Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 8,62 €
Produktdetails
  • Verlag: Edition Memoria / Schumann
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 215
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 348g
  • ISBN-13: 9783930353088
  • ISBN-10: 3930353083
  • Artikelnr.: 07812307
Autorenporträt
Elisabeth Mann Borgese, geboren 1918 in München, 1933 Emigration mit den Eltern in die Schweiz. Nach Abitur Diplom als Pianistin. 1938 Übersiedlung in die USA, 1939 Heirat mit dem aus Italien emigirierten antifaschistischen Schriftsteller G. A. Borgese.
Seit den fünfziger Jahren engagierte sich die Autorin auf vielfältige Weise für Demokratie, Umweltschutz und Meereserhalt. Sie war Gründerin des International Ocean Institute, Mitbegründerin des Club of Rome und Professorin für Politische Wissenschaften und Seerecht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.1998

Wenn die Affen dirigieren
Jenseits des Zauberbergs: Erzählungen von Elisabeth Mann Borgese

Den bekannten Dirigenten Bruno Walter schauderte es beim Lesen der Erzählung "Die Probe" von Elisabeth Mann Borgese. Als Diktatoren und Hypnotiseure, als Duces und Führer verachtet sie darin die Konzertmeister des Orchesters. Und die Welt des Musiksaals geht aus den Fugen, als ein Affe das Pult besteigt und die Probe zu Ravels "Bolero" leitet. Das Tier hetzt das Orchester bis zur Verzückung, ja Besessenheit, es treibt die Schlagzeuger und Bläser in den Urwaldrhythmus und das ganze Orchester in "höllische Fortissimi, Disharmonien, barbarische Figuretten". Die Groteske des selbstherrlichen Dirigenten schlägt um in die Groteske der rebarbarisierten Musik. In die Zivilisation bricht der Urwald ein.

Die Autorin dieser Musiker-Erzählung war nicht fachfremd. Sie hatte nach dem Abitur in der Schweiz ein Konzertdiplom als Pianistin erworben, bevor sie 1938 mit ihren Eltern Katja und Thomas Mann in die Vereinigten Staaten emigrierte. Der Band mit der Erzählung "Die Probe" (1965) erschien zunächst in englischer Sprache in New York, dann, in gültiger Übersetzung von Christel und Helmut Wiemken, unter dem Titel "Zwei Stunden" bei Hoffmann & Campe. Er war lange Zeit vergriffen und liegt jetzt in der "Edition Memoria" wieder vor.

Also auch Elisabeth, zweitjüngstes der sechs Kinder Thomas Manns, im schriftstellernden Metier? Nur gastweise - dieser Erzählungsband blieb, neben einigen Theaterstücken, ein Einzelgänger. Immerhin mag "Die Probe" ein Echo auf des Vaters Novelle "Mario und der Zauberer" sein, auf die antifaschistische Parabel, die "Warnung vor der Vergewaltigung durch das diktatorische Wesen".

Als die Erzählungen entstanden, war Elisabeth Mann schon mehr in der englischen als in der deutschen Sprache zu Hause. Sie hatte in Amerika den aus Italien emigrierten Historiker Giuseppe Borgese geheiratet und sah bald ihre Aufgabe im publizistischen Kampf für die Rettung der Meere vor globaler Umweltverschmutzung. Seit 1980 ist sie Universitätsprofessorin für Seerecht im kanadischen Halifax.

Während der Arbeit an der Erzählung "Die Probe" wußte sie noch nicht, daß sie selbst einmal die Lernfähigkeiten von Tieren erproben, einem Schimpansen einige Wörter der menschlichen Sprache und Hunden das Spiel auf einem Hundeklavier beibringen würde. Experiment und Test sind Grundmotive auch ihres Erzählens. In einer der Geschichten empfiehlt sich in einer Anzeige ein "Selbstverkäufer" als Maschinenersatz, als allen Robotern überlegener Arbeiter. Nach den Grenzen menschlicher Individualität fragt die Geschiche zweier Zwillingsbrüder, in der biologische und philosophische Aspekte von einer Abenteuer- und Kriminalstory umkleidet werden. Läßt sich menschliches Leben einfrieren und nach hundert (oder mehr) Jahren "wieder auftauen"? Die Titelerzählung "Der unsterbliche Fisch" läßt die Utopie nur triumphieren, um den Leser zugleich zu desillusionieren.

Ganz auf Satire eingestellt ist die Kritik an absurden Erscheinungen des modernen Kosmetik-Gewerbes. Mit tragisch eingefärbter Ironie umspielen moderne Varianten die mythischen Motive der Pythia ("Das andere Delphi") und des Hades ("Der Sund"). Im Paket der Erzählungen wirken einige ein wenig wie Verpackungswatte. Ein Kernstück der Sammlung aber ist die Variation der Kaspar-Hauser-Geschichte ("Der Mongole"): Die Furcht der Mutter vor einem gesellschaftlichen Skandal preßt einen Jungen in die Rolle des mongoloiden Kindes, das Kind rächt sich und bleibt dennoch von der Gemeinschaft der Mündigen ausgeschlossen.

Auch wenn das Interesse an der Erzählerin zum Teil der Tochter Thomas Manns gilt, wird keiner in Versuchung kommen, ihre Prosa an der des Vaters zu messen. Doch muß sich Elisabeth Mann Borgese in der schriftstellernden Familie nicht verstecken. Sie ist gegenüber dem Vater und den Geschwistern einen sehr respektablen eigenen Weg gegangen: den der unmittelbaren Einmischung in die Zusammenhänge wirtschaftlichen und weltpolitischen Handelns; sie ist einziges weibliches Mitglied des Club of Rome, Autorin des Buches "Drama des Meeres" (1974) und Gründerin des internationalen Ozean-Instituts in Malta - ausgezeichnet mit einem internationalen Umweltpreis. Sie wird heute achtzig Jahre alt. Die Wiederentdeckung der Erzählerin, die den "Zauberberg" der Literatur eigentlich verlassen hat, kommt zur rechten Zeit. WALTER HINCK

Elisabeth Mann Borgese: "Der unsterbliche Fisch". Erzählungen. Edition Memoria, Hürth 1998. 216 Seiten, geb., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr