Die Niederschlagung von Polens Widerstand gegen die deutschen Besetzer gilt als eines der schwärzesten Kapitel der Geschichte während des Zweiten Weltkrieges. Innerhalb von 63 Tagen wurden ca. 180.000 Menschen, überwiegend Zivilisten, getötet und die Reste der Hauptstadt dem Erdboden gleichgemacht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2001Ein Drama, das seinesgleichen sucht
Der Warschauer Aufstand: Mischung aus romantischem Abenteuer und grandioser Verrücktheit?
Wlodzimierz Borodziej: Der Warschauer Aufstand 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 256 Seiten, 22,- Euro.
Keine schöne Geschichte, aber eine notwendige. Und eine, die nicht wirklich aufgeht . . . Ihr gerecht zu werden ist kaum möglich. Wlodzimierz Borodziej hat sich ihr dennoch gestellt.
Es war im Sommer 1944, und die Sache stand schlecht für die Deutschen. Fast alle Verbündeten hatten sie verlassen, im Westen waren die Alliierten gelandet, an der Ostfront klaffte nach der Vernichtung der Heeresgruppe Mitte ein riesiges Loch. Um so besser schien die Sache der übrigen Völker zu stehen. Nun endlich konnten sich die Hoffnungen auf ein Ende der deutschen Okkupation erfüllen. Am längsten hatten die Polen gehofft. Kaum ein zweites Volk hatte so sehr unter der deutschen Besatzungsmacht gelitten. Und doch schien ihre Stunde noch immer nicht gekommen. Denn an ihren alten Grenzen standen nicht die Westalliierten, die einst wegen der Polen in den Krieg eingetreten waren. Es war die Sowjetunion, die im Sommer 1944 die deutsche Front bis kurz vor Warschau zurückschob - jene Macht, die noch wenige Jahre zuvor in völliger Harmonie mit Hitler-Deutschland die polnische Nation aufgeteilt hatte.
Die Polen hatten ihre Sache nicht verloren gegeben, auch damals nicht, im Herbst 1939. Ihre revolutionäre Tradition hatte eine lange Vergangenheit und mit ihr auch die vielen Niederlagen und die Friedhofsruhe, die über der polnischen Geschichte des 19. Jahrhunderts lastete. In jenem Herbst eröffneten die Polen ein neues Kapitel in dieser Geschichte. In Paris, später in London richtete man eine Exilregierung ein mit regulären polnischen Streitkräften. Aber auch im besetzten Vaterland entstand abermals ein weitverzweigter Schattenstaat, der eng mit der Exilregierung kooperierte und vieles konnte und kontrollierte, im Sommer 1944 schließlich auch eine Streitmacht von bis zu 350 000 Kämpfern.
Diese Heimatarmee, die Armia Krajowa (AK), war bislang nur vereinzelt auf den Plan getreten. Man wollte sie bewahren für einen Schlag wie im November 1918, als der Zusammenbruch der deutschen Monarchien den Polen die einzigartige Gelegenheit verschafft hatte, sich selbst zu befreien. In völliger Verkennung der Realität sah die Führung des polnischen Untergrunds mit dem 20. Juli 1944, dem Attentat auf Hitler, das definitive Ende der NS-Herrschaft kommen.
Es ist das große Verdienst Borodziejs, daß seine Darstellung keine einfachen Lösungen anbietet, daß er auf jede vordergründige Schuldzuweisung verzichtet und daß er ruhig und abgewogen von einer Konstellation berichtet, die in ihrer Ausweglosigkeit, aber auch in ihrer Größe einer antiken Tragödie gleicht. Denn bei den Führern der polnischen Heimatarmee handelte es sich nicht um Dilettanten. Die meisten waren militärische Profis mit erstaunlichen, oft abenteuerlichen Lebensläufen. Sie hatten viel von der Welt gesehen. Und sie wußten, daß die Zeit gegen sie arbeitete.
Der neue Herr im Hause
Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Moskau und der polnischen Exilregierung waren nach der Entdeckung der Massengräber in Katyn im April 1943 vollends abgerissen. Vor allem aber begannen die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien das Interesse an der "polnischen Frage" zu verlieren. Es ging um die Konstruktion einer neuen Weltordnung, um die Definition von Einflußsphären - und Polen lag nun einmal in der sowjetischen.
Als die Rote Armee im Januar 1944 die alten polnisch-sowjetischen Grenzen überschritt, ließ sie wenig Zweifel daran, wer der neue Herr im Hause war. Die nationalpolnischen Partisanen, die ihren Teil zur Befreiung Ostpolens beigetragen hatten, wurden entwaffnet oder in die vergleichsweise schwachen Verbände der polnischen Kommunisten gesteckt. Alles deutete darauf hin, daß lediglich eine Fremdherrschaft durch eine andere ersetzt werden würde. Der polnische Untergrund hatte nur noch eine Chance: vor der sowjetischen Besetzung selbst eine Entscheidung gegen die Deutschen zu erzwingen. Militärisch schien das fast unmöglich. Aber ließ die große Politik den Polen eine andere Wahl?
Die Kämpfe begannen in Warschau am 1. August 1944, hier sollte diese Entscheidung fallen. Tatsächlich gelang es der polnischen Stadtguerilla in den ersten Tagen, große Teile ihrer Hauptstadt zu befreien, über der nun weiß-rote Fahnen gehißt wurden. Wenn sich dennoch das Blatt schon bald zu wenden begann, so lag dies nicht allein an der militärischen Überlegenheit und der beispiellosen Härte der deutschen Besatzer. Ausschlaggebend war vielmehr, daß die sowjetische Offensive wenige Kilometer östlich vor Warschau zum Stehen kam. Dafür gab es auch militärische Gründe. Doch war es ganz offensichtlich, daß Stalin zynisch die Vernichtung der polnischen Heimatarmee abwartete. Ein letztes Mal spielten sich die beiden großen Diktatoren, der deutsche wie der sowjetische, gegenseitig in die Hände.
Nach 63 Tagen kapitulierten die letzten Aufständischen. Um die 200 000 Polen, davon 90 Prozent Zivilisten, hatten das Abenteuer des Aufstands mit dem Leben bezahlt. Große Teile Warschaus waren zerstört, der Rest wurde von den Deutschen systematisch gesprengt und eingeäschert. Hatten sie anfangs alle Gefangenen erschossen, so gab sich der deutsche Kommandant, SS-Obergruppenführer von dem Bach-Zelewski, am Ende mit einer regulären Kapitulation zufrieden. Dennoch endeten viele der knapp 520 000 polnischen Überlebenden als KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter.
Borodziej, 1956 in Wien geboren und mittlerweile stellvertretender Präsident der Universität Warschau, versteht sein Buch nicht als "ein zusammenfassendes letztes Wort", eher als eine "vertiefte Einführung". Das ist notwendig, nicht nur weil der Autor viele Ergebnisse der polnischen Forschung zugänglich macht. Lange hat dieses Drama, das seinesgleichen sucht, nicht die Würdigung erfahren, die es verdient hätte - nicht durch die kommunistischen Machthaber in Polen und erst recht nicht durch die Sowjets. Aber auch in Deutschland war (und ist) es mit den Kenntnissen nicht weit her.
Wie aber kann man dieser inkommensurablen Geschichte gerecht werden? Borodziej argumentiert verhalten und verweist auf die Friedlichkeit der polnischen Nachkriegsgeschichte, die ihre Wurzeln im Trauma des Warschauer Aufstands habe; das sei auch der Demokratisierung Polens zugute gekommen. Das mag so sein. Aber wenn es richtig ist, daß dieses Fanal eine ganz eigene Mischung aus romantischem Abenteuer und grandioser Verrücktheit gewesen ist, so dürfte wohl auch zutreffen, daß seine namenlosen Helden für mehr stehen als nur für ein Trauma und eine Niederlage: für Tapferkeit, Freiheitsliebe und Todesverachtung und nicht zuletzt für die Bereitschaft, für die eigene Sache einzustehen, selbst wenn diese schon längst aussichtslos geworden zu sein scheint.
CHRISTIAN HARTMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Warschauer Aufstand: Mischung aus romantischem Abenteuer und grandioser Verrücktheit?
Wlodzimierz Borodziej: Der Warschauer Aufstand 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 256 Seiten, 22,- Euro.
Keine schöne Geschichte, aber eine notwendige. Und eine, die nicht wirklich aufgeht . . . Ihr gerecht zu werden ist kaum möglich. Wlodzimierz Borodziej hat sich ihr dennoch gestellt.
Es war im Sommer 1944, und die Sache stand schlecht für die Deutschen. Fast alle Verbündeten hatten sie verlassen, im Westen waren die Alliierten gelandet, an der Ostfront klaffte nach der Vernichtung der Heeresgruppe Mitte ein riesiges Loch. Um so besser schien die Sache der übrigen Völker zu stehen. Nun endlich konnten sich die Hoffnungen auf ein Ende der deutschen Okkupation erfüllen. Am längsten hatten die Polen gehofft. Kaum ein zweites Volk hatte so sehr unter der deutschen Besatzungsmacht gelitten. Und doch schien ihre Stunde noch immer nicht gekommen. Denn an ihren alten Grenzen standen nicht die Westalliierten, die einst wegen der Polen in den Krieg eingetreten waren. Es war die Sowjetunion, die im Sommer 1944 die deutsche Front bis kurz vor Warschau zurückschob - jene Macht, die noch wenige Jahre zuvor in völliger Harmonie mit Hitler-Deutschland die polnische Nation aufgeteilt hatte.
Die Polen hatten ihre Sache nicht verloren gegeben, auch damals nicht, im Herbst 1939. Ihre revolutionäre Tradition hatte eine lange Vergangenheit und mit ihr auch die vielen Niederlagen und die Friedhofsruhe, die über der polnischen Geschichte des 19. Jahrhunderts lastete. In jenem Herbst eröffneten die Polen ein neues Kapitel in dieser Geschichte. In Paris, später in London richtete man eine Exilregierung ein mit regulären polnischen Streitkräften. Aber auch im besetzten Vaterland entstand abermals ein weitverzweigter Schattenstaat, der eng mit der Exilregierung kooperierte und vieles konnte und kontrollierte, im Sommer 1944 schließlich auch eine Streitmacht von bis zu 350 000 Kämpfern.
Diese Heimatarmee, die Armia Krajowa (AK), war bislang nur vereinzelt auf den Plan getreten. Man wollte sie bewahren für einen Schlag wie im November 1918, als der Zusammenbruch der deutschen Monarchien den Polen die einzigartige Gelegenheit verschafft hatte, sich selbst zu befreien. In völliger Verkennung der Realität sah die Führung des polnischen Untergrunds mit dem 20. Juli 1944, dem Attentat auf Hitler, das definitive Ende der NS-Herrschaft kommen.
Es ist das große Verdienst Borodziejs, daß seine Darstellung keine einfachen Lösungen anbietet, daß er auf jede vordergründige Schuldzuweisung verzichtet und daß er ruhig und abgewogen von einer Konstellation berichtet, die in ihrer Ausweglosigkeit, aber auch in ihrer Größe einer antiken Tragödie gleicht. Denn bei den Führern der polnischen Heimatarmee handelte es sich nicht um Dilettanten. Die meisten waren militärische Profis mit erstaunlichen, oft abenteuerlichen Lebensläufen. Sie hatten viel von der Welt gesehen. Und sie wußten, daß die Zeit gegen sie arbeitete.
Der neue Herr im Hause
Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Moskau und der polnischen Exilregierung waren nach der Entdeckung der Massengräber in Katyn im April 1943 vollends abgerissen. Vor allem aber begannen die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien das Interesse an der "polnischen Frage" zu verlieren. Es ging um die Konstruktion einer neuen Weltordnung, um die Definition von Einflußsphären - und Polen lag nun einmal in der sowjetischen.
Als die Rote Armee im Januar 1944 die alten polnisch-sowjetischen Grenzen überschritt, ließ sie wenig Zweifel daran, wer der neue Herr im Hause war. Die nationalpolnischen Partisanen, die ihren Teil zur Befreiung Ostpolens beigetragen hatten, wurden entwaffnet oder in die vergleichsweise schwachen Verbände der polnischen Kommunisten gesteckt. Alles deutete darauf hin, daß lediglich eine Fremdherrschaft durch eine andere ersetzt werden würde. Der polnische Untergrund hatte nur noch eine Chance: vor der sowjetischen Besetzung selbst eine Entscheidung gegen die Deutschen zu erzwingen. Militärisch schien das fast unmöglich. Aber ließ die große Politik den Polen eine andere Wahl?
Die Kämpfe begannen in Warschau am 1. August 1944, hier sollte diese Entscheidung fallen. Tatsächlich gelang es der polnischen Stadtguerilla in den ersten Tagen, große Teile ihrer Hauptstadt zu befreien, über der nun weiß-rote Fahnen gehißt wurden. Wenn sich dennoch das Blatt schon bald zu wenden begann, so lag dies nicht allein an der militärischen Überlegenheit und der beispiellosen Härte der deutschen Besatzer. Ausschlaggebend war vielmehr, daß die sowjetische Offensive wenige Kilometer östlich vor Warschau zum Stehen kam. Dafür gab es auch militärische Gründe. Doch war es ganz offensichtlich, daß Stalin zynisch die Vernichtung der polnischen Heimatarmee abwartete. Ein letztes Mal spielten sich die beiden großen Diktatoren, der deutsche wie der sowjetische, gegenseitig in die Hände.
Nach 63 Tagen kapitulierten die letzten Aufständischen. Um die 200 000 Polen, davon 90 Prozent Zivilisten, hatten das Abenteuer des Aufstands mit dem Leben bezahlt. Große Teile Warschaus waren zerstört, der Rest wurde von den Deutschen systematisch gesprengt und eingeäschert. Hatten sie anfangs alle Gefangenen erschossen, so gab sich der deutsche Kommandant, SS-Obergruppenführer von dem Bach-Zelewski, am Ende mit einer regulären Kapitulation zufrieden. Dennoch endeten viele der knapp 520 000 polnischen Überlebenden als KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter.
Borodziej, 1956 in Wien geboren und mittlerweile stellvertretender Präsident der Universität Warschau, versteht sein Buch nicht als "ein zusammenfassendes letztes Wort", eher als eine "vertiefte Einführung". Das ist notwendig, nicht nur weil der Autor viele Ergebnisse der polnischen Forschung zugänglich macht. Lange hat dieses Drama, das seinesgleichen sucht, nicht die Würdigung erfahren, die es verdient hätte - nicht durch die kommunistischen Machthaber in Polen und erst recht nicht durch die Sowjets. Aber auch in Deutschland war (und ist) es mit den Kenntnissen nicht weit her.
Wie aber kann man dieser inkommensurablen Geschichte gerecht werden? Borodziej argumentiert verhalten und verweist auf die Friedlichkeit der polnischen Nachkriegsgeschichte, die ihre Wurzeln im Trauma des Warschauer Aufstands habe; das sei auch der Demokratisierung Polens zugute gekommen. Das mag so sein. Aber wenn es richtig ist, daß dieses Fanal eine ganz eigene Mischung aus romantischem Abenteuer und grandioser Verrücktheit gewesen ist, so dürfte wohl auch zutreffen, daß seine namenlosen Helden für mehr stehen als nur für ein Trauma und eine Niederlage: für Tapferkeit, Freiheitsliebe und Todesverachtung und nicht zuletzt für die Bereitschaft, für die eigene Sache einzustehen, selbst wenn diese schon längst aussichtslos geworden zu sein scheint.
CHRISTIAN HARTMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main