Der Dreißigjährige Krieg (1618-48) warf lange Schatten voraus. Der renommierte Historiker Heinz Duchhardt beleuchtet in seinem Buch aus europäischer Perspektive das hochexplosive Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges, das geprägt war von innen- und außenpolitischen Krisen, von konfessioneller Zuspitzung, Zukunftsangst und der Vorstellung, dass der Weg zwangsläufig ins Chaos führen müsse.Die Spannung zwischen einer Art »Endzeiterwartung« und dem Bemühen, des Konfliktpotenzials doch noch Herr zu werden, war charakteristisch für diese Zeit. Sie mündete in eines der traumatischsten Ereignisse der Vormoderne überhaupt, das unendliches Leid über seine Bevölkerung brachte und den Kontinent grundlegend veränderte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2017Europäisches Krisentheater
Heinz Duchhardt sortiert die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs
Ende April 1606 kam es in Donauwörth zu einem Eklat. Die Teilnehmer einer Prozession zum Gedenktag des Apostels Markus, überwiegend Angehörige der katholischen Minderheit der Stadt, wurden auf dem Rückweg aus dem Dorf Auchsesheim auf Befehl des Stadtrats ausgesperrt. Verhandlungen über die Öffnung der Tore endeten in einer Prügelei. Als sich die Unruhen am Markustag von 1607 wiederholten, verhängte Kaiser Rudolf II. die Reichsacht über Donauwörth. Mit der Vollstreckung wurde nicht der zuständige Herzog von Württemberg, ein Protestant, sondern der bayerische Herzog Maximilian beauftragt. Als die Stadt sich weigerte, mit ihm zu verhandeln, ließ Maximilian sie belagern und behielt sie nach der Kapitulation als Pfand für seine Kriegskosten in Besitz. Sofort begann die Rekatholisierung, die Mehrzahl der Einwohner wurde vertrieben oder zum römischen Glauben zwangsbekehrt. Im Folgejahr schlossen sich mehrere protestantische Reichsfürsten zu einem Schutzbund, der Union, zusammen, ein Jahr später folgte das Gegenbündnis der katholischen Liga.
Das ist eine der Geschichten, die Heinz Duchhardts Buch über die unruhige letzte Friedensdekade vor dem Dreißigjährigen Krieg erzählt. Oder besser: die es aufzählt und abhandelt, ohne ihre Verbindung mit anderen Ereignissen genauer zu beleuchten. 1606 war ja auch das Jahr, in dem Rudolf II. von seinen Verwandten für geisteskrank erklärt wurde. Es war das Jahr, in dem der lange Türkenkrieg der Habsburger mit einem für Österreich erträglichen Frieden endete. Und das Jahr, in dem der falsche Zar Dmitri, Schillers Demetrius, ermordet wurde. Von allen diesen Dingen erfährt man bei Duchhardt an anderer Stelle. Es gibt Geschichtsbücher, die Erzählungen, und solche, die Puzzlebilder sind. Dieses ist ein Puzzle.
Heinz Duchhardt, emeritierter Historiker aus Mainz, hat die akademische deutsche Geschichtswissenschaft der letzten vierzig Jahre mitgeprägt. Seine Bücher über die europäische Staatenwelt des Absolutismus sind ebenso Standardwerke wie seine Bibliographie zum Westfälischen Frieden und seine Lebensbeschreibung des Freiherrn vom Stein. Der "Weg in die Katastrophe" folgt nun gleichsam spiegelbildlich dem "Jahr der Schlagzeilen", in dem Duchhardt vor zwei Jahren die mentalitäts- und realgeschichtlichen Verhältnisse von 1648 abgeschritten hat. Wie darin das Kriegsende in Münster und Osnabrück bildet hier der Kriegsausbruch mit dem Prager Fenstersturz den Fluchtpunkt der Darstellung. Es ist, als hinge eine große Uhr über den Handelnden und ihren Widersachern zwischen dem Ural und Gibraltar. Aber man hört sie nicht ticken, und darin liegt das Manko dieses Buchs.
