Klassiker aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, , Veranstaltung: -, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Heizer - Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.'So hoch!' sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht an das Weggehen dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger, die an ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer geschoben.Ein junger Mann, mit dem er während der Fahrt flüchtig bekannt geworden war, sagte im Vorübergehen: »Ja, haben Sie denn noch keine Lust auszusteigen?«»Ich bin doch fertig«, sagte Karl, ihn anlachend, und hob aus Übermut, und weil er ein starker Junge war, seinen Koffer auf die Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig seinen Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er bestürzt, daß er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr beglückt schien, um die Freundlichkeit, bei seinem Koffer einen Augenblick zu warten, überblickte noch die Situation, um sich bei der Rückkehr zurechtzufinden, und eilte davon. Unten fand er zu seinem Bedauern einen Gang, der seinen Weg sehr verkürzt hätte, zum erstenmal versperrt, was wahrscheinlich mit der Ausschiffung sämtlicher Passagiere zusammenhing, und mußte Treppen, die einander immer wieder folgten, durch fortwährend abbiegende Korridore, durch ein leeres Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur ein- oder zweimal und immer in größerer Gesellschaft gegangen war, ganz und gar verirrt hatte. In seiner Ratlosigkeit und da er keinen Menschen traf und nur immerfort über sich das Scharren der tausend Menschenfüße hörte und von der Ferne, wie einen Hauch, das letzte Arbeiten der schon eingestellten Maschinen merkte, fing er, ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine Tür zu schlagen an, bei der er in seinem Herumirren stockte.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2008DAS HÖRBUCH
Lockende Zudringlichkeit
Franz Kafkas Romane in wunderbarer Lesung
Jemand musste einmal diese Idee haben, denn ohne dass es ein besonderes Wagnis wäre, dürfte dem Projekt der Erfolg sicher sein. Wenn die drei Romane Franz Kafkas zu gleicher Zeit als ungekürzte Lesungen erscheinen, liegen sie im Trend der aktuellen Hörbuchproduktion. Und dennoch spekulieren die Kafka-Produktionen des Rundfunks Berlin- Brandenburg nicht bloß auf Lese-Vermeidungsstrategien. Über einunddreißig Stunden Gesamtlaufzeit ergeben die Rezitationen von Peter Simonischek („Der Verschollene”), Peter Matic („Der Prozess”) und Ulrich Matthes („Das Schloss”), wenn man sie zusammennimmt. Und das sollte man tun, obwohl zwischen den Aufnahmen gut ein Dutzend Jahre liegen. Dass es sich bei den beiden erstgenannten um Aufzeichnungen aus den Jahren 1983 und 1995 handelt, und nur die Schloss-Lesung eine neue Produktion darstellt, ist marktstrategisch zwar geschickt im Kleingedruckten der CD-Beilage versteckt, aber unabhängig vom Aufnahmedatum ist allen drei Sprechern gemeinsam, dass sie die Anlagen der Romane zum mündlichen Vortrag auch umsetzen.
Das sind zunächst die vielfältigen rhetorischen Situationen, die Befragungen und Verhöre, die sich ebenso in der direkten Rede konstituieren wie ihre sprachlichen Gegenstücke, die Selbsterklärungen und sachlichen Darlegungen. Der junge Karl Roßmann, der Verschollene aus dem Amerika-Roman, stolpert von Rechtfertigung zu Rechtfertigung, die K.-Figuren aus den beiden anderen Romanen von Belehrung zu Belehrung über die krypto-bürokratischen Funktionsweisen von Gericht und Schloss-Administration. Kafkas Literatur entsteht zu einem großen Teil in den Sprech- und Hörszenen von Rede und Widerrede.
Zwar äußerte sich Kafka in einem Brief an Felice Bauer missbilligend über die Verbreitung der Grammophone, gegenüber der Teilzeitverlobten bezeichnete er deren bloße Existenz schon als Bedrohung. Das tut dem Interesse für die Koppelung von Technik und gesprochenem Wort aber keinen Abbruch. Es ist jedoch eine andere Gerätschaft, die vorrangig in den Texten auftaucht: Es wird viel telefoniert. Schon im Büro des Kapitäns, dessen Schiff Karl Roßmann nach Amerika bringt, dann im Hotel Occidental, wo er als Aufzugsjunge arbeitet, und selbstverständlich im Schloss-Roman.
Viel wird geflüstert
Die Frage des Verstehens oder Missverstehens entspringt den vielfältigen Möglichkeiten der Artikulation. Wie etwas gemeint ist, hängt auch davon ab, wie es gesagt wird. Viel ist über den Blick bei Kafka geschrieben worden, als Werkzeug der sozialen Kontrolle und Selbstkontrolle. Dieser Mechanismus wäre zu ergänzen um den des Hörens und Gehörtwerdens. Man achte einmal darauf, wie häufig gesellschaftliche Erwartungen oder der Vorwurf einer Verfehlung in der Rede mitschwingen. Auch, wie viel bei Kafka geflüstert wird, um niemanden zu stören. Wie zahlreich die Ausrufe der Verwunderung, die Worte der Empörung, die lockenden Sätze der Zudringlichkeit sind.
