Ein spannender Roman über den englischen Abenteurer Richard Burton (1821-1890). Anstatt in den Kolonien die englischen Lebensgewohnheiten fortzuführen, lernt er wie besessen die Sprachen des Landes, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum Schrecken der Behörden anonym in den Kolonien herum. Trojanows farbiger Abenteuerroman über diesen Exzentriker zeigt, warum der Westen bis heute nichts von den Geheimnissen der anderen Welt begriffen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2006Unser Mann in Mekka
Ilija Trojanow erzählt von Richard Burton, einem der großen Abenteurer des 19. Jahrhunderts
Die Mail kam aus Lissabon und doch nicht aus Kapstadt, und außerdem war der Absender vorher in Bulgarien, wo er für sein neues Buch recherchiert hat. In zwei Tagen werde er von München aus wieder nach Indien fliegen, sagt Ilija Trojanow, und im übrigen sei das sein erster Winter seit fünf Jahren, weil er immer gerade dort gelebt hat, wo die Sonne schien. Es ist dann doch ganz praktisch, daß es heute E-Mail und Telefon gibt, wenn man mit einem reiselustigen Schriftsteller wie Trojanow Kontakt aufnehmen will, und nicht, wie zu Sir Richard Francis Burtons Zeiten, schleppenden Briefverkehr. Burton ist die Titelfigur in Trojanows Roman "Der Weltensammler", einem wunderbaren und wundersamen Buch, das tief im 19. Jahrhundert spielt und doch so gegenwartsnah ist, wie man sich das nur wünschen kann.
Es ist die Geschichte eines Mannes, der als erster Europäer über seine heimliche Pilgerfahrt nach Mekka und Medina im Jahr 1853 schrieb, der später in Afrika nach der Quelle des Weißen Nils suchte und seine Karriere als Offizier in Indien begonnen hatte. Ein fernes Echo von Karl May liegt über dem Roman, eine sublimierte Erinnerung an alte Abenteuerbücher, aber Ilija Trojanow hat die Welt eben nicht in Bibliotheken erkundet, er ist Burton nachgereist. Er ist Ende der neunziger Jahre nach Bombay gezogen. Er hat unter Deobandi gelebt, das sind indische Muslime, die, zu Unrecht, sagt Trojanow, unter Islamismusverdacht geraten sind. Er hat ihnen Englisch beigebracht, im Gegenzug haben sie ihn so weit im muslimischen Glauben unterwiesen, daß er ein Visum für Saudi-Arabien beantragen konnte. Er hat mit ihnen gebetet und gefastet, und so durfte er, anders als Burton, ohne Verkleidung nach Mekka und Medina reisen, worüber er auch ein Buch geschrieben hat, das "Zu den heiligen Quellen des Islam" heißt.
Eine Pilgerfahrt.
Burton, das ist ein Kindheitstraum. Trojanow, der 1965 in Sofia geboren wurde und in Kenia aufwuchs, hat ihn in einem Buch kennengelernt. "Explorers of Africa" hieß es, die Eltern hatten es dem Zehnjährigen geschenkt. Und statt die wilden Tiere im Nationalpark zu beobachten, hat er an einem Wasserloch gesessen und dieses Buch verschlungen, weil sein Blick sofort von einem Mann angezogen wurde, der anders aussah, der anders gekleidet war, in ein wallendes orientalisches Gewand. Ein Mann, der in allen möglichen Ecken der Welt lebte und mehr als zwanzig Sprachen beherrschte, der 1890 als Konsul in Triest starb, wohin man ihn abgeschoben hatte. Nach seinem Tod verbrannte seine Frau die Notizbücher aus vierzig Jahren, die er als seinen größten Schatz mit sich führte, die er sich im Roman slapstickartig von diebischen Affen zurückerkämpft. Die Ehefrau hatte befürchtet, man könne biographische Rückschlüsse aus Burtons Interesse an bizarren sexuellen Praktiken ziehen. Es reichte ja schon, daß er das "Kamasutra" übersetzt hatte und dazu noch die "Geschichten aus Tausendundeiner Nacht".
