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Hemingway in Venedig
Als Ernest Hemingway 1948 nach Venedig reist, ist er in einer schweren Krise. Starke Depressionen haben dazu geführt, dass er lange keinen Roman mehr veröffentlicht hat. In der Einsamkeit eines Landhauses in der Lagune versucht er, wieder zum Schreiben zu finden. Halt gibt ihm die Freundschaft zu einem jungen Fischer, der ihn auf der Entenjagd begleitet. Aber auch die Liebe zu einer achtzehnjährigen Venezianerin führt ihn ins Leben zurück. Langsam entsteht ein Venedig-Roman, während der junge Fischer die Atmosphären einer ganz anderen Geschichte wittert: Die von einem alten Mann und seiner Liebe zum Meer...…mehr

Produktbeschreibung
Hemingway in Venedig

Als Ernest Hemingway 1948 nach Venedig reist, ist er in einer schweren Krise. Starke Depressionen haben dazu geführt, dass er lange keinen Roman mehr veröffentlicht hat. In der Einsamkeit eines Landhauses in der Lagune versucht er, wieder zum Schreiben zu finden. Halt gibt ihm die Freundschaft zu einem jungen Fischer, der ihn auf der Entenjagd begleitet. Aber auch die Liebe zu einer achtzehnjährigen Venezianerin führt ihn ins Leben zurück. Langsam entsteht ein Venedig-Roman, während der junge Fischer die Atmosphären einer ganz anderen Geschichte wittert: Die von einem alten Mann und seiner Liebe zum Meer...
Autorenporträt
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2019

Der alte Mann und das Prosecco-Meer

Über Harry's Bar in die Locanda Cipriani: Hanns-Josef Ortheil beschwört in seinem Hemingway-Roman ein mythisches Venedig.

Hemingways Venedigaufenthalt 1948/49 war ein Fiasko. Eigentlich hatte er, ein Mann von fast fünfzig Jahren, gezeichnet von Depressionen, Kriegstraumata, Schreibblockaden und Männlichkeitskrisen, an dem Ort, an dem er nach dem Ersten Weltkrieg wunderbar gesundete, noch einmal zu seiner alten Löwenstärke zurückfinden wollen. Aber dann kam alles anders, jedenfalls im Roman.

Hanns-Josef Ortheil ist ein erfahrener Schriftsteller, der schon einige Bücher über Venedig ("Im Licht der Lagune") und den günstigen Einfluss Italiens auf Künstlerkollegen wie Goethe ("Faustinas Küsse") geschrieben hat. Schreibblockaden kennt er eher nicht, wohl aber das Venedig abseits der Touristenpfade und unser aller "Papa". Hemingway, so Ortheil in einem Interview, sei für ihn mehr als nur ein Freund: Er wisse "seelisch alles über ihn". Was der große Dichter dachte, als er durch Venedig streifte, warum er Tweedjacket und Kappe trug. Und natürlich weiß Ortheil als Hildesheimer Literaturdozent auch, was Hemingway Reportern ins Stammbuch schrieb ("Vermeiden Sie, ausufernd oder erfinderisch zu werden") oder was sich selbst: Spiel hier jetzt nicht den Allmächtigen, sondern bleib immer hübsch auf dem Boden, "du wirst die Stadt in dich aufnehmen und schauen, ob Du ihr ein paar Geschichten abtrotzen kannst".

Ortheil spürt sympathetisch: Der alte Mann will eigentlich nicht mehr. Nicht mehr mit der Meute der Bewunderer von Bar zu Bar ziehen, mit seinen Kriegsabenteuern renommieren, den Boxer, Trinker und Löwenjäger spielen. Nicht mehr mit Mary, seiner vierten Frau, shoppen, langweilige Museen besuchen oder zum Skifahren nach Cortina weiterziehen. Hemingway will lieber mit einfachen Leuten über einfache Dinge reden, mit Fischern über das Fischen, mit dem Museumswärter über sein Lieblingsbild. Essen wie bei Mama, fischen wie einst mit seinem Papa. Und vor allem will er endlich mal wieder ein gutes Buch schreiben, ohne toxische Männlichkeit und dieses verblödende venezianische Glücksgefühl, dieses "Amalgam aus Honig und Süßstoffen".