All dies ist in einer Hörfassung ungleich besser darzustellen. Es kann deshalb nicht verwundern, dass Kafka die Tauglichkeit seiner Texte selbst im mündlichen Vortrag gegenüber der Schwester und dem Freund Max Brod getestet hat. Und übten auch Grammophon und Radio noch keine Wirkung auf die Präsentation der Literatur aus, so verdankt Kafka seinen ersten Bekanntheitsschub doch einem Tonträger. Er hieß Ludwig Hardt, war professioneller Rezitator und hatte zwar noch nicht die Romane, aber doch einige Erzählungen Kafkas im Programm.
Die Romanlesungen von Simonischek, Matic und Matthes berühren also wesentliche Momente in Kafkas Werk. Die Wirkkraft wird vielleicht durch die technische Aufzeichnung als Hörbuch noch verstärkt. Denn die Faszination der Romane speist sich aus einem internen Widerspruch: Nicht zuletzt im Kampf mit einer von unübersichtlichen Mechanismen durchdrungenen modernen Welt bietet sie vielfach die Möglichkeit zu Identifikationen. Andererseits ist diese Welt dem Alltag weit entrückt, beklemmend, wie im Dorf des Schloss-Romans, surreal, wie auf den gerichtlichen Dachböden des Prozess-Romans, von grotesken Gestalten bevölkert und gerade deshalb unheimlich reizvoll. Die Stimme des Hörbuchs setzt diese Welt nun in Szene, erhöht damit besonders in der Figurenrede ihre Greifbarkeit und nimmt ihr doch, durch die Abstraktion von jeglicher Körperlichkeit, durch das Gespenstische des entschwindenden Klangs, jede konkrete Verortung. Mag Kafka die technische Aufzeichnung der Stimme für bedrohlich gehalten haben, hier zeigt sie sich als Mittlerin des ästhetischen Genusses. CHRISTOPH SCHMAUS
FRANZ KAFKA: Der Verschollene. Gelesen von Peter Simonischek. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 8 CD, 10 Stunden 12 Min., 29,99 Euro.
FRANZ KAFKA: Der Prozess. Gelesen von Peter Matic. Deutsche Grammophon Berlin 2008. 7 CD, 8 Stunden 15 Min., 29,99 Euro.
FRANZ KAFKA: Das Schloss. Gelesen von Ulrich Matthes. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 10 CD, 13 Stunden 20 Min., 29,99 Euro.
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Lockende Zudringlichkeit
Franz Kafkas Romane in wunderbarer Lesung
Jemand musste einmal diese Idee haben, denn ohne dass es ein besonderes Wagnis wäre, dürfte dem Projekt der Erfolg sicher sein. Wenn die drei Romane Franz Kafkas zu gleicher Zeit als ungekürzte Lesungen erscheinen, liegen sie im Trend der aktuellen Hörbuchproduktion. Und dennoch spekulieren die Kafka-Produktionen des Rundfunks Berlin- Brandenburg nicht bloß auf Lese-Vermeidungsstrategien. Über einunddreißig Stunden Gesamtlaufzeit ergeben die Rezitationen von Peter Simonischek („Der Verschollene”), Peter Matic („Der Prozess”) und Ulrich Matthes („Das Schloss”), wenn man sie zusammennimmt. Und das sollte man tun, obwohl zwischen den Aufnahmen gut ein Dutzend Jahre liegen. Dass es sich bei den beiden erstgenannten um Aufzeichnungen aus den Jahren 1983 und 1995 handelt, und nur die Schloss-Lesung eine neue Produktion darstellt, ist marktstrategisch zwar geschickt im Kleingedruckten der CD-Beilage versteckt, aber unabhängig vom Aufnahmedatum ist allen drei Sprechern gemeinsam, dass sie die Anlagen der Romane zum mündlichen Vortrag auch umsetzen.
Das sind zunächst die vielfältigen rhetorischen Situationen, die Befragungen und Verhöre, die sich ebenso in der direkten Rede konstituieren wie ihre sprachlichen Gegenstücke, die Selbsterklärungen und sachlichen Darlegungen. Der junge Karl Roßmann, der Verschollene aus dem Amerika-Roman, stolpert von Rechtfertigung zu Rechtfertigung, die K.-Figuren aus den beiden anderen Romanen von Belehrung zu Belehrung über die krypto-bürokratischen Funktionsweisen von Gericht und Schloss-Administration. Kafkas Literatur entsteht zu einem großen Teil in den Sprech- und Hörszenen von Rede und Widerrede.
Zwar äußerte sich Kafka in einem Brief an Felice Bauer missbilligend über die Verbreitung der Grammophone, gegenüber der Teilzeitverlobten bezeichnete er deren bloße Existenz schon als Bedrohung. Das tut dem Interesse für die Koppelung von Technik und gesprochenem Wort aber keinen Abbruch. Es ist jedoch eine andere Gerätschaft, die vorrangig in den Texten auftaucht: Es wird viel telefoniert. Schon im Büro des Kapitäns, dessen Schiff Karl Roßmann nach Amerika bringt, dann im Hotel Occidental, wo er als Aufzugsjunge arbeitet, und selbstverständlich im Schloss-Roman.
