Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti auf der Spur eines Mörders, der alle zum Narren hält.
Kommissar Van Veeteren - mittlerweile im Ruhestand, aber so legendär wie eh und je - bereitet sich innerlich darauf vor, seinen 75. Geburtstag zu feiern, als ein früherer Kollege auftaucht, um ihm von einem alten Fall zu berichten. Damals waren in einer Pension in Oosterby vier Menschen ums Leben gekommen, die nur eines gemeinsam hatten: die Mitgliedschaft in einem "Verein der Linkshänder". Da das fünfte am Treffen teilnehmende Mitglied verschwunden war, wurde der Mann schnell als Täter identifiziert, aber niemals gefunden. Nun ist überaschend nach Jahren seine Leiche aufgetaucht, offensichtlich wurde er zur selben Zeit ermordet wie die anderen. Mit anderen Worten: Van Veeteren und seine Kollegen haben damals versagt, der Mörder ist weiter auf freiem Fuß. Bald danach wird eine weitere Männerleiche gefunden - mit den Ermittlungen hier betraut: ein gewisser Inspektor Barbarotti...
Kommissar Van Veeteren - mittlerweile im Ruhestand, aber so legendär wie eh und je - bereitet sich innerlich darauf vor, seinen 75. Geburtstag zu feiern, als ein früherer Kollege auftaucht, um ihm von einem alten Fall zu berichten. Damals waren in einer Pension in Oosterby vier Menschen ums Leben gekommen, die nur eines gemeinsam hatten: die Mitgliedschaft in einem "Verein der Linkshänder". Da das fünfte am Treffen teilnehmende Mitglied verschwunden war, wurde der Mann schnell als Täter identifiziert, aber niemals gefunden. Nun ist überaschend nach Jahren seine Leiche aufgetaucht, offensichtlich wurde er zur selben Zeit ermordet wie die anderen. Mit anderen Worten: Van Veeteren und seine Kollegen haben damals versagt, der Mörder ist weiter auf freiem Fuß. Bald danach wird eine weitere Männerleiche gefunden - mit den Ermittlungen hier betraut: ein gewisser Inspektor Barbarotti...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2019Ein uralter, ein taufrischer Fall
Håkan Nesser veranstaltet ein Veteranentreffen
Ein wenig ist Håkan Nesser einem aus dem Blick geraten in den letzten Jahren, das kommt sogar bei großen Autoren vor, auch wenn sie kontinuierlich weiterschreiben. Es mag daran liegen, dass die Welten, in die er einen eingeladen hat, nicht mehr den unwiderstehlichen Reiz der früheren haben. Und wenn dann diese alten Kosmen und deren vertrautes Personal noch einmal wiederkehren, dann ist der Gedanke an Einrichtungen wie die Uwe-Seeler-Traditionself nicht so fern. Nesser bringt einen ja selbst darauf, wenn in dem neuen Roman "Der Verein der Linkshänder" gleich mehrmals von einer "starken Mannschaftsaufstellung" die Rede ist - und einer der alten Ermittler gleich hinzusetzt: "Auf dem Papier."
Auf dem Papier des Romans gibt es ein Nesser-Veteranen-Treffen. Der pensionierte Kommissar van Veeteren natürlich, samt Münster, Jung und Ewa Moreno, die noch im Dienst sind und die wir zuletzt 2003 in "Sein letzter Fall" erlebt haben, wobei der Titel mal wieder bestätigt, dass solchen Ankündigungen bei Krimiserien nie zu trauen ist. Die Crew aus Maardam, dem Hauptort des von Nesser erfundenen namenlosen europäischen Landes, das nicht Holland, auch nicht Schweden ist und von beidem etwas hat, in dem auch manche Ortsnamen baltisch oder deutsch klingen, diese Altgedienten werden durch zwei Mordfälle zusammengeführt mit Gunnar Barbarotti und Eva Backman, die zwischen 2006 und 2012 fünfmal ermittelten, zwar in Schweden, aber in einem fiktiven Städtchen namens Kymlinge, und die jetzt auch nach Maardam fliegen können.
