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Das Buch zeichnet die Karriere des Mannes nach, der ausgezogen ist, das Kanzleramt zu erobern. Es bietet eine Analyse, die viel über die Person Gerhard Schröders und sein Verhältnis zur SPD verrät, beleuchtet aber auch das System, nach dem Politik heute gemacht wird.

Produktbeschreibung
Das Buch zeichnet die Karriere des Mannes nach, der ausgezogen ist, das Kanzleramt zu erobern. Es bietet eine Analyse, die viel über die Person Gerhard Schröders und sein Verhältnis zur SPD verrät, beleuchtet aber auch das System, nach dem Politik heute gemacht wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1998

Was der Macher mit der Macht macht

Ansgar Graw: Gerhard Schröder. Der Weg nach oben. Dirk Lehrach Verlag, Düsseldorf 1998. 226 Seiten, 12 Abbildungen, 24,80 Mark.

Volker Herres, Klaus Waller: Der Weg nach oben. Gerhard Schröder - eine politische Biographie. Econ Verlag, München 1998. 288 Seiten, 12 Abbildungen, 34,- Mark.

Gerhard Schröder: Und weil wir unser Land verbessern . . . 26 Briefe für ein modernes Deutschland. Hoffmann und Campe, Hamburg 1998. 224 Seiten, 29,80 Mark.

Wer ist Gerhard Schröder? Wer so fragt wie Ansgar Graw im Vorwort zu seinem Schröder-Buch, will Antwort geben. Damit ein Buch daraus wird, muß Graw natürlich etwas ausholen. Also: Was hat Schröder denn so getrieben in den 54 Jahren seines Erdendaseins? Graw erzählt uns nichts, was nicht hier und da schon einmal gedruckt worden wäre. Woher auch? Nachdem selbst eine ehemalige Ehefrau des Kanzlerkandidaten der SPD schon ihr biographisches Insider-Wissen vermarktet hat, kann es da nicht mehr viel Unentdecktes geben. Die Produktion von Schröder-Büchern beginnt einem Würfelspiel zu ähneln, in dem dieselben Interviews, Anekdoten und Bonmots immer von neuem durcheinandergeschüttelt und noch einmal auf den Tisch geworfen werden. Jetzt kommen sogar schon fast identische Titel dabei heraus.

Hier ist also noch einmal die ganze Geschichte vom kurzbeinigen Gerhard bis zum gestandenen Schröder, chronologisch geordnet, sachlich fast fehlerlos, ohne wesentliche Auslassungen, nur leider nicht so packend, wie es der Klappentext verspricht. Graw hatte sich wohl fest vorgenommen, nicht der Faszination des politischen Naturtalents Schröder zu erliegen. Aber mußte er deshalb gleich die amtsdeutschen Ärmelschoner überstreifen und uns mit Sätzen traktieren, die "sachdienliche" Hinweise "beinhalten"? Eisern hält er auf Distanz zum Objekt seiner Neugier, läßt Fakten sprechen und leistet sich erst gegen Ende einige gepfefferte Wertungen: "Forsche Ankündigungen und innovative Ideen - aber mit der Umsetzung in die politische Tat haperte es bei Schröder."

Bekannt ist Schröder dafür, daß er zu beinahe jedem Thema schon mehrere Meinungen vertreten hat: pro und kontra Asylrechtsänderung, pro und kontra Euro, pro und kontra Eurofighter. Schröder hat seine schnellen Seitenwechsel immer dazu benutzt, um sich an den Schnittstellen widerstreitender Lager zu positionieren. Schon bei den Jusos hat er sich als Kompromißkandidat von Stamokaps und Antirevisionisten in den Vorsitz katapultiert. Eine Sprunghaftigkeit, die sich der Federkraft zweier Sprungbretter gleichzeitig bedient, des linken wie des rechten, trägt eben höher hinaus. 1984 hörte man den einstigen Kapitalistenfresser bereits von einem "neuen Bündnis aus Arbeitnehmern und aufgeklärtem Bürgertum" schwärmen. Und das Politik-Design der SPD im Wahljahr 1998, die "neue Mitte", nahm Schröder ebenfalls schon vor drei Jahren vorweg, als er den "strategischen Kurs auf die neue Mitte" propagierte. Akribisch verfolgt Graw jede Wendung Schröders, ohne einmal zu erwägen, daß diese Wendigkeit Methode hat.

Herres und Waller dagegen kommen mit einem beinahe sportlichen Interesse an dem Erfolgstyp Schröder daher: Wie hat der Mensch das bloß geschafft, von so weit unten nach so weit oben zu kommen? Fasziniert davon, daß einer, der auf allen Hochzeiten tanzt, nicht zwischen alle Stühle fällt, suchen sie die deutschen Pressestimmen nach Antworten ab, um am Ende selbst zu der Deutung zu kommen, "ohne politisches Charisma" lasse sich Schröders Erfolg "nicht erklären".

