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Es gibt einige Dinge, in denen die Briten Weltspitze sind, ganz sicher gehört die Hervorbringung (und Duldung) von Exzentrikern dazu. Ein herausragendes Exemplar ist der fünfte Herzog von Portland, der Held von Jacksons Roman. Für diesen Soderling aus dem späten 19. Jahrhunderts spielt Geld keine Rolle, und so kann er auf seinem Gut in Nottinghamshire ganz ungehindert seinen Neigungen und Spleens nachhängen. Daß er sich auf seine alten Tage ein unterirdisches Wegnetz anlegen läßt, durch das er sogar per Pferdekutsche unter seinem Besitz umherfahren und an markanten Stellen an der Oberfläche…mehr

Produktbeschreibung
Es gibt einige Dinge, in denen die Briten Weltspitze sind, ganz sicher gehört die Hervorbringung (und Duldung) von Exzentrikern dazu. Ein herausragendes Exemplar ist der fünfte Herzog von Portland, der Held von Jacksons Roman. Für diesen Soderling aus dem späten 19. Jahrhunderts spielt Geld keine Rolle, und so kann er auf seinem Gut in Nottinghamshire ganz ungehindert seinen Neigungen und Spleens nachhängen. Daß er sich auf seine alten Tage ein unterirdisches Wegnetz anlegen läßt, durch das er sogar per Pferdekutsche unter seinem Besitz umherfahren und an markanten Stellen an der Oberfläche auftauchen kann, darf man wohl als sein augenfälligstes Kabinettstückchen betrachten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.1998

Reise im eigenen Schädel
Exzentrisch: Mick Jacksons Roman "Der Untergrundmann"

Am Ende der Geschichte hält man eine blank geriebene Knochenmünze in der Hand. Dieses Stück der Schädeldecke hat sich der Held von Mick Jacksons erstem Roman "Der Untergrundmann", der verwirrte fünfte Herzog von Portland, mit chirurgischem Werkzeug selbst entfernt. Die Verwirrung, für die der Weg frei gemacht werden sollte, findet jedoch aus dem Denkgehäuse nicht heraus. Sie nimmt im Gegenteil zu, da jetzt Wind und Wetter des Herzogs Innenleben erst recht verwirbeln können.

Jackson erzählt von einem greisen viktorianischen Exzentriker, der mit der Kutsche durch ein von ihm selbst entworfenes Tunnelsystem fährt, das er unter seinen Gütern anlegen ließ. Sorgfältig und wie mit einem monströsen Vergrößerungsglas beobachtet er, durchdrungen von hypochondrischem Wahn, wie sich Störungen in seine Körperfunktionen einschleichen. Das kommt in diesem Alter vermutlich nicht ganz überraschend, doch führen die Maßnahmen, die der Herzog ergreift, nur zu weiterer Eskalation. Er durchstreift die unbewohnten Zimmerfluchten seines Schlosses und läßt sich in Edinburgh über die "Trepanation" in Kenntnis setzen, die Technik, mittels eines Bohrers den Schädel mit einer Öffnung zu versehen: irgendwie muß das Durcheinander im Kopf ja heraus.

Die schaurigen Merkwürdigkeiten dieses Romans erinnern an Filme Peter Greenaways, doch wirkt die Verlegenheitslösung der Tagebuchform vergleichsweise schlicht. Auch hat das Tunnelsystem nicht die strukturelle Bedeutung für den Roman, die der Titel suggeriert. Das unterirdische und für den historischen Herzog tatsächlich belegte Bauwerk ist, wie zahlreiche andere Hohlraumphantasien in der Literaturgeschichte, steingewordener Ausdruck der Sehnsucht, sich gleichsam in sich selbst oder besser noch - wie der Held es des öfteren träumt - in den Mutterleib zurückstülpen zu können.

Obwohl er ein "echter Untergrundmann" sei, wie der zuständige Geistliche weiß, kennt der Herzog nicht die Höhlen auf seinen Gütern. Der Reverend wird zum Analytiker und führt den Herzog anschließend durch dessen Höhlen oder Unbewußtes. Wir bewegen uns in symbolischem Gelände. Für elementare Dinge wie Leben und Tod, vor allem zu Körperfunktionen verfügt der Herzog über allerlei kuriose Erklärungen. Dadurch, daß sie das in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verfügbare Wissen nicht zur Kenntnis nehmen, funktionieren diese mit ihrem Dilettantismus durchaus kokettierenden Zurechtlegungen eher als Krankheitsbilder. Die hypochondrische Nabelschau erklärt Jackson mit der Geschichte einer Verdrängung. Der Herzog, so stellt sich schließlich heraus, fühlt sich schuldig am Kindestod seines Zwillingsbruders. Kein kunstvoll geschürzter Knoten der Erzählfäden wird hier aufgelöst, eher der Perlenschnur der Merkwürdigkeiten ein weiteres Stück aufgereiht.

Mit der eigenhändigen Schädelöffnung möchte der Herzog erreichen, was sonst nur Gegenstand von Phantasien ist: Drinnen und Draußen des Körpers ineinander aufgehen zu lassen. In diesem Zustand krabbelt der Greis halbnackt durch das Unterholz, und im Wahn scheint nun die Ursache der Verdrängung heraufzudämmern. Zu spät, just da fällt er einem Jagdunfall zum Opfer. Was hätten der nun direkt belüfteten Hirnschale des Herzogs noch für Einsichten entspringen können? GUIDO GRAF

Mick Jackson: "Der Untergrundmann". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Gerald Jung. Albrecht Knaus Verlag, München 1997. 318 S., geb., 42,90 DM.

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