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Anna Seghers war bereits ein Jahr lang Emigrantin im Pariser Exil, als sich im Februar 1934 die österreichischen Arbeiter:innen gegen das faschistische Dollfuß-Regime erhoben. In fünf Tagen wurde der Aufstand niedergeschlagen. Der »Februar« war eine der Generalproben des europäischen Faschismus. Zehn Wochen nach der Niederschlagung machte sich Anna Seghers auf die Suche nach den Spuren des Aufstands. 1935 erschien »Der Weg durch den Februar« im Pariser Exilverlag »Edition du Carrefour«. »In diesem Buch«, schreibt Seghers, »sind die österreichischen Ereignisse in Romanform gestaltet. Manche…mehr

Produktbeschreibung
Anna Seghers war bereits ein Jahr lang Emigrantin im Pariser Exil, als sich im Februar 1934 die österreichischen Arbeiter:innen gegen das faschistische Dollfuß-Regime erhoben. In fünf Tagen wurde der Aufstand niedergeschlagen. Der »Februar« war eine der Generalproben des europäischen Faschismus. Zehn Wochen nach der Niederschlagung machte sich Anna Seghers auf die Suche nach den Spuren des Aufstands. 1935 erschien »Der Weg durch den Februar« im Pariser Exilverlag »Edition du Carrefour«. »In diesem Buch«, schreibt Seghers, »sind die österreichischen Ereignisse in Romanform gestaltet. Manche Vorgänge sind verdichtet worden; man suche nicht nach den Namen der Personen und Straßen. Doch unverändert dargestellt sind die Handlungen der Menschen, in denen sich ihr Wesen und das Gesetz der Ereignisse gezeigt hat.« Die Kühnheit der vielsträngigen Komposition dieses Romans ist viel gerühmt worden.
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Autorenporträt
Anna Seghers, 1900 in Mainz geboren, ist eine der bedeutendsten Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. 1933 zur Emigration gezwungen, wurde sie mit dem 1942 in den USA veröffentlichten Roman 'Das siebte Kreuz' weltberühmt. Seit ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil 1947 lebte sie bis zu ihrem Tod 1983 in Ost-Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Die Neuausgabe von Anna Seghers wenig bekannter Erzählung "Der Weg durch den Februar" im neu gegründeten Berliner Marsyas Verlag ermöglicht die Wiederentdeckung eines literarischen Meisterwerks, befindet Rezensentin Bettina Hartz. Mit 34 Jahren, als sie den Roman schrieb, lebte die Kommunistin und Kleistpreisträgerin Seghers nach der Verbrennung ihrer Bücher und einer Verhaftung durch die Gestapo bereits im Pariser Exil. Hintergrund der Handlung sind der Aufstand der österreichischen Sozialdemokratie gegen das Dollfuß-Regime im Februar 1934, dessen gewaltsame Niederschlagung und die in den Faschismus mündende Ausschaltung der sozialdemokratischen Opposition. Mit großer Präzision und Anschaulichkeit der historisch-politischen Analyse, so Hartz, verarbeitet die Autorin dieses komplexe Thema. Dabei stünden die Figuren exemplarisch für Ansichten, Klassen und Haltungen und träten doch als individuelle Charaktere hervor. Ein grandioses, zu wenig gelesenes Buch, das die Rezensentin nach Beendigung der Lektüre gleich wiederlesen will und uneingeschränkt empfehlen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2024

Messerscharf

Neu entdeckt: Anna Seghers' Roman "Der Weg durch den Februar" von 1935 erzählt, wie Österreich in den Faschismus taumelte.

Ein Roman wie ein früher Eisenstein, wie Fritz Langs "M", wie "Kuhle Wampe", wie ein Rosselini, wie ein Film noir - nur: besser! Scharfe Schwarz-Weiß-Kontraste, schnelle Schnitte, Überblendungen, Montagen, rau, genau, hart, kantig, aus dem Block gehauene Gesichter, Szenen, grell beleuchtet, im Dunkeln verschwindend. Seine Autorin, die 34 Jahre alte Anna Seghers, Kleistpreisträgerin, Kommunistin, lebte, als sie ihn schrieb, bereits seit einem Jahr mit Mann und zwei kleinen Kindern im Exil in Paris. Die Nazis hatten auf dem Berliner Bebelplatz ihre Bücher verbrannt, sie selbst war von der Gestapo verhaftet worden und hatte eine kurze Zeit im Gefängnis verbracht. Über die Schweiz war ihr mit der Familie die Flucht nach Frankreich gelungen.

"Der Weg durch den Februar", so der Titel des Werks, ist Anna Seghers' dritter Roman, und natürlich ist er, wie alle ihre Texte, hochpolitisch. Den Hintergrund der Handlung bildet der Aufstand von Teilen der österreichischen Sozialdemokratie gegen das Dollfuß-Regime im Februar 1934, dessen blutige Niederschlagung und, in der Folge, die Ausschaltung der österreichischen sozialdemokratischen Opposition.

