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Produktdetails
  • Verlag: Kramer, Frankfurt
  • Seitenzahl: 144
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 346g
  • ISBN-13: 9783782905398
  • ISBN-10: 3782905393
  • Artikelnr.: 12152644
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2003

Als der Vatikan nach Kronberg kam
Wie der spätere Kardinal Alois Muench nach 1945 maßgeblich zur deutsch-amerikanischen Freundschaft beitrug / Buchvorstellung

KRONBERG. Deutschland im Frühjahr 1945. Das Land ist von den Alliierten besiegt und besetzt, nicht etwa "befreit", wie es nach aufkeimender Versöhnung gewisse Zeit später heißen wird. Den Deutschen müsse klargemacht werden, "daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben". So steht es in der Direktive JCS 1067 des US-Generalstabes vom April 1945. Nach den Plänen der Alliierten soll Deutschland aufgeteilt und entindustrialisiert, der Aufbau neuer Schlüsselindustrien unterbunden werden. Vorstellungen von einer Kollektivschuld aller Deutschen bestimmen das Vorgehen der Siegermächte. Die bewußt knapp gehaltene Versorgung mit Lebensmitteln folgt der Direktive, Hungersnot abzuwenden, damit sich nicht Krankheiten ausbreiten oder zivile Unruhen die Besatzungstruppen gefährden könnten.

Während die offenkundig gewordenen Greuel nationalsozialistischer Verbrechen das Bild von den Deutschen in aller Welt prägen, protestiert im fernen US-Staat North Dakota der katholische Bischof von Fargo, Alois Muench, gegen die Deutschlandpolitik seiner Regierung. Im Fastenhirtenbrief an seine Gemeinden 1946 warnt Muench vor einer Politik der Rache, die wie ein Bumerang schließlich die eigenen Interessen schädigen werde. Es gehe nicht an, die Lebensmittelrationen für den Feind nach einer "Krankheits- und Unruhe"-Formel zu bestimmen statt nach den Maßen der christlichen Liebe. Muench, als Theologe nach einem Zusatzstudium von der Schweizer Universität Fribourg zum Doktor der Sozialwissenschaften promoviert, wendet sich zugleich gegen die seiner Auffassung nach ökonomisch verfehlte Reparationspolitik. Den Schaden davon hätten amerikanische Farmer und Fabrikarbeiter, wenn die stupide Politik eines harten Friedens einen der größten Märkte Amerikas zerstöre.

Daß Papst Pius XII. im Frühjahr 1946 Alois Muench nach Deutschland schickt, um dort die Seelsorge für die Displaced Persons zu organisieren, wird sich als Glücksfall erweisen, nicht nur für diesen vom NS-Regime im Osten zwangsrekrutierten Personenkreis, sondern für alle in Deutschland lebenden Menschen, schließlich sogar für die Entwicklung des deutschen Staatswesens. Muench residiert von 1946 bis 1951 in der beschlagnahmten Kronberger Villa Grosch, die ihm die Amerikaner zuweisen, zunächst als päpstlicher Legat, bald darauf in Personalunion als Berater der US-Militärregierung. Er wird später der erste Apostolische Nuntius bei der jungen Bundesrepublik Deutschland und 1959 noch in dieser Funktion zum Kardinal erhoben.

Der in Kronberg lebende Autor Herbert Alsheimer schildert in seinem Buch "Der Vatikan in Kronberg" nicht nur das seelsorgerische und karitative Wirken der Apostolischen Mission, er richtet zugleich den Blick auf einen erregenden Abschnitt deutscher Nachkriegs- und Verfassungsgeschichte. Was die heute fast vergessene Kronberger Mission dazu beigetragen hat, dafür zitiert im Vorwort der heutige Berliner Nuntius Giovanni Lajolo den damaligen Sonderberater von General Lucius D. Clay, den Amerikaner John A. Panuch: "Wenn ich nach den Namen der vier Männer gefragt würde, die in den 15 Jahren das meiste getan haben, um eine dauerhafte Brücke der Verständigung zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Volke zu bauen, würde ich sie in der folgenden Rangfolge benennen: Bischof Muench, General Clay, Konrad Adenauer und John McCloy."

Papst Pius XII., der bereits zu Weihnachten 1944 öffentlich davor gewarnt hatte, kollektiv ganze Gemeinschaften zu richten, wurde nicht nur deswegen in den ersten Nachkriegsjahren von vielen Seiten als zu deutschfreundlich kritisiert. Aufgrund seiner These, Deutschland sei mit der Kapitulation der Wehrmacht nicht als Völkerrechtssubjekt untergegangen, hat die Nuntiatur des Vatikans als einzige Vertretung eines ausländischen Staates auf deutschem Boden das Ende des NS-Regimes und die Besatzungszeit ohne Unterbrechung überdauert.

