Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2004 Band 5
Keiner spielte so wie Glenn
Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher”
T homas Bernhards 1983 erschienener „Untergeher” ist ein süffiger Künstler-Roman. Fasziniert von rhythmisch suggestiver Sprache und hämisch-giftigem österreichischem Lokal-Pessimismus (zu Lokal-Patriotismus sah Bernhard nie und nimmer Anlass), begegnet man einem Drei-Personen-Stück in epischer Form. Die Handlung hat mit Bernhards Biografie zu tun. Als junger Mensch erlebte er den rasch zur Kultfigur der Klavierwelt wachsenden kanadischen Pianisten Glenn Gould aus nächster Nähe. Unmittelbar nachdem dieser 1982 in Toronto gestorben war, schrieb Bernhard seinen „Untergeher”-Roman.
Für den Erzähler und seinen Freund Wertheimer wird die in Salzburg beginnende Bekanntschaft mit Gould zum tragisch-lebensentscheidenden Ereignis. Beide hätten als talentierte Pianisten durchaus Karriere machen können. Doch genial, wie Gould, sind sie eben nicht. Darum gibt der eine – „ich wollte der Beste sein oder gar keiner” – das Klavierspiel völlig auf. Der andere, Wertheimer, sattelt zunächst nebulös um, „in die Geisteswissenschaften”. Produziert massenweise Notizen, Aphorismen, ohne irgendetwas zu veröffentlichen. Nimmt sich schließlich das Leben.
Der Ich-Erzähler – sich auf mannigfachen Zeit-Ebenen an Wertheimer und an Gould erinnernd – lässt keine Gelegenheit aus festzuhalten, wie fürchterlich die „geist- und kunstfeindliche” Stadt Salzburg sei. Redet verachtungsvoll von Wien, Passau, Chur. Wir erfahren: „Katholizismus oder die sozialistische Partei, beides die widerlichsten Einrichtungen unserer Zeit.” Also: der typische Bernhard-Sound, die lustvolle Mischung aus Häme, Überlegenheits-Gefühl, Daseins-Ekel. Hier verursacht durch die Vollkommenheit von Goulds Bach-Spiel. Übrigens sei dieser zu unbändigem Gelächter befähigt gewesen – „und dadurch der ernst zu nehmendste Mensch. Wer nicht lachen kann, ist nicht ernst zu nehmen, dachte ich . . . ”
Doch Bernhard will mehr geben als nur eine Mixtur aus Musiker-Roman und Österreich-Hass. Im Zusammenhang mit dem Vollkommenheits-Ideal Gould steht die existenzielle Erwägung, ob und wie Überleben möglich sei. Der „Untergeher” Wertheimer hat keine Chance. „Wenn er Kaufmann und also Betreiber des Imperiums seiner Eltern geworden wäre, dachte ich, wäre er glücklich gewesen . . . aber für einen solchen Entschluss hatte ihm auch der Mut gefehlt, die kleine Kehrtwendung . . . Er wollte Künstler sein. Lebenskünstler genügte ihm nicht . . .” Gould wiederum habe sich laut Wertheimer zur Kunstmaschine gemacht, habe seine Persönlichkeit vernichtet, um ein Genie zu sein . . . Im Grunde kann der Erzähler nur weiter-existieren, weil er für das Fürchterliche und Bedrängende Worte finden will, zu finden vermag. Ihn hält am Leben, dass er, notfalls übertreibende, Formeln prägt. Er hat die Kraft, schreibend Klarheit zu verschaffen. Das ist Bernhards Künstler-Trost.
JOACHIM KAISER
Thomas Bernhard
Foto: Scherl / SV
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Keiner spielte so wie Glenn
Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher”
T homas Bernhards 1983 erschienener „Untergeher” ist ein süffiger Künstler-Roman. Fasziniert von rhythmisch suggestiver Sprache und hämisch-giftigem österreichischem Lokal-Pessimismus (zu Lokal-Patriotismus sah Bernhard nie und nimmer Anlass), begegnet man einem Drei-Personen-Stück in epischer Form. Die Handlung hat mit Bernhards Biografie zu tun. Als junger Mensch erlebte er den rasch zur Kultfigur der Klavierwelt wachsenden kanadischen Pianisten Glenn Gould aus nächster Nähe. Unmittelbar nachdem dieser 1982 in Toronto gestorben war, schrieb Bernhard seinen „Untergeher”-Roman.
Für den Erzähler und seinen Freund Wertheimer wird die in Salzburg beginnende Bekanntschaft mit Gould zum tragisch-lebensentscheidenden Ereignis. Beide hätten als talentierte Pianisten durchaus Karriere machen können. Doch genial, wie Gould, sind sie eben nicht. Darum gibt der eine – „ich wollte der Beste sein oder gar keiner” – das Klavierspiel völlig auf. Der andere, Wertheimer, sattelt zunächst nebulös um, „in die Geisteswissenschaften”. Produziert massenweise Notizen, Aphorismen, ohne irgendetwas zu veröffentlichen. Nimmt sich schließlich das Leben.
Der Ich-Erzähler – sich auf mannigfachen Zeit-Ebenen an Wertheimer und an Gould erinnernd – lässt keine Gelegenheit aus festzuhalten, wie fürchterlich die „geist- und kunstfeindliche” Stadt Salzburg sei. Redet verachtungsvoll von Wien, Passau, Chur. Wir erfahren: „Katholizismus oder die sozialistische Partei, beides die widerlichsten Einrichtungen unserer Zeit.” Also: der typische Bernhard-Sound, die lustvolle Mischung aus Häme, Überlegenheits-Gefühl, Daseins-Ekel. Hier verursacht durch die Vollkommenheit von Goulds Bach-Spiel. Übrigens sei dieser zu unbändigem Gelächter befähigt gewesen – „und dadurch der ernst zu nehmendste Mensch. Wer nicht lachen kann, ist nicht ernst zu nehmen, dachte ich . . . ”
Doch Bernhard will mehr geben als nur eine Mixtur aus Musiker-Roman und Österreich-Hass. Im Zusammenhang mit dem Vollkommenheits-Ideal Gould steht die existenzielle Erwägung, ob und wie Überleben möglich sei. Der „Untergeher” Wertheimer hat keine Chance. „Wenn er Kaufmann und also Betreiber des Imperiums seiner Eltern geworden wäre, dachte ich, wäre er glücklich gewesen . . . aber für einen solchen Entschluss hatte ihm auch der Mut gefehlt, die kleine Kehrtwendung . . . Er wollte Künstler sein. Lebenskünstler genügte ihm nicht . . .” Gould wiederum habe sich laut Wertheimer zur Kunstmaschine gemacht, habe seine Persönlichkeit vernichtet, um ein Genie zu sein . . . Im Grunde kann der Erzähler nur weiter-existieren, weil er für das Fürchterliche und Bedrängende Worte finden will, zu finden vermag. Ihn hält am Leben, dass er, notfalls übertreibende, Formeln prägt. Er hat die Kraft, schreibend Klarheit zu verschaffen. Das ist Bernhards Künstler-Trost.
JOACHIM KAISER
Thomas Bernhard
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