Bill Gates, "Mr. Microsoft", ist einer der erfolgreichsten Unternehmer der Welt und der reichste Mann in den USA. In seinem Buch blickt er auf seine Karriere zurück und entwirft Szenarien für die Entwicklung neuer Informationstechnologien. Anschaulich und verständlich beschreibt er, welche Möglichkeiten die Informationstechnik uns eröffnet, und sagt, wie man sie im Dienste einer humanen Gesellschaft anwenden sollte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.1996Wie der Benutzer erfunden wurde
Das Luftschloß heißt jetzt Cyber-Heim: Bill Gates und seine Vision der Informationsgesellschaft
Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika begann mit einem "lapdesk" oder "Schoßpult", wie es Reisende einst mit sich führten, um nicht bloß Feder und Tinte, sondern zugleich eine solide Schreibunterlage dabeizuhaben. Darauf, nicht auf Thomas Jeffersons Schreibtisch, wurde die amerikanische Unabhängigkeitserklärung aufgesetzt. Amerikas Gegenwart begann mit dem "Star Trek" alias "Raumschiff Enterprise". Eines von dessen Expeditionszielen nämlich hieß "Altair", und "Altair 8800" nannte sich auch der erste Personal Computer, der vor zwanzig Jahren auf den Markt kam. Mit dem PC, zumal seinen Weiterentwicklungen zu "Laptop" und "Notebook" als den elektrifizierten Spielarten des Schoßpults von einst, setzte sich die Computerrevolution der letzten Jahrzehnte erst wirklich durch. Auch der Erfolg des amerikanischen Software-Unternehmens Microsoft ist damit verbunden; der Hinweis auf DOS und Windows mag in diesem Zusammenhang genügen.
Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als der Gründer und Chef der Microsoft Corporation, Bill Gates, vor längerer Zeit ein Buch ankündigte, in dem er die weitere Entwicklung der Computertechnologie zu skizzieren beabsichtige. Das Buch sollte gleichzeitig in mehrere Sprachen übersetzt, also von vornherein weltweit erscheinen. Seit Ende letzten Jahres ist es auch auf deutsch erhältlich. Eine CD-ROM-Version (nur auf englisch), die neben dem Buchtext auch den O-Ton von Gates-Interviews sowie verschiedene Videosequenzen bietet, gibt es auch.
Nach Gates werden die Computer zu Wunscherfüllungsmaschinen mutieren. Sie werden, so Gates in unmittelbarer Ansprache an seine Leser, "Ihnen den Eindruck vermitteln, als gäbe es zwischen Ihnen und dem Gegenstand Ihres Interesses überhaupt keine vermittelnden technischen Einrichtungen mehr. Sie teilen Ihren Wunsch mit, und sogleich geht er in Erfüllung." Beispielsweise im "Cyber-Heim", das nicht nur Gates privates Glück als sein eigener Bauherr, sondern auch die Phantasiewelt seines Buches krönt.
In diesem nur aus Informationstechnologie bestehenden Haus wird man sich je nach Laune die Reproduktionen jener berühmten Gemälde an die Wände zaubern lassen können, die man gerade bevorzugt. Auch um Lichtschalter wird man sich nicht mehr kümmern müssen, sondern automatisch "von einer beweglichen Lichtzone durchs Haus begleitet werden", während ungenutzte Räume "im Dunkeln bleiben". Und selbst die Musik "wird sich mit Ihnen bewegen. Sie scheint überall zu sein, tatsächlich aber werden andere Menschen im Haus andere Musik oder gar nichts hören. Sogar Filme oder Nachrichten werden in der Lage sein, Ihnen durchs Haus zu folgen. Wenn Sie einen Telefonanruf bekommen, wird nur der Apparat klingeln, der Ihnen in dem Moment am nächsten ist". Anlaß genug für Verfolgungswahn.
Das Buch machte von sich ebenso früh und ebenso lange reden wie das jüngste Produkt von Microsoft, "Windows 95". Da sich dessen Auslieferung immer weiter verzögerte, kursierte bereits der Spott, Bill Gates schreibe an seinem Werk wie seine Firma an ihrer Software: großspurig in der Propaganda, zäh in der Verwirklichung, ernüchternd im Ergebnis. Dabei diente vielleicht sogar dieser Spott noch dem Marketing. Gates' Vorwort zeigt, wie genau der Spott ins Schwarze traf. Betriebssystem und Buch passen wirklich zusammen.