Der aus dem bedrohten Berlin nach Bayern geflohene Nuntius sah sich freilich zur diplomatischen Untätigkeit verurteilt. Daß eine päpstliche Delegation Zugang zum US-Oberkommandierenden Dwight D. Eisenhower in Frankfurt erhielt, erklärt sich aus der Sorge der UN um das Schicksal von schätzungsweise 6,5 Millionen verschleppter ausländischer Zivilpersonen, die sich 1945 im Gebiet des untergegangenen Reiches aufhalten. Deren religiöse Betreuung sollte nach dem Willen der Siegermächte nicht deutschen Bischöfen aufgetragen werden.

Eisenhower gestattet die Einrichtung einer päpstlichen Mission für die Displaced Persons, und der Papst erfüllt im Gegenzug den kaum verhüllten Wunsch des Generals, als Chef der Mission einen Amerikaner zu berufen. So fährt Bischof Alois Muench als päpstlicher Legat nach Kronberg. In seiner Person begründet liegt die zu dieser Zeit nicht vorhersehbare Breite seines späteren Wirkens. Über Konfessionsgrenzen hinweg gewinnt Muench Einfluß auf die Haltung der Besatzungsmacht den Deutschen gegenüber, auch bei hochpolitischen Fragen wie der Demontage. Selbst Sohn deutscher Einwanderer aus dem Böhmerwald und aus Bayern, verurteilt Bischof Muench 1947 im jährlichen Pastoralschreiben an seine Gemeinden nicht nur Einwanderungsbeschränkungen gegen Displaced Persons, er prangert auch das Unrecht gegen zwölf Millionen deutscher Vertriebener an.

Karitative Aufgaben werden zum Hauptfeld der Kronberger Arbeit. Einen besonderen Draht zu den amerikanischen Dienststellen eröffnet Muench die Berufung zum Berater der US-Militärregierung in kirchlichen Fragen. Was Präsident Harry S. Truman den protestantischen Kirchen der Vereinigten Staaten zugesteht, wollen seine Generale auch der katholischen Kirche nicht verweigern. In der Funktion als Liaison Consultant der Militärregierung kann Muench 1949 auch einige deutsche Probleme persönlich bei Truman vortragen.

Die Arbeit in der Kronberger Villa Grosch, wo Muench von 1946 bis 1951 nacheinander als Apostolischer Visitator, als Regent der Nuntiatur und zuletzt zwei Monate lang als Nuntius residierte, hat Alsheimer sorgfältig dokumentiert und gleichzeitig als hochinteressanten Abschnitt der Zeitgeschichte spannend aufbereitet. Der befremdliche Titel "Der Vatikan in Kronberg" spiegelt die Findigkeit der Post: Eine Bittstellerin konnte sich offensichtlich unter dem Namen des dort als Kanzler tätigen Jesuitenpaters Ivo Zeiger keinen Mann vorstellen und adressierte an "Fräulein Ivo, Vatikan, Kronberg". Der Brief kam an.

Das Buch führt mitten hinein in fast vergessene Nachkriegswirren und ihre Bewältigung. Alsheimer bietet ebenso fundierte wie lesbare Information nicht nur für Katholiken oder Lokalpatrioten. Das Buch ist eine Fundgrube zeitgeschichtlicher Ereignisse. Nicht zuletzt liefert es auch einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Rolle Pius' XII. in Kriegs- und Nachkriegsjahren. Außer einem reichhaltigen Literaturverzeichnis gibt es eine Zeittafel und ein Glossar zeitbedingter oder kirchlicher Begriffe vom Alliierten Kontrollrat bis zum Staatssekretariat des Papstes.

Bei der Vorstellung des Buches hob Bürgermeister Wilhelm Kreß (SPD) gestern hervor, daß es weit über die Heimatgeschichte hinausweise und ein bisher nicht beleuchtetes Stück der Geschichte Deutschlands, Amerikas und des Vatikan aufgreife. Dieser Einschätzung schloß sich auch der amerikanische Generalkonsul Peter Bodde an. Die erste Auflage des Buches wird von den örtlichen Geldinstituten und der Stadt Kronberg subventioniert.

KONRAD HUTH

Herbert Alsheimer: "Der Vatikan in Kronberg - Ein Unikat in der deutschen Nachkriegsgeschichte". 144 Seiten, Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt 2003, 14,80 Euro.

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