• Buch mit Leinen-Einband

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Wer ist schuld am Ersten Weltkrieg? Im Jahr 1918 wird die Frage immer drängender. Da erhält der Bestsellerautor Gustav Meyrink in seiner Villa am Starnberger See ein Angebot vom Auswärtigen Amt: Ob er - gegen gutes Honorar - bereit wäre, einen Roman zu schreiben, der den Freimaurern die Verantwortung für das Blutvergießen zuschiebt. Der ganz und gar unpatriotische Schriftsteller und Yogi kassiert den Vorschuss - und bringt sich damit in Teufels Küche.

Produktbeschreibung
Wer ist schuld am Ersten Weltkrieg? Im Jahr 1918 wird die Frage immer drängender. Da erhält der Bestsellerautor Gustav Meyrink in seiner Villa am Starnberger See ein Angebot vom Auswärtigen Amt: Ob er - gegen gutes Honorar - bereit wäre, einen Roman zu schreiben, der den Freimaurern die Verantwortung für das Blutvergießen zuschiebt. Der ganz und gar unpatriotische Schriftsteller und Yogi kassiert den Vorschuss - und bringt sich damit in Teufels Küche.
Autorenporträt
Christoph Poschenrieder, geboren 1964 bei Boston, studierte Philosophie in München und Journalismus in New York. Seit 1993 arbeitet er als freier Journalist und Autor von Dokumentarfilmen. Heute konzentriert er sich auf das literarische Schreiben. Sein Debüt ¿Die Welt ist im Kopf¿ wurde vom Feuilleton gefeiert und war auch international erfolgreich. Mit ¿Das Sandkorn¿ war er 2014 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Christoph Poschenrieder lebt in München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2019