Seghers fuhr zehn Wochen nach dem Ende der Straßenkämpfe nach Graz, um zu recherchieren; insbesondere zu Koloman Wallisch, einem sozialdemokratischen Politiker, den die Rechte zu einem der Hauptverantwortlichen für den Februaraufstand erklärt, durch ein Standgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet hatte. Neben der Erzählung "Der letzte Weg des Koloman Wallisch", in der sie ein Porträt des von den Rechten als Bolschewist, von den Linken als Antikommunist und Verräter betrachteten Sozialdemokraten zeichnet, entstand in dem darauf folgenden Jahr dieser Roman. Er erzählt aber weit mehr als nur vom Februaraufstand: nämlich auch von der gesamtpolitischen Lage im Österreich zu Beginn der Dreißigerjahre, dem Kampf der demokratischen linken Mitte gegen ihre Angreifer von rechts, ihrer Niederlage - und vom Sieg des faschistischen Ständestaats.

Das ist ein vielschichtiges, komplexes Thema, das nach einem vielsträngigen Erzählen verlangt. Seghers arbeitet mit atemberaubender Präzision in Sprache und Form und Figurenensemble. Jeder Satz, jedes Motiv, jeder Schauplatz, jede Figur hat eine Funktion, ist ein statisch notwendiger Träger der Erzählung, dennoch wirkt nichts bloß instrumentell, schablonenhaft, blutleer. Nein, alles ist anschaulich, strotzt vor Kraft und Lebendigkeit. Die Figuren stehen paradigmatisch für politische Ansichten, Haltungen, Klassen und deren Handlungsweisen; zugleich sind sie alle individuell gezeichnet, haben ihre Schönheit, ihre Bosheit, ihre Feigheit und ihren Mut.

Wie Seghers von den verschiedenen österreichischen Schauplätzen erzählt, von den Arbeiterbezirken Wiens, den Kampfschauplätzen in Linz, einem Bergbauerngehöft oberhalb von Bruck, wo eine Gruppe geflohener Aufständischer für eine Nacht Unterschlupf findet, lässt glauben, dass sie von klein auf dort gelebt, alles mit eigenen Augen gesehen, mit allen Sinnen aufgenommen habe. Sie sieht jeden Stein, jede Hofeinfahrt, jede Mauer, jeden Fensterriegel, jede Treppenstufe, jeden Wechsel des Lichts vor sich, scharf gezeichnet, und setzt sie beim Schreiben hin, wie ein Maurer seine Ziegel setzt.

Dass man einiges, vielleicht sogar vieles beim Lesen nicht versteht, weil der Roman so sehr aus der Innenperspektive der Figuren heraus geschrieben ist, macht dabei gar nichts - der Kontext lässt sich mithilfe des Internets schnell während des Lesens in groben Zügen herstellen, und das ist allemal besser, als einen dieser alles erklärenden historischen Romane zu lesen.

Es geschieht nicht oft, eine Erzählung, die man gerade beendet hat, gleich noch einmal lesen zu wollen, um sie, einmal im Großen und Ganzen aufgenommen, ein zweites Mal im Detail zu genießen. Aber bei diesem Roman war es so. Die ersten Sätze klingen nach Kleist, "Michael Kohlhaas", sind streng und genau wie eine Chronik. Dann löst sich das ins etwas weniger archaisch Strenge auf. Ein meisterhafter Sinn für Einstellungen, Szenenwechsel, neusachlich knappe Dialoge, eine messerscharfe und doch hochpoetische Metaphorik.

Aber Anna Seghers erzählt nicht bloß, in ihrem Erzählen sind Rückgrat und Haltung. Sie ist eine kommunistische Schriftstellerin, was bedeutet: Im individuellen Handeln sieht und zeigt sie "das Gesetz der Ereignisse". Mit der Erzählung, die nichts von der kleinbürgerlichen Sentimentalität und Opernästhetik des Neorealismus oder Chaplins hat, nichts aber auch von der schlichten Dialektik und Puppentheaterpädagogik eines Brecht, gibt sie zugleich eine Analyse der politischen Kräfteverhältnisse und eine Erklärung, weshalb der Aufstand scheiterte, scheitern musste - nicht wegen des Versagens eines der Kämpfenden, sondern wegen der Uneinigkeit, schlechten Vorbereitung und Organisation ihrer politischen Führer.

Diese Erkenntnis resultiert nicht aus einer einzelnen Szene oder Figurenrede, gar einem erzählerischen Kommentar, sondern aus der Summe aller einzelnen Meinungen und Handlungen. Der Roman als Ganzes ist die Momentaufnahme einer protofaschistischen Situation und ihres Umschlagens in den Faschismus.

1935 erschien "Der Weg durch den Februar" im Pariser Exilverlag Edition du Carrefour. Es ist ein in der weiteren Öffentlichkeit eher unbemerkt gebliebenes Buch von Seghers, steht im Schatten ihrer weltberühmten Romane "Transit" und "Das siebte Kreuz". Die Neuausgabe durch Michael Baiculescu, ehemals Chef des Mandelbaum-Verlags, in seinem erst vor ganz Kurzem gegründeten neuen Verlag Marsyas in Wien, der "achtlos weggeworfene literarische Kleinode bergen" will, bietet die Chance zur Neu- und Wiederentdeckung einer großen Autorin und eines literarischen Meisterwerks. BETTINA HARTZ

Anna Seghers: "Der Weg durch den Februar". Marsyas, 276 Seiten, 28 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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