• Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Die erste umfassende Geschichte der Wagners, Deutschlands berühmt-berüchtigtster Familie.
Seit über einem Jahrhundert und von zwei Weltkriegen, der Nazidiktatur und der Besatzungszeit ungebrochen herrschen die Wagners über die Bayreuther Festspiele, hatten viele der größten und der gespenstischsten Gestalten aus Kunst und Politik zu Gast und bekämpfen einander wie die Recken in den Musikdramen, die sie in Szene setzen.Eine Biografie der Familie Wagner, beginnend mit Richard Wagners Geburt 1813, endend mit der bevorstehenden Entscheidung über Wolfgang Wagners Nachfolge in Bayreuth, gab es…mehr

Produktbeschreibung
Die erste umfassende Geschichte der Wagners, Deutschlands berühmt-berüchtigtster Familie.

Seit über einem Jahrhundert und von zwei Weltkriegen, der Nazidiktatur und der Besatzungszeit ungebrochen herrschen die Wagners über die Bayreuther Festspiele, hatten viele der größten und der gespenstischsten Gestalten aus Kunst und Politik zu Gast und bekämpfen einander wie die Recken in den Musikdramen, die sie in Szene setzen.Eine Biografie der Familie Wagner, beginnend mit Richard Wagners Geburt 1813, endend mit der bevorstehenden Entscheidung über Wolfgang Wagners Nachfolge in Bayreuth, gab es noch nicht. An keiner deutschen Familie kann man so kontinuierlich und so spektakulär die Zeitgeschichte ablesen. Aber nicht nur das, einiges erscheint in neuem Licht. So wurde die Bedeutung von Houston Stewart Chamberlain bisher weitestgehend übersehen. Ausgewogen schreibt Jonathan Carr über den Antisemitismus einzelner Familienmitglieder und die Nähe der Familie zu Hitler. Er hat ausführliche Gespräche mit den Familienmitgliedern geführt und Archive ausgewertet. Er gilt in Fachkreisen als ausgewiesener Wagner-Kenner.
Autorenporträt
Carr, Jonathan§Jonathan Carr wurde 1942 in Berkhamsted bei London geboren. Mehr als drei Jahrzehnte war er Auslandskorrespondent der Financial Times, deren Büroleiter in Frankfurt und Bonn er später wurde. Für seine Reportagen aus Deutschland bekam er mehrere Preise. 1985 veröffentlichte er seine anerkannte und erfolgreiche Biografie von Helmut Schmidt. Es folgte unter anderem 1997 eine ebenso gelobte Biografie von Gustav Mahler. Als Wagner-Kenner und -Liebhaber besuchte er seit 1970 regelmäßig Bayreuth. Jonathan Carr verstarb im Juni 2008.

Kusterer, Hermann§Hermann Kusterer, 1927 in Ulm geboren, ist diplomierter Dolmet-scher. Vier Jahrzehnte hat er dem Auswärtigen Amt als Dolmetscher gedient, die zweite Hälfte der Zeit als Leiter des Sprachendienstes. Über fünfzig Bücher hat er aus dem Englischen und Französischen übersetzt, unter anderem von Charles de Gaulle, George F. Kennan, Stacy Schiff, Margaret Thatcher und Peter Ustinov.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2008

Von der Krankheit, ein Wagner zu sein
Jonathan Carrs Familienbiographie über die Nachkommenschaft Richard Wagners ist grandios

Man kennt, so scheint es, alles über Richard Wagner, der sich stolz und vielleicht auch erschrocken als "den deutschesten aller Deutschen" bezeichnete. Kennt seine Träume, seine Tränen, seine Lieben und Leiden, Pläne und Pleiten. Kennt den Schwärmer und den Schwätzer, den in der Liebe wie in der Freundschaft treulosen Opportunisten und den heißhungrigen Erotomanen, den von Visionen erfüllten Schwärmer und den von Weltekel geplagten mürben Melancholiker, den luxusbedürftigen Revolutionär und das Pumpgenie, den Prediger der Zukunftsmusik und den selbsternannten "Plenipotentarius des Untergangs". Ist Richard Wagner, so fragte der vom Freund zum erbitterten Gegner gewordene Friedrich Nietzsche, "überhaupt ein Mensch, ist er nicht eher eine Krankheit"?

War er womöglich eine ansteckende Krankheit? Gar eine Erbkrankheit? Dies ist der Leitfaden der Familien- und Gesellschaftsbiographie, die der britische Journalist Jonathan Carr auf knapp 500 Seiten vorgelegt hat. Es gibt etliche Familienromane, die vom Geist, vom Glanz und vom Untergang einer Epoche erzählen, so wie John Galsworthys "Forsythe Saga" oder Thomas Manns "Die Buddenbrooks". Doch gibt es keine Familiensaga, in der sich die deutsche Geschichte der letzten 150 Jahre auf so faszinierende Weise spiegelt wie in der Geschichte der Wagners - einer Familie, in der sich, über vier Generationen hinweg, die immer gleichen kulturellen und psychischen Konstellationen auf vexatorische Weise wiederholen: Liebesverrat und gebrochene Ehen, dreister Betrug und Vernichtung belastender Dokumente, ökonomischer Opportunismus, politisches Mitläufertum.

