Johnny Carter ist ein begnadeter Jazzmusiker, ein avantgardistischer Pionier neuer Stilrichtungen. Doch seine Genialität hat ihren Preis: So unnachgiebig er nach dem perfekten Jazz sucht und die reine, absolute Musik verfolgt, so rücksichtslos zerstört er sich selbst auf dieser Suche. Es scheint, als erkaufe sich der Saxophonist seine revolutionären Klänge durch einen teuflischen Pakt, der ihn in eine selbstzerstörerische Drogensucht führt. Der Erzähler in Cortazars Geschichte beobachtet den rasenden Untergang des Jazzmusikers mit einer Mischung aus Verzweiflung und Faszination. Zum einen ist er Carters Freund und will ihn retten, zum anderen ist er auch dessen Biograf und weiß, dass Carters geniale Musik erst durch dessen Selbstaufgabe möglich wird. Was wiegt schwerer: das Leben eines Einzelnen oder die absolute Kunst?
Julio Cortazars Erzählung Der Verfolger (1958) ist die nur leicht verhüllte Biografie des Ausnahmemusikers Charlie Parker, der in den Vierziger- und Fünfzigerjahren die Jazzmusik revolutionierte. Sie bietet einen idealen Zugang zu Cortazars surrealen Welten und phantastischen Seelenlandschaften und fesselt den Leser bis zum Schluss mit immer neuen bizarren Einfällen.
Julio Cortazars Erzählung Der Verfolger (1958) ist die nur leicht verhüllte Biografie des Ausnahmemusikers Charlie Parker, der in den Vierziger- und Fünfzigerjahren die Jazzmusik revolutionierte. Sie bietet einen idealen Zugang zu Cortazars surrealen Welten und phantastischen Seelenlandschaften und fesselt den Leser bis zum Schluss mit immer neuen bizarren Einfällen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2006Ein kranker Engel pustet ins Rohr
Cortazárs „Verfolger” als CD
Sie heißen „Johnny”, „Baby Lennox” oder einfach nur „Art”. Sie kommen aus Chicago oder New York und wohnen für ein oder zwei Saisons in Paris. Sie rauchen Gauloises, natürlich, trinken Nescafé mit Rum und, das ist das Wichtigste, sie machen Jazz. „Kranke Engel” werden sie von Bruno genannt. Er, der Musikkritiker und Erzähler aus Cortazárs Prosastück „Der Verfolger” von 1958, ist der swingenden und schwindelnden Halbwelt verfallen, ohne dass er wirklich zu ihr gehören würde. Als Journalist und Biograf des größten Saxophonisten der Zeit, Johnny Carter, kommt ihm die Rolle des Schreibers zu, der Part des Denkers. Aber mit seinen Worten hinkt eer hinterher und schafft es nicht, den Kosmos der jagenden Synkopen vollständig einzufangen.
Auf der ehrgeizigen Produktion fürs Ohr, die zu zwei Dritteln die Erzählung und zu einem Drittel Jazzmusik selbst bietet, spricht Gert Heidenreich diesen Bruno und damit alle anderen Personen gleich mit. Er tut das ohne große Verrenkungen in der Stimme, wenn überhaupt, dann setzt er seinen Akzent an den richtigen Stellen, verrät niemals die Coolness des Jazz und sorgt damit für ein Hörbuch aus einem Guss. Am deutlichsten zeigt sich Heidenreichs Erzählkunst darin, dass er selbst in längere Dialoge die Spannung zwischen den Gesprächspartnern hält und dabei keine vokalen Volten schlagen muss. Das verdient vor allem deshalb Anerkennung, weil die wirren Ausführungen des verwahrlosten Saxophonisten Johnny die Gefahr einer pathetischen Übertreibung in sich bergen.
Heidenreich erliegt ihr nicht, und so erscheint Johnny als das, was er ist: eine gebrechliche Person, ständig im Straucheln, aber schon während des Fallens wieder auf dem Weg nach oben. Es gibt Zeiten, da zieht er öfters an der Haschischtüte, als er ins Saxophon pustet. An einem dieser Tage sitzt er in seinem Hotelzimmer, zeigt sich nackt und besoffen. Sein Instrument, wenn es überhaupt sein eigenes war, hat er in der Metro vergessen. Aber zum Spielen würde er im Moment sowieso nicht kommen, den er sinniert über die Zeit und die Möglichkeit, sie musikalisch zu durchbrechen. Die psychiatrische Klinik hat er schon hinter sich, aber die großen Auftritte immer noch vor sich. Nur drei Tage später, Bruno hat ihm ein neues Saxophon besorgt, wir er im Studio eine grandiose Einspielung besorgen.
Bruno verehrt Johnny wie einen Heiland, einen, der das ganze Leiden an Krankheit und Wahnsinn auf sich nimmt, um die Zuhörer mit seinem Spiel zu erlösen. Nur kann er das, was den Musiker umtreibt, nicht in seinen Worten erfassen. Die Sprache reicht nicht heran an das, was Johnny in seiner Musik verfolgt: die Zeit aufhalten, eine ganz neue Zeit finden, und vor allem, sich selbst verlassen. Es ist Johnny selbst, der es schafft, sein Streben für einen Augenblick im poetischen Bild zu fassen. Im wahrhaft faustischen Bild, wenn er verkündet: „Ich will ohne Wasser schwimmen.” Misslingt dies, dann war die Musik nur Trugbild. Und so erscheint sie ihm auch am Ende, als eine Täuschung des Genuss, der einzig noch mephistophelischer Nihilismus folgt. Er wirft Bruno vor: „Das Schlimmste ist, das du vergessen hast, in deinem Buch zu erzählen, dass ich nichts wert bin.”
In der zweiten Auflage wird der Kritiker nichts an seinem Werk verändern, keinesfalls den Versuch unternehmen, Musik und Musiker irgendwo anders als in einem theoretischen und musikgeschichtlichen System unterzubringen. Dabei wusste er schon zu Beginn seines Erzählens einen Weg, auf dem man vielleicht Musik und Künstler greifen könnte. Beim einem Besuch im dunklen Hotelzimmer war ihm klar geworden: Es gilt das grelle Licht der nackten Glühlampe zu löschen, um Johnny Carter besser zu sehen. Als Autor greift Bruno nicht auf diese literarische Verdunklungstaktik zurück.
Insofern ist es auch nur konsequent, wenn das Hörbuch selbst mit seinen insgesamt drei CDs die Musik weiterhin vom Wort getrennt hält und auf einen eigenen Tonträger verbannt. Dort sind insgesamt neun furiose Stücke versammelt, darunter einige von Charlie Parker. Vor Publikum eingespielt wurden sie von Charlie Mariano am Saxophon und Dieter Illg am Kontrabass. Das Wundersame liegt nun darin, dass man die Musik auflegen kann, völlig losgelöst von der Erzählung, aber dabei immer verfolgt sein wird von Johnny Carters heiseren Tönen und ihrem lichten Wahn.
CHRISTOPH SCHMAUS
Julio Cortazar
Der Verfolger
Gelesen von Gert Heidenreich. Mit Musik von Charlie Parker. Gugis Hörbücher, Lahr 2006. 225 Minuten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Cortazárs „Verfolger” als CD
Sie heißen „Johnny”, „Baby Lennox” oder einfach nur „Art”. Sie kommen aus Chicago oder New York und wohnen für ein oder zwei Saisons in Paris. Sie rauchen Gauloises, natürlich, trinken Nescafé mit Rum und, das ist das Wichtigste, sie machen Jazz. „Kranke Engel” werden sie von Bruno genannt. Er, der Musikkritiker und Erzähler aus Cortazárs Prosastück „Der Verfolger” von 1958, ist der swingenden und schwindelnden Halbwelt verfallen, ohne dass er wirklich zu ihr gehören würde. Als Journalist und Biograf des größten Saxophonisten der Zeit, Johnny Carter, kommt ihm die Rolle des Schreibers zu, der Part des Denkers. Aber mit seinen Worten hinkt eer hinterher und schafft es nicht, den Kosmos der jagenden Synkopen vollständig einzufangen.
