Produktdetails
- Sifria, Wissenschaftliche Bibliothek Bd.1
- Verlag: Jüdische Verlagsanstalt Berlin
- 2000.
- Seitenzahl: 298
- Deutsch
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 410g
- ISBN-13: 9783934658080
- ISBN-10: 3934658083
- Artikelnr.: 08965517
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2001Der vertrackte Friedensprozeß
Reiner Bernstein analysiert ihn, vergißt jedoch einige Aspekte der Entwicklung im Nahen Osten
Reiner Bernstein: Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten. Sifria. Wissenschaftliche Bibliothek, Band 1. Jüdische Verlagsanstalt Berlin, Berlin 2000, 298 Seiten, 49,80 Mark.
"Wer aus dem Rathaus kommt, ist klüger als zuvor", heißt es. Zu dieser Art von besserwisserischen Büchern über den nahöstlichen Friedensprozeß, deren Autoren angeblich schon an dessen Anfang und jetzt erst recht sein Scheitern unfehlbar voraussagten, gehört das Buch "Der verborgene Frieden" von Reiner Bernstein nicht. Es kam auch noch vor der Climax der jüngsten "al-Aqsa-Intifada" heraus, enthält indessen manche Passagen, die insoweit "prophetisch" wirken, als sie dieser Tage hätten geschrieben sein können. So gesehen ist man hinterher wirklich klüger. Das jüngste Scheitern von Israelis und Palästinensern macht das Buch um so interessanter.
Bernstein, Studienleiter an der Melanchthon-Akademie in Köln, bietet eine umfassende, mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat versehene Analyse all jener Aspekte des Friedensprozesses, die seit Beginn der Oslo-Abmachungen 1993 das Geschehen bestimmten, vor allem jedoch jener Strukturen, die zu der allmählichen Ermattung der Friedensbemühungen geführt haben.
Es ist das vorläufige Ende einer Entwicklung, das viele nach den ersten Erfolgen nicht mehr für möglich gehalten hatten. Die Prinzipienerklärung von Oslo hatte, mit dieser Kritik steht Bernstein nicht allein, von Beginn an gewisse Schwachstellen. Es waren Vereinbarungen, die nach seiner Meinung nicht die völkerrechtliche Gültigkeit von Verträgen hatten, die zudem und im wesentlichen die Angelegenheiten kleiner Eliten ohne wirklichen Kontakt zum "Volk" waren (und zwar auf beiden Seiten) und die an einer eklatanten Neigung zu Ungleichgewichten litten. Hier wäre freilich zu fragen, welche völkerrechtliche Relevanz denn jene "Prinzipienerklärung" hatte, in welcher der britische Außenminister Balfour im Jahre 1917 den Zionisten zusicherte, Großbritannien werde sich für eine jüdische Heimstätte in Palästina einsetzen. Damals gab es noch nicht einmal ein britisches Mandat.
Das größte Ungleichgewicht war - und ist, muß man hinzufügen - die enorme Diskrepanz zwischen der regionalen Großmacht Israel und einer bloßen "Nichtregierungsorganisation", wie die PLO es damals faktisch war. Durch die Prinzipienerklärung verloren die Palästinenser mit einem Schlage alle ihre "Trümpfe" und gerieten in eine Abhängigkeit, die den gesamten weiteren Prozeß einer Normalisierung zahlreichen Verzerrungen aussetzte. Das Ungleichgewicht, so kann man hinzufügen, machte sich sogar bemerkbar, wenn man es nicht - wie drei Jahre lang unter dem Ministerpräsidenten Netanjahu geschehen - mit Absicht und zum Zwecke des Hinhaltens der Palästinenser instrumentalisierte.
Das palästinensische Bestreben, jenes Manko auszugleichen, hat den Friedensprozeß ebenfalls von Beginn an schwer belastet. Ob man den PLO-Führer und jetzigen "Präsidenten" der Palästinenser, Arafat, der in Wahrheit noch nichts anderes ist als Gebieter über einen Flickenteppich von autonomen Ländereien, allerdings dafür schelten soll, daß er einer Art von Staatsobsession erlegen ist, wie Bernstein meint, bleibe einmal dahingestellt. Die PLO hatte nun einmal schon im Jahre 1988 einen "Staat" proklamiert, unter Bedingungen, bei denen an einen Friedensprozeß noch nicht zu denken war. Da konnte sie schlecht Abschied nehmen von dem Gedanken, zumal dieser virtuelle Staat von zahlreichen Regierungen bereits anerkannt worden war.
Der mühsame Prozeß einer friedlichen Annäherung geriet den Politikern, auch da hat Bernstein recht, mehr und mehr aus den Händen und wurde immer stärker zu einer Angelegenheit der Religion. Die Hamas entwickelte so etwas wie eine Gegengesellschaft unter den Palästinensern. Religiöse Parolen und Metaphern bestimmen den Diskurs, je mehr man sich den Kernpunkten des Konfliktes (Jerusalem, Siedlungen, Rückkehrrecht) und ihrer Behandlung nähert, aber auch die Zusammenstöße auf den Straßen. Die amerikanische Vermittlung ist einstweilen gescheitert, weniger vielleicht wegen Amerikas "wohlwollender Hegemonie" als wegen seiner Hinneigung zu Israel, auch wenn diese dank Clintons Lernbereitschaft schwächer wurde. Schwach ist Europa, so daß man sich den Alten Kontinent, der den Konfliktknoten einstmals schnürte, nur schwer als Vermittler vorstellen kann. Unzureichend behandelt sind in diesem gleichwohl lesenswerten Buch die Auswirkungen des jüdischen Fundamentalismus. Auch fehlt ein Kapitel, das die Rezeption der Entstehung dieses Konfliktes aus arabischer Sicht darbietet. Der Zionismus mag eine Erfolgsgeschichte sein, allerdings nicht für jene, die unter ihm gelitten haben.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reiner Bernstein analysiert ihn, vergißt jedoch einige Aspekte der Entwicklung im Nahen Osten
Reiner Bernstein: Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten. Sifria. Wissenschaftliche Bibliothek, Band 1. Jüdische Verlagsanstalt Berlin, Berlin 2000, 298 Seiten, 49,80 Mark.
"Wer aus dem Rathaus kommt, ist klüger als zuvor", heißt es. Zu dieser Art von besserwisserischen Büchern über den nahöstlichen Friedensprozeß, deren Autoren angeblich schon an dessen Anfang und jetzt erst recht sein Scheitern unfehlbar voraussagten, gehört das Buch "Der verborgene Frieden" von Reiner Bernstein nicht. Es kam auch noch vor der Climax der jüngsten "al-Aqsa-Intifada" heraus, enthält indessen manche Passagen, die insoweit "prophetisch" wirken, als sie dieser Tage hätten geschrieben sein können. So gesehen ist man hinterher wirklich klüger. Das jüngste Scheitern von Israelis und Palästinensern macht das Buch um so interessanter.
Bernstein, Studienleiter an der Melanchthon-Akademie in Köln, bietet eine umfassende, mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat versehene Analyse all jener Aspekte des Friedensprozesses, die seit Beginn der Oslo-Abmachungen 1993 das Geschehen bestimmten, vor allem jedoch jener Strukturen, die zu der allmählichen Ermattung der Friedensbemühungen geführt haben.