"Über den Fluss und in die Wälder", die Frucht von Hemingways Venedig-Aufenthalt, war auch eine Art literarisches Zabaione, zäh, süßlich, geschwätzig: Ein waidwunder Weltkriegsveteran zieht zusammen mit einer blutjungen venezianischen Contessa um die Häuser und schwadroniert zwischen Grandhotel Gritti und Harry's Bar viel über Krieg, Kunst und Vergänglichkeit. Paolo, der sechzehnjährige Fischerjunge, der Ortheils Hemingway als Führer, Bootschauffeur und Gesprächspartner zur Hand geht, warnte seinen großen Freund: Man kann nicht den lieben langen Tag mit einer verwöhnten, dummen Kuh aus altem Adel (im Roman heißt die Contessa Renata Adriana) Valpolicella und Prosecco trinken, Enten jagen und glauben, dass aus diesem faden Einerlei große Literatur erwächst. Der Fischerjunge weiß, was Papa nottut: Der müde alte Mann muss sich noch einmal seinen Dämonen stellen, mit seinem Schifflein aufs Meer hinausfahren, mit großen Fischen und den Elementen ringen und dann versöhnt sterben. "Der alte Mann und das Meer", Hemingways letztes Meisterwerk, ist also praktisch Paolos Erfindung, und dafür hat der Meister sich mit einer bewegenden Schlussszene bedankt: Während der sterbende alte Mann von wilden Löwen träumte, saß der Junge "neben ihm und gab auf ihn acht".

Ortheil nähert sich Hemingway fast so ehrfürchtig wie der junge Paolo. Er führt, immer "am Angelhaken des großen Meisters", vertrauliche Zwiegespräche über Kunst und Leben, Liebe und Tod von Schriftsteller zu Schriftsteller und Mann zu Mann. Er trinkt mit ihm viel Martini und Montgomery, isst mit ihm Calamari, Risotte nero und Biscotti alle Mandorle und ruft ab und zu anerkennend "Dio!". Ortheil weiß, wie Hemingway sich verstohlen die Augen wischte und was er sah. Für seinen Roman mietete er sich just in jene zauberhafte Locanda Cipriani auf Torcello ein, in der auch Hemingway 1948 wohnte. Er saß, wie er in seinem Blog stolz vermerkt, am Schreibtisch des Meisters, schlief in seinem Bett und sah den Campanile vor dem Fenster mit seinen Augen. Näher kann man seinem Idol eigentlich nicht kommen. Kein Wunder, dass der alte Mann in Venedig eine umfassende "Wiederbelebung" erfährt und wieder vom Löwenmut seiner besten Mannesjahre träumt.

Aber wie Hemingways Venedig-Roman ist auch Ortheils Hemingway-in-Venedig-Roman kein Meisterwerk. Nein, er geht nicht geradewegs "Über den Fluss und in die Wälder" baden. Aber er fährt mit dem Traghetto doch ein wenig zu gemächlich und weitschweifig über den Canal Grande hinaus in die Lagune, unter die einfachen Leute, die den weltberühmten Dichter herzlich willkommen heißen. Paolos ganze Familie will am Hemingway-Mythos partizipieren. Vater Sergio, ein Lokaljournalist, träumt von einem Buch über Hemingways Venedig-Aufenthalt, die Mutter bekocht den prominenten Gast, die Tochter übersetzt, Onkel Tonio stellt seine Gondel für Mondscheinmomente zur Verfügung. Man hätte daraus eine hübsche Literatursatire machen können; kaum ein Autor ist so leicht zu parodieren wie Papa Hem. Aber Ortheil gönnt sich allenfalls milden Humor: Sein Respekt vor dem Alten und dem Schreiben überhaupt ist viel zu groß, um sich Ironie oder gar Sarkasmus zu erlauben.

"Der von den Löwen träumte" ist ein unterhaltsamer Roman für Hemingway-Fans, ein kundiger Cicerone für das Venedig abseits von Markusplatz und Touristen-Pizza. Aber die wiederholten Spiegelungen, metaliterarischen Reflexe und Barbesuche ermüden dann doch. Wir dürfen Hemingway beim Trinken, Gondeln, Schwadronieren und sogar bei der Arbeit über die Schulter schauen. Aber was die tiefere Einfühlung in eine wunde Schriftstellerseele betrifft, so ist von der Pranke oder auch nur vom herben, scharfen Geruch des Löwen doch wenig zu spüren.

MARTIN HALTER

Hanns-Josef Ortheil: "Der von den Löwen träumte". Roman.

Luchterhand Verlag,

München 2019. 352 S., geb., 22,- [Euro].

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»Das ist spannend bis zur letzten Seite, selbst wenn man das Ende kennt. Kein Mord geschieht, aber Literatur entsteht.« Alexander Solloch / NDR Kultur