Duchhardts Studie ist trotz der schmissigen Aufmachung erkennbar als Handbuch angelegt. Akteure und Schauplätze, politische und religiöse Strukturen, klimatische und ökonomische Phänomene des Zeitalters werden sauber sortiert und nacheinander abgehandelt. Das hat den Vorteil, dass man die Niederlande oder Frankreich, den Papst und die Reichsfürsten nicht über das Namensverzeichnis suchen muss, sondern in den entsprechenden Kapiteln findet. Es führt aber zugleich dazu, dass der Zusammenhang der Ereignisse, den schon die Zeitgenossen empfanden, immer wieder verlorengeht. Der Machtkampf im Hause Habsburg etwa wird an mehreren Stellen erwähnt, ohne dass der Ablauf des dramatischen Geschehens völlig deutlich würde. Auch die Auswirkungen der Kleinen Eiszeit finden ihren Platz, aber erst mehr als hundert Seiten später wird der Mentalitätswandel um 1600 erörtert, zu dem sie doch wesentlich beitrugen. Diese Schubladisierung nimmt auch stärkeren Passagen wie jenen über die Hexenprozesse und Judenpogrome im Vorfeld des Krieges ihre Durchschlagskraft. Anders als in populären Darstellungen wie Golo Manns "Wallenstein" oder Peter Englunds "Verwüstung" bekommt man kein Gespür für die innere Not der Epoche und das Gewaltpotential, das sich seit der Reformation aufgestaut hatte.
Dazu kommt ein Kanzleistil, den man in der Wissenschaft für überwunden hielt. Ein Rechtsstreit heißt wie einst "Gravamen", die Machtverhältnisse im Reich werden "mit einiger Ausführlichkeit" analysiert, und über den dänischen König Christian, einen echten Kriegstreiber, hält Duchhardt fest, seiner "Dynamik" sei es "letztlich" zu verdanken gewesen, "dass sich im Norden Europas in der Krisendekade ein Spannungsfeld aufbaute, das zumindest die Möglichkeit einschloss, in die Mitte des Kontinents auszugreifen". Gewundener kann man es nicht sagen.
Eine Flut von Büchern zum vierhundertsten Jubiläum des Kriegsausbruchs im kommenden Jahr rollt heran. Dies ist das erste. In der Welt der Film- und Fernsehserien würde man von einem Prequel sprechen. Vielleicht wird man Duchhardts Studie aber am besten gerecht, wenn man sie als Orientierungsmarke sieht. Sie zeigt an, wie man es besser machen kann.
ANDREAS KILB
Heinz Durchhardt:
"Der Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges". Die Krisendekade 1608-1618.
Piper Verlag, München 2017. 256 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heinz Duchhardt sortiert die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs
Ende April 1606 kam es in Donauwörth zu einem Eklat. Die Teilnehmer einer Prozession zum Gedenktag des Apostels Markus, überwiegend Angehörige der katholischen Minderheit der Stadt, wurden auf dem Rückweg aus dem Dorf Auchsesheim auf Befehl des Stadtrats ausgesperrt. Verhandlungen über die Öffnung der Tore endeten in einer Prügelei. Als sich die Unruhen am Markustag von 1607 wiederholten, verhängte Kaiser Rudolf II. die Reichsacht über Donauwörth. Mit der Vollstreckung wurde nicht der zuständige Herzog von Württemberg, ein Protestant, sondern der bayerische Herzog Maximilian beauftragt. Als die Stadt sich weigerte, mit ihm zu verhandeln, ließ Maximilian sie belagern und behielt sie nach der Kapitulation als Pfand für seine Kriegskosten in Besitz. Sofort begann die Rekatholisierung, die Mehrzahl der Einwohner wurde vertrieben oder zum römischen Glauben zwangsbekehrt. Im Folgejahr schlossen sich mehrere protestantische Reichsfürsten zu einem Schutzbund, der Union, zusammen, ein Jahr später folgte das Gegenbündnis der katholischen Liga.
Das ist eine der Geschichten, die Heinz Duchhardts Buch über die unruhige letzte Friedensdekade vor dem Dreißigjährigen Krieg erzählt. Oder besser: die es aufzählt und abhandelt, ohne ihre Verbindung mit anderen Ereignissen genauer zu beleuchten. 1606 war ja auch das Jahr, in dem Rudolf II. von seinen Verwandten für geisteskrank erklärt wurde. Es war das Jahr, in dem der lange Türkenkrieg der Habsburger mit einem für Österreich erträglichen Frieden endete. Und das Jahr, in dem der falsche Zar Dmitri, Schillers Demetrius, ermordet wurde. Von allen diesen Dingen erfährt man bei Duchhardt an anderer Stelle. Es gibt Geschichtsbücher, die Erzählungen, und solche, die Puzzlebilder sind. Dieses ist ein Puzzle.
