Immerthals Buch beschreibt den Wandel des Begriffs und der Vorstellung vom Unternehmer aus einer wirtschaftsphilosophischen Perspektive. Dieser Wandel bezieht sich dabei insbesondere auf Vorstellungen vom Unternehmertum, die noch heute von den sogenannten Klassikern der Moderne geprägt sind. Ein solches Unternehmerethos oszilliert zwischen Zukunftsvorsorge, Verantwortung, Paternalismus, Risiko- und Innovationsbereitschaft sowie bindungslosem oder gar verantwortungslosem Nomadentum, das den Unternehmer als Fremden in der "eigenen" Gesellschaft begreift. Ein solches modernes Ethos orientiert sich in seiner Beschreibung des Unternehmers an einem Individualakteur, der in den verschiedenen theoretischen Ansätzen als Pionier, Kapitalist, Risikoträger, Kommunikator oder Arbitrageur auftritt. Diese Vorstellungen vom Unternehmer und Unternehmertum werden insbesondere durch die Bezugnahme auf die Begriffe des Risikos und der Innovation in Frage gestellt und dekonstruiert. So wird ein Unternehmerbegriff neu entwickelt, der diesen als kollektiven Akteur in Netzwerken und Unternehmertum als eine spezifische Kommunikationsstruktur begreift, die sich mit Risiko und Innovation auseinandersetzen und diese zu kapitalisieren weiß. Die Untersuchung hat drei Teile. Im ersten Teil wird das moderne Verständnis von Unternehmertum, insbesondere anhand der Begriffe von Ethos und Strategie, erörtert. Der zweite Teil setzt sich mit dem Begriff des Risikos als soziales Konstrukt und Vermögen auseinander, indem die Transformation des modernen Unternehmertums - auch im Hinblick auf Ethos und Strategie des Unternehmertums - sichtbar gemacht wird. Der dritte Teil vollzieht eine Neuformulierung des Unternehmerbegriffs im Ausgang der Moderne. Dies geschieht aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive und durch die Einführung der sozialphilosophischen Kategorie des Dritten, die den Unternehmer nicht mehr als autonomes, sondern eher als dezentriertes und verführtes Subjekt begreift.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2007Mit dem Dritten in die Zukunft
Was wussten wir bislang über den Unternehmer? Vor allem zwei Dinge - das eine seit mehr als zweihundert, das andere immerhin seit fünfundsechzig Jahren. Beide Konzepte sind also rentenreif, aber sie wirken unverändert frisch.
Das erste tolle Ding ist Adam Smiths Motiv der Unsichtbaren Hand. Im Hauptwerk des schottischen Moralphilosophen, Rhetorikers und Nationalökonomen, der 1776 erschienenen zweibändigen Schrift "An Inquiry Into the Nature and Causes of the Wealth of Nations", fällt dieser Begriff nur am Rande, aber das Konzept hat sich festgesetzt: Jeder wirtschaftende Mensch ist ein Egoist, aber gerade weil er für sich das Beste erreichen will, fördert er durch die List der Vorsehung das Allgemeinwohl. Denn jede Arbeit schafft Wohlstand, der auch anderen zugutekommt. Das ist der Grundgedanke des Liberalismus und die moralische Rechtfertigung für das kapitalistische Unternehmertum.
Das zweite tolle Ding hat uns der österreichische Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter beschert. 1942 erschien im amerikanischen Exil sein Buch "Capitalism, Socialism and Democracy", und darin ist von der "schöpferischen Zerstörung" die Rede - eine Idee, die zwar schon Werner Sombart rund ein halbes Jahrhundert früher entwickelt hatte, die aber erst mit Schumpeter ihren Durchbruch erlebte. Jeder Unternehmer, so besagt die Theorie, ist dazu verdammt, durch sein schöpferisches Talent die Grundlagen seines Erfolgs auch wieder zu zerstören. Denn eine gute Idee wird ausgebeutet, perfektioniert und dadurch schließlich so populär, dass die Konkurrenz sie übernimmt und das entsprechende Produkt billiger herstellt oder eine bessere Alternative entwickelt. Das ist der Grundgedanke der Konjunkturtheorie und die wettbewerbliche Rechtfertigung für das kapitalistische Unternehmertum.
Zwei tolle Dinge also, aber mit beiden will Lars Immerthal aufräumen. Seine Dissertation, die der Achtunddreißigjährige nach einem Zweitstudium der Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität Hagen angefertigt hat, trägt einen gegenüber Smiths oder Schumpeters Büchern geradezu profanen Titel: "Der Unternehmer". Aber der akademische Untertitel gleicht das mehr als aus: "Zum Wandel von Ethos und Strategie des Unternehmertums im Ausgang der Moderne" (Wilhelm Fink Verlag, München 2007. 430 S., br., 49,90 [Euro]). Ausgang der Moderne - das signalisiert einen Epochenbruch, der das klassische Unternehmerbild nicht unbeeinträchtigt lassen kann, und dementsprechend weit holt Immerthal aus und zieht dazu vor allem den vom französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss in den sechziger Jahren geprägten Begriff der bricolage (Bastelei) heran.
Wer bastelt, der improvisiert, und damit ist Immerthal noch nahe an Smith und Schumpeter, denn auch sie sprechen den Unternehmern ja gerade die Planungskompetenz ab - oder besser: jede Hoffnung auf verlässliche individuelle Planung. Immerthals Pointe ist jedoch, dass nicht nur die konkrete individuelle Gestaltungsfreiheit eine Illusion ist, sondern mittlerweile auch kein Unternehmer mehr daran glaubt. Wo Schumpeter noch einen Akteur sah, der dann unbeabsichtigt sein eigenes Werk zerstörte, erkennt Immerthal nur noch Reakteure, die sich bei allem Handeln allein an den erwarteten Folgen orientieren. Konkurrenten und Kunden werden damit zur alleinigen Orientierungsgröße, vom unternehmerischen Schöpfertum bleibt keine Spur mehr.
"Provisorische Moral" nennt Immerthal dieses Verhalten - ein schöner Begriff, weil er ein Paradox darstellt angesichts des gängigen Verständnisses von festen moralischen Werten. Die Basis des Handelns ist das antizipierte Handeln anderer, und so treten wir in einen Teufelskreis ein. Schuld daran ist die neuere Entscheidungstheorie, die mit dem Triumph von spieltheoretischen Ansätzen immer komplexer geworden ist, immer mehr auch den Innovations- und Risikobegriff aufgespalten (je nach Interessengruppe) und Nachhaltigkeit zum höchsten aller Werte bestimmt hat. Doch auch Nachhaltigkeit kann nur aus der Perspektive anderer festgelegt werden, und so ist der Unternehmer wieder gezwungen, die eigene Überzeugung hintanzustellen. Er unternimmt nichts mehr, er nimmt hin.
"Wie können wir", fragt Immerthal konsequenterweise in seinem Schlusswort, "also noch vom Unternehmer und vom Unternehmertum sprechen?" Die Zeit des Konkurrenzkampfs ist zwar noch nicht vorbei, aber neben weiteren Unternehmern, die man dabei zu beachten hat, ist die diffuse Größe des "Dritten" dazugestoßen - mag er nun Kunde sein, Kritiker, Klassenkämpfer oder was auch immer. Jedenfalls denkt er nicht sui generis unternehmerisch, und dennoch müssen Unternehmer immer mehr Rücksicht auf ihn nehmen. Das Pathos, das in der Rede vom Unternehmer als Movens der Gesellschaft jahrhundertelang mitschwang, hält Immerthal für obsolet. Er plädiert statt für eine ökonomische Betrachtung des Phänomens für eine philosophische. Dann allerdings könnten wir gleich noch einmal bei Adam Smith nachschlagen, abseits der wenigen Stellen zur Unsichtbaren Hand.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was wussten wir bislang über den Unternehmer? Vor allem zwei Dinge - das eine seit mehr als zweihundert, das andere immerhin seit fünfundsechzig Jahren. Beide Konzepte sind also rentenreif, aber sie wirken unverändert frisch.
Das erste tolle Ding ist Adam Smiths Motiv der Unsichtbaren Hand. Im Hauptwerk des schottischen Moralphilosophen, Rhetorikers und Nationalökonomen, der 1776 erschienenen zweibändigen Schrift "An Inquiry Into the Nature and Causes of the Wealth of Nations", fällt dieser Begriff nur am Rande, aber das Konzept hat sich festgesetzt: Jeder wirtschaftende Mensch ist ein Egoist, aber gerade weil er für sich das Beste erreichen will, fördert er durch die List der Vorsehung das Allgemeinwohl. Denn jede Arbeit schafft Wohlstand, der auch anderen zugutekommt. Das ist der Grundgedanke des Liberalismus und die moralische Rechtfertigung für das kapitalistische Unternehmertum.
Das zweite tolle Ding hat uns der österreichische Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter beschert. 1942 erschien im amerikanischen Exil sein Buch "Capitalism, Socialism and Democracy", und darin ist von der "schöpferischen Zerstörung" die Rede - eine Idee, die zwar schon Werner Sombart rund ein halbes Jahrhundert früher entwickelt hatte, die aber erst mit Schumpeter ihren Durchbruch erlebte. Jeder Unternehmer, so besagt die Theorie, ist dazu verdammt, durch sein schöpferisches Talent die Grundlagen seines Erfolgs auch wieder zu zerstören. Denn eine gute Idee wird ausgebeutet, perfektioniert und dadurch schließlich so populär, dass die Konkurrenz sie übernimmt und das entsprechende Produkt billiger herstellt oder eine bessere Alternative entwickelt. Das ist der Grundgedanke der Konjunkturtheorie und die wettbewerbliche Rechtfertigung für das kapitalistische Unternehmertum.