Denn "Windows 95" liefert, anders als seine Vorgängerversionen, die Benutzeroberfläche fürs Internet gleich mit und verlockt so, dem firmeneigenen Microsoft Net buchstäblich ins Netz zu gehen. "Connect", lautet dazu die Aufforderung aus dem Hauptmenü der CD-ROM, die selbstverständlich ihrerseits nur unter Windows zum Laufen gebracht werden kann. Ganz dasselbe verkündet unermüdlich das Buch: Das Netz ist die Botschaft. Und das Internet soll ja nur der Anfang einer Entwicklung sein, an deren Ende die vielberedete "Datenautobahn" steht.
Das Buch resümiert also, wie zunächst Microsoft durch den PC seine Erfolge feierte, und verkündet zugleich, wie auf dieser Basis "die vielfältigen digitalen Informationsnetze" ihre Macht durchsetzen (und den klassischen PC schließlich wieder abschaffen) werden. Daher, wie in der Jefferson-Anekdote, die historische Perspektive. Der "Altair 8800" war noch ein Elektronikbausatz ohne Tastatur und Bildschirm, nur mit einigen Kippschaltern und Lämpchen an der Vorderseite, ein Gerät für Tüftler und nicht schon für den auf "Benutzerfreundlichkeit" erpichten "Benutzer". Der aber war die eigentliche Erfindung von Microsoft. Gemeinsam mit Paul Allen entwickelte Gates die erste Software für den Altair 8800. Unaufhörlich arbeitete Microsoft dann immer weiter daran, die Hardware für PC-Besitzer hinter der Oberfläche ihrer Nutzanwendungen unsichtbar werden zu lassen.
Mit den PCs seien den Leuten Unabhängigkeit und Individualität beschert worden. Mit der Datenautobahn stehe nun ein neues, virtuelles Land der unbegrenzten Möglichkeiten der Eroberung offen. Alles soll dabei auf die Software ankommen, die sich "bis zu einem gewissen Grad wie ein Mensch verhält". Sie paßt sich an seine "Verwendungsmuster" an und weiß somit mehr über ihn als er über sie. "Diese geschmeidigere Software", erklärt Gates, "nenne ich Softer Software."
Wäre der Titel nicht vergeben, hätte Gates sein Buch "Die Zukunft einer Illusion" nennen können. "Wir heißen", schrieb Freud, "einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit ab." Nicht, daß Gates die Werbetrommel rührt, macht sein Buch so enttäuschend. Auch nicht, daß er nur ausmalt, was andere gleichfalls zu prophezeien wissen. Enttäuscht sieht sich die Erwartung, hier melde sich einer zu Wort, der kompetent sei, weil er wie wenige andere über die real existierende Computerwelt mitentschieden hat. Gerade davon ist nichts zu merken. Der Spürsinn, der Gates eigen ist, ist nicht zuletzt die Kunst, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Aber nicht einmal diese Kunst wird richtig erklärt. Nur den fahrenden Zug sieht man.
Vieles wird kommen, wie Gates es beschreibt. Aber seine Beschreibung will die Zukunft selber schon repräsentieren. Auch das ist aufschlußreich. Doch hat das wiederum mit einer Enttäuschung zu tun. Als nämlich vor einem halben Jahrhundert überhaupt die ersten Computer von sich reden machten, waren fast gleichzeitig die euphorischen Hoffnungen auf die sogenannte Künstliche Intelligenz ausgebrochen. Heute gilt aller Enthusiasmus dem Vorstoß in eine schöne bunte Multimedia-Welt. Der Traum von den Denkmaschinen hat, wie es aussieht, getrogen. Das Faszinosum einer dem Menschen ebenbürtigen wie abgrundtief fremden Geistigkeit von der Art des Bordcomputers HAL in Stanley Kubricks "Odyssee 2001" ist Geschichte. Geblieben ist "Raumschiff Enterprise". BERNHARD DOTZLER
Bill Gates: "Der Weg nach vorn". Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Giese und Hainer Kober. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1995. 476 S., geb., 49,80 DM.