Heinz Duchhardt, emeritierter Historiker aus Mainz, hat die akademische deutsche Geschichtswissenschaft der letzten vierzig Jahre mitgeprägt. Seine Bücher über die europäische Staatenwelt des Absolutismus sind ebenso Standardwerke wie seine Bibliographie zum Westfälischen Frieden und seine Lebensbeschreibung des Freiherrn vom Stein. Der "Weg in die Katastrophe" folgt nun gleichsam spiegelbildlich dem "Jahr der Schlagzeilen", in dem Duchhardt vor zwei Jahren die mentalitäts- und realgeschichtlichen Verhältnisse von 1648 abgeschritten hat. Wie darin das Kriegsende in Münster und Osnabrück bildet hier der Kriegsausbruch mit dem Prager Fenstersturz den Fluchtpunkt der Darstellung. Es ist, als hinge eine große Uhr über den Handelnden und ihren Widersachern zwischen dem Ural und Gibraltar. Aber man hört sie nicht ticken, und darin liegt das Manko dieses Buchs.
Duchhardts Studie ist trotz der schmissigen Aufmachung erkennbar als Handbuch angelegt. Akteure und Schauplätze, politische und religiöse Strukturen, klimatische und ökonomische Phänomene des Zeitalters werden sauber sortiert und nacheinander abgehandelt. Das hat den Vorteil, dass man die Niederlande oder Frankreich, den Papst und die Reichsfürsten nicht über das Namensverzeichnis suchen muss, sondern in den entsprechenden Kapiteln findet. Es führt aber zugleich dazu, dass der Zusammenhang der Ereignisse, den schon die Zeitgenossen empfanden, immer wieder verlorengeht. Der Machtkampf im Hause Habsburg etwa wird an mehreren Stellen erwähnt, ohne dass der Ablauf des dramatischen Geschehens völlig deutlich würde. Auch die Auswirkungen der Kleinen Eiszeit finden ihren Platz, aber erst mehr als hundert Seiten später wird der Mentalitätswandel um 1600 erörtert, zu dem sie doch wesentlich beitrugen. Diese Schubladisierung nimmt auch stärkeren Passagen wie jenen über die Hexenprozesse und Judenpogrome im Vorfeld des Krieges ihre Durchschlagskraft. Anders als in populären Darstellungen wie Golo Manns "Wallenstein" oder Peter Englunds "Verwüstung" bekommt man kein Gespür für die innere Not der Epoche und das Gewaltpotential, das sich seit der Reformation aufgestaut hatte.
Dazu kommt ein Kanzleistil, den man in der Wissenschaft für überwunden hielt. Ein Rechtsstreit heißt wie einst "Gravamen", die Machtverhältnisse im Reich werden "mit einiger Ausführlichkeit" analysiert, und über den dänischen König Christian, einen echten Kriegstreiber, hält Duchhardt fest, seiner "Dynamik" sei es "letztlich" zu verdanken gewesen, "dass sich im Norden Europas in der Krisendekade ein Spannungsfeld aufbaute, das zumindest die Möglichkeit einschloss, in die Mitte des Kontinents auszugreifen". Gewundener kann man es nicht sagen.
Eine Flut von Büchern zum vierhundertsten Jubiläum des Kriegsausbruchs im kommenden Jahr rollt heran. Dies ist das erste. In der Welt der Film- und Fernsehserien würde man von einem Prequel sprechen. Vielleicht wird man Duchhardts Studie aber am besten gerecht, wenn man sie als Orientierungsmarke sieht. Sie zeigt an, wie man es besser machen kann.
ANDREAS KILB
Heinz Durchhardt:
"Der Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges". Die Krisendekade 1608-1618.
Piper Verlag, München 2017. 256 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Kilb hält das Buch des Historikers Heinz Durchhardt für wenig überzeugend. Ein Gefühl für die innere Not der dargestellten Epoche kann ihm der Autor nicht vermitteln. Stattdessen bietet Durchhardt "Schubladisierung", Abhandlung von Ereignissen ohne Zusammenhang in einer gewundenen Sprache. Ein Geschichts-Puzzle, das Kilb als gut sortiertes Handbuch zu Schauplätzen und Akteuren, religiösen Strukturen und ökonomischen Phänomenen der Zeit dient, aber nicht als mitreißende Darstellung, die Abläufe nachvollziehbar verdeutlichen könnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»(...) überzeugendes Buch.« Rhein-Neckar-Zeitung 20170603