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Klaus Schlesinger hat sich über mehrere Jahrzehnte immer wieder mit Heinrich von Kleist befasst, der für ihn - weit über die bloße literarische Auseinandersetzung hinaus - zu einer künstlerischen wie persönlichen Projektionsfigur wurde.
Ausgangspunkt der bislang unveröffentlichten Novelle Der Verdacht ist der Selbstmord von Kleist und Henriette Vogel, doch wird das Geschehen bald vom ermittelnden Beamten Felgentreu dominiert. Diesem kommen Zweifel am Selbstmord, als die Behörden seine Ermittlungen zu behindern scheinen. Der Fortgang der Untersuchungen führt zu einem überraschenden…mehr

Produktbeschreibung
Klaus Schlesinger hat sich über mehrere Jahrzehnte immer wieder mit Heinrich von Kleist befasst, der für ihn - weit über die bloße literarische Auseinandersetzung hinaus - zu einer künstlerischen wie persönlichen Projektionsfigur wurde.

Ausgangspunkt der bislang unveröffentlichten Novelle Der Verdacht ist der Selbstmord von Kleist und Henriette Vogel, doch wird das Geschehen bald vom ermittelnden Beamten Felgentreu dominiert. Diesem kommen Zweifel am Selbstmord, als die Behörden seine Ermittlungen zu behindern scheinen. Der Fortgang der Untersuchungen führt zu einem überraschenden Ergebnis. Angesichts der Bedeutung, die Kleist für Schlesinger hatte - davon zeugen Notizbuchaufzeichnungen, Bibliotheks- und Archivstudien, Ideenskizzen, Exposés, Prosatexte sowie ein Filmszenarium für die DEFA (das nie umgesetzt wurde) -, stellt die Schlesinger-Biografin Astrid Köhler in ihrem Nachwort die Frage, weshalb der Autor die Arbeit am Kleist-Stoff nie abgeschlossen hat.

Anette Handke beleuchtet die historischen Fakten, die dem Kleist-Felgentreu-Thema zugrunde liegen. Und der Hallenser Künstler Moritz Götze hat sich von der Novelle zu Radierungen inspirieren lassen, die den Text kongenial illustrieren.
Autorenporträt
Klaus Schlesinger (1937-2001), ist einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach Ausbildung und Arbeit als Chemielaborant nahm er an einem Kurs zur literarischen Reportage teil, erhielt 1968 einen Fördervertrag des Hinstorff Verlages und absolvierte 1972 einen Fernkurs am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig. Nach Beteiligung an Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und gegen weitere kulturpolitische Restriktionen wurde er 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und übersiedelte 1980 nach West-Berlin.
Rezensionen
Bin ich Kleist?
Klaus Schlesingers Novelle "Der Verdacht" erscheint fast fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung.

Man nennt das einen erweiterten Suizid: Am 21. November 1811 tötete Heinrich von Kleist zuerst seine Freundin Henriette Vogel, dann erschoss er sich selbst. Das war in Berlin am Kleinen Wannsee. Die Leichen wurden an Ort und Stelle begraben, als Selbstmörder durften sie nicht auf den Kirchhof.

Das Grab ist noch heute zu sehen, ein beruhigender Ort unter hohen Bäumen und mit Seeblick. Wie die Tat ablief und was in den Stunden davor geschehen war, ist aus den Polizeiakten längst rekonstruiert. Eine seltsame Faszination geht von alledem bis heute aus. Das hat auch in der Literatur ihre Spur hinterlassen. Die Umstände von Kleists Tod führten sogar dazu, dass der Dichter selbst zur literarischen Figur wurde. Besonders auffällig geschah das in den siebziger Jahren in der DDR-Literatur. Allerdings ging es damals weniger um Kleist selbst, er wurde vielmehr zu einer Projektionsfläche, auf der sich die Situation eines DDR-Schriftstellers, eingeklemmt zwischen Macht und Kunst, abbilden ließ. Weil Kleist einer von denen war, die "ihre Stirnen an der gesellschaftlichen Mauer der Wirklichkeit wundrieben", wie Anna Seghers einmal gesagt hat, auch sie mit Blick auf ihre eigene Gegenwart.