Erklärt ist damit freilich noch gar nichts. Deshalb übernimmt das Autorenduo selbst die schwere Aufgabe, Klarheit in die von Schröder gestiftete Verwirrung zu bringen. Wo er etwa Wirtschaftspolitik aus "neoliberalen Versatzstücken" mit "klassisch sozialdemokratischen Ansätzen mixt", da ist er bei Herres und Waller einfach "pragmatisch". Wo er in der Ausländerpolitik populistisch "erscheint", da vertritt er in Wirklichkeit nur "das Volk", was man einem demokratischen Politiker ja nicht zum Vorwurf machen kann. Wer ihm sein ständiges "Sowohl-Als-auch" ankreidet, wird höflich darauf hingewiesen, "daß es Schröder darum geht, keine falschen Erwartungen zu wecken". Für alles haben die beiden eine gute, eine versöhnlich stimmende Erklärung.

Nicht plausibel wird allerdings die häufige Verwendung der Bezeichnungen "Macher" und "Tatmensch" für Schröder. Zwar wird ausführlich und kenntnisreich beschrieben, was er getan hat, um in Niedersachsen und Bonn an die Macht zu kommen, doch was er mit der Macht gemacht hat - immerhin liegen jetzt acht Regierungsjahre hinter ihm -, bleibt hier ziemlich unterbelichtet, um nicht zu sagen einseitig ausgeleuchtet. Hätten sie nicht den "Macher" so hervorgekehrt, würde viel weniger auffallen, daß Schröder eigentlich ein "Sager" ist; einer, der vieles Richtige sagt, aber nur wenig davon in die Tat umsetzt.

Inzwischen wissen wir, daß Schröder auch ein Schreiber ist. Sechsundzwanzig Briefe für ein modernes Deutschland hat er geschrieben - die nachträglich bekanntgewordenen nicht mitgezählt. Sechsundzwanzig durchaus persönliche Bekenntnisse eines teilnehmenden Beobachters der politischen Szenerie, die Reinhard Hesse mit trefflichen Zitaten von Ernst Bloch, Joseph Schumpeter, Franz von Liszt und vielen anderen gewürzt hat. Unter den Adressaten, die vielleicht demnächst auch noch in Buchform antworten werden, sind der unbekannte Erstwähler und der bekannte Staatsmann, der hochkarätige Wirtschaftsboß und eine kaum beachtete Jugendumweltinitiative. Entsprechend groß ist die Spannweite der Themen, die Schröder hier in teils ernster, teils launiger Form abhandelt.

Und wieder gibt Schröder lauter vernünftige Gedanken von sich. Seine Plädoyers für die Teilhabegesellschaft und für die Anerkennung von Realitäten in der Ausländerpolitik, für konsequente Rechtsstaatlichkeit und gegen dumpfe DVU-Parolen würden vermutlich mehr Leute unterschreiben, als sich die SPD je an Stimmen erträumen könnte. Und wer könnte ihm noch verübeln, daß er mal so, mal so redet, wenn er sich, wie in seinem Brief an Joschka Fischer, freimütig dazu bekennt, daß er eben immer bereit sei, dazuzulernen? "Brüche und Entwicklungen finden sich nun mal im Leben jedes wachen Politikers." Die Welt könnte so viel besser sein, denkt sich der geneigte Leser, wenn sie von Schröder regiert würde.

Doch so schön, wie er es macht, ist nicht einmal das von ihm regierte Niedersachsen. Daß dort "in den vergangenen acht Jahren mehr neue Jobs entstanden als in jedem anderen Bundesland", ist eine ebenso kühne Behauptung wie die, daß in Niedersachsen "infolge einer klugen Innenpolitik" die Kriminalitätsrate gesunken sei. Und was ist eigentlich von dem Außenpolitiker Schröder zu halten, der es für "ein fatales Mißverständnis" hält, "wenn Helmut Kohl den Deutschen weismachen will, wir bräuchten den Euro, um unsere Vergangenheit . . . zu bewältigen", aber zwei Seiten vorher die Eingliederung Polens, Tschechiens und Ungarns in die EU mit dem Argument empfiehlt, "wir Deutschen haben diesen Völkern in der Vergangenheit großes Unrecht angetan"? Über solche Brüche schreibt Schröder so sanft und süffig hinweg, als kümmere es ihn schon wieder nicht, was er gestern gedacht hat.

STEFAN DIETRICH

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