"Der Weltensammler" kann deshalb nur ein Abenteuerbuch sein, das einen mitnimmt und seine Faszination für den Mann großzügig mit dem Leser teilt. Was es so besonders macht, das ist allerdings nicht bloß sein Held, es ist vor allem Trojanows raffinierte Porträttechnik. Er schlüpft nicht einfach in Burtons Haut. Er inszeniert die drei Teile des Romans, die den Stationen Indien, Mekka und Afrika entsprechen, jeweils als einen mittelbaren Dialog zweier Perspektiven. Zum einen ist da immer die Schilderung aus Burtons Blickwinkel. In Indien dann geht Burtons entlassener Diener zu einem Schreiber, um seine Erinnerungen aufschreiben zu lassen, und dieser Schreiber verfertigt daraus mit Geschick seine Version. Die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, wird zugleich durch Protokolle und Briefwechsel der osmanischen Behörden rekonstruiert, die nachträglich ermittelt und Zeugen verhört hatten, nachdem Burtons Reisebericht erschienen war. Und in Afrika ist es der Führer der Nilquellen-Expedition, der seinen Freunden von den Mühen und Kuriositäten der Reise erzählt, ein Afrikaner namens Sidi Mubarak Bombay, der als junger Mann in die Sklaverei nach Indien verschleppt wurde.
Ein Kindheitstraum.
Trojanow ist der Gefahr elegant ausgewichen, sich voller Überschwang in den Mann hineinzuversetzen, der für ihn eine ferne Identifikationsfigur ist. Er wollte, wie er sagt, nicht nur Burtons Erfahrungen, sondern auch den Blick der Einheimischen auf Burton wiedergeben. Ihre Sicht sei gleichberechtigt und nicht bloß exotisches Kolorit. "Und dort, wo es mir besonders wichtig ist", sagt Trojanow, "bin ich am weitesten weg von Burtons realer Biographie." Diese poetische Lizenz erlaubt es ihm, ständig die Tonlagen zu wechseln, sehr verschiedene, distinkte Stimmen zu modellieren, und es verhilft ihm gleich zu Anfang zu einem Coup, der einen unwiderstehlich in das Buch hineinzieht, weil da etwas gelingt, was selbst Überblendungen selten schaffen.
Es ist ein Stück Sprachmagie, wenn Burtons Gärtner vor dem Feuer steht, in dem die Tagebücher verbrennen: ein Fanal, das den ganzen Zauber dieses Buches leuchten läßt. Er sieht "krakelige Buchstaben, die als Funken aufflattern, bevor sie als Kohlenstaub herabsinken". Er glaubt, den jungen Burton zu erkennen, "die Seiten brennen, die Zettel, die Fäden, die Lesezeichen und das Haar, ihr seidenes schwarzes Haar, langes schwarzes Haar, das vom vorderen Ende eines Schragens herabhängt, im Klagewind treibt. Nur eine Flammenwand entfernt liegt eine Tote, ihre Haut löst sich ab, ihr Schädel platzt, sie beginnt zu schrumpfen, bis von ihr übrig ist, was weniger wiegt als ihre schönen langen schwarzen Haare. Der junge Offizier weiß nicht, wie sie heißt, wer sie ist. Er kann den Geruch nicht mehr ertragen." Und auf einmal steht man in Bombay, mitten im 19. Jahrhundert.
Aus solchen Verwandlungen und Überblendungen setzt sich das Bild des Abenteurers zusammen - schwer zu fassen, flüchtig, dann wieder so klar wie auf den Fotografien, die von Burton erhalten sind, und dabei immer auch fremd, undurchschaubar. Ein Mann des 19. Jahrhunderts - und doch wie aus seiner Zeit gefallen. Von einer kaum zu stillenden Neugier, einer waghalsigen Bereitschaft zur Selbstaufgabe. Einer, der sich auf fremde Kulturen einließ, ohne restlos in ihnen aufzugehen. Ein Verwandlungskünstler mit Schauspieltalent, wenn er sich in Kairo mit Erfolg als Arzt ausgibt, ein Lebensgieriger, ein Erfahrungshungriger. Einer, dessen unendliche Faszinierbarkeit wenig mit dem zu tun hat, was Akademiker als das Andere mit dem ganz großen A beschworen haben, und noch weniger mit der Selbstüberschreibung sinnkranker Europäer an fremde Götter.
