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Die Auftragstaktik wird in der Literatur als wesentlicher Grund für die deutschen taktisch-operativen Erfolge in den Kriegen von 1866 bis 1945 bezeichnet. Die vorliegende Studie untersucht dieses Führungsprinzip für das deutsche Heer von 1935 bis 1945 erstmals aus ganzheitlicher Sicht, indem sie Theorie und Praxis, d.h. normative Handlungsvorgaben und die konkrete Umsetzung im Feld vergleicht. Im ersten Kapitel wird anhand von Dienstvorschriften und Ausbildungsunterlagen Auftragstaktik als normative Größe analysiert und idealtypisch dargestellt. Im zweiten Kapitel wird an ausgewählten…mehr

Produktbeschreibung
Die Auftragstaktik wird in der Literatur als wesentlicher Grund für die deutschen taktisch-operativen Erfolge in den Kriegen von 1866 bis 1945 bezeichnet. Die vorliegende Studie untersucht dieses Führungsprinzip für das deutsche Heer von 1935 bis 1945 erstmals aus ganzheitlicher Sicht, indem sie Theorie und Praxis, d.h. normative Handlungsvorgaben und die konkrete Umsetzung im Feld vergleicht. Im ersten Kapitel wird anhand von Dienstvorschriften und Ausbildungsunterlagen Auftragstaktik als normative Größe analysiert und idealtypisch dargestellt. Im zweiten Kapitel wird an ausgewählten Beispielen der preußisch-deutschen Operationsgeschichte aufgezeigt, wie sehr die praktische Umsetzung der Auftragstaktik auf taktisch-operativer Führungsebene häufig Probleme verursachte. Das letzte Kapitel rekonstruiert die Angriffs- und Verteidigungsoperationen dreier Divisionen des Jahres 1942 und verdeutlicht, wie Auftragstaktik auf taktischer Stufe angewendet wurde. Insgesamt relativieren die Ergebnisse das bisher gezeichnete Bild der Auftragstaktik. Nicht nur kommt der straffen Führung eine weit wichtigere Rolle als bisher angenommen zu, auch hing der Grad der Selbstständigkeit und Initiative unterer Führer stark vom Führungsverständnis des vorgesetzten Truppenführers ab. Letztlich war die Auffassung darüber, was mit Auftragstaktik gemeint war und wie sie praktiziert werden sollte, in der preußisch-deutschen militärischen Denkschule bei Weitem nicht so monolithisch, wie die Forschung bis heute gerne suggeriert.
Autorenporträt
Dr. phil. Marco Sigg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Militärgeschichte der Militärakademie an der ETH Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2015

Eingehegte Selbständigkeit
Auftragstaktik im Heer

Jeder Offizier ein kleiner Moltke: War das Führungsprinzip, nachgeordneten Truppenkommandeuren jenseits starrer Befehle gewisse Handlungsspielräume in der Umsetzung von operativen und taktischen Aufträgen zu geben, die Zauberformel für die Erfolge der deutschen Streitkräfte von Otto von Bismarck bis Adolf Hitler? Gab diese sogenannte Auftragstaktik dem Offizier gar die Möglichkeit, militärisch oder moralisch fragwürdige Befehle zu ignorieren? Die Auftragstaktik wurde bisher in der Regel keineswegs so einseitig, übertrieben und verzerrt bewertet, wie vom Autor Marco Sigg suggeriert wird. Er folgt damit leider dem wissenschaftlichen Trend, zunächst einen Popanz zu erschaffen, um ihn dann mit viel Aplomb zu zerlegen. Die Dekonstruktion von angeblichen Mythen ist noch nicht innovativ, und neue Begrifflichkeiten sichern nicht automatisch Erkenntnisfortschritt. Dabei wäre der nachvollziehbare Versuch, sich abzugrenzen und originell zu erscheinen, nicht nötig gewesen, denn Sigg ist auch so eine wichtige Studie gelungen.

Das Buch bietet die bisher gründlichste Untersuchung zu Theorie und Praxis der Auftragstaktik und damit zu einem Thema, das für die Organisation militärischer Abläufe von zentraler Bedeutung ist. Der erste Teil konzentriert sich auf eine detaillierte Begriffsanalyse. Auch beim Phänomen Auftragstaktik stand am Anfang Clausewitz mit der grundlegenden Erkenntnis, die so gar nicht mit dem deutschen Ordnungssinn kompatibel war: Der Krieg sei "ein wahres Chamäleon", geprägt von Wandlungen und Zufällen. Die zahllosen "Friktionen", ein Schlüsselbegriff des preußischen Militärtheoretikers, könne nur der "feste Wille eines stolzen Geistes" überwinden. Von Clausewitz war es nur ein kleiner Schritt zum Voluntarismus und Dezisionismus der militärischen Denkschule, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Führungsdoktrin des preußisch-deutschen Heeres prägte. Der theoretischen Begründung folgten bald die Vorschriften, die dem einzelnen Offizier die Verantwortung übertrugen, auf unvorhersehbare Veränderungen der Gefechtslage flexibel und selbständig zu reagieren - auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen, denn Nichtstun schien schlimmer zu sein als falsches Handeln.

