Die Studie untersucht die diskursiven Kämpfe um die Anerkennung des NS-Völkermords an Sinti und Roma in der Bundesrepublik bis 1990. Dabei wird unter Anerkennung zweierlei verstanden: die Akzeptanz der Verbände der Sinti und Roma als legitime Gesprächspartner der Bundesregierung sowie die Bewertung der "NS-Zigeunerverfolgung als "rassisch motiviertes Verbrechen in Politik und Wissenschaft. Auf der Grundlage umfassenden Quellenmaterials von Bundesbehörden und politischen wie zivilgesellschaftlichen Akteuren entsteht eine Diskursgeschichte dieses langwierigen Anerkennungsprozesses. Sie zeigt, dass bis tief in die 1960er Jahre hinein ein durch und durch rassistisches Bild der nationalsozialistischen Politik gegen Sinti und Roma vorherrschte. Dieser Denkstil, der von traditionellen Vorurteilen über "Zigeunerkriminalität geprägt war, geriet in den 1970er Jahren mit der Rezeption von internationalen Forschungsarbeiten immer stärker unter Druck. Doch erst in den 1980er Jahren begann mit der Anerkennung der Sinti und Roma als Gesprächspartner durch Bundeskanzler Helmut Schmidt auch die Erforschung des NS-Massenverbrechens.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein wichtiges Buch, damit die breite Öffentlichkeit verstehen lernt, wieso das lange Schweigen über die Ermordung von Sinti und Roma in Nazi-Deutschland System hatte, lobt Rezensent Tim B. Müller (online) das Buch seines Historiker-Kollegen Sebastian Lotto-Kusche. Zwar sei das Thema in der Geschichtswissenschaft nicht neu, aber Lotto-Kusche habe aufgedröselt, warum erst die Bundesregierung (unter Helmut Schmidt) Sinti und Roma 1982 die "rassische" Verfolgung zugestand. Man könne nachlesen, so Müller, dass die jahrzehntelange, beharrliche Verleugnung auf der bundesdeutschen Weiterverwendung nationalsozialistischen Behördenmaterials fußte. "Neuland" betrete Lotto-Kusche, lobt Müller, weil er aufzeige, dass dies bereits Ende der 1950er Jahre westdeutsche Politiker und Beamte verurteilt hatten - aber ungehört blieben. Für Müller schlägt Lotto-Kusche zwei Fliegen mit einer Klappe: Er beschreibe die Geschichte zweier Minderheiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Dieses Beispiel zeigt, dass Lotto-Kusche, ohne die Geschichte grundlegend umzuschreiben, mit klugen Ergänzungen und trotz gelegentlich anachronistisch-moralisierender Untertöne etwas Bedeutendes gelingt: Er holt die Minderheit aus den marginalisierten Zonen der Minderheitengeschichte heraus, er schreibt Sinti und Roma in den historischen Mainstream der alten Bundesrepublik ein, in die Macht- und Wissenskämpfe nach 1945. Damit ist der lange Weg zur Anerkennung des Völkermords an sein Ziel gekommen." Tim B. Müller in: Süddeutsche, 22.01.2023