LITERATUR
Als der Buddha vom See eine Schreibkrise hatte
Der Autor des Schauerklassikers „Der Golem“ soll einen Propagandaroman liefern. Aber er kann nicht. Aus dieser Episode im
Leben von Gustav Meyrink hat Christoph Poschenrieder einen Roman gemacht. Er erinnert an einen schillernden Intellektuellen
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Der Grabstein von Gustav Meyrink auf dem Starnberger Friedhof trägt eine Inschrift, von der je ein Buchstabe in den Feldern eines geviertelten Kreises steht: VIVO, lateinisch für „Ich lebe“. Das mag damit zu tun haben, dass der Schriftsteller, der einige Jahre vor seinem Tod zum Buddhismus konvertiert war, an Reinkarnation glaubte. Oder es bezeugt, dass er die posthume Strahlkraft seines Schaffens sehr optimistisch einschätzte.
Doch abgesehen davon, dass sein zum Klassiker avancierter Prager Schauerroman „Der Golem“ hier und da herumspukt: Wem ist Meyrink, 1868 als Gustav Meyer in Wien geboren, 1932 in Starnberg gestorben, heute noch geläufig? Außer der Literaturwissenschaft, deren Haltung zu seinem Werk zwischen Faszination, Skepsis und Belustigung schwankt, wohl am ehesten jenen, die sich für mystische und okkulte Traditionen interessieren. Denn der Schreibberuf, den er erst nach 1900 ergriff, war für Meyrink nur Mittel zum Zweck: Er diente einerseits dem Broterwerb, andererseits der spirituellen Erkenntnissuche, die für ihn Vorrang vor allem anderen hatte.
Schon diese Konstellation signalisiert, dass Meyrink, unehelicher Sohn einer Schauspielerin und eines württembergischen Staatsministers, zu den schillerndsten Gestalten der deutschsprachigen Literatenszene des frühen 20. Jahrhunderts zählte. In München und Hamburg aufgewachsen, in Prag zum Kaufmann ausgebildet, dortselbst als Bankier gescheitert und nach Intermezzi in Wien und Montreux wieder nach Bayern übergesiedelt, verkehrte er in Intellektuellen- wie in Okkultistenzirkeln, war Hedonist und Dandy, Schachspieler und Sportler, Autopionier und praktizierender Yogi und gehörte diversen Logen und Geheimbünden an. „Nichts an ihm war regelrecht und alles echt,“ erinnerte sich sein Freund Alexander Roda Roda, „die Lebensanschauung ein Mosaik von Widersprüchen, schierer Nihilismus neben abgrundtiefer Gläubigkeit.“
Literarisch mündeten die Paradoxien in eine Vermischung von Esoterik, nachromantischer Fantastik und antibürgerlicher Satire, die bis heute ihresgleichen sucht. Allerdings wäre Derartiges nur noch schwer vermittelbar in unserer durchkorrigierten, schubladenhörigen Gegenwart, in der „yogisches Gelächter“ entweder als Wellnesstechnik vermarktet oder nahe der Anstaltsreife verortet wird. Dass man aber auch damals in manchen Kreisen nicht überblickte, wo man diesen Meyrink eigentlich hinstecken sollte, zeigt die kuriose Episode aus seinem Leben, die der Münchner Autor Christoph Poschenrieder in seinem neuen Buch „Der unsichtbare Roman“ nacherzählt.
Ein Jahr vor dem Ende des Ersten Weltkriegs stellt das Auswärtige Amt in Berlin an Gustav Meyrink das Ansinnen, einen Propagandaroman zu schreiben, der die Schuld am Kriegsausbruch den Freimaurern, insbesondere den italienischen und französischen, in die Schuhe schieben soll. Gegen ein großzügiges Honorar, das zu diesem Zeitpunkt sehr willkommen wäre, denn der Bestsellererfolg des „Golem“ hat sich nicht wiederholt, und der Schriftsteller ist zwar Yogi, aber kein Asket, und Villa, Segelboot, Automobil und Familie wollen finanziert sein.
Dass man sich ausgerechnet an ihn wendet, ist merkwürdig genug, denn er gehört zwar nicht zu den Freimaurern, müsste aber wegen seiner weltanschaulichen Orientierung zu deren Sympathisanten gerechnet werden. Auch ist er mit seinen Satiren, die im „Simplicissimus“ und im Sammelband „Des deutschen Spießers Wunderhorn“ erschienen sind, als scharfzüngiger Kritiker des wilhelminischen Staates im Allgemeinen und des Militärs im Besonderen hervorgetreten. Doch gerade das, belehrt man ihn, würde dem Machwerk Glaubwürdigkeit verleihen.
Was sich über die Hintergründe des dubiosen Projekts herausfinden ließ, hat Christoph Poschenrieder in seine Rekonstruktion aufgenommen und mit Recherchenotizen dokumentiert. Lücken, Widersprüche und mögliche Varianten sind inbegriffen und dienen als Spielmaterial. Verbürgt ist, dass Meyrink den Auftrag samt Vorschuss akzeptierte und von den Hintermännern mit einschlägiger Literatur versorgt wurde. Belegen lässt sich auch, dass man ihm nach einigen Monaten wegen Ergebnismangels die Mission wieder entzog, um sie an den deutschnational gesinnten Österreicher Friedrich Wichtl weiterzureichen, dessen Pamphlet „Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik“ im Jahr 1919 erschien. Was sich in der Zwischenzeit im Innern des Autors Meyrink und um ihn herum abspielte, bleibt der Spekulation Poschenrieders überlassen, der sich schon des Öfteren in historische Stoffe und Figuren mit angenehmer Leichtigkeit eingefühlt hat.
Er inszeniert Meyrinks Zögern, seine Blockade, die durch immer neue Anläufe unterbrochen wird, als Schreibkrise vom Feinsten, die mühelos auf weniger brisante Fälle aus dem Schriftstelleralltag übertragbar ist. Aber nicht nur als Meister der Prokrastination wird der „Buddha vom See“ vorgeführt, sondern zugleich als der klar denkende, oft schlitzohrige Ironiker, der er, trotz seiner Tiefenbohrungen in der Geisterwelt, eben auch war: In diesen Wesenszug Meyrinks kann Poschenrieder sich gut hineinversetzen, ebenso wie in die groteske Lage, in die der unpolitische Individualist durch den Sonderauftrag geriet.
Alles Okkulte und Irrationale bleibt diskret ausgespart, und dass das Buch mit einer spiritistischen Séance beginnt, die slapstickartige Züge trägt, wirkt wie eine Hommage an jenen Meyrink, der selbst gegen solche Praktiken polemisierte. (Und an seinen Biografen, den Kafka-Spezialisten Hartmut Binder, denn ein „Hartmut“ soll aus dem Jenseits herbeigerufen werden.)
Die verhaltene Komik der Erzählung wird noch bereichert durch Abschweifungen zu den Anfängen der Münchner Räterepublik, deren Protagonisten Erich Mühsam und Kurt Eisner hier aus der Beobachterperspektive Meyrinks neue Konturen gewinnen. Aber das ist nur ein Nebeneffekt. Vor allem gelingt es Christoph Poschenrieder mit diesem kleinen, doch zum Glück deutlich sichtbaren Roman, einen Schriftsteller zu vergegenwärtigen, der es verdient, der relativen Unsichtbarkeit entrissen zu werden. Auf dass sich sein Grab-Orakel doch noch erfüllen möge – falls er nicht schon wieder leibhaftig unter uns weilt.
Gegen ein großzügiges Honorar
soll er den Freimaurern in einem
Buch die Kriegsschuld zuschieben
Vielleicht erfüllt sich das Orakel
seines Grabsteins noch – oder er
weilt längst wieder unter uns
Gustav Meyrink wurde 1868 in Wien geboren, zog 1911 nach Starnberg, konvertierte 1927 zum Buddhismus und starb 1932.
Foto: Scherl/SZ Photo
Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2019. 272 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2020

