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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2013

Artenschutz für den Weißen Hai

Erstmals erscheint Peter Benchleys "Jaws", die Vorlage für Steven Spielbergs Kinofilm, vollständig auf Deutsch. Dabei handelt es sich tatsächlich um einen Gesellschaftsroman, der die Bedrohung zum Anlass für eine Sozialstudie nimmt.

Das Horrorgenre entdeckte die Ökologie fast zur selben Zeit, als der Umweltschutz den Horror entdeckte. Seither besteht zwischen beiden eine innige, aber selten bemerkte Allianz. Das Video, in dem die Umweltorganisation "Bund" jüngst mit Bildern auf einem Acker wachsender, Pestiziden ausgesetzter Babys für "eine Zukunft ohne Gift" warb (F.A.Z. vom 31. Oktober), war nicht einfach eine Entgleisung. Tatsächlich verwenden Öko- und Tierschutzbewegungen seit gut dreißig Jahren zur Popularisierung ihrer Ziele Versatzstücke der Horrorästhetik. Bilder von Kadavern geschlachteter Tiere evozieren die Ikonographie der Kannibalenfilme der siebziger Jahre, apokalyptische Darstellungen toter Landschaften die von Endzeitfilmen.

An Peter Benchleys 1974 erschienenem Roman "Jaws", dessen Verfilmung durch Steven Spielberg als "Der weiße Hai" ein Jahr später Berühmtheit erlangte und der nun erstmals ungekürzt auf Deutsch erscheint, wird die Allianz von Naturschutz und Horror in ihrer Widersprüchlichkeit deutlich. Als das Buch auf den Markt kam, entstand in den Vereinigten Staaten gerade die Ökobewegung, besonders aktiv waren die Walschützer. Dass Tiere im Horrorfilm zur Bedrohung der Menschen wurden, war für sich genommen nichts Neues. Alfred Hitchcock hatte 1963 in "Die Vögel" sogar eine Rache der Tierwelt an den Menschen als mögliche Erklärung ins Spiel gebracht. Die Erschütterung, die sein Film auslöst, beruht jedoch darauf, dass es bei der bloßen Möglichkeit bleibt: Das Verhalten der Tiere ist so mehrdeutig wie ihr Symbolgehalt, und dem Film eine tierschützerische Moral überzustülpen widerspräche dem Schrecken, den er hinterlässt.

Dass Spielbergs "Weißer Hai", an dessen Drehbuch Peter Benchley mitgearbeitet hat, sich in seinem Desinteresse am Umweltschutz von der Romanvorlage unterscheidet - für eine Szene wurde gar, heute undenkbar, ein Hai getötet -, spricht für das dramaturgische Gespür des Regisseurs. Umgekehrt zeugt aber auch Benchleys Roman von einer Ernsthaftigkeit, die bei Steven Spielberg der Spannung zum Opfer fällt. Im Grunde ist Benchleys "Jaws" gar keine Vorlage für einen Tierhorrorfilm. Eher handelt es sich um einen Gesellschaftsroman, der die Bedrohung eines Badeortes zum Anlass einer Sozialstudie nimmt.

Figurenpsychologie und Gesellschaftsanalyse sind bei Spielberg funktional: Die Lebensgeschichte und soziale Stellung der Hauptfiguren - des Polizeichefs Brody, des Haijägers Quint und des Meeresbiologen Hooper - sind nur insoweit von Bedeutung, wie sie der sich zuspitzenden Typisierung dienen, aus der sich im Finale ein Wettkampf der drei Männer entspinnt. Peter Benchley, der als Journalist für die "Washington Post" und Redenschreiber für Lyndon B. Johnson gearbeitet hat, pflegt dagegen einen detailgenauen Realismus. Er widmet zwei Drittel seines Buches der Darstellung des Figurengeflechts und des Alltags in der Kleinstadt. Dass deren Bürgermeister sich trotz der Haiattacken weigert, den Strand zu sperren, weil er Touristen nicht verschrecken will, dient bei Spielberg nur der Spannungssteigerung. Benchley entwickelt daraus eine eigene Nebenhandlung, indem er den Bürgermeister nicht nur dem Druck des Polizeichefs aussetzt, sondern auch dem der örtlichen Mafia, die eine Beeinträchtigung ihrer Geschäfte fürchtet.