Ein Zukunftsbild.
"Ich glaube nicht", sagt Ilija Trojanow, "daß man nicht einer von den anderen werden kann", er selber habe im übrigen die Erfahrung gemacht, wie wenig homogen andere Kulturen seien, sobald man einmal ernsthaft versuche, in ihnen zu leben: "Ihre reale Vielfalt wird gar nicht wirklich wahrgenommen." Was sich wahrnehmen läßt, das ist Trojanows Pointe, davon muß sich erzählen lassen. Erklärungen und dürre Begriffe wie Interkulturalität lösen sich auf in Geschichten. Und deshalb ist dieser Roman so nah an der Gegenwart: Gerade weil er diesen Burton nicht aus seiner Welt herauslösen, sondern ihn in seiner Zeit verorten will. Das Wort Multikulturalität, bei dem man inzwischen schon automatisch die Stimme von Claudia Roth schrillen hört, dieses Wort kann Trojanow ohne Nebengeräusch aussprechen, weil es seine Biographie beschreibt. Was er damit meint, das ist keine Verschmelzung der Kulturen, kein Monopluralismus, aber auch keine Atempause im Kampf der Kulturen. Es ist ein Plädoyer für Erfahrung, für Anschauung - und Selbstreflexion. Und man könnte dafür keinen besseren Anwalt finden als diesen Burton, diesen unzeitgemäßen Streuner zwischen den Kulturen und Religionen, der eben nicht nur in immer neue Kostüme und Masken schlüpft, sondern der das alles ernst nahm, der den Islam wie die Upanischaden von innen heraus begreifen wollte.
Das ist kein Alles-Verstehen, Alles-Tolerieren, Alles-Verzeihen. Da setzt sich jemand einer Kultur mit Haut und Haaren aus, läßt sich beschneiden, um einer Enttarnung auf der Pilgerfahrt nach Mekka vorzubeugen, und bleibt insofern er selbst, als er immer wieder ein anderer wird. Das ist natürlich kein Leben, das sich dem Integrationsbeauftragten als Rollenmodell für ganze Gesellschaften empfehlen ließe, es bleibt eine wilde Abenteurerexistenz, voller Widersprüche, Umwege, auch Sackgassen, aber es steht für eine Haltung, die eine Zukunft hat. Der sogenannte Ungläubige, der in Mekka voller spiritueller Inbrunst zu Allah betete, der abgefallene Katholik, der sich die letzte Ölung verabreichen ließ und mit seinen seltsamen theologischen Ansichten den zuständigen Priester in Gewissensnöte stürzte, der Oxford-Student, der als Konsul des Empire starb und als Weltensammler lebte, dieser Richard Francis Burton schrieb mit einem Pathos, das noch immer unbedingt modern klingt: "Aller Glaube ist falsch, aller Glaube ist wahr: / Wahrheit ist der zersplitterte Spiegel, / in Myriaden von Stücken zerstreut; während jeder glaubt, / in seinem kleinen Stückchen die ganze Wahrheit zu besitzen".
PETER KÖRTE.
Ilija Trojanow: "Der Weltensammler". Roman. Hanser. 476 Seiten, 24,90 Euro.
Ders.: "Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina". Malik-Verlag, 2004. 174 Seiten, 16,90 Euro.
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Ilija Trojanow erzählt von Richard Burton, einem der großen Abenteurer des 19. Jahrhunderts
Die Mail kam aus Lissabon und doch nicht aus Kapstadt, und außerdem war der Absender vorher in Bulgarien, wo er für sein neues Buch recherchiert hat. In zwei Tagen werde er von München aus wieder nach Indien fliegen, sagt Ilija Trojanow, und im übrigen sei das sein erster Winter seit fünf Jahren, weil er immer gerade dort gelebt hat, wo die Sonne schien. Es ist dann doch ganz praktisch, daß es heute E-Mail und Telefon gibt, wenn man mit einem reiselustigen Schriftsteller wie Trojanow Kontakt aufnehmen will, und nicht, wie zu Sir Richard Francis Burtons Zeiten, schleppenden Briefverkehr. Burton ist die Titelfigur in Trojanows Roman "Der Weltensammler", einem wunderbaren und wundersamen Buch, das tief im 19. Jahrhundert spielt und doch so gegenwartsnah ist, wie man sich das nur wünschen kann.
Es ist die Geschichte eines Mannes, der als erster Europäer über seine heimliche Pilgerfahrt nach Mekka und Medina im Jahr 1853 schrieb, der später in Afrika nach der Quelle des Weißen Nils suchte und seine Karriere als Offizier in Indien begonnen hatte. Ein fernes Echo von Karl May liegt über dem Roman, eine sublimierte Erinnerung an alte Abenteuerbücher, aber Ilija Trojanow hat die Welt eben nicht in Bibliotheken erkundet, er ist Burton nachgereist. Er ist Ende der neunziger Jahre nach Bombay gezogen. Er hat unter Deobandi gelebt, das sind indische Muslime, die, zu Unrecht, sagt Trojanow, unter Islamismusverdacht geraten sind. Er hat ihnen Englisch beigebracht, im Gegenzug haben sie ihn so weit im muslimischen Glauben unterwiesen, daß er ein Visum für Saudi-Arabien beantragen konnte. Er hat mit ihnen gebetet und gefastet, und so durfte er, anders als Burton, ohne Verkleidung nach Mekka und Medina reisen, worüber er auch ein Buch geschrieben hat, das "Zu den heiligen Quellen des Islam" heißt.
Eine Pilgerfahrt.
Burton, das ist ein Kindheitstraum. Trojanow, der 1965 in Sofia geboren wurde und in Kenia aufwuchs, hat ihn in einem Buch kennengelernt. "Explorers of Africa" hieß es, die Eltern hatten es dem Zehnjährigen geschenkt. Und statt die wilden Tiere im Nationalpark zu beobachten, hat er an einem Wasserloch gesessen und dieses Buch verschlungen, weil sein Blick sofort von einem Mann angezogen wurde, der anders aussah, der anders gekleidet war, in ein wallendes orientalisches Gewand. Ein Mann, der in allen möglichen Ecken der Welt lebte und mehr als zwanzig Sprachen beherrschte, der 1890 als Konsul in Triest starb, wohin man ihn abgeschoben hatte. Nach seinem Tod verbrannte seine Frau die Notizbücher aus vierzig Jahren, die er als seinen größten Schatz mit sich führte, die er sich im Roman slapstickartig von diebischen Affen zurückerkämpft. Die Ehefrau hatte befürchtet, man könne biographische Rückschlüsse aus Burtons Interesse an bizarren sexuellen Praktiken ziehen. Es reichte ja schon, daß er das "Kamasutra" übersetzt hatte und dazu noch die "Geschichten aus Tausendundeiner Nacht".
"Der Weltensammler" kann deshalb nur ein Abenteuerbuch sein, das einen mitnimmt und seine Faszination für den Mann großzügig mit dem Leser teilt. Was es so besonders macht, das ist allerdings nicht bloß sein Held, es ist vor allem Trojanows raffinierte Porträttechnik. Er schlüpft nicht einfach in Burtons Haut. Er inszeniert die drei Teile des Romans, die den Stationen Indien, Mekka und Afrika entsprechen, jeweils als einen mittelbaren Dialog zweier Perspektiven. Zum einen ist da immer die Schilderung aus Burtons Blickwinkel. In Indien dann geht Burtons entlassener Diener zu einem Schreiber, um seine Erinnerungen aufschreiben zu lassen, und dieser Schreiber verfertigt daraus mit Geschick seine Version. Die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, wird zugleich durch Protokolle und Briefwechsel der osmanischen Behörden rekonstruiert, die nachträglich ermittelt und Zeugen verhört hatten, nachdem Burtons Reisebericht erschienen war. Und in Afrika ist es der Führer der Nilquellen-Expedition, der seinen Freunden von den Mühen und Kuriositäten der Reise erzählt, ein Afrikaner namens Sidi Mubarak Bombay, der als junger Mann in die Sklaverei nach Indien verschleppt wurde.