Vom Gustl und Gigerl zum Yogi
Gut sichtbar und lesbar: Christoph Poschenrieders "Unsichtbarer Roman" über Gustav Meyrink

Wie Pat Barker hat auch Christoph Poschenrieder eine Trilogie des Ersten Weltkriegs geschrieben. Aber im Gegensatz zu der englischen Schriftstellerin erzählt er nicht chronologisch-realistisch, sondern eher ironisch augenzwinkernd, mit einem dokumentarischen Gestus, der die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verschwimmen lässt. In seinem etwas überambitionierten Roman "Der Spiegelkasten" ließ Poschenrieder die Phantomschmerzen und echten Neurosen der Kriegszitterer in den Gerätschaften und magischen Effekten der digitalen Moderne aufscheinen. In "Das Sandkorn" fiel ein homosexueller Kunsthistoriker aus seiner Rolle als Indiana Jones deutschnationaler Geschichtsklitterung und begann in den Straßen Berlins buchstäblich Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie zu streuen. Im dritten Band seiner Weltkriegstrilogie porträtiert Poschenrieder nun wieder einen Künstler, der die wilhelminische Kriegs- und Lügenindustrie von innen her zersetzt: Gustav Meyrink (1868 bis 1932), Autor des "Golem" und als Mitarbeiter des "Simplicissmus" ein scharfer Kritiker des deutschen Spießertums.

Historisch verbürgt ist, dass Meyrink 1917 im Auftrag der Propagandaabteilung des Auswärtigen Amts einen Roman schreiben sollte, der die damals schon leidige Kriegsschuldfrage ein für alle Mal beantworten würde: Verantwortlich für alles war, natürlich, wieder mal das internationale Freimaurertum. Wie das Außenministerium ausgerechnet auf den "Golem"-Autor verfiel, lässt sich heute nur noch schwer nachvollziehen. Meyrink war berühmt und berüchtigt für seine Exzentrik, seine Freigeisterei und seine Satiren auf Vaterlandsaffen, Pastorenweibsen und "Teutobolde"; die Rechten beschimpften ihn als dekadenten "völkischen Schädling" und mutmaßlichen Juden.

In Berlin war man aber offenbar geneigt, über Meyrinks zweifelhaften Ruf hinwegzusehen: Ein linker Autor konnte die Glaubwürdigkeit rechter Verschwörungstheorien nur fördern, und "wenn es außerdem unterhaltsam wäre, schadet es auch nichts". "Wir machen hier Propaganda", klärt bei Poschenrieder der zuständige Legationsrat auf: "Das ist nicht die feine Dichtkunst. Da muss sich nichts reimen. Es geht nicht um Stil. Es geht um Wirkung." Meyrink selber reagiert anfangs irritiert: Warum gerade er, warum nicht Frenssen oder Ganghofer? Und warum gerade Freimaurer? Warum nicht die Juden als übliche Schuldige, Friseure oder Mohikaner, wie Erich Mühsam spottet?

