Wo kommen wir hin, wenn wir kein Ziel haben? Im Sommer 2017 begibt sich Florian Werner alleine auf Wanderschaft. Im Gepäck ein Zelt, ein Schlafsack, keine Landkarte, dafür Mut und Humor - und der Vorsatz, stets den Weg des geringsten Widerstands zu gehen: Wenn der rechte Weg bergauf führt, geht der Wanderer nach links. Wenn der Wind von Westen weht, geht er nach Osten. Auf seiner Reise durch Deutschland trifft Werner allerhand kuriose Zeitgenossen. Er wird von Kühen verfolgt, von Zecken ausgesaugt und beim Zelten fast überfahren. Er meditiert über Kartographie, Ziellosigkeit und die Philosophie des Wanderns. Und er stellt fest: Der Weg des geringsten Widerstands birgt ganz eigene Abenteuer.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2018Wandern ohne
Hindernisse
Florian Werner sucht nach
den einfachsten Wegen
Wohin soll einer aufbrechen, der bereits auf dem Gipfel steht? Nun, am besten nirgendwohin, das jedenfalls wird Florian Werner von etlichen seiner Freunde und Bekannten empfohlen. Er solle doch bitteschön bleiben, wo er ist. Zumal Werner sich vorgenommen habe, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Keine Wanderung, kein Widerstand. So einfach sei das.
Aber so einfach ist die Angelegenheit natürlich keineswegs. Denn Wandern will Werner unbedingt. Die Lust ist unbändig, nur widerstrebt es ihm, mehr Mühsal als unbedingt notwendig darauf zu verwenden. Da kommt dem Berliner Autor zupass, dass er auf dem höchsten Punkt des Prenzlauer Bergs wohnt. Schließlich möchte er alle Gipfel vermeiden und überhaupt sämtlichen Hindernissen aus dem Weg gehen. Eben soll sein Weg sein, besser noch bergab führen. Eine Grundsatzentscheidung steht zu Beginn an: links oder rechts hinunter in das „Berliner Urstromtal“, wie Florian Werner alles nennt, was niedriger liegt als seine Wohnung. Sind die ersten Schritte getan, ist der einsetzende Sommerregen ein Segen: Die Fließ- und Sickerrichtung des Wassers gibt nun den Weg vor.
Zehn Regeln hat Florian Werner sich auferlegt für sein Buch „Der Weg des geringsten Widerstands“, im Kern geht es darum, Steigungen zu vermeiden, mit dem Wind und in die Sonne zu gehen, es sei denn, sie versengt einem die Haut; keine Karten zu benutzen, den weicheren Untergrund zu bevorzugen – und vor allem nicht zu lange zu grübeln über einer Entscheidung an einer Weggabelung. Sowie diese Entscheidung dann keinesfalls zu bereuen.
Es gibt Tage während der drei Wochen langen Wanderung, an denen läuft Florian Werner im Kreis. Am Griebnitzsee etwa, der Berlin von Potsdam trennt. Auch im Grunewald formt die Strecke einen großen Bogen. „Der Weg ist das Ziel“, meinen manche verstanden zu haben, denen Werner begegnet. Aber der Weg ist der Weg, so Werner, das Ziel ergibt sich dann von selbst.
Irgendwann zeichnet sich eines ab. In Sachsen-Anhalt gelangt Florian Werner an die Jeetze, die in Niedersachsen noch einen Buchstaben erhält und dann Jeetzel heißt. In Hitzacker mündet der Fluss in die Elbe. Wer den Weg des geringsten Widerstands gehen möchte, der folgt unweigerlich dem Wasser – das denselben nimmt. Und so läuft die Wanderung auf Cuxhaven zu. Die Stadt an der Nordsee wird Werner allerdings nicht erreichen. An einer Gabelung kurz vor diesem vermeintlichen Ziel trifft er eine andere Entscheidung.
Längst ist er da bereits in einer Fremde angekommen – selbst im eigentlich Vertrauten. Werner läuft durch Berliner Kieze, die er zuvor immer nur gestreift hatte, er benutzt einen Passbildautomaten als Biwakschachtel. Im Umland von Magdeburg, wohin er getrampt ist, nachdem er in Potsdam umzingelt war von Hindernissen, ist er dann vollkommen orientierungslos – aber genau das strebt er an. Und wer Zeit hat, nimmt auch mehr Skurrilitäten wahr: Eines Morgens erwacht der Autor in einer Pension, weil jemand in deren gepflastertem Innenhof Rasen mäht. Respektive die wenigen Halme, die aus den Ritzen zwischen den Platten sprießen.
Florian Werner beobachtet das alles mit dem ihm eigenen Humor. Und vor dem Hintergrund seines Erfahrungsschatzes. Er ist belesen, hat auch einige Bücher übers Wandern im Gepäck, darunter eines von Rousseau. Er schlaumeiert aber nicht, schreibt auch nicht über Erschöpfung, wunde Füße oder Kniebeschwerden. Er zeigt, an welche Orte es einen führt, wenn man kein Ziel verfolgt. Erörtert Landschaften. Und sieht sich gezwungen, die Frage nach dem geringsten Widerstand über die bebaute Kulturlandschaft hinaus auszudehnen: Soll er Neonazis ausweichen oder sich mit ihnen auseinandersetzen? Am Ende steht ein uneitles, charmantes Deutschlandbuch.