Ein Kindheitstraum.
Trojanow ist der Gefahr elegant ausgewichen, sich voller Überschwang in den Mann hineinzuversetzen, der für ihn eine ferne Identifikationsfigur ist. Er wollte, wie er sagt, nicht nur Burtons Erfahrungen, sondern auch den Blick der Einheimischen auf Burton wiedergeben. Ihre Sicht sei gleichberechtigt und nicht bloß exotisches Kolorit. "Und dort, wo es mir besonders wichtig ist", sagt Trojanow, "bin ich am weitesten weg von Burtons realer Biographie." Diese poetische Lizenz erlaubt es ihm, ständig die Tonlagen zu wechseln, sehr verschiedene, distinkte Stimmen zu modellieren, und es verhilft ihm gleich zu Anfang zu einem Coup, der einen unwiderstehlich in das Buch hineinzieht, weil da etwas gelingt, was selbst Überblendungen selten schaffen.
Es ist ein Stück Sprachmagie, wenn Burtons Gärtner vor dem Feuer steht, in dem die Tagebücher verbrennen: ein Fanal, das den ganzen Zauber dieses Buches leuchten läßt. Er sieht "krakelige Buchstaben, die als Funken aufflattern, bevor sie als Kohlenstaub herabsinken". Er glaubt, den jungen Burton zu erkennen, "die Seiten brennen, die Zettel, die Fäden, die Lesezeichen und das Haar, ihr seidenes schwarzes Haar, langes schwarzes Haar, das vom vorderen Ende eines Schragens herabhängt, im Klagewind treibt. Nur eine Flammenwand entfernt liegt eine Tote, ihre Haut löst sich ab, ihr Schädel platzt, sie beginnt zu schrumpfen, bis von ihr übrig ist, was weniger wiegt als ihre schönen langen schwarzen Haare. Der junge Offizier weiß nicht, wie sie heißt, wer sie ist. Er kann den Geruch nicht mehr ertragen." Und auf einmal steht man in Bombay, mitten im 19. Jahrhundert.
Aus solchen Verwandlungen und Überblendungen setzt sich das Bild des Abenteurers zusammen - schwer zu fassen, flüchtig, dann wieder so klar wie auf den Fotografien, die von Burton erhalten sind, und dabei immer auch fremd, undurchschaubar. Ein Mann des 19. Jahrhunderts - und doch wie aus seiner Zeit gefallen. Von einer kaum zu stillenden Neugier, einer waghalsigen Bereitschaft zur Selbstaufgabe. Einer, der sich auf fremde Kulturen einließ, ohne restlos in ihnen aufzugehen. Ein Verwandlungskünstler mit Schauspieltalent, wenn er sich in Kairo mit Erfolg als Arzt ausgibt, ein Lebensgieriger, ein Erfahrungshungriger. Einer, dessen unendliche Faszinierbarkeit wenig mit dem zu tun hat, was Akademiker als das Andere mit dem ganz großen A beschworen haben, und noch weniger mit der Selbstüberschreibung sinnkranker Europäer an fremde Götter.
Ein Zukunftsbild.