Andererseits, warum nicht? Meyrink erwies sich in seinem Leben mehrfach als außerordentlich wandlungsfähig. Geboren als Gustav Meyer, Spross einer Affäre zwischen einer Schauspielerin und einem württembergischen Minister, war er Bankier und verurteilter Betrüger, Okkultist und Aufklärer, Gigerl und Ruderer, Yogi, Spiritist und leidenschaftlicher Automobilist. Der Yoga, wie das damals noch hieß, heilt ihn von seinem Rückenleiden und wird zu seiner Religion. Mit dem Schreiben begann er erst spät, mit Mitte dreißig, und nur des Geldes wegen. Andererseits sagt seine Frau im Roman: "Der Gustl ist der Gustl so richtig nur, wenn der Gustl schreibt."

1917 ist der Ruhm des "Golem"-Gustl allerdings schon verblasst. Die Villa am Starnberger See, Segelboot und Automobil wollen bezahlt sein, und so nimmt Meyrink das unsittliche Angebot schließlich an. Sein Führungsoffizier ist übrigens Bernhard von Hahn, nicht Kurt Hahn, der im selben Amt arbeitet. Poschenrieder spielt die Namensgleichheit zwischen Legationsrat und Reformpädagoge bis hinein in Archivrecherchen und Briefwechsel mit seiner Lektorin durch. Aber ob Hahn, Huhn oder Ei: Als Ghostwriter eines zu allem fähigen Literaten läuft auch Poschenrieder (der sogar erst mit Mitte vierzig zu schreiben begann) zu großer Form auf.

Der Freimaurer-Roman wird darum nicht schneller fertig. Meyrink leidet zum ersten Mal an Schreibblockade und moralischer Prokrastination: Ihn ekelt vor der Vorstellung, seinen leidlich guten Ruf für Fake News und Lügenpropaganda zu verkaufen. So überhört er das lauter werdende Drängen aus Berlin und flüchtet sich lieber nach München, wo sich gerade Revolution und Räterepublik zusammenbrauen. Meyrink kennt die Helden der Bierhallen und Kaffeehäuser: Mit Erich Mühsam ist er befreundet, Kurt Eisner genießt seinen kollegialen Respekt. Als sich die Auftraggeber des Freimaurer-Machwerks nicht mehr länger hinhalten lassen, liefert er einen Roman ab, der, ohne Farbbänder rasch auf weißes Papier getippt, buchstäblich unlesbar wird. Was aber bleibt, stiften die Dichter, und was sichtbar oder jedenfalls gut lesbar ist, verdanken wir Poschenrieder. Sein erster, doppeldeutiger Satz "Es klopft" - mitten in eine spiritistische Sitzung in Meyrinks Villa platzt der Bote aus Berlin - ist auch der Anfang und das Ende von Meyrinks Auftragsroman.

Meyrink, der Hobby-Alchemist, Banker und Ungustl, macht aus Dreck Gold und aus Propaganda Literatur, und sein Doppelgänger Poschenrieder macht es ihm nach. "Der unsichtbare Roman" hat, wie jeder andere Roman auch, Anfang, Mitte und Ende, Vor- und Nachwort; er ist ein feines Lebensbild des Schriftstellers Meyrink, aber eigentlich eher eine Sammlung von Porträts, Anekdoten und ironischen Betrachtungen als ein richtiger Roman. Poschenrieder beschreibt das "innere Schauen" im Schreibprozess und reflektiert sich in Meyrink als gehobener Unterhaltungsautor mit politischer Verantwortung; derart hat die launig-luftige postmoderne Scharade immer auch einen ernsten doppelten Boden. Meyrink war 1918 als Schriftsteller erledigt; Spätwerke wie "An der Grenze des Jenseits" oder "Der Engel vom westlichen Fenster" verkauften sich nur noch schleppend. 1928 verkaufte er seine Villa und trat zum Buddhismus über. Seinen Freimaurer-Roman hat übrigens ein gewisser Friedrich Wichtl zu Ende geschrieben: Dieser Dr. Wichtl, Geigenlehrer und deutschnationaler Politiker, veröffentlichte 1919 das vielgelesene Schauermärchen "Weltfreimaurerei - Weltrevolution - Weltrepublik".

