Irgendwann wird Deutschland entvölkert sein. Nur in den Großstädten werden noch junge Menschen leben - alle mit Zuwanderungsgeschichte. Greise irren durch verwaiste Dörfer auf der Suche nach blühenden Landschaften. Das ist- überspitzt-das Untergangsszenario, das Medien und Meinungsmacher gern propagieren - und das nach der Diagnose des Volkswirts Thomas Straubhaar unhaltbar ist. Mit Leidenschaft und Fachkenntnis entlarvt er gängige Prognosen des demografischen Wandels als Mythen.Zwar birgt der demografische Wandel ernstzunehmende Probleme. Er bietet aber auch Chancen. Die Risiken zu minimieren und die Chancen zu nutzen, wird die gesellschaftliche und politische Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein. Keine einfache Aufgabe, aber eine durchaus lösbare, betont der renommierte Ökonom. Denn es ist die unberechtigte Angst vor dem demografischen Wandel, die uns lähmt und daran hindert, die Zukunft positiv zu gestalten.Thomas Straubhaar setzt gegen den grassierenden Pessimismus Entmythologisierung, Selbstvertrauen und Vernunft: Als stabile Demokratie und gesunde Volkswirtschaft kann Deutschland den Wandel gestalten. Der Untergang ist abgesagt!
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aha, der Untergang ist also abgesagt. Zwei Jahre nach dem Tod eines seiner Künder, des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher nämlich, begrüßt Rezensent Christian Schwägerl, dass der Autor der vorliegenden Studie, das "Mantra vom demografischen Niedergang" in Frage stellt. Schwägerl ist bereit, den Thesen Straubhaars weitgehend zu folgen. Dieser mache glaubhaft, das demografische Prognosen oft nicht so akkurat seien wie erhofft, und er entwickle "optimistische Perspektiven" ohne die Grundannahme einer in Deutschland schrumpfenden und alternden Bevölkerung nun völlig einzukassieren. Es gibt auch Unklarheiten in Straubhaars Darlegung, moniert Schwägerl, besonders in der Frage, ob Zuwanderung nun wünschenswert sei oder nicht. Aber alles in allem gibt der Rezensent eine eindeutige Leseempfehlung. Dem Statistischen Bundesamt empfiehlt er nach der Straubhaar-Lektüre, offenere Prognosemodelle zu entwickeln.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2016Schicksalsjahre einer Schrumpfbewegung
Unsere Gesellschaft wird grauer und bunter: Thomas Straubhaar ruft zu einer Neubesinnung in der Demographie-Debatte auf. Und er macht deutlich, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist, was die Statistiker behaupten.
Seit bald zwei Jahrzehnten gilt es in Deutschland als ausgemacht - wir sind, demographisch gesehen, auf dem absteigenden Ast. Die Bevölkerung schrumpft, und zwar so stark, dass es sich lohnt, mit staatlichen Fördermitteln Schulen abzureißen. Zugleich vergreist das Land: Kindermangel und wachsende Lebenserwartung führen dazu, dass der Altersdurchschnitt steigt und steigt und dass immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner ernähren müssen. Politiker aller Parteien übernahmen die "Bevölkerungsvorausberechnungen" des Statistischen Bundesamts so, als handle es sich um unumstößliche Fakten.
Dass die Veränderungen negativ zu deuten seien, machten sich auch Medien weitgehend zu eigen und untermalten dies durch Fernsehspiele, in denen verarmte Alte den Aufstand wagen. Entscheider in Wirtschaft und Politik legten das Mantra vom demographischen Niedergang weitreichenden politischen Entscheidungen zugrunde, ob bei der Energiewende, der Bildungspolitik oder der Personalplanung.