"Ich glaube nicht", sagt Ilija Trojanow, "daß man nicht einer von den anderen werden kann", er selber habe im übrigen die Erfahrung gemacht, wie wenig homogen andere Kulturen seien, sobald man einmal ernsthaft versuche, in ihnen zu leben: "Ihre reale Vielfalt wird gar nicht wirklich wahrgenommen." Was sich wahrnehmen läßt, das ist Trojanows Pointe, davon muß sich erzählen lassen. Erklärungen und dürre Begriffe wie Interkulturalität lösen sich auf in Geschichten. Und deshalb ist dieser Roman so nah an der Gegenwart: Gerade weil er diesen Burton nicht aus seiner Welt herauslösen, sondern ihn in seiner Zeit verorten will. Das Wort Multikulturalität, bei dem man inzwischen schon automatisch die Stimme von Claudia Roth schrillen hört, dieses Wort kann Trojanow ohne Nebengeräusch aussprechen, weil es seine Biographie beschreibt. Was er damit meint, das ist keine Verschmelzung der Kulturen, kein Monopluralismus, aber auch keine Atempause im Kampf der Kulturen. Es ist ein Plädoyer für Erfahrung, für Anschauung - und Selbstreflexion. Und man könnte dafür keinen besseren Anwalt finden als diesen Burton, diesen unzeitgemäßen Streuner zwischen den Kulturen und Religionen, der eben nicht nur in immer neue Kostüme und Masken schlüpft, sondern der das alles ernst nahm, der den Islam wie die Upanischaden von innen heraus begreifen wollte.
Das ist kein Alles-Verstehen, Alles-Tolerieren, Alles-Verzeihen. Da setzt sich jemand einer Kultur mit Haut und Haaren aus, läßt sich beschneiden, um einer Enttarnung auf der Pilgerfahrt nach Mekka vorzubeugen, und bleibt insofern er selbst, als er immer wieder ein anderer wird. Das ist natürlich kein Leben, das sich dem Integrationsbeauftragten als Rollenmodell für ganze Gesellschaften empfehlen ließe, es bleibt eine wilde Abenteurerexistenz, voller Widersprüche, Umwege, auch Sackgassen, aber es steht für eine Haltung, die eine Zukunft hat. Der sogenannte Ungläubige, der in Mekka voller spiritueller Inbrunst zu Allah betete, der abgefallene Katholik, der sich die letzte Ölung verabreichen ließ und mit seinen seltsamen theologischen Ansichten den zuständigen Priester in Gewissensnöte stürzte, der Oxford-Student, der als Konsul des Empire starb und als Weltensammler lebte, dieser Richard Francis Burton schrieb mit einem Pathos, das noch immer unbedingt modern klingt: "Aller Glaube ist falsch, aller Glaube ist wahr: / Wahrheit ist der zersplitterte Spiegel, / in Myriaden von Stücken zerstreut; während jeder glaubt, / in seinem kleinen Stückchen die ganze Wahrheit zu besitzen".
PETER KÖRTE.
Ilija Trojanow: "Der Weltensammler". Roman. Hanser. 476 Seiten, 24,90 Euro.
Ders.: "Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina". Malik-Verlag, 2004. 174 Seiten, 16,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Richard Kämmerlings ist begeistert. "Mit allen Sinnen" habe Ilija Trojanow den legendären Weltenbummler Richard F. Burton erforscht, "wie einen fremden, schönen Kontinent" und ihm dabei sein Geheimnis doch belassen. Von Beginn an findet Trojanow seinen Ton, schreibt Kämmerlings, der sich dadurch sofort in ein großes Abenteuer hineingezogen fühlt. Der Roman konzentriert sich seinen Informationen zufolge auf drei Lebensstationen des berühmten Orientalisten, Diplomaten und Entdeckers, für die Trojanow jeweils eine erzählerische Form gewählt habe, eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog über Burtons Tod in Triest. Der erste Teil erzähle Burtons Initiation in Form der Memoiren seines Diener Naukaram. Teil zwei sei als Reisebericht Burtons verfasst. Teil drei verschränke die Sicht Burtons mit der mündlichen Erzählung seines Sklaven. Dieser Sidi erweist sich für den Rezensenten auch deshalb als Glücksfall, weil es Trojanow gelinge, in ihm "alle Perspektiven zu vereinen" und so die Komplexität seiner Schilderungen noch einmal zu steigern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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