Solche Familienzusammenführungen sind noch riskanter als einfache Revivals mit bekanntem Personal. Sicher nicht für Erstleser, denen lediglich etwaige Entwicklungen der Figuren entgehen. Aber es handelt sich hier ja um den Versuch, gewissermaßen die physikalischen Gesetze, die in dem einen erzählerischen Universum gelten, mit denen des anderen zu synchronisieren, ohne dass daraus Spannungsabfall, Kurzschlüsse oder Assimilierungsverluste entstehen.
Das weiß natürlich ein versierter Weltenerfinder wie der neunundsechzigjährige Schwede. Deshalb lässt er auch reichlich Lesezeit vergehen, bis man vom einen ins andere Universum reist. Zuerst gehört die Bühne van Veeteren, kurz vor dessen fünfundsiebzigsten Geburtstag, vor dem ihm graut. Mit seiner Frau Ulrike Fremdli fährt der Mann, der Intuition und Logik so gut ausbalancierte, ans Meer - zufällig in die Gegend des Ortes Oosterby, wo 1991 vier Menschen in einer Pension verbrannten. Nun wird, was vom vermeintlichen Täter übrig ist, nach mehr als zwanzig Jahren im Wald gefunden. Eindeutig erschlagen. Eine späte Blamage für van Veeteren, die ihn nicht ruhen lassen kann.
Nessers Erzählung bewegt sich dabei geschickt, manchmal allerdings auch ziemlich behäbig, zwischen den Zeiten. Die Opfer werden als Kinder und Jugendliche geschildert, wie sie sich zum Linkshänderverein zusammenschließen, wie sie einander aus den Augen verlieren und dann bei ihrem Wiedersehen, bei dem sie alle um die vierzig Jahre alt sind, ermordet werden. Durch die Zeitsprünge stellt sich automatisch der Effekt ein, dass der Leser den Ermittlern immer ein Stück voraus ist, bis zum Ende, und das tut dem Buch bei dem niedrigen Ermittlungstempo nicht allzu gut.
Gunnar Barbarotti kommt erst nach mehr als dreihundert Seiten ins Spiel, der Witwer ist auf dem Weg zu einer Beziehung mit Kollegin Backman, und bis zwischen einem unbekannten Ermordeten mit einer Axt im Kopf und den Morden von Oosterby eine Beziehung hergestellt ist, vergeht noch mal einige Zeit. Wenn Eva Backman fragt: "Sollen wir ihnen helfen, einen uralten Fall mit fünf Leichen zu lösen, oder sollen sie uns helfen, einen taufrischen mit nur einem Opfer zu lösen?", dann spricht sie spät, auf Seite 486, aus, was man sich selber schon eine ganze Weile gefragt hat.
Das schleppende Tempo hat auch damit zu tun, dass van Veeteren ebenso wie Barbarotti schon immer eine übermäßig ausgeprägte philosophisch-theologische Reflexionsbereitschaft zeigte. In der Doppelung wird das dann doch ein wenig anstrengend. Der Unterhaltungswert scheint sich zu halbieren, während die Fälle zu einem großen Fall zusammenwachsen. Man muss jetzt niemandem erklären, dass Håkan Nesser immer noch eine makellose Prosa schreibt und immer noch formuliert, dass man sofort zitieren möchte: "Ein Zimmer, das wie gemacht dafür war, darin den Verstand zu verlieren." Aber die romaninternen Zweifel an der "starken Mannschaftsaufstellung" sind berechtigt. Aus den van-Veeteren- und den Barbarotti-Akteuren wird nie ein gutes Team.
PETER KÖRTE.
Håkan Nesser: "Der Verein der Linkshänder". Roman.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Håkan Nesser veranstaltet ein Veteranentreffen
Ein wenig ist Håkan Nesser einem aus dem Blick geraten in den letzten Jahren, das kommt sogar bei großen Autoren vor, auch wenn sie kontinuierlich weiterschreiben. Es mag daran liegen, dass die Welten, in die er einen eingeladen hat, nicht mehr den unwiderstehlichen Reiz der früheren haben. Und wenn dann diese alten Kosmen und deren vertrautes Personal noch einmal wiederkehren, dann ist der Gedanke an Einrichtungen wie die Uwe-Seeler-Traditionself nicht so fern. Nesser bringt einen ja selbst darauf, wenn in dem neuen Roman "Der Verein der Linkshänder" gleich mehrmals von einer "starken Mannschaftsaufstellung" die Rede ist - und einer der alten Ermittler gleich hinzusetzt: "Auf dem Papier."
Auf dem Papier des Romans gibt es ein Nesser-Veteranen-Treffen. Der pensionierte Kommissar van Veeteren natürlich, samt Münster, Jung und Ewa Moreno, die noch im Dienst sind und die wir zuletzt 2003 in "Sein letzter Fall" erlebt haben, wobei der Titel mal wieder bestätigt, dass solchen Ankündigungen bei Krimiserien nie zu trauen ist. Die Crew aus Maardam, dem Hauptort des von Nesser erfundenen namenlosen europäischen Landes, das nicht Holland, auch nicht Schweden ist und von beidem etwas hat, in dem auch manche Ortsnamen baltisch oder deutsch klingen, diese Altgedienten werden durch zwei Mordfälle zusammengeführt mit Gunnar Barbarotti und Eva Backman, die zwischen 2006 und 2012 fünfmal ermittelten, zwar in Schweden, aber in einem fiktiven Städtchen namens Kymlinge, und die jetzt auch nach Maardam fliegen können.
Solche Familienzusammenführungen sind noch riskanter als einfache Revivals mit bekanntem Personal. Sicher nicht für Erstleser, denen lediglich etwaige Entwicklungen der Figuren entgehen. Aber es handelt sich hier ja um den Versuch, gewissermaßen die physikalischen Gesetze, die in dem einen erzählerischen Universum gelten, mit denen des anderen zu synchronisieren, ohne dass daraus Spannungsabfall, Kurzschlüsse oder Assimilierungsverluste entstehen.
Das weiß natürlich ein versierter Weltenerfinder wie der neunundsechzigjährige Schwede. Deshalb lässt er auch reichlich Lesezeit vergehen, bis man vom einen ins andere Universum reist. Zuerst gehört die Bühne van Veeteren, kurz vor dessen fünfundsiebzigsten Geburtstag, vor dem ihm graut. Mit seiner Frau Ulrike Fremdli fährt der Mann, der Intuition und Logik so gut ausbalancierte, ans Meer - zufällig in die Gegend des Ortes Oosterby, wo 1991 vier Menschen in einer Pension verbrannten. Nun wird, was vom vermeintlichen Täter übrig ist, nach mehr als zwanzig Jahren im Wald gefunden. Eindeutig erschlagen. Eine späte Blamage für van Veeteren, die ihn nicht ruhen lassen kann.
Nessers Erzählung bewegt sich dabei geschickt, manchmal allerdings auch ziemlich behäbig, zwischen den Zeiten. Die Opfer werden als Kinder und Jugendliche geschildert, wie sie sich zum Linkshänderverein zusammenschließen, wie sie einander aus den Augen verlieren und dann bei ihrem Wiedersehen, bei dem sie alle um die vierzig Jahre alt sind, ermordet werden. Durch die Zeitsprünge stellt sich automatisch der Effekt ein, dass der Leser den Ermittlern immer ein Stück voraus ist, bis zum Ende, und das tut dem Buch bei dem niedrigen Ermittlungstempo nicht allzu gut.
Gunnar Barbarotti kommt erst nach mehr als dreihundert Seiten ins Spiel, der Witwer ist auf dem Weg zu einer Beziehung mit Kollegin Backman, und bis zwischen einem unbekannten Ermordeten mit einer Axt im Kopf und den Morden von Oosterby eine Beziehung hergestellt ist, vergeht noch mal einige Zeit. Wenn Eva Backman fragt: "Sollen wir ihnen helfen, einen uralten Fall mit fünf Leichen zu lösen, oder sollen sie uns helfen, einen taufrischen mit nur einem Opfer zu lösen?", dann spricht sie spät, auf Seite 486, aus, was man sich selber schon eine ganze Weile gefragt hat.
