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Ein Elefant vergißt nie, heißt es. Aber wie wäre es, ein solches Gedächtnis zu haben? Die Vorstellung, sich wirklich an alles erinnern zu können, ist einer der Ausgangspunkte des Romans. Die Autorin hat sich hineinversetzt in das Raum-Zeitgefühl der Elefanten und erzählt aus deren Perspektive die Geschichte der Elefantenkuh "Matsch", die zusammen mit ihrer Familie auf der Suche ist nach dem legendären magischen Weißen Knochen, von dem man sagt, dass er die Elefanten zu einem sicheren Ort führen wird.

Produktbeschreibung
Ein Elefant vergißt nie, heißt es. Aber wie wäre es, ein solches Gedächtnis zu haben? Die Vorstellung, sich wirklich an alles erinnern zu können, ist einer der Ausgangspunkte des Romans. Die Autorin hat sich hineinversetzt in das Raum-Zeitgefühl der Elefanten und erzählt aus deren Perspektive die Geschichte der Elefantenkuh "Matsch", die zusammen mit ihrer Familie auf der Suche ist nach dem legendären magischen Weißen Knochen, von dem man sagt, dass er die Elefanten zu einem sicheren Ort führen wird.
Autorenporträt
Barbara Gowdy, geboren 1950 in Windsor/Ontario, arbeitete in einem Maklerbüro, studierte dann Theaterwissenschaften und später Klavier. Anschließend war sie einige Jahre als Lektorin in einem der angesehensten Literaturverlage Kanadas tätig, bis sie beschloss, sich ganz aufs Schreiben zu konzentrieren. Nebenher war sie auch als Literaturkritikerin für Zeitungen und das Fernsehen tätig. Ihr Debütroman Fallende Engel wurde erfolgreich für das Kino verfilmt. Barbara Gowdy lebt in Toronto.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2000

Unterwegs mit Fräulein Dattelbett
Barbara Gowdy schreibt für Dickhäuter und Hinterbeiner

Gleich in den ersten Sätzen ihres neuen Romans verkündet Barbara Gowdy dessen Daseinszweck. "Wenn sie lange genug leben, vergessen sie alles. Aber die meisten von ihnen leben nicht so lange. Neun von zehn werden in der Blüte ihres Lebens abgeschlachtet, Jahrzehnte, bevor ihr Gedächtnis durchlässig wird. Ich spreche also von der Mehrheit, wenn ich sage, es stimmt, was Sie gehört haben: Sie vergessen nie." Es geht um den Elefanten. Und um uns, den Menschen, bei Gowdy "Hinterbeiner" genannt, dessen Beziehung zu den grauen Riesen von Halbwissen geprägt ist, von Grausamkeiten und von Sprichwörtern, die vom Gedächtnis des Elefanten handeln, von seiner dicken Haut und von Porzellanläden.

Barbara Gowdy hatte eine Mission im Sinn, als sie den Roman "Der weiße Knochen" schrieb. Weshalb alle Beteuerungen, sie habe keine Sentimentalitäten verfasst, keine Tiergeschichte und keinen politisch motivierten Roman, falsch sind: Sie hat. Bislang kannte man Barbara Gowdy als Schöpferin exzentrischer Figuren mit seltsamen Neigungen: Ein autistisch veranlagtes Neugeborenes verkriecht sich in einen Wandschrank und verständigt sich von dort aus muhend mit der Umwelt (Mister Sandmann, 1995); eine junge Nekrophile sucht sich ihre Liebesobjekte direkt beim Bestatter aus (Seltsam wie die Liebe, 1993). Von Gowdys Vorliebe für alles, was die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet, finden sich in "Der weiße Knochen" nur noch Spurenelemente, etwa in den Beschreibungen der aufwendigen Paarungs-, Ausscheidungs-, und Todesrituale der Dickhäuter. Alles in allem sind diese so beschaffen, wie es sich für eine bedrohte Spezies gehört: Sie sind groß, sanftmütig und politisch korrekt, sie ernähren sich von Pflanzen, vereiteln Gewalttaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten und leben in matriarchalischen Gemeinschaften, in denen Gehorsam und Bescheidenheit hoch in der Liste aller Tugenden stehen.

