Traumata machen vor Generationenwechsel keinen Halt. Sie bestehen verzögert im Unterbewusstsein fort und können als emotionales Erbe an Folgegenerationen weitergegeben werden. Traumata und Folgeschäden, die der Zweite Weltkrieg verursacht hat, konnten sich ob fehlender Aufarbeitung lange Zeit beinahe unbehindert in den Biografien der Nachkriegsgenerationen fortschreiben. Die steirische Autorin Melitta Breznik widmet sich Traumata und ihrer transgenerationalen Weitergabe bereits seit Mitte der 1990er Jahre nicht nur in ihrem Berufsalltag als Psychiaterin und Psychotherapeutin, sondern auch als Schriftstellerin. Die Stoffe ihrer Werke entspringen ihrer eigenen Familiengeschichte, ihrer beruflichen Beschäftigung mit Traumapatient_innen und Begegnungen mit Zeitzeug_innen. Jutta Steiner untersucht anhand der Erzählung »Das Umstellformat« und des Romans »Nordlicht« das multiperspektivische Erzählverfahren Melitta Brezniks, welches es erlaubt, dem so schwer fassbaren Phänomen Trauma, das sich jeder Zeit- und Raumordnung widersetzt, und selbst komplexen Traumafolgeschäden wie einer dissoziativen Identitätsstörung eine literarische Form zu geben. Steiner erkundet, wie Breznik durch den Wechsel von Erzählinstanzen, Schauplätzen und Zeitebenen Schicksale einzelner Familienmitglieder ineinanderblendet und blinde Flecken im Familien- und nationalem Gedächtnis kriegsbeteiligter Länder sichtbar macht. Damit löst die Autorin nicht zuletzt die strengen Grenzen einer Täter-Opfer-Dichotomie auf, die lange Zeit den Generationendialog und die Chance zur Aufarbeitung verhindert hat.