Der Seelenzauber von Wagners Musik hat Jonathan Carr immer wieder nach Bayreuth gelockt. Er, der politische Journalist, lässt in jedem der 19 Kapitel erkennen, wie bewusst ihm ist, dass diese Passion dem höchst Verdächtigen gilt: der Faszination eines fragwürdigen Charakters, der Zweideutigkeit eines berückenden, auf fatale Weise auch berauschenden Werkes.

Über die opiatische Wirkung der Musik verliert Carr wenig Worte - sie ist als Fakt vorausgesetzt. Seine Studie ist jedoch alles andere als billige Bloßstellung mit den Mitteln biographischer Bescheidwisserei. Es gelingt ihm, den Bayreuther Kultur-Imperialismus, den Antisemitismus und den Wirtschaftswunder-Neubeginn nach 1951 als Spiegel der deutschen Mentalitätsgeschichte zu beschreiben. Die Saga beginnt mit Liebesverrat und Ehebruch. Cosima, illegitime Tochter von Franz Liszt und der Gräfin Marie d'Agoult, verheiratet mit dem Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow, wird die Geliebte Wagners. Beider Kind, Isolde mit Namen, wird auf den Namen Bülow getauft und Jahrzehnte später dann ausgebootet - Leit- (und Leid-)Motiv für alle kommenden Generationen in ihren erbitterten Erbfolgekämpfen um den Heiligen Stuhl auf dem Grünen Hügel.

Carr beschreibt das Janusgesicht des "größten Talents aller Kunstgeschichte" (Thomas Mann über Wagner), eines faszinierenden Monstrums und schäbigen Charakters, treulos gegenüber seinen Gönnern, demagogisch zeitgemäß in seiner verhängnisvollen Schandschrift "Das Judenthum in der Musik", opportunistisch in seiner politischen Anpassungsfähigkeit. Er zeigt, wie Frau Cosima, ihre Kraft aus wollüstigem Leiden beziehend, den Bayreuther Festspielen Kontinuität zu sichern versteht und sich zur hohen Frau stilisiert. Und sie beobachtet das immer häufigere Auftauchen eines "Killerwals": des Antisemitismus. All dies ist, so scheint es, ad nauseam abgehandelt. Doch erliegt Carr nicht der Versuchung, Wagner einmal mehr als Vorläufer Hitlers hinzustellen. Er beschreibt den wagnerschen Antisemitismus als ein Epochenphänomen und ordnet ihn in den wirtschaftspolitischen Kontext ein. Zeigt, dass das erneuerte Gesetz der Judenemanzipation (1869) die Angst schürte und wie "die Juden" Deutschland, wie der Historiker Heinrich von Treitschke schrieb, "wirtschaftlich im Würgegriff" hielten. Zu den nach der Reichsgründung immer heftiger metastasierenden Ressentiments passt es, wie der Dirigent Hermann Levi und andere jüdische Mitarbeiter Wagners, die im "Schweinestall aller Schweineställe" (Richard Strauss über Bayreuth) dem "Meister" dienten, gedemütigt wurden. Bei der Schilderung selbst kleiner, ridiküler Episoden gelingt dem Autor eine schlüssige Diagnostik: Er zeigt, dass jede der Figuren in einem emphatischen, meist auch fanatischen Sinne Repräsentant der deutschen Identität war, individuell und kollektiv, bis in die feinsten Verästelungen.

Die feinsten? Nein, die gröbsten, die gefährlichsten, die infamsten. Mit kritischer Sympathie zeichnet Carr das Bild eines "Spätentschlossenen", des weithin unterschätzten Siegfried Wagner, der nur einer Rolle nicht gerecht werden konnte: der, die ihm durch seine beiden Vornamen (Siegfried und Helferich) auferlegt war. Und eines der fesselndsten Kapitel ist jenem "Spindoktor" gewidmet, der mit seinem Buch "Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts" den (Un-)Geist der Epoche infizierte: Houston Steward Chamberlain. Cosima betrachtete ihren Schwiegersohn, dessen Schriften von Kaiser Wilhelm wörtlich zitiert wurden, als den höheren Mund der Bayreuther Kunstreligion.

Chamberlain hatte nicht nur entscheidenden Anteil daran, dass Bayreuth zum chauvinistischen Treibhaus wurde. Vielmehr stieg der Brite, dessen antisemitische Hasspredigten millionenfach gedruckt wurden, zum Vorbild für fast alle rassistischen Kampfschreiber des Dritten Reiches auf. Er schrieb jenen berühmten Brief vom 7. Oktober 1923 an den von ihm zum neuen Martin Luther verklärten Hitler, in dem es heißt: "Der Fanatiker erhitzt die Köpfe, Sie erwärmen die Herzen. Sie kennen Goethes Unterscheidung von Gewalt und Gewalt! Es gibt eine Gewalt, die aus Chaos stammt und die zu Chaos hinführt, und es gibt eine Gewalt, deren Wesen es ist, Kosmos zu gestalten."

Aus dem Führer wurde der (platonische) Geliebte Winifreds, die ihn nach dem Tod Siegfrieds zu gern geheiratet hätte, zugleich der gute "Onkel" Wolf für Wieland und Wolfgang. Viel ist zu erfahren über die Manipulationen des intriganten Staatsintendanten Heinz Tietjen, viel auch aus dem großen Korb der schmutzigen Wäsche über die Eifersüchteleien zwischen den Brüdern und Schwestern; über lieblose Mütter und egomanische Väter; über das tragische Schicksal der Richard-Wagner-Tochter Isolde, die auf dem Altar juristischer Formalitäten geopfert wurde; über die Friedelind, die ob ihres Buches "Nacht über Bayreuth" zur "Verräterin" wurde - Episoden, die an den Satz von Karl Kraus erinnern, dass das Wort Familienbande einen Beigeschmack von Wahrheit habe.

Wie bitter dieser Geschmack, das verraten die Kabalen und Kämpfe im neuen Bayreuth nach 1951. Da entwickelt sich, kurz nach dem Neubeginn, der Bruderzwist zwischen Wieland und Wolfgang, der so erbittert ausgefochten wurde wie der zwischen Heinrich und Thomas Mann, wenn auch auf kindisch-kleinkarierte Weise. Carr ist bemüht, die Leistungen Wolfgangs, von der Kritik gern als ein Wagner für die "Armen im Geiste" hingestellt, angemessen zu würdigen: die des tatkräftigen Managers, des gewieften Finanzchefs, des geschickten Diplomaten im Umgang mit Künstlern. Dazu gehört auch Wolfgangs Instinkt, sich nach 1968 auf den Zeitgeist einzustellen und Regisseure wie Götz Friedrich oder Patrice Chéreau zu engagieren, wobei Letzterer mit Pierre Boulez für den erfolgreichsten Skandal der Festspielgeschichte gesorgt hat: für den aus dem Geist der Politik inszenierten "Jahrhundert-Ring" 1976.

Dass Wolfgang Wagner in seiner viele unbequeme Fakten ausklammernden "Lebensakte" meinte, keiner der Enkel, die 1951 das neue Bayreuth übernahmen, habe Grund, in Sack und Asche zu gehen, gehört zu den Schutzbehauptungen, die von Carr widerlegt werden. Offenbar hatte gerade der Ruhm des gleichermaßen genialischen wie egomanischen, jähzornigen, rachsüchtigen Wieland keine weißen Flügel. Carr fällt über die Haltung und Handlungen seiner Protagonisten keine Urteile. Er stellt Fragen, die darauf abzielen, den Leser zum Nachdenken zu veranlassen. Seine Sympathien sind aber erkennbar auf der Seite derer, die auf dem Schlachtfeld der Erbkämpfe geopfert worden sind, weil sie mit Bayreuth nicht umgehen wollten nach der Maxime des heutigen Fafner: "Hier lieg' ich und besitz'." Und so endet er mit einer Paraphrase der Nornen-Frage: "Wie weiter?"

JÜRGEN KESTING

Jonathan Carr: "Der Wagner-Clan. Geschichte einer deutschen Familie". Hoffmann und Campe, 496 Seiten, 25 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Selten haben sich die beinahe zwei Jahrhunderte dieser schillernden Dynastie so pointiert, detailliert und weitgehend vorurteilsfrei gelesen, feiert Rezensent Wolfram Goertz die Familienbiografie, die der britische Jornalist Jonathan Carr über den Wagner Clan geschrieben hat. Der Titel assoziiere amerikanische Seifenopern ebenso wie antike Tragödien und das Buch habe Züge von beidem. Vor allem aber besticht es den Rezensenten durch das "dichte Netz überzeitlicher Parallelen", in das Carr seine Recherchen verwebt, was Goertz zu den journalistischen Glanzleistungen dieses Autors zählt. Auch die Trockenheit, mit der Carr aus Sicht des Rezensenten einigen angeheirateten Monstren des Clans, wie dem britischen Parade-Antisemiten Houston Chamberlain beikommt, beeindruckt den Rezensenten sehr. Ebenso die Souveränität, mit der Carr allzu simple Parallelen zwischen Richard Wagners ideologischem Kosmos und dem Adolf Hitlers von sich weist. Zu all dem Überfluss, den dieses Buch Wagnerfans und auch solchen, die es "partout nicht werden" wollten, aus Rezensentensicht zu bieten hat, kommt noch hinzu, dass es seine Leser virtuos zu unterhalten verstehe, wobei auf der "Flamme der Spottlust" manche Figur wohl eine Spur zu knusprig geriet.

© Perlentaucher Medien GmbH