Viel wird geflüstert
Die Frage des Verstehens oder Missverstehens entspringt den vielfältigen Möglichkeiten der Artikulation. Wie etwas gemeint ist, hängt auch davon ab, wie es gesagt wird. Viel ist über den Blick bei Kafka geschrieben worden, als Werkzeug der sozialen Kontrolle und Selbstkontrolle. Dieser Mechanismus wäre zu ergänzen um den des Hörens und Gehörtwerdens. Man achte einmal darauf, wie häufig gesellschaftliche Erwartungen oder der Vorwurf einer Verfehlung in der Rede mitschwingen. Auch, wie viel bei Kafka geflüstert wird, um niemanden zu stören. Wie zahlreich die Ausrufe der Verwunderung, die Worte der Empörung, die lockenden Sätze der Zudringlichkeit sind.
All dies ist in einer Hörfassung ungleich besser darzustellen. Es kann deshalb nicht verwundern, dass Kafka die Tauglichkeit seiner Texte selbst im mündlichen Vortrag gegenüber der Schwester und dem Freund Max Brod getestet hat. Und übten auch Grammophon und Radio noch keine Wirkung auf die Präsentation der Literatur aus, so verdankt Kafka seinen ersten Bekanntheitsschub doch einem Tonträger. Er hieß Ludwig Hardt, war professioneller Rezitator und hatte zwar noch nicht die Romane, aber doch einige Erzählungen Kafkas im Programm.
Die Romanlesungen von Simonischek, Matic und Matthes berühren also wesentliche Momente in Kafkas Werk. Die Wirkkraft wird vielleicht durch die technische Aufzeichnung als Hörbuch noch verstärkt. Denn die Faszination der Romane speist sich aus einem internen Widerspruch: Nicht zuletzt im Kampf mit einer von unübersichtlichen Mechanismen durchdrungenen modernen Welt bietet sie vielfach die Möglichkeit zu Identifikationen. Andererseits ist diese Welt dem Alltag weit entrückt, beklemmend, wie im Dorf des Schloss-Romans, surreal, wie auf den gerichtlichen Dachböden des Prozess-Romans, von grotesken Gestalten bevölkert und gerade deshalb unheimlich reizvoll. Die Stimme des Hörbuchs setzt diese Welt nun in Szene, erhöht damit besonders in der Figurenrede ihre Greifbarkeit und nimmt ihr doch, durch die Abstraktion von jeglicher Körperlichkeit, durch das Gespenstische des entschwindenden Klangs, jede konkrete Verortung. Mag Kafka die technische Aufzeichnung der Stimme für bedrohlich gehalten haben, hier zeigt sie sich als Mittlerin des ästhetischen Genusses. CHRISTOPH SCHMAUS
FRANZ KAFKA: Der Verschollene. Gelesen von Peter Simonischek. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 8 CD, 10 Stunden 12 Min., 29,99 Euro.
FRANZ KAFKA: Der Prozess. Gelesen von Peter Matic. Deutsche Grammophon Berlin 2008. 7 CD, 8 Stunden 15 Min., 29,99 Euro.
FRANZ KAFKA: Das Schloss. Gelesen von Ulrich Matthes. Deutsche Grammophon, Berlin 2008. 10 CD, 13 Stunden 20 Min., 29,99 Euro.
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"In der Männerwelt des Romans dominieren die mächtigen Agenten deramerikanischen "Disziplin". Der Onkel, der Kapitän, der Oberkellner, Delamarche - sie handeln so entschlossen wie rätselhaft." Klaus Hermsdorf
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Schneider ist begeistert von dieser ungewöhnlichen Aufarbeitung eines Kafka-Romans. Zum Hörspektakel, so Schneider, eignet sich der "Amerika"-Roman mit seinen Schiffs- und Hotelszenen ja ohnehin besser als die beiden anderen - aber Schneider staunt dann doch nicht schlecht darüber, mit welchem Elan diese SWR-Produktion die Herausforderung annimmt und den Roman tatsächlich als Spektakel in Szene setzt. "Großes Hörkino" etwa, wenn sich Robonson "ächzend über ein Geländer erbricht". Schneider lobt Jörg Pohl, der den Protagonisten in leicht fragendem Ton gibt und gut zu der Figur passe. Aber er lobt auch die extravaganteren Szenen in dem Roman, etwa eine lautstarke Martial-Arts-Szene - die aber tatsächlich in dem Roman vorkommt. Nichts ist in dem Hörspiel erfunden - außer einer ganz neuen Dimension der sinnlichen Wahrnehmung, wie Schneider dankbar schließt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein Hörspiel, das mit einfachen Effekten, mit Geräuschen und Musik eine beklemmend kafkaeske Stimmung erzeugt, die unter die Haut geht." kulturtipp
»Hier ist der ganz seltene Fall, dass einer das Leben nicht versteht und Recht hat.« KURT TUCHOLSKY »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK