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Wenn Gene festlegen, dass wir z. B. für Krebs oder Diabetes anfällig sind, lässt sich vermuten, dass sie auch unser psychisches Leben mitgestalten. Doch auf welche Weise beeinflussen sie unsere Persönlichkeit, unser Denken und Handeln? Wir sind zwar keine Sklaven unserer Gene, so Marcus, doch weil sie das Neuronenwachstum steuern, wirken sie prägend auf Geist und Psyche. Denn erst im Wechselspiel zwischen Genen und Umwelt entscheidet sich, wie der Geist sich entfaltet. Marcus klärt über gängige Missverständnisse im Hinblick auf die Gene auf und zeigt, wie sich unser Gehirn unter dem Einfluss…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Gene festlegen, dass wir z. B. für Krebs oder Diabetes anfällig sind, lässt sich vermuten, dass sie auch unser psychisches Leben mitgestalten. Doch auf welche Weise beeinflussen sie unsere Persönlichkeit, unser Denken und Handeln? Wir sind zwar keine Sklaven unserer Gene, so Marcus, doch weil sie das Neuronenwachstum steuern, wirken sie prägend auf Geist und Psyche. Denn erst im Wechselspiel zwischen Genen und Umwelt entscheidet sich, wie der Geist sich entfaltet. Marcus klärt über gängige Missverständnisse im Hinblick auf die Gene auf und zeigt, wie sich unser Gehirn unter dem Einfluss von Erfahrungen immer wieder neu strukturiert. Anhand neuester Erkenntnisse aus Hirnforschung und Biologie entsteht ein faszinierendes Szenario, das die alte Gene-Umwelt-Debatte in völlig neuem Licht erscheinen lässt.
Autorenporträt
Gary Marcus lehrt und forscht als außerordentlicher Professor für Psychologie an der New York University. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2005

Die Backrezepte des Geistes
Einleuchtend: Gary Marcus erklärt, wie Gene unser Denken prägen

Auf die Demütigungen, die der wissenschaftliche Fortschritt dem Menschen zufügte, als er ihn aus der Mitte des Universums riß, sein Herz einer mechanischen Pumpe gleichsetzte und seinen Körper der atomaren Beschreibung unterwarf, reagiert der Alltagsverstand mit stillem Trotz und will wenigstens sein Gehirn und seinen Geist nicht unterschiedslos der Funktionsweise der körperlichen Welt subsumiert wissen. Während es also einerseits wenig Probleme bereitet, die Genese des Körpers aus seinem Genom zu erklären, da formieren sich andererseits rasch Widerstände, wenn es darum geht, genetische Erklärungsmuster auf Gehirn und Geist zu verwenden. Jenseits von Neurowissenschaft und Molekularbiologie bleibt eine Scheu, das Gehirn in dasselbe Korsett einer genetischen Erklärung wie den Rest des Körpers zu stecken, die mit der Furcht verbunden ist, den Geist dabei einer deterministischen Deutung auszusetzen, welche den Menschen zum willenlosen Exekutoren eines genetischen Bauplans macht.

Daß es möglich ist, Geist und Gehirn in ihrer genetischen Abhängigkeit zu erklären, ohne dabei in Fatalismus zu verfallen, ist die These, die der New Yorker Psychologe Gary Marcus in seinem faktenreichen und mitreißenden Buch verficht. Marcus, ein akademischer Grenzgänger, der sich von der Psychologie über die Linguistik zur Hirnforschung vorarbeitete, um seine Herkunftsdisziplin auf ihre vernachlässigte biologische Basis zu stellen, will nicht nur darlegen, daß Geist und Gene voneinander abhängen, sondern auf molekularbiologischer Ebene "zum ersten Mal" auch den Nachweis führen, wie sie das tun. Diese eher vom Laienverstand als von biologischer Sachkenntnis bestrittene These untermauert Marcus mit einem Arsenal von Experimenten, die er unterschiedlichen Wissensgebieten wie der Ethologie, der Psychologie, vor allem den neurowissenschaftlichen Befunden der letzten Dekade entlehnt und die in ihrer Fülle keinen Zweifel an der komplexen genetischen Bedingtheit des Geistes lassen.

Marcus tritt mit dem kopernikanischen Pathos des Neuerers auf, der mit der Sonderstellung von Gehirn und Geist gegenüber den Genen aufzuräumen verspricht. Nicht nur die anfängliche Struktur des Gehirns ist ihm zufolge ein Produkt unserer genetischen Ausstattung. Auch nach der Bildung einer neuralen Grundstruktur bleiben die Gene bei der fortschreitenden Formation des Gehirns aktiv. In so gut wie jeden Prozeß, der im Leben einer Zelle von Bedeutung ist - bei Zellteilung, Zellmigration, Zelldifferenzierung und programmiertem Zelltod -, greifen Gene in einem komplexen System sich selbst regulierender Mechanismen modulierend ein. Was kein Grund zum Fatalismus ist, denn Marcus' These zufolge sind diese genetischen Prozesse nicht (wie dies häufig getan wird) mit der sturen Abarbeitung einer Blaupause zu vergleichen. Näher komme man ihrer Bedeutung, wenn man sie als eine Art "Backrezept" verstehe, das jedem einzelnen Gen ein Verhaltensmuster bereitstelle, mit dem es flexibel auf seine Umwelt reagieren könne. Anders als es weite Teile der Psychologie annehmen, gleicht der Geist daher nicht einem leeren Blatt, das Sinnesreize erst beschreiben müssen. Er ist aber auch kein unverrückbarer Mechanismus, der allen äußeren Einflüssen gegenüber unverändert bleibt.

Zwar hängt die grundlegende Struktur des jungen Gehirns nur in sehr geringem Maße von äußeren Erfahrungen ab. Die Erbanlagen sorgen jedoch nur für einen Rohentwurf, eine Art "Vorverdrahtung" des Gehirns, die von der Erfahrung überarbeitet werden kann. Das Prinzip der Plastizität erlaubt selbst dem erwachsenen Gehirn, in Reaktion auf Sinnesreize aus der Außenwelt Neuverdrahtungen vorzunehmen. Noch deutlicher hinterlassen Umwelterfahrungen in dem wesentlich flexibleren jungen Gehirn ihre synaptischen Spuren, an deren Bildung die Gene nicht unbeteiligt sind.

Der Frage, auf welche Weise die Gene in den Betrieb des Gehirns eingreifen, rückt der von den computationalen Geistestheorien der Kognitionswissenschaft geprägte Marcus mit der Begrifflichkeit der rekursiven Funktionentheorie zu Leibe und unterscheidet zwei Gen-Regionen: Während die Dann-Region eines Gens "Rezepte" für die Kodierung von Proteinen, den molekularen Arbeitsmaschinen der Zelle, enthält, entscheidet die regulatorische Wenn-Region, wann der Matrizenteil eines Gens in das entsprechende Protein übersetzt wird. Das einzelne Gen kann so nicht nur ein festes Programm abspulen, sondern über seine regulatorische Region auch auf Proteinsignale anderer Gene reagieren.

Die daraus resultierende Interaktion der Gene erklärt, wie die nur 30 000 Gene des Genoms ein komplexes Netz bilden können, das Billionen von Nervenzellen steuern kann; sie macht verständlich, weshalb die gleichermaßen durch Umwelt, genetische Programmierung und genetischen Austausch bestimmte Entwicklung des Gehirns ein so großes Maß an Flexibilität aufweist - und sie beantwortet nicht zuletzt die Frage, weshalb der Mensch trotz minimaler Abweichung seines genetischen Inventars völlig andere mentale Funktionen als etwa der ihm genetisch zu 98 Prozent gleichende Schimpanse ausbildet.

Wo sich das allen Säugetieren gemeinsame Steuerungsinstrument der Gehirnevolution, der "ontogenetische Werkzeugkasten", beim Menschen kaum von dem einfacher Tierarten unterscheidet, da erlaubt die größere Flexibilität seiner regulatorischen Genregion dem menschlichen Gehirn eine größere funktionale Ausdifferenzierung. Auch bei Lernvorgängen macht sich der Einfluß der regulatorischen Genkaskaden bemerkbar und trägt zur Bildung synaptischer Spuren bei. Erst und auch seine Gene machen den Menschen lernfähig.

Wo Marcus der Verheißung seines Titels gerecht werden und anhand des Sprachursprungs auch den Ursprung des menschlichen Geistes genetisch herleiten will, bleiben seine Ausführungen auf Andeutungen beschränkt. Die Leistung seines Buches besteht eher darin, Ergebnisse verschiedener biologischer Forschungsfelder, die offensichtlich noch nicht in benachbarte Disziplinen wie die Psychologie vorgedrungen sind, unter der These von der genetischen Bedingtheit des Gehirns zu bündeln und dabei den Blick für die komplexitätserklärende Bedeutung der regulatorischen Kaskaden zu schärfen. Daß er dabei nicht nur überzeugen, sondern auch bestens unterhalten kann, ist nicht sein geringstes Verdienst.

THOMAS THIEL

Gary Marcus: "Der Ursprung des Geistes". Wie Gene unser Denken prägen. Aus dem Amerikanischen von Christoph Trunk. Walter Verlag, Düsseldorf, Zürich 2005. 308 S., geb., 34,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auch der Verfasser von "Der Ursprung des Geistes" hat keine rechte Antwort darauf, "wie Gene unser Denken prägen" (so der Untertitel des Buches). Noch warte die Menschheit auf ihren Kopernikus der Genetik, der mit seinem großen Universalschlüssel die Zauberreiche der Erklärung aufsperrt, stellt Rezensent Christoph von der Malsburg fest. Trotzdem preist er Gary Marcus für seine Studie. Denn Marcus stellt nicht nur all jene Informationen und erstaunlichen Tatsachen zusammen, die auch der künftige Gen-Kopernikus parat haben muss, um seine Arbeit zu tun, nein, er regt an, wirkt also durch seine Schrift ausgesprochen produktiv, lobt Malsburg. Wirklich beflügeln diese Ausführungen zur Struktur des Genoms den Rezensenten zu einem Lobpreis der Evolution, die er mit einem "großen Pianisten" vergleicht, für den "verschiedene Tierarten nur verschiedene Melodien sind". Offenbar also führt der Weg zur prästabilierten Harmonie über dieses Buch, und das ist keine kleine Empfehlung.

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