erfahrungen als international geschätzter Hochschullehrer und seine Zeit im Bundespräsidialamt, die ihn zum exponierten Chronisten der Ära Brandt/Scheel machte. Zugleich ist das Buch eine meinungsfreudige, höchst aktuelle Bilanz des politischen Essayisten. Zu den Reizthemen gehören Fragen der deutschen Identität im Spannungsfeld von historischer Schuld und gegenwärtiger Krise der europäischen Union sowie Anmerkungen zum politischen und privaten Alltag als Spiegel gesellschaftlicher Verwerfungen. Damit gibt Baring ebenso berraschende wie aufschlussreiche Einblicke in den intellektuellen Kosmos seines Denkens und erweist sich nicht zuletzt als großartiger Erzähler. Schon Sebastian Haffner urteilte ber ihn: "Er ist vielleicht das größte Erzähltalent unter heute schreibenden deutschen Historikern; es ist unmöglich, von Baring nicht gefesselt zu sein."®
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2014„Professor
für Plauderei“
Arnulf Barings
selbstironische Erinnerungen
Dass aus Arnulf Baring ein Professor werden könnte, das wollte seiner Mutter, einer kritischen, allem Gerede abgeneigten Frau, nicht einleuchten: „Aber du weißt doch gar nichts.“ Dann lachte sie. „Wenn schon, dann wirst du Professor für
Plauderei.“ Die Geschichte erzählt Baring schon zu Beginn seiner „Autobiografischen Notizen“. Und gleich geht es weiter. Als Hochschullehrer habe er sich immer davor gefürchtet, nach seinen „wissenschaftstheoretischen Prämissen“ gefragt zu werden, weil ihm klar gewesen sei: So etwas hatte er nicht zu bieten. Nicht viele seiner Kollegen würden ähnlich offen über die eigenen Zweifelhaftigkeiten sprechen.
Barings Erinnerungen sind in der Tat „Notizen“. Zur großen Erzählung fehlt es ihnen an epischem Atem, zu stark ist auch die Lust des Autors an der Meinung. Immer wieder verlässt er die Schilderung des Lebensganges, um seinen politischen Überzeugungen Luft zu machen. Man kennt sie: Die Themen, die ihm in den vergangenen zwei Jahrzehnten wichtig waren, handelt er noch einmal ab: das Bekenntnis zur deutschen Nation, die Skepsis gegenüber dem Euro (und überhaupt den großen Hoffnungen, die auf Europa gesetzt werden), die Sorge vor der Überforderung des Sozialstaats, die Abneigung gegen 1968.
Baring ist ein Konservativer, so gibt er sich auch. Aber von der Verpanzerung des Ichs, die damit leicht einhergeht, kann nicht die Rede sein. Das Religiöse ist ihm wichtig, aber nicht in den überlieferten konfessionellen Formen. Obgleich Protestant, schwärmt er von meditativen Erfahrungen in katholischen Klöstern, er machte mit Studenten eine Veranstaltung „Mönchsorden im Mittelalter – eine alternative Lebensform heute?“, lud sie später noch zu Meditationssitzungen nach Hause ein und zeigt sich auch vom Buddhismus beeindruckt. Ein konservativer Mann, der religiös ist, aber nicht christlich-fromm, sondern eher das, was man „spirituell“ nennt – merkwürdig, aber für Baring wohl charakteristisch. Denn dieser Mann hat seine Themen, auf die er immer wieder zurückkommt. Doch als Person ist er nicht stur und auch in seinen Überzeugungen frei von Ressentiment und Giftigkeit.
Am stärksten beeindrucken den Leser wohl die rund vierzig Seiten zur Ära Brandt. Da hatte Baring tiefe Einblicke tun können. Brandt, der die Deutschen menschlich so bewegte, war im privaten Umgang gehemmt. Die Parole „Wir helfen Willy“ von Günter Grass hatte an diesem Punkt ihren Ursprung: Hier war ein Politiker, der Hilfe brauchte, das sprach Intellektuelle an. Baring berichtet, wie er einmal nach einem längeren Gespräch Brandt an den Schultern gepackt und „Armer Kanzler!“ gesagt habe. Erst kurz darauf sei ihm klar geworden, was er sich da geleistet habe; gerade das Ungehörige macht die Situation klar. Dass der Autor in diesem schönen Kapitel vieles bis in den Wortlaut seinem Buch „Machtwechsel“ von 1982 entnimmt, trübt den Eindruck allerdings ein bisschen.