MARTIN HALTER

Christoph Poschenrieder: "Der unsichtbare Roman". Roman.

Diogenes Verlag,

Zürich 2019. 272 S.,

geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Der hat so einen Spaß am Formulieren, dieser Christoph Poschenrieder - einer der besten deutschen Schriftsteller zurzeit.« Kristian Thees / SWR SWR
LITERATUR

Als der Buddha vom See eine Schreibkrise hatte

Der Autor des Schauerklassikers „Der Golem“ soll einen Propagandaroman liefern. Aber er kann nicht. Aus dieser Episode im
Leben von Gustav Meyrink hat Christoph Poschenrieder einen Roman gemacht. Er erinnert an einen schillernden Intellektuellen

VON KRISTINA MAIDT-ZINKE

Der Grabstein von Gustav Meyrink auf dem Starnberger Friedhof trägt eine Inschrift, von der je ein Buchstabe in den Feldern eines geviertelten Kreises steht: VIVO, lateinisch für „Ich lebe“. Das mag damit zu tun haben, dass der Schriftsteller, der einige Jahre vor seinem Tod zum Buddhismus konvertiert war, an Reinkarnation glaubte. Oder es bezeugt, dass er die posthume Strahlkraft seines Schaffens sehr optimistisch einschätzte.

Doch abgesehen davon, dass sein zum Klassiker avancierter Prager Schauerroman „Der Golem“ hier und da herumspukt: Wem ist Meyrink, 1868 als Gustav Meyer in Wien geboren, 1932 in Starnberg gestorben, heute noch geläufig? Außer der Literaturwissenschaft, deren Haltung zu seinem Werk zwischen Faszination, Skepsis und Belustigung schwankt, wohl am ehesten jenen, die sich für mystische und okkulte Traditionen interessieren. Denn der Schreibberuf, den er erst nach 1900 ergriff, war für Meyrink nur Mittel zum Zweck: Er diente einerseits dem Broterwerb, andererseits der spirituellen Erkenntnissuche, die für ihn Vorrang vor allem anderen hatte.

Schon diese Konstellation signalisiert, dass Meyrink, unehelicher Sohn einer Schauspielerin und eines württembergischen Staatsministers, zu den schillerndsten Gestalten der deutschsprachigen Literatenszene des frühen 20. Jahrhunderts zählte. In München und Hamburg aufgewachsen, in Prag zum Kaufmann ausgebildet, dortselbst als Bankier gescheitert und nach Intermezzi in Wien und Montreux wieder nach Bayern übergesiedelt, verkehrte er in Intellektuellen- wie in Okkultistenzirkeln, war Hedonist und Dandy, Schachspieler und Sportler, Autopionier und praktizierender Yogi und gehörte diversen Logen und Geheimbünden an. „Nichts an ihm war regelrecht und alles echt,“ erinnerte sich sein Freund Alexander Roda Roda, „die Lebensanschauung ein Mosaik von Widersprüchen, schierer Nihilismus neben abgrundtiefer Gläubigkeit.“

Literarisch mündeten die Paradoxien in eine Vermischung von Esoterik, nachromantischer Fantastik und antibürgerlicher Satire, die bis heute ihresgleichen sucht. Allerdings wäre Derartiges nur noch schwer vermittelbar in unserer durchkorrigierten, schubladenhörigen Gegenwart, in der „yogisches Gelächter“ entweder als Wellnesstechnik vermarktet oder nahe der Anstaltsreife verortet wird. Dass man aber auch damals in manchen Kreisen nicht überblickte, wo man diesen Meyrink eigentlich hinstecken sollte, zeigt die kuriose Episode aus seinem Leben, die der Münchner Autor Christoph Poschenrieder in seinem neuen Buch „Der unsichtbare Roman“ nacherzählt.

Ein Jahr vor dem Ende des Ersten Weltkriegs stellt das Auswärtige Amt in Berlin an Gustav Meyrink das Ansinnen, einen Propagandaroman zu schreiben, der die Schuld am Kriegsausbruch den Freimaurern, insbesondere den italienischen und französischen, in die Schuhe schieben soll. Gegen ein großzügiges Honorar, das zu diesem Zeitpunkt sehr willkommen wäre, denn der Bestsellererfolg des „Golem“ hat sich nicht wiederholt, und der Schriftsteller ist zwar Yogi, aber kein Asket, und Villa, Segelboot, Automobil und Familie wollen finanziert sein.