Zwei tolle Dinge also, aber mit beiden will Lars Immerthal aufräumen. Seine Dissertation, die der Achtunddreißigjährige nach einem Zweitstudium der Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität Hagen angefertigt hat, trägt einen gegenüber Smiths oder Schumpeters Büchern geradezu profanen Titel: "Der Unternehmer". Aber der akademische Untertitel gleicht das mehr als aus: "Zum Wandel von Ethos und Strategie des Unternehmertums im Ausgang der Moderne" (Wilhelm Fink Verlag, München 2007. 430 S., br., 49,90 [Euro]). Ausgang der Moderne - das signalisiert einen Epochenbruch, der das klassische Unternehmerbild nicht unbeeinträchtigt lassen kann, und dementsprechend weit holt Immerthal aus und zieht dazu vor allem den vom französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss in den sechziger Jahren geprägten Begriff der bricolage (Bastelei) heran.
Wer bastelt, der improvisiert, und damit ist Immerthal noch nahe an Smith und Schumpeter, denn auch sie sprechen den Unternehmern ja gerade die Planungskompetenz ab - oder besser: jede Hoffnung auf verlässliche individuelle Planung. Immerthals Pointe ist jedoch, dass nicht nur die konkrete individuelle Gestaltungsfreiheit eine Illusion ist, sondern mittlerweile auch kein Unternehmer mehr daran glaubt. Wo Schumpeter noch einen Akteur sah, der dann unbeabsichtigt sein eigenes Werk zerstörte, erkennt Immerthal nur noch Reakteure, die sich bei allem Handeln allein an den erwarteten Folgen orientieren. Konkurrenten und Kunden werden damit zur alleinigen Orientierungsgröße, vom unternehmerischen Schöpfertum bleibt keine Spur mehr.
"Provisorische Moral" nennt Immerthal dieses Verhalten - ein schöner Begriff, weil er ein Paradox darstellt angesichts des gängigen Verständnisses von festen moralischen Werten. Die Basis des Handelns ist das antizipierte Handeln anderer, und so treten wir in einen Teufelskreis ein. Schuld daran ist die neuere Entscheidungstheorie, die mit dem Triumph von spieltheoretischen Ansätzen immer komplexer geworden ist, immer mehr auch den Innovations- und Risikobegriff aufgespalten (je nach Interessengruppe) und Nachhaltigkeit zum höchsten aller Werte bestimmt hat. Doch auch Nachhaltigkeit kann nur aus der Perspektive anderer festgelegt werden, und so ist der Unternehmer wieder gezwungen, die eigene Überzeugung hintanzustellen. Er unternimmt nichts mehr, er nimmt hin.
"Wie können wir", fragt Immerthal konsequenterweise in seinem Schlusswort, "also noch vom Unternehmer und vom Unternehmertum sprechen?" Die Zeit des Konkurrenzkampfs ist zwar noch nicht vorbei, aber neben weiteren Unternehmern, die man dabei zu beachten hat, ist die diffuse Größe des "Dritten" dazugestoßen - mag er nun Kunde sein, Kritiker, Klassenkämpfer oder was auch immer. Jedenfalls denkt er nicht sui generis unternehmerisch, und dennoch müssen Unternehmer immer mehr Rücksicht auf ihn nehmen. Das Pathos, das in der Rede vom Unternehmer als Movens der Gesellschaft jahrhundertelang mitschwang, hält Immerthal für obsolet. Er plädiert statt für eine ökonomische Betrachtung des Phänomens für eine philosophische. Dann allerdings könnten wir gleich noch einmal bei Adam Smith nachschlagen, abseits der wenigen Stellen zur Unsichtbaren Hand.
ANDREAS PLATTHAUS
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Peter Bendixen begrüßt diese Studie über den Unternehmer, die Lars Immerthal vorgelegt hat. Er findet darin eine in die philosophisch, ökonomisch und soziologische Denktradition eingebundene, überaus detailreiche Beschreibung der Entwicklung der Figur des Unternehmers. Besonders interessant scheint ihm die Auseinandersetzung mit den klassischen, von Max Weber und Joseph A. Schumpeter herkommenden Vorstellungen des freien, eigenständigen, individuellen, ethisch handelnden Unternehmers. Instruktiv findet er besonders Immerthals Betonung des Unternehmers als Fremden in der eigenen Gesellschaft. Der Autor führt für Bendixen überzeugend vor Augen, dass die klassischen Vorstellungen des Unternehmers heute nicht mehr tragen. So habe sich einerseits der Raum der Möglichkeiten durch die Globalisierung erweitert, andererseits seien Unternehmer heute mehr denn je in überindividuelle Strukturen des Wirtschaftsgeschehens eingebunden. Das Buch scheint Bendixen nicht gerade leichte Kost, erfordert es doch die Bereitschaft, dem Autor bei seinen oft abstrakten Gedankengängen zu folgen. Gleichwohl ist das Buch für Bendixen "lesens- und bedenkenswert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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