STEFAN FISCHER
Florian Werner: Der Weg des geringsten Widerstands. Ein Wanderbuch. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2018. 256 Seiten, 21 Euro.
Biwakschachteln gibt es nicht
nur im Hochgebirge, sondern
auch in der Hauptstadt
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Hindernisse
Florian Werner sucht nach
den einfachsten Wegen
Wohin soll einer aufbrechen, der bereits auf dem Gipfel steht? Nun, am besten nirgendwohin, das jedenfalls wird Florian Werner von etlichen seiner Freunde und Bekannten empfohlen. Er solle doch bitteschön bleiben, wo er ist. Zumal Werner sich vorgenommen habe, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Keine Wanderung, kein Widerstand. So einfach sei das.
Aber so einfach ist die Angelegenheit natürlich keineswegs. Denn Wandern will Werner unbedingt. Die Lust ist unbändig, nur widerstrebt es ihm, mehr Mühsal als unbedingt notwendig darauf zu verwenden. Da kommt dem Berliner Autor zupass, dass er auf dem höchsten Punkt des Prenzlauer Bergs wohnt. Schließlich möchte er alle Gipfel vermeiden und überhaupt sämtlichen Hindernissen aus dem Weg gehen. Eben soll sein Weg sein, besser noch bergab führen. Eine Grundsatzentscheidung steht zu Beginn an: links oder rechts hinunter in das „Berliner Urstromtal“, wie Florian Werner alles nennt, was niedriger liegt als seine Wohnung. Sind die ersten Schritte getan, ist der einsetzende Sommerregen ein Segen: Die Fließ- und Sickerrichtung des Wassers gibt nun den Weg vor.
Zehn Regeln hat Florian Werner sich auferlegt für sein Buch „Der Weg des geringsten Widerstands“, im Kern geht es darum, Steigungen zu vermeiden, mit dem Wind und in die Sonne zu gehen, es sei denn, sie versengt einem die Haut; keine Karten zu benutzen, den weicheren Untergrund zu bevorzugen – und vor allem nicht zu lange zu grübeln über einer Entscheidung an einer Weggabelung. Sowie diese Entscheidung dann keinesfalls zu bereuen.
Es gibt Tage während der drei Wochen langen Wanderung, an denen läuft Florian Werner im Kreis. Am Griebnitzsee etwa, der Berlin von Potsdam trennt. Auch im Grunewald formt die Strecke einen großen Bogen. „Der Weg ist das Ziel“, meinen manche verstanden zu haben, denen Werner begegnet. Aber der Weg ist der Weg, so Werner, das Ziel ergibt sich dann von selbst.
Irgendwann zeichnet sich eines ab. In Sachsen-Anhalt gelangt Florian Werner an die Jeetze, die in Niedersachsen noch einen Buchstaben erhält und dann Jeetzel heißt. In Hitzacker mündet der Fluss in die Elbe. Wer den Weg des geringsten Widerstands gehen möchte, der folgt unweigerlich dem Wasser – das denselben nimmt. Und so läuft die Wanderung auf Cuxhaven zu. Die Stadt an der Nordsee wird Werner allerdings nicht erreichen. An einer Gabelung kurz vor diesem vermeintlichen Ziel trifft er eine andere Entscheidung.
Längst ist er da bereits in einer Fremde angekommen – selbst im eigentlich Vertrauten. Werner läuft durch Berliner Kieze, die er zuvor immer nur gestreift hatte, er benutzt einen Passbildautomaten als Biwakschachtel. Im Umland von Magdeburg, wohin er getrampt ist, nachdem er in Potsdam umzingelt war von Hindernissen, ist er dann vollkommen orientierungslos – aber genau das strebt er an. Und wer Zeit hat, nimmt auch mehr Skurrilitäten wahr: Eines Morgens erwacht der Autor in einer Pension, weil jemand in deren gepflastertem Innenhof Rasen mäht. Respektive die wenigen Halme, die aus den Ritzen zwischen den Platten sprießen.
Florian Werner beobachtet das alles mit dem ihm eigenen Humor. Und vor dem Hintergrund seines Erfahrungsschatzes. Er ist belesen, hat auch einige Bücher übers Wandern im Gepäck, darunter eines von Rousseau. Er schlaumeiert aber nicht, schreibt auch nicht über Erschöpfung, wunde Füße oder Kniebeschwerden. Er zeigt, an welche Orte es einen führt, wenn man kein Ziel verfolgt. Erörtert Landschaften. Und sieht sich gezwungen, die Frage nach dem geringsten Widerstand über die bebaute Kulturlandschaft hinaus auszudehnen: Soll er Neonazis ausweichen oder sich mit ihnen auseinandersetzen? Am Ende steht ein uneitles, charmantes Deutschlandbuch.
STEFAN FISCHER
Florian Werner: Der Weg des geringsten Widerstands. Ein Wanderbuch. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2018. 256 Seiten, 21 Euro.
Biwakschachteln gibt es nicht
nur im Hochgebirge, sondern
auch in der Hauptstadt
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