Nachdem die Stadt Kessel als alleiniger Schauplatz der ersten beiden Bände diente, wagt Nick Martell mit diesem Band einen längst überfälligen Schritt: Er verlässt besagte Stadt und lässt uns all jene Orte aufsuchen, die uns während der tristen Tage in Kessel als so hoffnungsvoll und verlockend
erschienen.
Leider wirkt es dabei so, als ob Martell sämtliche Ecken besuchen wollte, die er in den…mehrNachdem die Stadt Kessel als alleiniger Schauplatz der ersten beiden Bände diente, wagt Nick Martell mit diesem Band einen längst überfälligen Schritt: Er verlässt besagte Stadt und lässt uns all jene Orte aufsuchen, die uns während der tristen Tage in Kessel als so hoffnungsvoll und verlockend erschienen.
Leider wirkt es dabei so, als ob Martell sämtliche Ecken besuchen wollte, die er in den ersten beiden Bänden verpasst hat. So hetzen wir unentwegt auf Land- und Seewegen von Ort zu Ort. Wir besuchen Städte, Inseln und mysteriöse Orte, ohne uns längere Aufenthalte zu genehmigen. Die gut 700 Seiten reichen bei Weitem nicht dazu aus, um uns die jeweiligen Eigenheiten näher zu bringen. So bleiben die Orte beliebig austauschbare Schauplätze und nicht viel mehr als bloße Namen ohne jegliche Besonderheiten.
Im Grunde handelt es sich um ein Symptom eines viel größeren und bereits bekannten Problems. Bereits im vorherigen Band wurde deutlich, dass Martell über eine große Vorstellungskraft verfügt und zahllose interessante Ideen in seinen Werken verarbeitet. Leider schafft er es nicht, diese in ein übergreifendes Konzept zu integrieren. Stattdessen schreibt er scheinbar planlos alles nieder, was ihm gerade in den Sinn kommt, ohne dabei auf die vorherigen Geschehnisse Rücksicht zu nehmen.
Das ist schade, da Martell an sich viele handwerkliche Grundlagen beherrscht. Begann der erste Band noch mit einem alleinigen Ich-Erzähler, so spielt dieser Band mit unterschiedlichen Ansätzen. So erleben wir eine Handvoll Kapitel aus der Perspektive anderer Charaktere und es gibt sogar eine kurze Szene, in der sich der Erzähler persönlich an uns wendet.
Positiv ist zudem das insgesamt sehr hohe Erzähltempo zu vermerken. Dass die gut 700 Seiten wie im Flug vergehen liegt sicherlich auch daran, dass Martell auf Filler-Szenen verzichtet und auf jeder Seite die Handlung vorantreibt. Zudem präsentiert er sich actionreicher – wenngleich auch genauso blutarm – als in den Vorgängerbänden und präsentiert uns Lesern eine abwechslungsreiche Mischung verschiedenster Arten und Szenarien.
Nicht zuletzt haben auch die zahlreichen Dialoge einen großen Anteil am Erzähltempo. Leider stellt dies gleichzeitig auch ein großes Problem dar. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch kommt man nicht umhin, ihnen Soap-Charakter zu attestieren. Die Konflikte könnten aus einer spanischen Telenovela stammen und unabhängig von den Charakteren wirkt es oft so, als ob kleine Kinder miteinander sprechen würden.
Dies gilt insbesondere für unseren Hauptprotagonisten Mikael, der eine Art Rückfall erlitten zu haben scheint. Während er in den ersten beiden Bänden eine Art Reifeprozess durchlief und seine wehleidige Jugendversion nach und nach hinter sich ließ, kommt der quengelige Jugendliche im dritten Band mit voller Wucht zurück.
Gleiches gilt für die unglaubwürdige Liebesbeziehung zwischen Mikael und Serena. Zunächst bestand gar keine Verbindung zwischen den beiden und auf einmal soll es sich um die größte Liebe aller Zeiten handeln, die allen Widrigkeiten zu trotzen vermag. Eine schwach dargestellte Liebesgeschichte ist dabei natürlich eine Sache. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn die ganze Handlung des Romans auf dieser vermeintlich großen und einzigartigen Liebe aufgebaut ist.
Leider lässt sich über die anderen Charaktere nicht viel Besseres sagen. Es kommt zu Auftritten zahlreicher Figuren, jedoch verbleibt es bei Momentaufnahmen. Kaum ein Handlungsstrang wird zu einem befriedigenden Ende geführt. Stattdessen führt Martell wieder zahllose weitere Charaktere ein, neigt zu großen Reden und Szenen - nur um dann am Ende sich und seinen Figuren alle Türen offen zu halten und die Konsequenzen ihres Handelns möglichst gering zu halten.
Insgesamt verbleibt der Eindruck, dass der Autor den Roman mit voller Absicht so gestaltet hat. Anstatt die Trilogie zu einem befriedigen Abschluss zu führen, scheint es sich um die Vorbereitung zu einem viel größeren Romanuniversum zu handeln – ein solches wäre jedenfalls nötig, um alle offenen Handlungsstränge zu beenden.
Fazit: Der Weg der Vergessenen von Nick Martell stellt einen durch und durch mittelmäßigen Roman dar, der wütend ob des ungenutzten Potentials macht. Nach dem vielversprechenden Auftakt eine große Enttäuschung.