Der Kult der Willenskraft und der Initiative führte aber keineswegs zum Freibrief, dass jeder Truppenführer nach eigenem Gutdünken agieren könne. Wie der Autor überzeugend darlegt, wurden im Führungsverständnis die drei aktionistischen Elemente Entschlossenheit, Selbständigkeit und Offensivdenken durch die vier regulativen Elemente Gehorsam, Einheitlichkeit der Handlung, Urteilsvermögen und komplexe Befehlsgebung eingehegt. Diese normativen Vorgaben sollten auch beachtet werden, wenn eine überraschende Situation eigenständiges Handeln erforderte, also das Führungsprinzip Auftragstaktik zur Anwendung kam.

Der zweite Teil der Arbeit relativiert in einem Parforceritt durch die deutsche Militärgeschichte von 1864 bis 1940 die Etikettierung vieler bekannter militärischer Operationen mit dem Begriff Auftragstaktik. Die Beispiele zeigen, dass das Ideal selbständiger Führung nicht mit eigenmächtigem Handeln verwechselt werden darf und gerade die häufigen Eigenmächtigkeiten deutscher Kommandeure oft genug zu zweifelhaften, nämlich mit unnötigen Verlusten erkauften Erfolgen oder sogar zu Niederlagen führten. Der Autor sieht darin zu Recht eine Pervertierung der von ihm analysierten Führungsgrundsätze. Dagegen konstatiert er in seinem ausführlichen Praxistest am Beispiel von drei Divisionen an der Ostfront 1942/43 ein geradezu mustergültiges Führungsverhalten im Rahmen der Vorschriften. In den beschriebenen Führungsvorgängen mit drei sehr profilierten Divisionskommandeuren als Dreh- und Angelpunkte zeigten sich zwar auch Spielräume in der Umsetzung von Aufträgen, doch mehr noch straffe Führung und eine starke Betonung des Elements der Einheitlichkeit, die etwa durch den Gebrauch technischer Kommunikationsmittel hergestellt wurde. Auftragstaktisches Vorgehen war die Ausnahme. Das entsprach der Doktrin, die dezentrales, selbständiges Handeln nicht für den Regelfall, sondern für den Notfall vorsah.

Dieser dritte und umfangreichste Teil der Studie hat allerdings das Problem, dass er der taktischen Ebene verhaftet bleibt und der begrenzte Untersuchungszeitraum sowie die geringe Zahl der Fallbeispiele kein repräsentatives Ergebnis sichern. Dass die unschematische Selbständigkeit militärischen Führens, wohl mehr noch im operativen als im taktischen Bereich, ein wesentliches Element der preußisch-deutschen Militärgeschichte war und sich nicht allein auf den Begriff Auftragstaktik reduzieren lässt, kann diese anregende Studie nicht in Zweifel ziehen. Offen bleibt die spannende Frage, ob das deutsche Führungsverständnis im internationalen Vergleich einzigartig und überlegen war. Nicht nur hier sollte die Militärgeschichtsforschung künftig stärker über den nationalen Tellerrand hinausblicken.

JOHANNES HÜRTER.

Marco Sigg: Der Unterführer als Feldherr im Taschenformat. Theorie und Praxis der Auftragstaktik im deutschen Heer 1869 bis 1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014. 504 S., 46,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Absurd, was die FAZ für Bücher bespricht. Johannes Hürter vermisst den Blick über den Tellerrand in dieser Studie des Militärhistorikers Marco Sigg, und dass die Auftragstaktik in der Militärgeschichte bislang eher einseitig und verzerrt dargestellt wurde, wie der Autor behauptet, kann er auch nicht finden. Davon abgesehen bietet ihm Sigg eine wichtige und anregende Studie in Sachen Auftragstaktik und Organisation militärischer Abläufe, theoretisch, begriffsanalytisch wie praxisorientiert (mit Beispielen aus den Jahren 1864-1943), versichert er. Dass der Autor im dritten Teil seines Buches allzu taktisch verhaftet bleibt und zu wenige Fallbeispiele liefert, wie Hürter nahelegt, scheint da eher ein Wermutstropfen zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH