Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2005Klassisches Dreieck
Mit den Augen Courbets: Ein Roman von Jorge Edwards
Dieser psychologische Roman ist nahezu perfekt: hart, klar und trocken erzählt, auch gerade deshalb so intensiv; weltläufig, kultiviert - aber ohne Insistenz und Pedanterie; leicht bei aller Härte, sogar etwas reißerisch, spannend auf jeden Fall. Er ist nicht unbedingt, wie Mario Vargas Llosa urteilt, "sehr komisch", aber seiner Härte fehlt das Komische nicht. Er ist vor allem souverän geschrieben - auch und gerade in seiner formalen Unbekümmertheit. Da sind zum Beispiel, einfach so, zwei kühne Wechsel der Erzählperspektive: der vom "ich" zum "er" (da berichtet, ein Kapitel lang, plötzlich nicht mehr, wie bis dahin und nachher wieder, jener, der die Geschichte erleidet, sondern ein Erzähler von außen), dann, ganz am Ende, der Wechsel vom "ich" des Mannes zum "ich" der Frau, die immer mehr zum Opfer wird. Da redet nun also sie über ihn, der sonst das Wort führt.
Das Buch startet wie rasend. Augenblicklich geht es los - mit jenem ominösen Gemälde von Gustave Courbet, das so heißt wie dieser Roman. Oder andersherum: Der Roman heißt wie das Bild. Ist dieses Bild eigentlich obszön? Beinahe möchte man es heute "nett" nennen; es bleibt aber doch, in seiner unverschämten Direktheit, auch in seiner handwerklichen Perfektheit, irritierend. Und nun also: "Es sieht dir ähnlich", sagt unvermittelt der Mann zu seiner Frau, nachdem er im Museum das Bild "ein paar Minuten" betrachtet hat. Seltsam bestätigend wirkt da die unmotiviert wütende Reaktion der Frau: "Du bist verrückt!" fährt Silvia ihn an, "rot wie ein Schulmädchen". Patricio ist Medizinprofessor; Silvia war einmal seine Studentin. Um das klassische Dreieck zu vervollständigen - und das schon auf der ersten Seite -, ist da noch der gemeinsame Freund Felipe Díaz, ein heruntergekommener, aber interessanter Single, den Silvia ebenso sehr mag wie Patricio (und Patricio - das ist vielleicht das Problem - mag ihn eher noch etwas mehr als sie) und der seine oft wechselnden Frauen, wie Patricio zu wissen glaubt, gern "in obszöner Pose" fotografiert.
Dieser Felipe also ist die reale oder doch real mögliche Verbindung zwischen Courbet und Silvia: das Bild als Anreger für Felipe und Silvia als ein dankbar und nun fotografisch wiederholter "Ursprung der Welt". Ebenda setzt der sich rasch kristallisierende Verdacht von Patricio an, der sich zügig zur Paranoia entwickelt. Patricio trifft den weit jüngeren Freund einmal, dann noch einmal. Bevor er ihn aber selbst zu fragen vermag, stirbt Felipe - nur zwei Tage später, aber aus nicht ganz heiterem Himmel heraus (der Arzt Patricio sah es irgendwie kommen: da waren Risikofaktoren). Und dann, tatsächlich, findet Patricio in Felipes Wohnung neben anderen Fotografien eines, das genau mit Courbets Vorlage übereinstimmt, und ist nun sicher, daß die Frau auf dem Bild nur Silvia sein kann. Es folgt die beklemmende soziale Degradierung. Er sucht seine wenigen Freunde auf und kommt stets rasch auf seinen Punkt: Hast du, habt ihr Hinweise auf eine Geschichte zwischen Silvia und Felipe? Die Freunde sind entsetzt, weisen ihn so entschieden wie grob zurück. Patricios Wahn aber ist nicht aufzulösen. Schließlich geht aber doch alles, durch Silvias Klugheit, auch durch ihre Liebe, gut aus, so jedenfalls, daß es insgesamt wieder werden könnte, wie es war. Mehr soll hier nicht verraten werden, denn ein bißchen wie ein Krimi, freilich ohne Verbrechen, ist der Roman auch.
Zwar sind alle Personen des Romans Chilenen, die Handlung aber spielt, von gelegentlichen Erinnerungen an die Heimat abgesehen, in Paris. Dort leben sie als Flüchtlinge, als Opfer Pinochets. Und diese Exkommunisten finden es, ohne sich dies wirklich klarzumachen, schließlich doch angenehmer, in Paris zu bleiben, als nach Chile zurückzukehren. Paris ist doch etwas anderes als Iquique, sagt einmal Silvia, die da weiter, nämlich ehrlicher ist als die Männer. Da ist denn auch die Hintergrundkomik dieses kurzen, kaum politischen, sondern psychologischen und hier sehr unheimlichen Romans "Der Ursprung der Welt".
Der chilenische Autor mit dem englischen Nachnamen, Jahrgang 1931, ist in der spanischsprechenden Welt seit langem alles andere als unbekannt. Vor sechs Jahren erhielt er mit dem Premio Cervantes einen ihrer wichtigsten (und höchstdotierten) Literaturpreise. Sodann war Jorge Edwards Botschafter seines Landes in Brüssel, Havanna, Lima und Paris. Dies ist wie vormals in Frankreich (man denke nur an Paul Claudel und Saint-John Perse) noch heute in Lateinamerika nicht unüblich. Nun muß man nicht im diplomatischen Dienst gewesen sein, um solch einen Roman zu schreiben. Vielleicht aber hat die unpedantisch kultivierte Weltläufigkeit dieses Romans doch auch mit diesem biographischen Hintergrund zu tun. Jedenfalls paßt er zu ihm.
Sabine Giersbergs Übersetzung "aus dem chilenischen Spanisch" (nun, das ist halt Spanisch) ist sehr gut. Über einige Konjunktive freilich ließe sich streiten. Doch ist hier ja allgemein und zumindest norddeutsch einiges durcheinandergeraten. Die eigentümlichen Französischfehler im deutschen Text gehen aufs Konto des großen Jorge Edwards.
Jorge Edwards: "Der Ursprung der Welt". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Giersberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 176 Seiten, geb., 17,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit den Augen Courbets: Ein Roman von Jorge Edwards
Dieser psychologische Roman ist nahezu perfekt: hart, klar und trocken erzählt, auch gerade deshalb so intensiv; weltläufig, kultiviert - aber ohne Insistenz und Pedanterie; leicht bei aller Härte, sogar etwas reißerisch, spannend auf jeden Fall. Er ist nicht unbedingt, wie Mario Vargas Llosa urteilt, "sehr komisch", aber seiner Härte fehlt das Komische nicht. Er ist vor allem souverän geschrieben - auch und gerade in seiner formalen Unbekümmertheit. Da sind zum Beispiel, einfach so, zwei kühne Wechsel der Erzählperspektive: der vom "ich" zum "er" (da berichtet, ein Kapitel lang, plötzlich nicht mehr, wie bis dahin und nachher wieder, jener, der die Geschichte erleidet, sondern ein Erzähler von außen), dann, ganz am Ende, der Wechsel vom "ich" des Mannes zum "ich" der Frau, die immer mehr zum Opfer wird. Da redet nun also sie über ihn, der sonst das Wort führt.
Das Buch startet wie rasend. Augenblicklich geht es los - mit jenem ominösen Gemälde von Gustave Courbet, das so heißt wie dieser Roman. Oder andersherum: Der Roman heißt wie das Bild. Ist dieses Bild eigentlich obszön? Beinahe möchte man es heute "nett" nennen; es bleibt aber doch, in seiner unverschämten Direktheit, auch in seiner handwerklichen Perfektheit, irritierend. Und nun also: "Es sieht dir ähnlich", sagt unvermittelt der Mann zu seiner Frau, nachdem er im Museum das Bild "ein paar Minuten" betrachtet hat. Seltsam bestätigend wirkt da die unmotiviert wütende Reaktion der Frau: "Du bist verrückt!" fährt Silvia ihn an, "rot wie ein Schulmädchen". Patricio ist Medizinprofessor; Silvia war einmal seine Studentin. Um das klassische Dreieck zu vervollständigen - und das schon auf der ersten Seite -, ist da noch der gemeinsame Freund Felipe Díaz, ein heruntergekommener, aber interessanter Single, den Silvia ebenso sehr mag wie Patricio (und Patricio - das ist vielleicht das Problem - mag ihn eher noch etwas mehr als sie) und der seine oft wechselnden Frauen, wie Patricio zu wissen glaubt, gern "in obszöner Pose" fotografiert.
Dieser Felipe also ist die reale oder doch real mögliche Verbindung zwischen Courbet und Silvia: das Bild als Anreger für Felipe und Silvia als ein dankbar und nun fotografisch wiederholter "Ursprung der Welt". Ebenda setzt der sich rasch kristallisierende Verdacht von Patricio an, der sich zügig zur Paranoia entwickelt. Patricio trifft den weit jüngeren Freund einmal, dann noch einmal. Bevor er ihn aber selbst zu fragen vermag, stirbt Felipe - nur zwei Tage später, aber aus nicht ganz heiterem Himmel heraus (der Arzt Patricio sah es irgendwie kommen: da waren Risikofaktoren). Und dann, tatsächlich, findet Patricio in Felipes Wohnung neben anderen Fotografien eines, das genau mit Courbets Vorlage übereinstimmt, und ist nun sicher, daß die Frau auf dem Bild nur Silvia sein kann. Es folgt die beklemmende soziale Degradierung. Er sucht seine wenigen Freunde auf und kommt stets rasch auf seinen Punkt: Hast du, habt ihr Hinweise auf eine Geschichte zwischen Silvia und Felipe? Die Freunde sind entsetzt, weisen ihn so entschieden wie grob zurück. Patricios Wahn aber ist nicht aufzulösen. Schließlich geht aber doch alles, durch Silvias Klugheit, auch durch ihre Liebe, gut aus, so jedenfalls, daß es insgesamt wieder werden könnte, wie es war. Mehr soll hier nicht verraten werden, denn ein bißchen wie ein Krimi, freilich ohne Verbrechen, ist der Roman auch.
Zwar sind alle Personen des Romans Chilenen, die Handlung aber spielt, von gelegentlichen Erinnerungen an die Heimat abgesehen, in Paris. Dort leben sie als Flüchtlinge, als Opfer Pinochets. Und diese Exkommunisten finden es, ohne sich dies wirklich klarzumachen, schließlich doch angenehmer, in Paris zu bleiben, als nach Chile zurückzukehren. Paris ist doch etwas anderes als Iquique, sagt einmal Silvia, die da weiter, nämlich ehrlicher ist als die Männer. Da ist denn auch die Hintergrundkomik dieses kurzen, kaum politischen, sondern psychologischen und hier sehr unheimlichen Romans "Der Ursprung der Welt".
Der chilenische Autor mit dem englischen Nachnamen, Jahrgang 1931, ist in der spanischsprechenden Welt seit langem alles andere als unbekannt. Vor sechs Jahren erhielt er mit dem Premio Cervantes einen ihrer wichtigsten (und höchstdotierten) Literaturpreise. Sodann war Jorge Edwards Botschafter seines Landes in Brüssel, Havanna, Lima und Paris. Dies ist wie vormals in Frankreich (man denke nur an Paul Claudel und Saint-John Perse) noch heute in Lateinamerika nicht unüblich. Nun muß man nicht im diplomatischen Dienst gewesen sein, um solch einen Roman zu schreiben. Vielleicht aber hat die unpedantisch kultivierte Weltläufigkeit dieses Romans doch auch mit diesem biographischen Hintergrund zu tun. Jedenfalls paßt er zu ihm.
Sabine Giersbergs Übersetzung "aus dem chilenischen Spanisch" (nun, das ist halt Spanisch) ist sehr gut. Über einige Konjunktive freilich ließe sich streiten. Doch ist hier ja allgemein und zumindest norddeutsch einiges durcheinandergeraten. Die eigentümlichen Französischfehler im deutschen Text gehen aufs Konto des großen Jorge Edwards.
Jorge Edwards: "Der Ursprung der Welt". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Giersberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 176 Seiten, geb., 17,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Leopold Feldmair hat einiges auszusetzen an Jorge Edwards "schmalem" Roman "Der Ursprung der Welt", denn schmal findet er nicht nur den Umfang des Werkes. Auch den gedanklichen Zuschnitt hält er eher für bescheiden; einen leicht altersschnattrigen Machismo sieht er am Werk, die Angst eines "Großschriftstellers" vor den Mühen des Alters. Der Rezensent macht keinen Hehl daraus, dass er die Fabel - ein über 70 Jahre alter Arzt und Psychologe steigt in einem Anfall von Eifersucht der erotischen Vita eines durch Selbstmord geendeten Freundes nach und findet heraus, dass auch seine eigene Frau zu dessen Eroberungen gehört hat - und deren Gestaltung für einigermaßen töricht hält. "Wortverliebt" findet er den Roman, zudem "nicht ganz überzeugend übersetzt" und darüber hinaus mit "unsicherer Kommasetzung" belastet, welche letztere natürlich weder dem Autor noch dem Erzähler anzulasten ist. Der Titel bezieht sich auf das berühmte Gemälde Gustave Courbets, "den Schamhügel einer gesichtslosen Frau" zeigend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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