Diesen Konsens versucht der Volkswirt Thomas Straubhaar, Direktor des Europa-Kollegs Hamburg und bis 2014 Leiter des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts, aufzubrechen. In seinem Buch "Der Untergang ist abgesagt" will er Mythen des demographischen Wandels aufzeigen und widerlegen. Gleich zu Beginn weist er darauf hin, dass die vergangenen Monate, in denen Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, zeigten, dass demographische Veränderungen nicht so berechenbar seien wie allgemein angenommen: "So rasch also kann die Realität die Richtung ändern", warnt Straubhaar. Was gestern noch als in Stein gemeißelte Wahrheit gegolten habe, erweise sich als Irrtum - die Bevölkerung werde, auch wenn viele Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehrten, deutlich weniger schrumpfen als angenommen.
Straubhaar vermeidet den Fehler, im Dienst einer steilen These gleich alles in Abrede zu stellen: Zweifelsohne werde die Bevölkerung insgesamt älter. Und selbst wenn die Frauen von morgen wieder mehr Kinder bekämen als ihre Eltern - wofür es Anzeichen gibt -, könnte das allein den demographischen Schrumpfungsprozess nicht stoppen. Ein unumkehrbarer Trend sei auch, dass die Bevölkerung "gleichzeitig grauer und bunter" werde. Die zunehmende Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund werde es schwerer machen, einen Konsens über wichtige Zukunftsfragen zu finden. Als weiteren Trend macht Straubhaar aus, dass immer mehr Menschen sich entscheiden, statt auf dem Land in Städten zu leben.
Für diese Veränderungen möchte der Autor aber im Gegensatz zur bisherigen Lesart eine "optimistische Perspektive" finden. Dieser Ansatz ist ihm hoch anzurechnen. Selbst wenn der demographische Wandel so dramatisch ablaufen würde wie bisher angenommen, wäre es eine vordringliche Aufgabe, Optimismus zu entwickeln - depressive Niedergangsstimmung hat selten konstruktive Lösungen hervorgebracht. Straubhaar geht aber noch einen Schritt weiter: Er will darlegen, dass Demographie eine Gestaltungsaufgabe ist, kein Schicksal, in das man sich fügen müsse. Die Analyse von zehn problematischen Grundannahmen, den "Mythen", die das Zentrum des Buchs bilden, soll dabei helfen, eine aktivere Haltung zum demographischen Wandel zu entwickeln. Einige dieser Mythen widerlegt Straubhaar bravourös, etwa wenn er zeigt, wie "kläglich" manche früheren Bevölkerungsprognosen daneben lagen und wie wenig es stimmt, dass das Land von einem "Braindrain" geplagt sei. Im Gegenteil, behauptet Straubhaar, sei Deutschland inzwischen hochattraktiv für Studenten aus aller Welt, die vielfach auch bleiben wollten. Für deutsche Hochqualifizierte werde es immer weniger attraktiv, etwa in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Junge Menschen mit Migrationshintergrund gehören aus seiner Sicht zu einer Art stillen ökonomischen Reserve: Sie seien vielfach hoch motiviert und enorm leistungsfähig, sobald Sprachbarrieren entfallen.
Allerdings haben sich in die Argumentation des Autors auch Unschärfen eingeschlichen: Es bleibt zum Beispiel offen, ob Straubhaar mehr Zuwanderung für wünschenswert hält oder nicht. Unklar ist auch, ob in seinen Augen die Bevölkerung aufgrund zunehmender Einwanderung tatsächlich nicht schrumpfen wird oder ob es ihm vielmehr darauf ankommt, die ökonomischen Folgen einer unvermeidlichen Schrumpfung kleiner als angenommen erscheinen zu lassen.
Wenn es wirklich zu einer deutlichen Schrumpfung käme, würde diese die Wirtschaft nicht so stark belasten wie befürchtet, wie Straubhaar behauptet? "Wenn in einem Haushalt weniger Personen leben, steht pro Person ein größeres Budget für Einkäufe bereit", heißt es. Pro Arbeitskraft gebe es "mehr Maschinen, Geräte, Apparate und Rohstoffe". Dass dies auf Dauer so bleiben würde, ist allerdings mehr als fraglich, und noch mehr, dass die gesamtwirtschaftlichen Effekte auch positiv blieben, wenn uns zusätzlich neue Technologien die Arbeit abnehmen. Ausgerechnet bei der Ökonomie erscheint die Argumentation des Ökonomen merkwürdig statisch.
