Das Porträt einer verblendeten Träumerin.
Im Alter fährt Hannah Musgrave, Farmerin in den Adirondacks, noch einmal nach Afrika. In den 60ern eine engagierte Studentin, musste sie sich später vor dem FBI verstecken und floh 1975 nach Liberia. Dort heiratete sie einen schwarzen Politiker und zog mit ihm drei Söhne groß. Als in dem korrupten Staat der Bürgerkrieg ausbrach, verwies man sie des Landes, allein. Doch nun, da sie ihr Leben rekapituliert, muss sie endlich wissen, was mit ihren Söhnen geschehen ist, die sie damals zurückgelassen hat.
Mit sechzig Jahren ist sie soweit: Hannah Musgrave erträgt es nicht mehr, ständig vor sich selbst davonzulaufen. Sie lebt geruhsam auf einer Ökofarm in den Adirondacks im Staate New York, aber innerlich verspürt sie keine Ruhe. Zu viel hat sie verdrängt, zu viel Leid anderen zugefügt. Sie muss noch einmal nach Afrika, sie muss endlich nach ihren Söhnen suchen, die sie damals dort zurück gelassen hat, auch wenn sie damit ihr Leben riskiert.
In den 60ern hat sie ihr Medizinstudium abgebrochen und sich radikalen politischen Aktivisten angeschlossen. Sie will ihr Land verändern, sie baut Bomben für die Untergrundorganisation Weather, steht schnell auf der Fahndungsliste des FBI und muss untertauchen. 1975 flieht sie nach Afrika, zunächst Ghana, dann Liberia. In dieser ehemals amerikanischen Kolonie, in der einst die befreiten Sklaven angesiedelt wurden, gründet sie eine neue Existenz, heiratet einen schwarzen Politiker, bekommt drei Söhne. Die Arbeit in einem Versuchslabor für Schimpansen wird ihr zur Herzenssache: Sie setzt bessere Bedingungen für ihre "Träumer" durch, rettet so viele bedrohte Schimpansen wie nur möglich. Doch die Politik holt sie ein, in dem korrupten Staat tobt inzwischen ein brutaler Bürgerkrieg, und um ihr eigenes Leben zu retten, muss sie nicht nur ihre geliebten "Träumer", sondern auch ihre drei Söhne zurücklassen...
Russell Banks packender, kompromissloser Roman über ein dunkles Kapitel amerikanischer und afrikanischer Geschichte ist auch die Lebensbeichte einer ungewöhnlichen Frau, einer Kämpferin, die im Alter mit ihren Idealen und Illusionen abrechnet.
Im Alter fährt Hannah Musgrave, Farmerin in den Adirondacks, noch einmal nach Afrika. In den 60ern eine engagierte Studentin, musste sie sich später vor dem FBI verstecken und floh 1975 nach Liberia. Dort heiratete sie einen schwarzen Politiker und zog mit ihm drei Söhne groß. Als in dem korrupten Staat der Bürgerkrieg ausbrach, verwies man sie des Landes, allein. Doch nun, da sie ihr Leben rekapituliert, muss sie endlich wissen, was mit ihren Söhnen geschehen ist, die sie damals zurückgelassen hat.
Mit sechzig Jahren ist sie soweit: Hannah Musgrave erträgt es nicht mehr, ständig vor sich selbst davonzulaufen. Sie lebt geruhsam auf einer Ökofarm in den Adirondacks im Staate New York, aber innerlich verspürt sie keine Ruhe. Zu viel hat sie verdrängt, zu viel Leid anderen zugefügt. Sie muss noch einmal nach Afrika, sie muss endlich nach ihren Söhnen suchen, die sie damals dort zurück gelassen hat, auch wenn sie damit ihr Leben riskiert.
In den 60ern hat sie ihr Medizinstudium abgebrochen und sich radikalen politischen Aktivisten angeschlossen. Sie will ihr Land verändern, sie baut Bomben für die Untergrundorganisation Weather, steht schnell auf der Fahndungsliste des FBI und muss untertauchen. 1975 flieht sie nach Afrika, zunächst Ghana, dann Liberia. In dieser ehemals amerikanischen Kolonie, in der einst die befreiten Sklaven angesiedelt wurden, gründet sie eine neue Existenz, heiratet einen schwarzen Politiker, bekommt drei Söhne. Die Arbeit in einem Versuchslabor für Schimpansen wird ihr zur Herzenssache: Sie setzt bessere Bedingungen für ihre "Träumer" durch, rettet so viele bedrohte Schimpansen wie nur möglich. Doch die Politik holt sie ein, in dem korrupten Staat tobt inzwischen ein brutaler Bürgerkrieg, und um ihr eigenes Leben zu retten, muss sie nicht nur ihre geliebten "Träumer", sondern auch ihre drei Söhne zurücklassen...
Russell Banks packender, kompromissloser Roman über ein dunkles Kapitel amerikanischer und afrikanischer Geschichte ist auch die Lebensbeichte einer ungewöhnlichen Frau, einer Kämpferin, die im Alter mit ihren Idealen und Illusionen abrechnet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2006Affenliebe
Auf Montage: Russell Banks und sein neuer Roman
Ein weißer Schatten liegt über dem gutsituierten Amerika. Er wird "White Guilt" genannt, ein Schlagwort, wie es hierzulande vielleicht "Gutmensch" wäre: das kultivierte schlechte Gewissen der reichen Vorstädter gegenüber den Minderheiten. Es ist durchaus auch ein ironischer Begriff, das macht ihn so perfide - weil man sich diese Ironie eben leisten können muß. Also ein gefundener Stoff für Literatur. Wie schade, daß Russell Banks, dank Büchern wie "Das süße Jenseits" einer der besten amerikanischen Erzähler von heute, nun solch einen plakativen Roman über das Phänomen geschrieben hat.
In "Der weiße Schatten" erzählt Hannah Musgrave ihr Leben: eine höhere Tochter, die in den sechziger Jahren, als Amerika mit sich selbst um die Bürgerrechte ringt, in den Untergrund geht, mit den Eltern bricht, Bomben baut, Pässe fälscht, vom FBI gesucht wird und auf der Flucht 1976 in Liberia landet. In Monrovia betreut sie Schimpansen, deren Blutplasma in amerikanische Labors exportiert wird. Hier lernt sie ihren Ehemann kennen, den stellvertretenden Gesundheitsminister Woodrow Sundiata, mit dem sie drei Söhne haben wird und der im Bürgerkrieg 1984 stirbt. Geköpft von Häschern des Präsidenten Samuel Doe, der um sein Leben fürchtet - und Angst hat vor Charles Taylor, der ihn aus dem Amt putschen will. Hannah flieht, läßt ihre geliebten Schimpansen zurück, die sie "Träumer" nennt, und erzählt uns all das, Jahre später, als sie eine Ökofarm in den Adirondacks hat.
"Ich mochte Charles und hatte mich lange erotisch zu ihm hingezogen gefühlt", sagt Hannah an einer der wenigen Stellen, wo einem kurz der Atem stockt - weil Banks sich traut, Taylor, der noch immer wegen seiner Kriegsverbrechen von UN und Interpol gesucht wird, für seine Zwecke nachzudichten. Der Diktator ist im Roman ein Freund Woodrows, Hannah verhilft ihm zur Flucht, als er in einem Gefängnis in Massachusetts sitzt.
Banks läßt dabei auch die amerikanische Regierung die Hände im Spiel haben, was das Komplott komplett macht: "Der weiße Schatten" ist ein Roman der Interessen. Er kennt nur weiße und schwarze Schuld. Hannah will für ihre Rasse büßen und verstrickt sich kaltherzig in ihren guten Taten. Die eingekerkerten Schimpansen liebt sie, weil die Tiere sie an alle Verdammten dieser Erde erinnern. Sie liebt sie mehr als Menschen. Aber weniger als ihr eigenes Gewissen.
Leider vergißt Banks, das bei allem politischen Eifer zu erzählen. Er faßt lieber zusammen. Er rekapituliert. Bilanziert und rafft. Die Affenwärter, notiert Banks irgendwann, sprachen "über das Zahnziehen und die Biopsien, als wären sie Automechaniker". Warum läßt er sie denn nicht einfach zu Wort kommen? Dafür ist aber keine Zeit in diesem langen Roman. Er wirkt selbst wie montiert, aus vorgefertigten Teilen, mit zu vielen Schrauben ohne Spiel.
TOBIAS RÜTHER
Luchterhand-Verlag, 512 Seiten, 23,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf Montage: Russell Banks und sein neuer Roman
Ein weißer Schatten liegt über dem gutsituierten Amerika. Er wird "White Guilt" genannt, ein Schlagwort, wie es hierzulande vielleicht "Gutmensch" wäre: das kultivierte schlechte Gewissen der reichen Vorstädter gegenüber den Minderheiten. Es ist durchaus auch ein ironischer Begriff, das macht ihn so perfide - weil man sich diese Ironie eben leisten können muß. Also ein gefundener Stoff für Literatur. Wie schade, daß Russell Banks, dank Büchern wie "Das süße Jenseits" einer der besten amerikanischen Erzähler von heute, nun solch einen plakativen Roman über das Phänomen geschrieben hat.
In "Der weiße Schatten" erzählt Hannah Musgrave ihr Leben: eine höhere Tochter, die in den sechziger Jahren, als Amerika mit sich selbst um die Bürgerrechte ringt, in den Untergrund geht, mit den Eltern bricht, Bomben baut, Pässe fälscht, vom FBI gesucht wird und auf der Flucht 1976 in Liberia landet. In Monrovia betreut sie Schimpansen, deren Blutplasma in amerikanische Labors exportiert wird. Hier lernt sie ihren Ehemann kennen, den stellvertretenden Gesundheitsminister Woodrow Sundiata, mit dem sie drei Söhne haben wird und der im Bürgerkrieg 1984 stirbt. Geköpft von Häschern des Präsidenten Samuel Doe, der um sein Leben fürchtet - und Angst hat vor Charles Taylor, der ihn aus dem Amt putschen will. Hannah flieht, läßt ihre geliebten Schimpansen zurück, die sie "Träumer" nennt, und erzählt uns all das, Jahre später, als sie eine Ökofarm in den Adirondacks hat.
"Ich mochte Charles und hatte mich lange erotisch zu ihm hingezogen gefühlt", sagt Hannah an einer der wenigen Stellen, wo einem kurz der Atem stockt - weil Banks sich traut, Taylor, der noch immer wegen seiner Kriegsverbrechen von UN und Interpol gesucht wird, für seine Zwecke nachzudichten. Der Diktator ist im Roman ein Freund Woodrows, Hannah verhilft ihm zur Flucht, als er in einem Gefängnis in Massachusetts sitzt.
Banks läßt dabei auch die amerikanische Regierung die Hände im Spiel haben, was das Komplott komplett macht: "Der weiße Schatten" ist ein Roman der Interessen. Er kennt nur weiße und schwarze Schuld. Hannah will für ihre Rasse büßen und verstrickt sich kaltherzig in ihren guten Taten. Die eingekerkerten Schimpansen liebt sie, weil die Tiere sie an alle Verdammten dieser Erde erinnern. Sie liebt sie mehr als Menschen. Aber weniger als ihr eigenes Gewissen.
Leider vergißt Banks, das bei allem politischen Eifer zu erzählen. Er faßt lieber zusammen. Er rekapituliert. Bilanziert und rafft. Die Affenwärter, notiert Banks irgendwann, sprachen "über das Zahnziehen und die Biopsien, als wären sie Automechaniker". Warum läßt er sie denn nicht einfach zu Wort kommen? Dafür ist aber keine Zeit in diesem langen Roman. Er wirkt selbst wie montiert, aus vorgefertigten Teilen, mit zu vielen Schrauben ohne Spiel.
TOBIAS RÜTHER
Luchterhand-Verlag, 512 Seiten, 23,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Peter Körte ist enttäuscht. Schon die Hauptfigur kommt ihm so konstruiert vor, dass es ihm schwer fällt, der Lebensgeschichte dieser "Retortenexistenz" durch diesen Roman zu folgen. Mit der Handlung selbst scheint es nicht besser zu sein. Augenscheinlich geht es dem Autor Russell Banks um die Beschreibung einer Radikalisierung in den 1960er Jahren, meint Körte. Aber so richtig gelungen erscheint ihm das nicht. Alles, was Banks Romane für Körte sonst auszeichnet, sieht er hier zur Kulisse verkommen, die Nebenfiguren gar zu Abziehbildern und Karikaturen. Nur Banks den Bedeutungspomp mal runterschraubt, entsteht für Körte plötzlich Kraft und Spannung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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