Das schleppende Tempo hat auch damit zu tun, dass van Veeteren ebenso wie Barbarotti schon immer eine übermäßig ausgeprägte philosophisch-theologische Reflexionsbereitschaft zeigte. In der Doppelung wird das dann doch ein wenig anstrengend. Der Unterhaltungswert scheint sich zu halbieren, während die Fälle zu einem großen Fall zusammenwachsen. Man muss jetzt niemandem erklären, dass Håkan Nesser immer noch eine makellose Prosa schreibt und immer noch formuliert, dass man sofort zitieren möchte: "Ein Zimmer, das wie gemacht dafür war, darin den Verstand zu verlieren." Aber die romaninternen Zweifel an der "starken Mannschaftsaufstellung" sind berechtigt. Aus den van-Veeteren- und den Barbarotti-Akteuren wird nie ein gutes Team.
PETER KÖRTE.
Håkan Nesser: "Der Verein der Linkshänder". Roman.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein uralter, ein taufrischer Fall
Håkan Nesser veranstaltet ein Veteranentreffen
Ein wenig ist Håkan Nesser einem aus dem Blick geraten in den letzten Jahren, das kommt sogar bei großen Autoren vor, auch wenn sie kontinuierlich weiterschreiben. Es mag daran liegen, dass die Welten, in die er einen eingeladen hat, nicht mehr den unwiderstehlichen Reiz der früheren haben. Und wenn dann diese alten Kosmen und deren vertrautes Personal noch einmal wiederkehren, dann ist der Gedanke an Einrichtungen wie die Uwe-Seeler-Traditionself nicht so fern. Nesser bringt einen ja selbst darauf, wenn in dem neuen Roman "Der Verein der Linkshänder" gleich mehrmals von einer "starken Mannschaftsaufstellung" die Rede ist - und einer der alten Ermittler gleich hinzusetzt: "Auf dem Papier."
Auf dem Papier des Romans gibt es ein Nesser-Veteranen-Treffen. Der pensionierte Kommissar van Veeteren natürlich, samt Münster, Jung und Ewa Moreno, die noch im Dienst sind und die wir zuletzt 2003 in "Sein letzter Fall" erlebt haben, wobei der Titel mal wieder bestätigt, dass solchen Ankündigungen bei Krimiserien nie zu trauen ist. Die Crew aus Maardam, dem Hauptort des von Nesser erfundenen namenlosen europäischen Landes, das nicht Holland, auch nicht Schweden ist und von beidem etwas hat, in dem auch manche Ortsnamen baltisch oder deutsch klingen, diese Altgedienten werden durch zwei Mordfälle zusammengeführt mit Gunnar Barbarotti und Eva Backman, die zwischen 2006 und 2012 fünfmal ermittelten, zwar in Schweden, aber in einem fiktiven Städtchen namens Kymlinge, und die jetzt auch nach Maardam fliegen können.
Solche Familienzusammenführungen sind noch riskanter als einfache Revivals mit bekanntem Personal. Sicher nicht für Erstleser, denen lediglich etwaige Entwicklungen der Figuren entgehen. Aber es handelt sich hier ja um den Versuch, gewissermaßen die physikalischen Gesetze, die in dem einen erzählerischen Universum gelten, mit denen des anderen zu synchronisieren, ohne dass daraus Spannungsabfall, Kurzschlüsse oder Assimilierungsverluste entstehen.
Das weiß natürlich ein versierter Weltenerfinder wie der neunundsechzigjährige Schwede. Deshalb lässt er auch reichlich Lesezeit vergehen, bis man vom einen ins andere Universum reist. Zuerst gehört die Bühne van Veeteren, kurz vor dessen fünfundsiebzigsten Geburtstag, vor dem ihm graut. Mit seiner Frau Ulrike Fremdli fährt der Mann, der Intuition und Logik so gut ausbalancierte, ans Meer - zufällig in die Gegend des Ortes Oosterby, wo 1991 vier Menschen in einer Pension verbrannten. Nun wird, was vom vermeintlichen Täter übrig ist, nach mehr als zwanzig Jahren im Wald gefunden. Eindeutig erschlagen. Eine späte Blamage für van Veeteren, die ihn nicht ruhen lassen kann.