Dass man sich ausgerechnet an ihn wendet, ist merkwürdig genug, denn er gehört zwar nicht zu den Freimaurern, müsste aber wegen seiner weltanschaulichen Orientierung zu deren Sympathisanten gerechnet werden. Auch ist er mit seinen Satiren, die im „Simplicissimus“ und im Sammelband „Des deutschen Spießers Wunderhorn“ erschienen sind, als scharfzüngiger Kritiker des wilhelminischen Staates im Allgemeinen und des Militärs im Besonderen hervorgetreten. Doch gerade das, belehrt man ihn, würde dem Machwerk Glaubwürdigkeit verleihen.

Was sich über die Hintergründe des dubiosen Projekts herausfinden ließ, hat Christoph Poschenrieder in seine Rekonstruktion aufgenommen und mit Recherchenotizen dokumentiert. Lücken, Widersprüche und mögliche Varianten sind inbegriffen und dienen als Spielmaterial. Verbürgt ist, dass Meyrink den Auftrag samt Vorschuss akzeptierte und von den Hintermännern mit einschlägiger Literatur versorgt wurde. Belegen lässt sich auch, dass man ihm nach einigen Monaten wegen Ergebnismangels die Mission wieder entzog, um sie an den deutschnational gesinnten Österreicher Friedrich Wichtl weiterzureichen, dessen Pamphlet „Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik“ im Jahr 1919 erschien. Was sich in der Zwischenzeit im Innern des Autors Meyrink und um ihn herum abspielte, bleibt der Spekulation Poschenrieders überlassen, der sich schon des Öfteren in historische Stoffe und Figuren mit angenehmer Leichtigkeit eingefühlt hat.

Er inszeniert Meyrinks Zögern, seine Blockade, die durch immer neue Anläufe unterbrochen wird, als Schreibkrise vom Feinsten, die mühelos auf weniger brisante Fälle aus dem Schriftstelleralltag übertragbar ist. Aber nicht nur als Meister der Prokrastination wird der „Buddha vom See“ vorgeführt, sondern zugleich als der klar denkende, oft schlitzohrige Ironiker, der er, trotz seiner Tiefenbohrungen in der Geisterwelt, eben auch war: In diesen Wesenszug Meyrinks kann Poschenrieder sich gut hineinversetzen, ebenso wie in die groteske Lage, in die der unpolitische Individualist durch den Sonderauftrag geriet.

Alles Okkulte und Irrationale bleibt diskret ausgespart, und dass das Buch mit einer spiritistischen Séance beginnt, die slapstickartige Züge trägt, wirkt wie eine Hommage an jenen Meyrink, der selbst gegen solche Praktiken polemisierte. (Und an seinen Biografen, den Kafka-Spezialisten Hartmut Binder, denn ein „Hartmut“ soll aus dem Jenseits herbeigerufen werden.)

Die verhaltene Komik der Erzählung wird noch bereichert durch Abschweifungen zu den Anfängen der Münchner Räterepublik, deren Protagonisten Erich Mühsam und Kurt Eisner hier aus der Beobachterperspektive Meyrinks neue Konturen gewinnen. Aber das ist nur ein Nebeneffekt. Vor allem gelingt es Christoph Poschenrieder mit diesem kleinen, doch zum Glück deutlich sichtbaren Roman, einen Schriftsteller zu vergegenwärtigen, der es verdient, der relativen Unsichtbarkeit entrissen zu werden. Auf dass sich sein Grab-Orakel doch noch erfüllen möge – falls er nicht schon wieder leibhaftig unter uns weilt.

Gegen ein großzügiges Honorar
soll er den Freimaurern in einem
Buch die Kriegsschuld zuschieben

Vielleicht erfüllt sich das Orakel
seines Grabsteins noch – oder er
weilt längst wieder unter uns

Gustav Meyrink wurde 1868 in Wien geboren, zog 1911 nach Starnberg, konvertierte 1927 zum Buddhismus und starb 1932.

Foto: Scherl/SZ Photo

Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2019. 272 Seiten, 24 Euro.

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