Das mindert den Wert des Buchs nicht. Als einer der ersten Autoren wagt es Straubhaar, den breiten Konsens zum unvermeidlichen demographischen Niedergang in Frage zu stellen und ihm eigene, optimistischere Vorstellungen entgegenzusetzen. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Demographie-Debatte weniger monoton und finster ausfällt als bisher.
Für das Statistische Bundesamt, das die Politik in Sachen Bevölkerungsentwicklung berät, könnte das Buch ein Anlass sein, seine Methoden zu überdenken. Das Amt könnte zum Beispiel statt seiner bisher sehr engen Annahmen zur demographischen Zukunft vielfältigere Szenarien entwickeln, in denen auch Überraschungen und Extreme vorkommen. Diese könnten die politische Diskussion beleben, anstatt sie wie bisher in einen zu engen Korridor zu pressen und damit Fehlentscheidungen zu provozieren.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Thomas Straubhaar: "Der Untergang ist abgesagt". Wider die Mythen des
demografischen Wandels.
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2016.
206 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unsere Gesellschaft wird grauer und bunter: Thomas Straubhaar ruft zu einer Neubesinnung in der Demographie-Debatte auf. Und er macht deutlich, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist, was die Statistiker behaupten.
Seit bald zwei Jahrzehnten gilt es in Deutschland als ausgemacht - wir sind, demographisch gesehen, auf dem absteigenden Ast. Die Bevölkerung schrumpft, und zwar so stark, dass es sich lohnt, mit staatlichen Fördermitteln Schulen abzureißen. Zugleich vergreist das Land: Kindermangel und wachsende Lebenserwartung führen dazu, dass der Altersdurchschnitt steigt und steigt und dass immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner ernähren müssen. Politiker aller Parteien übernahmen die "Bevölkerungsvorausberechnungen" des Statistischen Bundesamts so, als handle es sich um unumstößliche Fakten.
Dass die Veränderungen negativ zu deuten seien, machten sich auch Medien weitgehend zu eigen und untermalten dies durch Fernsehspiele, in denen verarmte Alte den Aufstand wagen. Entscheider in Wirtschaft und Politik legten das Mantra vom demographischen Niedergang weitreichenden politischen Entscheidungen zugrunde, ob bei der Energiewende, der Bildungspolitik oder der Personalplanung.
Diesen Konsens versucht der Volkswirt Thomas Straubhaar, Direktor des Europa-Kollegs Hamburg und bis 2014 Leiter des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts, aufzubrechen. In seinem Buch "Der Untergang ist abgesagt" will er Mythen des demographischen Wandels aufzeigen und widerlegen. Gleich zu Beginn weist er darauf hin, dass die vergangenen Monate, in denen Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, zeigten, dass demographische Veränderungen nicht so berechenbar seien wie allgemein angenommen: "So rasch also kann die Realität die Richtung ändern", warnt Straubhaar. Was gestern noch als in Stein gemeißelte Wahrheit gegolten habe, erweise sich als Irrtum - die Bevölkerung werde, auch wenn viele Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehrten, deutlich weniger schrumpfen als angenommen.
Straubhaar vermeidet den Fehler, im Dienst einer steilen These gleich alles in Abrede zu stellen: Zweifelsohne werde die Bevölkerung insgesamt älter. Und selbst wenn die Frauen von morgen wieder mehr Kinder bekämen als ihre Eltern - wofür es Anzeichen gibt -, könnte das allein den demographischen Schrumpfungsprozess nicht stoppen. Ein unumkehrbarer Trend sei auch, dass die Bevölkerung "gleichzeitig grauer und bunter" werde. Die zunehmende Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund werde es schwerer machen, einen Konsens über wichtige Zukunftsfragen zu finden. Als weiteren Trend macht Straubhaar aus, dass immer mehr Menschen sich entscheiden, statt auf dem Land in Städten zu leben.
