Die grüne Revolution rollte in den vergangenen Wochen und anhaltend durch den Maghreb bis zum Nil und nun in den arabischen Halbmond. Politologische und soziologische Analysten der arabischen Welt zeigten sich überrascht, vom Drang nach bürgerlichen Rechten und Demokratie, ja selbst westliche
Geheimdienst waren darauf nicht vorbereitet.
Auf 234 Seiten präsentiert der Sprach- und…mehrDie grüne Revolution rollte in den vergangenen Wochen und anhaltend durch den Maghreb bis zum Nil und nun in den arabischen Halbmond. Politologische und soziologische Analysten der arabischen Welt zeigten sich überrascht, vom Drang nach bürgerlichen Rechten und Demokratie, ja selbst westliche Geheimdienst waren darauf nicht vorbereitet.
Auf 234 Seiten präsentiert der Sprach- und Islamwissenschaftler Hamed Abdel-Samad eine Prognose zur Entwicklung der islamischen Welt, die einer Abrechnung gleichkommt. In 14 Thesen arbeitet er Themen ab vom verletzten Stolz und dem nicht verwundenen Verlust der einstigen Weltmachtstellung und kulturellen Outputgeber, über die verhängnisvolle Einheit von Staat und Religion, Autorität Gottes und des Herrschers, aber auch die Ambivalenzen von Sexualität, Staatsbürgertum und Bildung. Im Wesentlichen läuft die Argumentation auf den protestantischen Philosophen Kant und seinen vielzitierten Satz hinaus: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. [...] 'Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!' ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Und gerade diese Aufklärung ist es, die der islamischen Welt gut täte, damit sie im Kreis der Weltgemeinschaft wieder ein kulturell produktives Mitglied werden könnte.
Die Thesen selbst bieten m.E. keine neue Innovation. Einzig der Verweis auf die Rolle der social media als neues Medium der Vernetzung ist rückblickend auf deren, wenn auch nicht unbestrittenen, Rolle bei der Organisation der Proteste in der arabischen Welt interessant. Lesenswert ist das Buch dennoch allzumal, weil die Thesen wohlüberlegt angeordnet und mit der metamorphischen Lebenserfahrung des ägyptischstämmigen Autors verknüpft sind, sodass die Lektüre auch schwankhaften Genuss bietet, ohne dadurch im Gehalt geschmälert zu werden.
Offen bleiben jedoch auf jeden Fall auch überkommene theologische Herrschaftsvorstellungen aus vorislamischer Zeit, die nicht ohne Einfluss der modernen arabischen Gesellschaft zu sein scheinen. Hier wird allenfalls, dafür nicht zu wenig, auf Gepflogenheiten aus mohammedanischer Zeit verwiesen, die konserviert einen Rückzugsort für eine erstarrende Gesellschaft bilden würden. Außerdem wird gerade in Ägypten, aber auch in anderen arabischen Ländern die Rolle religiöser Minderheiten, die mitunter regional dennoch eine bedeutende Gruppe repräsentieren, ausgeblendet. Man mag die Position vertreten, dass ein islamisches Überlegenheitsgefühl einen Input aus den Minderheiten vollkommen abblockt oder aber die Minderheiten selbst so sehr arabisch-muslimisch geprägt sind, dass sie keinen eigenen Beitrag für eine andere Sicht auf Welt, Land und Gesellschaft leisten können. Aber selbst in diesem Fall müsste das Verhältnis in die Theorie zum Untergang der in sich abgeschotteten islamischen Welt eingezeichnet werden.