Für ihren Roman hat Gowdy aufwendige Recherchen betrieben, sie hat sich in kenianischen Nationalparks aufgehalten und mit führenden Wissenschaftlern gesprochen. Einige Tatsachen aus dem Elefantenleben kann man ihr getrost abnehmen, das differenzierte soziale Verhalten der Mutterkühe oder deren Fähigkeit, sich in einer Sprache zu verständigen, die außerhalb der menschlichen Hörfrequenzen liegt. Die Essenz des Romans freilich ist Fiktion. Gowdy hat einen ganzen, in sich geschlossenen Elefanten-Kosmos erfunden, sie hat den Dickhäutern Sprache, Religion und Philosophie verordnet, Wege der Orientierung in Zeit und Raum, Sitten, Gebräuche, Lieder, Gefühle und Gedanken. Elefanten können besser riechen als sehen, weshalb der Leser mit einer Vielzahl von Düften und Gerüchen konfrontiert wird. Andere Sinneswahrnehmungen haben Gowdys Elefanten den Menschen voraus, so gibt es in jedem Stamm eine Visionärin, die weit entfernte oder künftige Ereignisse sehen kann, sowie eine Gedankenrednerin, die die Gedanken von anderen Lebewesen mit Ausnahme des Menschen belauschen kann.

Das Verhältnis des Elefanten zum Menschen wird von einem Sündenfall bestimmt. Es gab in grauer Elefantenvorzeit ein goldenes Zeitalter, dessen Ende, der "Niedergang", von einer großen Dürre eingeleitet wurde. In dieser Dürre brachen zwei ausgehungerte Elefanten das heilige Gesetz der Elefanten-Göttin, schlicht "Sie" genannt, dass sie kein anderes Lebewesen töten dürften; sie rissen eine Gazelle. Zur Strafe schrumpfte ihr Rüssel, auf den Köpfen wuchs Fell, sie erhoben sich auf ihre Hinterbeine und machten fortan Jagd auf alle Kreaturen, die nicht aufrecht gingen. Auch eine Rippe wird bei Gowdy zitiert, es handelt sich um die Rippe eines neu geborenen Elefantenkalbes, den titelgebenden weißen Knochen. Wenn ein Elefant ihn findet und in die Luft schleudert, so weist sein spitzes Ende den Weg zu dem "Sicheren Ort", an dem der Mensch keine Elefanten jagt.

Auf der Suche nach diesem weißen Knochen, ausgemergelt von der Dürre und dezimiert von brutalen "Hinterbeinern", irren Gowdys Protagonisten, die Kuhkälber Matsch und Dattelbett, die Bullen Sturm und Langschatten, durch die Savannen Ostafrikas. Von fünf mehrköpfigen Elefantenfamilien erreichen nur drei Kühe und zwei Kälber den "Sicheren Ort". Dem lesenden Hinterbeiner wurde die Lust am schönen Elfenbein gründlich verdorben.

In ihrem Roman ist Barbara Gowdy ein kompletter Wechsel der Perspektive gelungen, der Mensch wird zum niederen Wesen, das an den Rändern der Geschichte herumwütet und nach vollbrachter Tat wieder verschwindet. Gowdy nährt den Verdacht, dass der Mensch sich fälschlicherweise für die Krone der Schöpfung hält, aber auch die Perspektive Elefantenkühe, deren Paradies, der "Sichere Ort", nicht mehr ist als ein läppischer Nationalpark, scheint fragwürdig. In den Worten einer Matriarchin: "Alles ist von der Sie bestimmt. Wir sind nur am Leben, weil wir in ihrer Vorstellung leben. Unser Leben, wie wir es erfahren, ist eine Erinnerung der Sie an etwas, das Sie sich bereits vorgestellt hat. Wir sind die Erinnerung." Hat da draußen noch jemand Fragen?

TANYA LIESKE

Barbara Gowdy: "Der weiße Knochen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Becker und Claus Varrelmann. Kunstmann Verlag, München 1999. 320 S., geb., 39,80 DM.

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»Wir haben hier einen der seltenen Fälle von Literatur, in denen die Sicht auf die Welt nachhaltig verändert wird. Man wünscht, dass die Erzählerin nie aufhören möge.« Michael Winter Süddeutsche Zeitung