Auf der ehrgeizigen Produktion fürs Ohr, die zu zwei Dritteln die Erzählung und zu einem Drittel Jazzmusik selbst bietet, spricht Gert Heidenreich diesen Bruno und damit alle anderen Personen gleich mit. Er tut das ohne große Verrenkungen in der Stimme, wenn überhaupt, dann setzt er seinen Akzent an den richtigen Stellen, verrät niemals die Coolness des Jazz und sorgt damit für ein Hörbuch aus einem Guss. Am deutlichsten zeigt sich Heidenreichs Erzählkunst darin, dass er selbst in längere Dialoge die Spannung zwischen den Gesprächspartnern hält und dabei keine vokalen Volten schlagen muss. Das verdient vor allem deshalb Anerkennung, weil die wirren Ausführungen des verwahrlosten Saxophonisten Johnny die Gefahr einer pathetischen Übertreibung in sich bergen.
Heidenreich erliegt ihr nicht, und so erscheint Johnny als das, was er ist: eine gebrechliche Person, ständig im Straucheln, aber schon während des Fallens wieder auf dem Weg nach oben. Es gibt Zeiten, da zieht er öfters an der Haschischtüte, als er ins Saxophon pustet. An einem dieser Tage sitzt er in seinem Hotelzimmer, zeigt sich nackt und besoffen. Sein Instrument, wenn es überhaupt sein eigenes war, hat er in der Metro vergessen. Aber zum Spielen würde er im Moment sowieso nicht kommen, den er sinniert über die Zeit und die Möglichkeit, sie musikalisch zu durchbrechen. Die psychiatrische Klinik hat er schon hinter sich, aber die großen Auftritte immer noch vor sich. Nur drei Tage später, Bruno hat ihm ein neues Saxophon besorgt, wir er im Studio eine grandiose Einspielung besorgen.
Bruno verehrt Johnny wie einen Heiland, einen, der das ganze Leiden an Krankheit und Wahnsinn auf sich nimmt, um die Zuhörer mit seinem Spiel zu erlösen. Nur kann er das, was den Musiker umtreibt, nicht in seinen Worten erfassen. Die Sprache reicht nicht heran an das, was Johnny in seiner Musik verfolgt: die Zeit aufhalten, eine ganz neue Zeit finden, und vor allem, sich selbst verlassen. Es ist Johnny selbst, der es schafft, sein Streben für einen Augenblick im poetischen Bild zu fassen. Im wahrhaft faustischen Bild, wenn er verkündet: „Ich will ohne Wasser schwimmen.” Misslingt dies, dann war die Musik nur Trugbild. Und so erscheint sie ihm auch am Ende, als eine Täuschung des Genuss, der einzig noch mephistophelischer Nihilismus folgt. Er wirft Bruno vor: „Das Schlimmste ist, das du vergessen hast, in deinem Buch zu erzählen, dass ich nichts wert bin.”
In der zweiten Auflage wird der Kritiker nichts an seinem Werk verändern, keinesfalls den Versuch unternehmen, Musik und Musiker irgendwo anders als in einem theoretischen und musikgeschichtlichen System unterzubringen. Dabei wusste er schon zu Beginn seines Erzählens einen Weg, auf dem man vielleicht Musik und Künstler greifen könnte. Beim einem Besuch im dunklen Hotelzimmer war ihm klar geworden: Es gilt das grelle Licht der nackten Glühlampe zu löschen, um Johnny Carter besser zu sehen. Als Autor greift Bruno nicht auf diese literarische Verdunklungstaktik zurück.
Insofern ist es auch nur konsequent, wenn das Hörbuch selbst mit seinen insgesamt drei CDs die Musik weiterhin vom Wort getrennt hält und auf einen eigenen Tonträger verbannt. Dort sind insgesamt neun furiose Stücke versammelt, darunter einige von Charlie Parker. Vor Publikum eingespielt wurden sie von Charlie Mariano am Saxophon und Dieter Illg am Kontrabass. Das Wundersame liegt nun darin, dass man die Musik auflegen kann, völlig losgelöst von der Erzählung, aber dabei immer verfolgt sein wird von Johnny Carters heiseren Tönen und ihrem lichten Wahn.
CHRISTOPH SCHMAUS
Julio Cortazar
Der Verfolger
Gelesen von Gert Heidenreich. Mit Musik von Charlie Parker. Gugis Hörbücher, Lahr 2006. 225 Minuten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
"Eine Prosa, die die Sprache hüpfen, tanzen und fliegen lässt." (Octavio Paz)