Besonders drastisch unterscheidet sich Benchleys Buch von Spielbergs Film in der Darstellung der Hai-Attacken. Spielberg lässt sie im letzten Drittel in immer kürzerem Abstand und größerer Heftigkeit aufeinanderfolgen. Benchley baut dagegen auch im Finale retardierende Momente ein, indem er die Schilderung der Hai-Jagd durch Beschreibungen des Kleinstadtlebens unterbricht oder die Helden zwischen zwei Angriffen geduldig fachsimpeln lässt: "Hören Sie, der lateinische Name für diesen Fisch ist Carcharodon carcharias, klar? Der nächste Vorfahr, den wir finden können, ist ein Tier namens Carcharodon megalodon, ein Fisch, der vor etwa dreißig- bis vierzigtausend Jahren existiert hat. Wir haben fossile Zähne vom Megalodon. Sie sind fünfzehn Zentimeter lang. Das lässt auf eine Länge von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Meter schließen."

Solche Lektionen, erteilt in lebensbedrohlicher Situation, sind im Roman ein Spannungskiller, doch Benchley ging es darum, den Weißen Hai seinem Publikum als fremdes, aber faszinierendes Wesen nahezubringen. In einem Brief an David Brown, den Produzenten von "Jaws", empörte er sich, man verlange von ihm, den Mythos vom "bösartigen Hai" zu bedienen, während das Töten doch dessen "instinktmäßiges Verhalten" sei. Nach dem Welterfolg des Films widmete Benchley sein Leben dem Bemühen, Interesse und Verständnis für die Raubfische zu wecken. In zwei Artikeln für "National Geographic" von 2001 und 2005, die der deutschen Ausgabe von "Jaws" nun ebenso beigefügt sind wie der Brief an Brown, warnt er vor deren Aussterben: "Seit Millionen von Jahren hat der Weiße Hai praktisch unverändert überlebt ... Es wäre mehr als eine ökologische Tragödie, würde der Mensch - als relativer Neuling auf der Erde - ihn seiner Lebensgrundlagen berauben." Schockiert vom Erfolg seines Buchs als Vorbild des Tierhorrorfilms, wurde Peter Benchley zum Umweltschützer und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 2006.

MAGNUS KLAUE.

Peter Benchley: "Der weiße Hai". Roman.

Aus dem Englischen von Vanessa Wieser und Walter Hartmann. Milena-Verlag, Wien 2013. 312 S., geb., 23,90 [Euro].

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"Der Weiße Hai ist eine glänzende Metapher für das korrupte kapitalistische System." Fidel Castro

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Peter Benchleys Buch über den berühmtgewordenen weißen Hai liest Rezensent Oliver Jungen mit Interesse die deutsche Fassung des epischen Stoffs, aus dem Steven Spielberg seinen berühmten Film gedreht hat. Jungen entdeckt dabei Ähnlichkeiten zu Melvilles "Moby Dick", leider nur ohne die "literarisch-allegorische Raffinesse". Außerdem zeichne das Buch ein "vorsintflutliches Geschlechterbild", welches der 2006 verstorbene Autor auch nie revidierte, moniert Jungen. Interessanter findet der Kritiker das Nachwort, in dem Benchley seinen Wandel zum Umweltschützer dokumentiert. Letztendlich prägte Benchley mit seinem Erstling vor fünfzig Jahren das "Menschenfresser-Image" des Haies, welches er bis heute nicht losgeworden ist, schließt Jungen.

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