Nessers Erzählung bewegt sich dabei geschickt, manchmal allerdings auch ziemlich behäbig, zwischen den Zeiten. Die Opfer werden als Kinder und Jugendliche geschildert, wie sie sich zum Linkshänderverein zusammenschließen, wie sie einander aus den Augen verlieren und dann bei ihrem Wiedersehen, bei dem sie alle um die vierzig Jahre alt sind, ermordet werden. Durch die Zeitsprünge stellt sich automatisch der Effekt ein, dass der Leser den Ermittlern immer ein Stück voraus ist, bis zum Ende, und das tut dem Buch bei dem niedrigen Ermittlungstempo nicht allzu gut.
Gunnar Barbarotti kommt erst nach mehr als dreihundert Seiten ins Spiel, der Witwer ist auf dem Weg zu einer Beziehung mit Kollegin Backman, und bis zwischen einem unbekannten Ermordeten mit einer Axt im Kopf und den Morden von Oosterby eine Beziehung hergestellt ist, vergeht noch mal einige Zeit. Wenn Eva Backman fragt: "Sollen wir ihnen helfen, einen uralten Fall mit fünf Leichen zu lösen, oder sollen sie uns helfen, einen taufrischen mit nur einem Opfer zu lösen?", dann spricht sie spät, auf Seite 486, aus, was man sich selber schon eine ganze Weile gefragt hat.
Das schleppende Tempo hat auch damit zu tun, dass van Veeteren ebenso wie Barbarotti schon immer eine übermäßig ausgeprägte philosophisch-theologische Reflexionsbereitschaft zeigte. In der Doppelung wird das dann doch ein wenig anstrengend. Der Unterhaltungswert scheint sich zu halbieren, während die Fälle zu einem großen Fall zusammenwachsen. Man muss jetzt niemandem erklären, dass Håkan Nesser immer noch eine makellose Prosa schreibt und immer noch formuliert, dass man sofort zitieren möchte: "Ein Zimmer, das wie gemacht dafür war, darin den Verstand zu verlieren." Aber die romaninternen Zweifel an der "starken Mannschaftsaufstellung" sind berechtigt. Aus den van-Veeteren- und den Barbarotti-Akteuren wird nie ein gutes Team.
PETER KÖRTE.
Håkan Nesser: "Der Verein der Linkshänder". Roman.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Håkan Nesser veranstaltet ein Veteranentreffen
Ein wenig ist Håkan Nesser einem aus dem Blick geraten in den letzten Jahren, das kommt sogar bei großen Autoren vor, auch wenn sie kontinuierlich weiterschreiben. Es mag daran liegen, dass die Welten, in die er einen eingeladen hat, nicht mehr den unwiderstehlichen Reiz der früheren haben. Und wenn dann diese alten Kosmen und deren vertrautes Personal noch einmal wiederkehren, dann ist der Gedanke an Einrichtungen wie die Uwe-Seeler-Traditionself nicht so fern. Nesser bringt einen ja selbst darauf, wenn in dem neuen Roman "Der Verein der Linkshänder" gleich mehrmals von einer "starken Mannschaftsaufstellung" die Rede ist - und einer der alten Ermittler gleich hinzusetzt: "Auf dem Papier."
Auf dem Papier des Romans gibt es ein Nesser-Veteranen-Treffen. Der pensionierte Kommissar van Veeteren natürlich, samt Münster, Jung und Ewa Moreno, die noch im Dienst sind und die wir zuletzt 2003 in "Sein letzter Fall" erlebt haben, wobei der Titel mal wieder bestätigt, dass solchen Ankündigungen bei Krimiserien nie zu trauen ist. Die Crew aus Maardam, dem Hauptort des von Nesser erfundenen namenlosen europäischen Landes, das nicht Holland, auch nicht Schweden ist und von beidem etwas hat, in dem auch manche Ortsnamen baltisch oder deutsch klingen, diese Altgedienten werden durch zwei Mordfälle zusammengeführt mit Gunnar Barbarotti und Eva Backman, die zwischen 2006 und 2012 fünfmal ermittelten, zwar in Schweden, aber in einem fiktiven Städtchen namens Kymlinge, und die jetzt auch nach Maardam fliegen können.
