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Bis zu seiner Begegnung mir Robinet hatte Lenoir ein zufriedenes Angestelltenleben geführt und ein heiteres Eheleben mit seiner Frau Aurita, die er beim Warten an einer Kinokasse kennenlernte.Plötzlich taucht in seinem Leben jemand auf und verunsichert ihn: Er geht ihm nach, und niemand weiß, warum. Was will er von ihm? Könnte er gar ein Mörder sein? Wer ist hier der Verrückte? Wer verfolgt wen? Kaum glauben wir das zu wissen, stellen sich neue Fragen: Wie starb der Vater von Lenoir? Wie gefährlich ist es für einen Künstler, Portraits zu malen, die den Portraitierten mißfallen? Die Spuren des…mehr

Produktbeschreibung
Bis zu seiner Begegnung mir Robinet hatte Lenoir ein zufriedenes Angestelltenleben geführt und ein heiteres Eheleben mit seiner Frau Aurita, die er beim Warten an einer Kinokasse kennenlernte.Plötzlich taucht in seinem Leben jemand auf und verunsichert ihn: Er geht ihm nach, und niemand weiß, warum. Was will er von ihm? Könnte er gar ein Mörder sein? Wer ist hier der Verrückte? Wer verfolgt wen? Kaum glauben wir das zu wissen, stellen sich neue Fragen: Wie starb der Vater von Lenoir? Wie gefährlich ist es für einen Künstler, Portraits zu malen, die den Portraitierten mißfallen? Die Spuren des Verfolgers und der Verfolgten enden in einer französischen Küstenstadt. Dort wird der Tod von Lenoirs Vater aufgeklärt. Lenoir und Aurita haben ein altes Familiengeheimnis gelüftet und Zwillinge bekommen: Ein Tag zum Feiern. Der Erzähler Delibes schreibt lebendig-gewitzt und zeichnet liebenswerte Figuren.
Autorenporträt
Miguel Delibes, geb. 1920. sein umfangreiches literarisches Werk ist mit zahlreichen Preisen bedacht worden. 1973 wurde er Mitglied der Königlichen Akademie, 1999. Miguel Delibes lebt in Vallodolid.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.1999

Sanfter Wahn eines Angestellten
Miguel Delibes untertreibt es mit der Verrücktheit

Der kleine Roman von Miguel Delibes, den man auch eine große Erzählung nennen darf, beginnt mit einem Ende. Zufällig gerät der unscheinbare Angestellte Lenoir auf seinem Nachhauseweg in eine Kneipe und dort in die Worte eines unbekannten Mannes hinein, dessen Gesichtszüge er gleichwohl schon lange in sich trägt. Erzählt wird eine allnächtlich geträumte Erstickungsphantasie: das Erwachen in einer dunklen Kammer, die sich mit der Genauigkeit eines maßgeschneiderten Sarges um ihn geschlossen hat. Die eigene Familie hat ihn in dieser atemraubenden Einsamkeit lebendig begraben, und ihr letzter, zweifelhafter Liebesdienst war die Verwendung der ausbruchssicheren Kastanie statt der weichen Kiefer. Die Schreie graben sich ins Holz, zerstören es aber nicht. Der Tod kommt jede Nacht, wenn das Erwachen nicht zu neuem Atem verhilft.

Für einen Moment blitzt hier Grauen auf und wirft seinen Lichtspalt auf die Todesangst wie in E. A. Poes "Grube und Pendel". Was folgt, ist nicht der Rückfall ins Sargdunkel, ist kein Maelstrom der Seelenängste, sondern das menschenfreundliche Einlassen von Tageslicht. Die Furien, auf denen Poes Figuren durch die Wahnsinnshölle reiten, malt Delibes zu Ponys um, auf denen es sich der Leser gemütlich machen kann. Das kurze Nickerchen der Vernunft gebiert bei ihm keine Ungeheuer.

Ein Grund für die warmherzige Gleichgültigkeit, mit der man fortan dem Rätsel dieser ungewußten Bekanntschaft und seiner Auflösung folgt, liegt in der etwas zu verspannten Erzählhaltung. Lenoir erzählt die Geschichte in Briefen an seinen verschwundenen Bruder David, der zum unbeholfenen Stellvertreter des Lesers gerät: " . . . und nun, David, achte auf die Verkettung aller gleichzeitigen Umstände." Wohl ist man zuerst erfreut über die Einladung zum Mitmachen am Imaginären, doch verstimmt die demonstrative Animierabsicht auch ein wenig. Eindringlichere Kunst wäre es hier, würde sie ihre Fertigkeiten weniger herausstellen.