STEPHAN SPEICHER
Arnulf Baring: Der Unbequeme. Autobiografische Notizen. Europa Verlag, 2013. 400 S., 21,90 Euro.
Besonders beeindruckend:
das Kapitel über Willy Brandt
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
für Plauderei“
Arnulf Barings
selbstironische Erinnerungen
Dass aus Arnulf Baring ein Professor werden könnte, das wollte seiner Mutter, einer kritischen, allem Gerede abgeneigten Frau, nicht einleuchten: „Aber du weißt doch gar nichts.“ Dann lachte sie. „Wenn schon, dann wirst du Professor für
Plauderei.“ Die Geschichte erzählt Baring schon zu Beginn seiner „Autobiografischen Notizen“. Und gleich geht es weiter. Als Hochschullehrer habe er sich immer davor gefürchtet, nach seinen „wissenschaftstheoretischen Prämissen“ gefragt zu werden, weil ihm klar gewesen sei: So etwas hatte er nicht zu bieten. Nicht viele seiner Kollegen würden ähnlich offen über die eigenen Zweifelhaftigkeiten sprechen.
Barings Erinnerungen sind in der Tat „Notizen“. Zur großen Erzählung fehlt es ihnen an epischem Atem, zu stark ist auch die Lust des Autors an der Meinung. Immer wieder verlässt er die Schilderung des Lebensganges, um seinen politischen Überzeugungen Luft zu machen. Man kennt sie: Die Themen, die ihm in den vergangenen zwei Jahrzehnten wichtig waren, handelt er noch einmal ab: das Bekenntnis zur deutschen Nation, die Skepsis gegenüber dem Euro (und überhaupt den großen Hoffnungen, die auf Europa gesetzt werden), die Sorge vor der Überforderung des Sozialstaats, die Abneigung gegen 1968.
Baring ist ein Konservativer, so gibt er sich auch. Aber von der Verpanzerung des Ichs, die damit leicht einhergeht, kann nicht die Rede sein. Das Religiöse ist ihm wichtig, aber nicht in den überlieferten konfessionellen Formen. Obgleich Protestant, schwärmt er von meditativen Erfahrungen in katholischen Klöstern, er machte mit Studenten eine Veranstaltung „Mönchsorden im Mittelalter – eine alternative Lebensform heute?“, lud sie später noch zu Meditationssitzungen nach Hause ein und zeigt sich auch vom Buddhismus beeindruckt. Ein konservativer Mann, der religiös ist, aber nicht christlich-fromm, sondern eher das, was man „spirituell“ nennt – merkwürdig, aber für Baring wohl charakteristisch. Denn dieser Mann hat seine Themen, auf die er immer wieder zurückkommt. Doch als Person ist er nicht stur und auch in seinen Überzeugungen frei von Ressentiment und Giftigkeit.
Am stärksten beeindrucken den Leser wohl die rund vierzig Seiten zur Ära Brandt. Da hatte Baring tiefe Einblicke tun können. Brandt, der die Deutschen menschlich so bewegte, war im privaten Umgang gehemmt. Die Parole „Wir helfen Willy“ von Günter Grass hatte an diesem Punkt ihren Ursprung: Hier war ein Politiker, der Hilfe brauchte, das sprach Intellektuelle an. Baring berichtet, wie er einmal nach einem längeren Gespräch Brandt an den Schultern gepackt und „Armer Kanzler!“ gesagt habe. Erst kurz darauf sei ihm klar geworden, was er sich da geleistet habe; gerade das Ungehörige macht die Situation klar. Dass der Autor in diesem schönen Kapitel vieles bis in den Wortlaut seinem Buch „Machtwechsel“ von 1982 entnimmt, trübt den Eindruck allerdings ein bisschen.
STEPHAN SPEICHER
Arnulf Baring: Der Unbequeme. Autobiografische Notizen. Europa Verlag, 2013. 400 S., 21,90 Euro.
Besonders beeindruckend:
das Kapitel über Willy Brandt
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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