CD-ROM "The Road ahead". Penguin Books Deutschland GmbH 1995, 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Luftschloß heißt jetzt Cyber-Heim: Bill Gates und seine Vision der Informationsgesellschaft
Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika begann mit einem "lapdesk" oder "Schoßpult", wie es Reisende einst mit sich führten, um nicht bloß Feder und Tinte, sondern zugleich eine solide Schreibunterlage dabeizuhaben. Darauf, nicht auf Thomas Jeffersons Schreibtisch, wurde die amerikanische Unabhängigkeitserklärung aufgesetzt. Amerikas Gegenwart begann mit dem "Star Trek" alias "Raumschiff Enterprise". Eines von dessen Expeditionszielen nämlich hieß "Altair", und "Altair 8800" nannte sich auch der erste Personal Computer, der vor zwanzig Jahren auf den Markt kam. Mit dem PC, zumal seinen Weiterentwicklungen zu "Laptop" und "Notebook" als den elektrifizierten Spielarten des Schoßpults von einst, setzte sich die Computerrevolution der letzten Jahrzehnte erst wirklich durch. Auch der Erfolg des amerikanischen Software-Unternehmens Microsoft ist damit verbunden; der Hinweis auf DOS und Windows mag in diesem Zusammenhang genügen.
Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als der Gründer und Chef der Microsoft Corporation, Bill Gates, vor längerer Zeit ein Buch ankündigte, in dem er die weitere Entwicklung der Computertechnologie zu skizzieren beabsichtige. Das Buch sollte gleichzeitig in mehrere Sprachen übersetzt, also von vornherein weltweit erscheinen. Seit Ende letzten Jahres ist es auch auf deutsch erhältlich. Eine CD-ROM-Version (nur auf englisch), die neben dem Buchtext auch den O-Ton von Gates-Interviews sowie verschiedene Videosequenzen bietet, gibt es auch.
Nach Gates werden die Computer zu Wunscherfüllungsmaschinen mutieren. Sie werden, so Gates in unmittelbarer Ansprache an seine Leser, "Ihnen den Eindruck vermitteln, als gäbe es zwischen Ihnen und dem Gegenstand Ihres Interesses überhaupt keine vermittelnden technischen Einrichtungen mehr. Sie teilen Ihren Wunsch mit, und sogleich geht er in Erfüllung." Beispielsweise im "Cyber-Heim", das nicht nur Gates privates Glück als sein eigener Bauherr, sondern auch die Phantasiewelt seines Buches krönt.
In diesem nur aus Informationstechnologie bestehenden Haus wird man sich je nach Laune die Reproduktionen jener berühmten Gemälde an die Wände zaubern lassen können, die man gerade bevorzugt. Auch um Lichtschalter wird man sich nicht mehr kümmern müssen, sondern automatisch "von einer beweglichen Lichtzone durchs Haus begleitet werden", während ungenutzte Räume "im Dunkeln bleiben". Und selbst die Musik "wird sich mit Ihnen bewegen. Sie scheint überall zu sein, tatsächlich aber werden andere Menschen im Haus andere Musik oder gar nichts hören. Sogar Filme oder Nachrichten werden in der Lage sein, Ihnen durchs Haus zu folgen. Wenn Sie einen Telefonanruf bekommen, wird nur der Apparat klingeln, der Ihnen in dem Moment am nächsten ist". Anlaß genug für Verfolgungswahn.
Das Buch machte von sich ebenso früh und ebenso lange reden wie das jüngste Produkt von Microsoft, "Windows 95". Da sich dessen Auslieferung immer weiter verzögerte, kursierte bereits der Spott, Bill Gates schreibe an seinem Werk wie seine Firma an ihrer Software: großspurig in der Propaganda, zäh in der Verwirklichung, ernüchternd im Ergebnis. Dabei diente vielleicht sogar dieser Spott noch dem Marketing. Gates' Vorwort zeigt, wie genau der Spott ins Schwarze traf. Betriebssystem und Buch passen wirklich zusammen.