Die Kneipenerzählung des Mannes, von dem man nur seinen Vornamen Robinet erfährt, bringt die ordentliche Angestelltenwelt des Zuhörers in Schieflage. Dessen Frau Aurita, ein etwas pflanzenhaftes, schwangeres Wesen, darf sich ebenso wie der Arbeitsplatz von Lenoir vernachlässigt fühlen. Denn eine Unruhe hat diesen stillen Bürger erfaßt, weil das Gesicht Robinets plötzlich aus seiner eigenen Kindheit herausschaut. Der unheimliche Gast scheint kein Fremder zu sein. Irgendwo ist er in bisher verschlossenen Räumen der Lebensgeschichte verborgen gewesen, um nun die Ahnung tiefer Zimmerfluchten freizugeben, die auf eine familiäre Katastrophe zulaufen. Der Tod des Vaters - ein angeblicher Selbstmord - hat mit diesem Gesicht zu tun. Lenoirs Irrfahrten durch die Stadt stoßen bis in eine andere Dimension vor, die Zeit seiner Kindheit. An seinem Hals bildet sich ein Geschwür, als nage die Seele nun schon den Körper an. Welt und Körperfunktion sind aus den Fugen, und dem Patienten ist die Entscheidung darüber abgenommen, ob er in die ehemalige Zufriedenheit zurückkehren will: Neugierde, diese drängelnde Zwillingsschwester der stilleren Ahnung, arbeitet unumkehrbar.

Aus der Kneipenerzählung wird eine Therapiegeschichte, wie sie im Lehrbuche steht: "ein tiefer Grund schlummernder Erinnerungen geriet in Bewegung, und blieb ich vor einem Riß in der Wand oder einer Unregelmäßigkeit im Fußboden verzückt stehen, so erblühten bei ihrem Anblick ganze Landschaften aus früher Kindheit samt der sie begleitenden Ahnungslosigkeiten und unerwarteten Verletzungen". Robinet wird zum Wiedergänger des Verdrängten, die Begegnung mit ihm zum letzten Gefecht um die verlorene Unschuld. Nur ein Pistolenschuß beruhigt am Ende die Vergangenheit. Sobald der Pulverrauch verzogen ist, liegt die Biographie vor einem wie eine fette, sonnenüberflutete Weide, auf der man mit Kuhbehaglichkeit psychoanalytisches Grundwissen wiederkäuen kann.

Manches Leserauge mag sich an diesen Eindrücken des déjà lu gesättigt fühlen. Man trifft auf Deckerinnerungen, Verdrängungen und das liebe Unbewußte wie auf Bekannte, mit denen man gutgelaunt ein wenig plaudert. Man lernt nichts Neues, doch der allseits versicherte Nutzen des schönen Wetters und einer gut verdauten Kindheit fördern den sozialen Zusammenhalt. Am Ende fühlt man sich unterhalten, ohne eine Erfahrung gemacht zu haben.

Die schriftstellerische Laufbahn von Miguel Delibes, der mit seinen parabolischen Romanen aus der Franco-Zeit Deutschland nur verspätet erreicht hat, wird von hohen Auszeichnungen flankiert. Im Jahre 1947 erhielt der Siebenundzwanzigjährige den Premio Nadal, fast fünf Jahrzehnte später den Cervantes-Preis, der zu den höchsten Auszeichnung im spanischsprachigen Raum gehört. Schon seine letzte hierzulande erschienene Erzählung, "Frau in Rot auf grauem Grund", überraschte durch die sympathische Hilflosigkeit, das Porträt einer vollkommenen Ehefrau und Mutter zeichnen zu wollen. Gerade die kleinen Ecken im Charakter rundeten sich im Zusammenspiel zu einer Hagiographie, die das Dilemma dieser Gattung teilte: Man bewunderte, hatte aber keinen Anteil. Weil ihr der Platz im Himmel sicher war, kam man über die Lücke in dieser Welt, die ihr Tod gerissen hatte, schnell hinweg.

Delibes' Erzählung "Der Verrückte" teilt Freud und Leid ihrer Vorgängerin. Man läuft widerstandslos durch diese Geschichte hindurch, streichelt hier über einen wohllautenden Satzbogen in der Übertragung durch Fritz Rudolf Fries, zieht dort mit unkonzentrierter Höflichkeit den Hut vor einem literarischen Bekannten. Doch bereichert wird das Gemüt damit nicht. Der Verrückte, dem es angeblich an den existentiellen Kragen geht, darf des wohlwollenden Desinteresses sicher sein. Seine Verwirrungen aber bringen den Leser nicht aus der Fassung.

THOMAS WIRTZ.

Miguel Delibes: "Der Verrückte". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Fritz Rudolf Fries. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999. 89 S., geb., 22,80 DM.

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"Miguel Delibes verfügt über alle Möglichkeiten, ein leeres Dasein in wenigen Zügen zu enträtseln. Ein meisterhaftes Kabinettstück." (Jürgen Verdofsky, Frankfurter Rundschau)