Für diese Veränderungen möchte der Autor aber im Gegensatz zur bisherigen Lesart eine "optimistische Perspektive" finden. Dieser Ansatz ist ihm hoch anzurechnen. Selbst wenn der demographische Wandel so dramatisch ablaufen würde wie bisher angenommen, wäre es eine vordringliche Aufgabe, Optimismus zu entwickeln - depressive Niedergangsstimmung hat selten konstruktive Lösungen hervorgebracht. Straubhaar geht aber noch einen Schritt weiter: Er will darlegen, dass Demographie eine Gestaltungsaufgabe ist, kein Schicksal, in das man sich fügen müsse. Die Analyse von zehn problematischen Grundannahmen, den "Mythen", die das Zentrum des Buchs bilden, soll dabei helfen, eine aktivere Haltung zum demographischen Wandel zu entwickeln. Einige dieser Mythen widerlegt Straubhaar bravourös, etwa wenn er zeigt, wie "kläglich" manche früheren Bevölkerungsprognosen daneben lagen und wie wenig es stimmt, dass das Land von einem "Braindrain" geplagt sei. Im Gegenteil, behauptet Straubhaar, sei Deutschland inzwischen hochattraktiv für Studenten aus aller Welt, die vielfach auch bleiben wollten. Für deutsche Hochqualifizierte werde es immer weniger attraktiv, etwa in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Junge Menschen mit Migrationshintergrund gehören aus seiner Sicht zu einer Art stillen ökonomischen Reserve: Sie seien vielfach hoch motiviert und enorm leistungsfähig, sobald Sprachbarrieren entfallen.
Allerdings haben sich in die Argumentation des Autors auch Unschärfen eingeschlichen: Es bleibt zum Beispiel offen, ob Straubhaar mehr Zuwanderung für wünschenswert hält oder nicht. Unklar ist auch, ob in seinen Augen die Bevölkerung aufgrund zunehmender Einwanderung tatsächlich nicht schrumpfen wird oder ob es ihm vielmehr darauf ankommt, die ökonomischen Folgen einer unvermeidlichen Schrumpfung kleiner als angenommen erscheinen zu lassen.
Wenn es wirklich zu einer deutlichen Schrumpfung käme, würde diese die Wirtschaft nicht so stark belasten wie befürchtet, wie Straubhaar behauptet? "Wenn in einem Haushalt weniger Personen leben, steht pro Person ein größeres Budget für Einkäufe bereit", heißt es. Pro Arbeitskraft gebe es "mehr Maschinen, Geräte, Apparate und Rohstoffe". Dass dies auf Dauer so bleiben würde, ist allerdings mehr als fraglich, und noch mehr, dass die gesamtwirtschaftlichen Effekte auch positiv blieben, wenn uns zusätzlich neue Technologien die Arbeit abnehmen. Ausgerechnet bei der Ökonomie erscheint die Argumentation des Ökonomen merkwürdig statisch.
Das mindert den Wert des Buchs nicht. Als einer der ersten Autoren wagt es Straubhaar, den breiten Konsens zum unvermeidlichen demographischen Niedergang in Frage zu stellen und ihm eigene, optimistischere Vorstellungen entgegenzusetzen. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Demographie-Debatte weniger monoton und finster ausfällt als bisher.
Für das Statistische Bundesamt, das die Politik in Sachen Bevölkerungsentwicklung berät, könnte das Buch ein Anlass sein, seine Methoden zu überdenken. Das Amt könnte zum Beispiel statt seiner bisher sehr engen Annahmen zur demographischen Zukunft vielfältigere Szenarien entwickeln, in denen auch Überraschungen und Extreme vorkommen. Diese könnten die politische Diskussion beleben, anstatt sie wie bisher in einen zu engen Korridor zu pressen und damit Fehlentscheidungen zu provozieren.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Thomas Straubhaar: "Der Untergang ist abgesagt". Wider die Mythen des
demografischen Wandels.
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2016.
206 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main