Solche Familienzusammenführungen sind noch riskanter als einfache Revivals mit bekanntem Personal. Sicher nicht für Erstleser, denen lediglich etwaige Entwicklungen der Figuren entgehen. Aber es handelt sich hier ja um den Versuch, gewissermaßen die physikalischen Gesetze, die in dem einen erzählerischen Universum gelten, mit denen des anderen zu synchronisieren, ohne dass daraus Spannungsabfall, Kurzschlüsse oder Assimilierungsverluste entstehen.
Das weiß natürlich ein versierter Weltenerfinder wie der neunundsechzigjährige Schwede. Deshalb lässt er auch reichlich Lesezeit vergehen, bis man vom einen ins andere Universum reist. Zuerst gehört die Bühne van Veeteren, kurz vor dessen fünfundsiebzigsten Geburtstag, vor dem ihm graut. Mit seiner Frau Ulrike Fremdli fährt der Mann, der Intuition und Logik so gut ausbalancierte, ans Meer - zufällig in die Gegend des Ortes Oosterby, wo 1991 vier Menschen in einer Pension verbrannten. Nun wird, was vom vermeintlichen Täter übrig ist, nach mehr als zwanzig Jahren im Wald gefunden. Eindeutig erschlagen. Eine späte Blamage für van Veeteren, die ihn nicht ruhen lassen kann.
Nessers Erzählung bewegt sich dabei geschickt, manchmal allerdings auch ziemlich behäbig, zwischen den Zeiten. Die Opfer werden als Kinder und Jugendliche geschildert, wie sie sich zum Linkshänderverein zusammenschließen, wie sie einander aus den Augen verlieren und dann bei ihrem Wiedersehen, bei dem sie alle um die vierzig Jahre alt sind, ermordet werden. Durch die Zeitsprünge stellt sich automatisch der Effekt ein, dass der Leser den Ermittlern immer ein Stück voraus ist, bis zum Ende, und das tut dem Buch bei dem niedrigen Ermittlungstempo nicht allzu gut.
Gunnar Barbarotti kommt erst nach mehr als dreihundert Seiten ins Spiel, der Witwer ist auf dem Weg zu einer Beziehung mit Kollegin Backman, und bis zwischen einem unbekannten Ermordeten mit einer Axt im Kopf und den Morden von Oosterby eine Beziehung hergestellt ist, vergeht noch mal einige Zeit. Wenn Eva Backman fragt: "Sollen wir ihnen helfen, einen uralten Fall mit fünf Leichen zu lösen, oder sollen sie uns helfen, einen taufrischen mit nur einem Opfer zu lösen?", dann spricht sie spät, auf Seite 486, aus, was man sich selber schon eine ganze Weile gefragt hat.
Das schleppende Tempo hat auch damit zu tun, dass van Veeteren ebenso wie Barbarotti schon immer eine übermäßig ausgeprägte philosophisch-theologische Reflexionsbereitschaft zeigte. In der Doppelung wird das dann doch ein wenig anstrengend. Der Unterhaltungswert scheint sich zu halbieren, während die Fälle zu einem großen Fall zusammenwachsen. Man muss jetzt niemandem erklären, dass Håkan Nesser immer noch eine makellose Prosa schreibt und immer noch formuliert, dass man sofort zitieren möchte: "Ein Zimmer, das wie gemacht dafür war, darin den Verstand zu verlieren." Aber die romaninternen Zweifel an der "starken Mannschaftsaufstellung" sind berechtigt. Aus den van-Veeteren- und den Barbarotti-Akteuren wird nie ein gutes Team.
PETER KÖRTE.
Håkan Nesser: "Der Verein der Linkshänder". Roman.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main