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Bundestagswahlen, Landtagswahlen, Kommunalwahlen, Europawahlen - seit Jahren sinkt die Wahlbeteiligung in Deutschland. Doch was steht hinter diesem Trend und was bedeutet er für die Demokratie? Armin Schäfer beantwortet diese Frage umfassend und zeigt, dass wachsende soziale Ungleichheit zu einer Verringerung der Wahlbeteiligung führt: Sozial benachteiligte Gruppen bleiben in großer Zahl der Wahlurne fern. Die Unterschiede in der Wahlbeteiligung waren in der Geschichte der Bundesrepublik nie so groß wie heute. Aktuelle Reformmaßnahmen, die die Partizipationsmöglichkeiten ausweiten, verringern…mehr

Produktbeschreibung
Bundestagswahlen, Landtagswahlen, Kommunalwahlen, Europawahlen - seit Jahren sinkt die Wahlbeteiligung in Deutschland. Doch was steht hinter diesem Trend und was bedeutet er für die Demokratie? Armin Schäfer beantwortet diese Frage umfassend und zeigt, dass wachsende soziale Ungleichheit zu einer Verringerung der Wahlbeteiligung führt: Sozial benachteiligte Gruppen bleiben in großer Zahl der Wahlurne fern. Die Unterschiede in der Wahlbeteiligung waren in der Geschichte der Bundesrepublik nie so groß wie heute. Aktuelle Reformmaßnahmen, die die Partizipationsmöglichkeiten ausweiten, verringern entgegen optimistischen Erwartungen die Beteiligungskluft nicht, sondern vergrößern sie sogar.
Autorenporträt
Armin Schäfer, Dr. rer. pol., ist wiss. Mitarbeiter am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2015

Wenn Postdemokraten nicht von der Couch hochkommen

Kann Marktwirtschaft die republikanischen Tugenden lähmen? Armin Schäfers Buch über die Nichtwähler ist wichtig, selbst wenn seine zentrale These nicht überzeugt.

Geht unsere Demokratie schon wieder dem Untergang entgegen? Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer untersucht, wie in westlichen Ländern die stetig wachsende Zahl der Nichtwählerinnen und Nichtwähler die Demokratie bedroht. Ähnlich wie Colin Crouch, Wolfgang Streeck und andere postdemokratische Denker macht er für die Misere den "Liberalismus", den "Kapitalismus" oder die "Märkte" verantwortlich.

In seiner empirisch dichten und sorgsam argumentierenden Studie erläutert der Autor zunächst die soziale Zusammensetzung der Nichtwähler. Die Mehrheit von ihnen, so der empirische Befund, gehört zu den benachteiligten Klassen. Es sind überproportional viele Einkommensschwache und weniger Gebildete. Schäfer gelingt es sogar, einen Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und sozialem Umfeld - wie Freundeskreis und Wohnort - nachzuweisen. Die gängige Vermutung, Nichtwähler rekrutierten sich aus allen Schichten, ist also falsch. Einschneidend ist zudem die besonders niedrige Wahlbeteiligung der jungen Erwachsenen aus den unteren Klassen. Denn Wählen ist eine Gewohnheitsfrage; wer nicht wählt, neigt beim nächsten Mal wieder zur Wahlabstinenz.

Für Schäfers Argumentation ist jedoch der Zusammenhang zwischen der sozialen und der "politischen Ungleichheit" entscheidend. Und hier gerät die Beweisführung ins Schlingern. Nichtwähler sind politisch desinteressierter als Wähler. Das kann der Autor ebenso nachweisen wie die Tatsache, dass auch Plebiszite und andere alternative Partizipationsformen eher von sozial besser Gestellten genutzt werden. Da schließlich fast alle Volksvertreter selbst zu den Hochgebildeten gehören, meint der Autor den Zusammenhang zwischen sozialer und politischer Benachteiligung offengelegt zu haben: Weil Nichtwähler keine angemessene politische Repräsentation haben, die für ihre Werte und Interessen eintritt, genießen sie weniger politische Freiheit und sind weniger vor willkürlicher und fremder Herrschaft geschützt. Kann diese Argumentation überzeugen?

Wichtig für Armin Schäfers Beweisführung ist das postdemokratische Narrativ: Der um sich greifende Liberalismus habe in den letzten Jahrzehnten aufgrund sozialer Ungleichheit zu bisher nie dagewesenen Ungerechtigkeiten geführt, die wiederum die Demokratie gefährden oder gar zerstören. Das marktkonforme Verhalten, in dem jeder Wähler und Politiker seinen optimalen Nutzen sucht, schädige durch den egoistischen Impetus das Zusammenleben, blockiere die für Demokratien entscheidende Gemeinwohlorientierung und verhindere republikanische Tugenden. Doch zu den Stärken von Schäfers Analyse gehört, dass er die Gegenargumente ernst nimmt und Befunde nicht weglässt, die in Spannung zu seinen Ausführungen stehen. So widerlegt er zentrale Elemente der postdemokratischen Erzählung.

Von einem Kahlschlag des Sozialstaates seit den achtziger Jahren und einer Verarmung unterer Klassen kann keine Rede sein. Die Sozialausgaben sind seither ebenso wie der Lebensstandard und die Bildung flächendeckend gestiegen. Der Markt bewirkt zwar größere Ungleichheit, aber keine wachsende Armut, sondern wachsenden Wohlstand. Hinzu kommt, dass Bürgerinnen und Bürger auch der oberen und mittleren Schichten mit übergroßer Mehrheit einen gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat befürworten und Einschnitte in bestehende Sozialleistungen ablehnen.

Angesichts dieser Tatsachen bleibt die empirische Grundlage von Schäfers Aussagen in entscheidenden Punkten dünn. Er kann nicht überzeugend darlegen, dass eine durch Ungleichheit hervorgerufene niedrigere Wahlbeteiligung zu einem anderen Wahlergebnis führt oder gar eine Politik bewirkt, die Nichtwählern feindlich gesinnt ist. Viele Staaten, die Schäfer nicht in die Studie einbezieht, ließen sich außerdem als Gegenbeweis anführen: So liegt beispielsweise die Wahlbeteiligung in einigen lateinamerikanischen Ländern sehr hoch - trotz größerer Ungleichheit, jedoch bei niedrigerem Lebensstandard.

Die antiliberale und kapitalismuskritische Grundstimmung in der ganzen Debatte verdunkelt eine der empirisch am besten begründeten Tatsachen der Demokratieforschung: dass Demokratie ohne Wohlstand nicht zu haben ist. Die enormen sozialen Leistungen moderner Staaten, der hohe Bildungsstandard, die umfassenden Freiheiten - all das ist ohne eine funktionierende Marktwirtschaft nicht möglich. Und es ist nach wie vor unklar, inwiefern und ab welchem Grad soziale Ungleichheit Demokratie gefährdet, solange alle Schichten vom Wirtschaftswachstum profitieren.

Weil der Autor partout die Misswirtschaft der Marktwirtschaft bloßlegen will, kann er die naheliegende Hypothese gar nicht aufstellen und als Teilantwort in Erwägung ziehen: dass nicht zuletzt bei unteren Schichten der gestiegene Lebensstandard (und womöglich nicht die gestiegene Ungleichheit) zu Desinteresse an der Politik und damit zur Wahlabstinenz führt. Vielleicht sollte man in der Debatte das Volk nicht ganz aus dem Blick verlieren: Es ist aktuellen Umfragen zufolge in Deutschland so zufrieden wie nie zuvor.

Dennoch ist Armin Schäfers Buch wichtig, weil es die bisherige Forschung über die Wahlabstinenz kenntnisreich zusammenfasst und entscheidende Informationen über die Nichtwähler bietet. Ansonsten kann man ihm und allen Postdemokraten nur ans Herz legen, unsere Demokratie mit mehr Milde zu bewerten und es hinzunehmen, dass Bürgerinnen und Bürger lieber zu Hause "Ego-Shooter" spielen als wählen zu gehen. Toleranz ist auch eine demokratische Tugend.

HEDWIG RICHTER.

Armin Schäfer: "Der Verlust politischer Gleichheit". Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015. 332 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der generische Nichtwähler ist Gewohnheitsnichtwähler, lernt Hedwig Richter in Armin Schäfers Studie "Der Verlust politischer Gleichheit". Er ist außerdem tendenziell jung, ungebildet und sozial benachteiligt, zählt die Rezensentin auf. Schäfer leitet daraus ein Problem für die Gerechtigkeit des politischen Systems ab, da der Anspruch auf die Repräsentation von Interessen für die entsprechende Gruppe nicht mehr gewährleistet sei, was wiederum auf die Systemlogik eines liberalistischen Kapitalismus zurückzuführen sei, fasst Richter zusammen. Dabei verliere Schäfer aber aus den Augen, dass die gewählten Vertreter auch die Interessen jener vertreten können, die nicht wählen gehen, dass politische Abstinenz auch toleriert werden sollte, und dass der eventuelle Einfluss der Nichtwähler auf das Wahlergebnis ebenfalls offen, vielleicht aber vernachlässigbar sein könnte, meint die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Schäfers Ausführungen sind spannend und leicht verständlich, trotz wissenschaftlichen Anspruchs." Tobias Bevc, Junge Welt, 29.10.2015