Denn "Windows 95" liefert, anders als seine Vorgängerversionen, die Benutzeroberfläche fürs Internet gleich mit und verlockt so, dem firmeneigenen Microsoft Net buchstäblich ins Netz zu gehen. "Connect", lautet dazu die Aufforderung aus dem Hauptmenü der CD-ROM, die selbstverständlich ihrerseits nur unter Windows zum Laufen gebracht werden kann. Ganz dasselbe verkündet unermüdlich das Buch: Das Netz ist die Botschaft. Und das Internet soll ja nur der Anfang einer Entwicklung sein, an deren Ende die vielberedete "Datenautobahn" steht.
Das Buch resümiert also, wie zunächst Microsoft durch den PC seine Erfolge feierte, und verkündet zugleich, wie auf dieser Basis "die vielfältigen digitalen Informationsnetze" ihre Macht durchsetzen (und den klassischen PC schließlich wieder abschaffen) werden. Daher, wie in der Jefferson-Anekdote, die historische Perspektive. Der "Altair 8800" war noch ein Elektronikbausatz ohne Tastatur und Bildschirm, nur mit einigen Kippschaltern und Lämpchen an der Vorderseite, ein Gerät für Tüftler und nicht schon für den auf "Benutzerfreundlichkeit" erpichten "Benutzer". Der aber war die eigentliche Erfindung von Microsoft. Gemeinsam mit Paul Allen entwickelte Gates die erste Software für den Altair 8800. Unaufhörlich arbeitete Microsoft dann immer weiter daran, die Hardware für PC-Besitzer hinter der Oberfläche ihrer Nutzanwendungen unsichtbar werden zu lassen.
Mit den PCs seien den Leuten Unabhängigkeit und Individualität beschert worden. Mit der Datenautobahn stehe nun ein neues, virtuelles Land der unbegrenzten Möglichkeiten der Eroberung offen. Alles soll dabei auf die Software ankommen, die sich "bis zu einem gewissen Grad wie ein Mensch verhält". Sie paßt sich an seine "Verwendungsmuster" an und weiß somit mehr über ihn als er über sie. "Diese geschmeidigere Software", erklärt Gates, "nenne ich Softer Software."
Wäre der Titel nicht vergeben, hätte Gates sein Buch "Die Zukunft einer Illusion" nennen können. "Wir heißen", schrieb Freud, "einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit ab." Nicht, daß Gates die Werbetrommel rührt, macht sein Buch so enttäuschend. Auch nicht, daß er nur ausmalt, was andere gleichfalls zu prophezeien wissen. Enttäuscht sieht sich die Erwartung, hier melde sich einer zu Wort, der kompetent sei, weil er wie wenige andere über die real existierende Computerwelt mitentschieden hat. Gerade davon ist nichts zu merken. Der Spürsinn, der Gates eigen ist, ist nicht zuletzt die Kunst, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Aber nicht einmal diese Kunst wird richtig erklärt. Nur den fahrenden Zug sieht man.
Vieles wird kommen, wie Gates es beschreibt. Aber seine Beschreibung will die Zukunft selber schon repräsentieren. Auch das ist aufschlußreich. Doch hat das wiederum mit einer Enttäuschung zu tun. Als nämlich vor einem halben Jahrhundert überhaupt die ersten Computer von sich reden machten, waren fast gleichzeitig die euphorischen Hoffnungen auf die sogenannte Künstliche Intelligenz ausgebrochen. Heute gilt aller Enthusiasmus dem Vorstoß in eine schöne bunte Multimedia-Welt. Der Traum von den Denkmaschinen hat, wie es aussieht, getrogen. Das Faszinosum einer dem Menschen ebenbürtigen wie abgrundtief fremden Geistigkeit von der Art des Bordcomputers HAL in Stanley Kubricks "Odyssee 2001" ist Geschichte. Geblieben ist "Raumschiff Enterprise". BERNHARD DOTZLER
Bill Gates: "Der Weg nach vorn". Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Giese und Hainer Kober. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1995. 476 S., geb., 49,80 DM.
CD-ROM "The Road ahead". Penguin Books Deutschland GmbH 1995, 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main