Die Biermann-Ausbürgerung 1976 machte endgültig klar, dass von einer SED-Kulturpolitik weder künstlerische noch politische Freiheit zu erwarten war. Auch die letzte Hoffnung in einen irgendwie schönen Sozialismus ging verloren. Das literarisch zu reflektieren schien nur noch im historischen Stoff möglich. Kleist kam da gerade recht. Christa Wolf schrieb "Kein Ort. Nirgends", Günter Kunert "Der andere K". Und auch Klaus Schlesinger ließ das Thema nicht los. In seinem Nachlass findet sich eine umfangreiche "Kleist-Mappe", die zeigt, wie intensiv und vielfältig seine Beschäftigung mit dem Dichter und speziell dessen Selbstmord war. In der DDR sollte ein Film entstehen, der Plan zerschlug sich, als Schlesinger in den Westen ging. Ein Hörspiel wurde vom Sender Freies Berlin ausgestrahlt. Und Schlesinger schrieb außerdem eine Kleist-Novelle, die er aber unveröffentlicht ließ. Einen Grund dafür nannte er selbst: Die Geschichte sei "zu sehr auf die DDR-Position bezogen". Tatsächlich wäre der Text damals ausschließlich als Kritik an den DDR-Verhältnissen gelesen worden. In Sätzen wie: "Diese Stadt: Wie sie sich verändert hat. Irgendetwas Unbestimmbares lastet auf ihr. Das sieht man in den Gesichtern der Menschen, das merkt man im Weinhaus oder beim Barbier." Oder: "Was man brauche, sagt der Geheime Rat, seien Ordnung und Ruhe!" Oder: "Aber nun wolle er nicht ausschließen, dass dieser Kleist rein staatspolitisch gesehen als auffällige Figur gegolten habe".

Schlesinger selbst gehörte zu den "auffälligen Figuren". Erst ein vielfach geförderter junger Autor, dann aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, seit 1980 in West-Berlin lebend, wohin er seinen Kleist gleichsam mitgenommen hatte. 2001 ist Schlesinger gestorben.

Es dürfte für ihn aber auch künstlerische Gründe gegeben haben, seinen Kleist-Text im Schreibtisch zu belassen. Es ist der einzige historische Stoff, dem er sich widmete. Er experimentierte mit der Sprache, aber auch mit der Form, selbst die Titel wechselten immer wieder. Er nennt seinen Text eine Novelle, aber er hat auch Züge eines Krimis. Aber Schlesinger vermochte sich nicht zu entscheiden, was genau es nun eigentlich sein sollte. Im ersten Teil der Novelle sind Kleist und Vogel die Haupthelden, nach deren Tod kommt der Ermittler Felgentreu ins Spiel, der Zweifel am Selbstmord hegt. Am Ende mischen sich beide Geschichten in einer albtraumartigen Szene, in der ein Polizeigehilfe den schwerkranken Felgentreu erschießt, so wie Kleist die schwerkranke Henriette Vogel erschossen hatte.

Schlesinger hat viel recherchiert über Kleists Selbstmord, sich dann beim Schreiben aber auch alle Freiheiten genommen: Einen Ermittler Felgentreu gab es zwar tatsächlich, aber der hatte nie Zweifel am Selbstmord und ist als geachteter Bürger hochbetagt gestorben. Schon gar nicht hatte er die Vision, sich als Kleist zu sehen, wenn er in den Spiegel schaute, so wie Schlesingers Felgentreu.

Schlesingers Text ist der umfangreichste aus seinem Nachlass. Jetzt ist die Novelle im Quintus-Verlag unter dem Titel "Der Verdacht" erschienen. Zwei nützliche Nachworte sind beigegeben, das eine über den Autor, das zweite über Kleist und "Fakten und Fiktionalisierung" in Schlesingers Kleist-Beschäftigung. Natürlich ist es interessant, nach fast einem halben Jahrhundert einen solchen Einblick in eine Dichterwerkstatt zu bekommen. Auch hat es etwas, heute in Freiheit einen Text lesen zu dürfen, der als Reaktion auf Unfreiheit entstand und gleichsam versuchte, Unsagbares literarisch zu sagen. Zu loben ist die Quintus-Ausgabe aber nicht nur wegen dieses historischen Werts. Der Vielseitskünstler Moritz Götze steuerte wundervolle Illustrationen bei, so ist es auch noch ein besonders schönes Buch geworden.

FRANK PERGANDE

Klaus Schlesinger: "Der Verdacht". Eine Kleist-Novelle.

Quintus Verlag, Berlin 2019. 96 S., Abb., geb., 18,- [Euro].

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