Es ist das vorläufige Ende einer Entwicklung, das viele nach den ersten Erfolgen nicht mehr für möglich gehalten hatten. Die Prinzipienerklärung von Oslo hatte, mit dieser Kritik steht Bernstein nicht allein, von Beginn an gewisse Schwachstellen. Es waren Vereinbarungen, die nach seiner Meinung nicht die völkerrechtliche Gültigkeit von Verträgen hatten, die zudem und im wesentlichen die Angelegenheiten kleiner Eliten ohne wirklichen Kontakt zum "Volk" waren (und zwar auf beiden Seiten) und die an einer eklatanten Neigung zu Ungleichgewichten litten. Hier wäre freilich zu fragen, welche völkerrechtliche Relevanz denn jene "Prinzipienerklärung" hatte, in welcher der britische Außenminister Balfour im Jahre 1917 den Zionisten zusicherte, Großbritannien werde sich für eine jüdische Heimstätte in Palästina einsetzen. Damals gab es noch nicht einmal ein britisches Mandat.
Das größte Ungleichgewicht war - und ist, muß man hinzufügen - die enorme Diskrepanz zwischen der regionalen Großmacht Israel und einer bloßen "Nichtregierungsorganisation", wie die PLO es damals faktisch war. Durch die Prinzipienerklärung verloren die Palästinenser mit einem Schlage alle ihre "Trümpfe" und gerieten in eine Abhängigkeit, die den gesamten weiteren Prozeß einer Normalisierung zahlreichen Verzerrungen aussetzte. Das Ungleichgewicht, so kann man hinzufügen, machte sich sogar bemerkbar, wenn man es nicht - wie drei Jahre lang unter dem Ministerpräsidenten Netanjahu geschehen - mit Absicht und zum Zwecke des Hinhaltens der Palästinenser instrumentalisierte.
Das palästinensische Bestreben, jenes Manko auszugleichen, hat den Friedensprozeß ebenfalls von Beginn an schwer belastet. Ob man den PLO-Führer und jetzigen "Präsidenten" der Palästinenser, Arafat, der in Wahrheit noch nichts anderes ist als Gebieter über einen Flickenteppich von autonomen Ländereien, allerdings dafür schelten soll, daß er einer Art von Staatsobsession erlegen ist, wie Bernstein meint, bleibe einmal dahingestellt. Die PLO hatte nun einmal schon im Jahre 1988 einen "Staat" proklamiert, unter Bedingungen, bei denen an einen Friedensprozeß noch nicht zu denken war. Da konnte sie schlecht Abschied nehmen von dem Gedanken, zumal dieser virtuelle Staat von zahlreichen Regierungen bereits anerkannt worden war.
Der mühsame Prozeß einer friedlichen Annäherung geriet den Politikern, auch da hat Bernstein recht, mehr und mehr aus den Händen und wurde immer stärker zu einer Angelegenheit der Religion. Die Hamas entwickelte so etwas wie eine Gegengesellschaft unter den Palästinensern. Religiöse Parolen und Metaphern bestimmen den Diskurs, je mehr man sich den Kernpunkten des Konfliktes (Jerusalem, Siedlungen, Rückkehrrecht) und ihrer Behandlung nähert, aber auch die Zusammenstöße auf den Straßen. Die amerikanische Vermittlung ist einstweilen gescheitert, weniger vielleicht wegen Amerikas "wohlwollender Hegemonie" als wegen seiner Hinneigung zu Israel, auch wenn diese dank Clintons Lernbereitschaft schwächer wurde. Schwach ist Europa, so daß man sich den Alten Kontinent, der den Konfliktknoten einstmals schnürte, nur schwer als Vermittler vorstellen kann. Unzureichend behandelt sind in diesem gleichwohl lesenswerten Buch die Auswirkungen des jüdischen Fundamentalismus. Auch fehlt ein Kapitel, das die Rezeption der Entstehung dieses Konfliktes aus arabischer Sicht darbietet. Der Zionismus mag eine Erfolgsgeschichte sein, allerdings nicht für jene, die unter ihm gelitten haben.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Drei Bücher von verschiedener Qualität und mit verschiedener Herangehensweise an den israelisch-palästinensischen Konflikt und den ins Stocken gekommenen Friedensprozess bespricht Ludwig Watzal.
1) Reiner Bernstein: "
1) Reiner Bernstein: "