Ein uralter, gelähmter, fast tauber Privatgelehrter, Philosoph und Haustyrann zugleich, soll für seinen kaum verständlichen »Traktat zur Verbesserung der Welt« die Ehrendoktorwürde erhalten und wartet zusammen mit seiner Lebensgefährtin, seinem »notwendigen Übel«, zu Hause auf die Verleihungszeremonie. Bis zum Eintreffen der Honoratioren vergeht einige Zeit, während deren nicht nur die komödiantisch ausgekosteten Altersbosheiten, die erbarmungslose Ironie eines Sprachkünstlers und das erschreckende Zerrbild einer Ehe zu erleben sind, sondern auch die Widersprüche und die Verletzlichkeit eines sonderbaren Menschen, dessen Traktat auf die »totale Abschaffung« der Welt zielt und der von dieser »verrückten« Welt geehrt, aber nicht wirklich verstanden wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2014Bitte kein Lärm beim Umblättern!
Nicolas Mahlers Comic nach Thomas Bernhards "Der Weltverbesserer"
Thomas Bernhard scherte sich wenig um die Übersetzungen seiner Werke. Was er zu einer graphischen Übersetzung gesagt hätte? Mit "Der Weltverbesserer" legt Nicolas Mahler bereits die zweite Comic-Adaption eines Bernhard-Buchs vor. "Alte Meister" erschien 2011 im Suhrkamp Verlag und markierte den Beginn einer Serie literarischer Klassiker im Comic-Format.
Weltliteratur als Comic? Mahler hat da keine Skrupel. Vor einem Jahr stauchte er Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" - immerhin tausend Textseiten geballte Sprachgewalt - auf hundertfünfzig Bilderseiten zusammen. Dazu benötigte der Wiener Illustrator nur zwei Farbtöne, Schwarz und Grün, und über weite Strecken nicht mal Worte. Seine Adaptionen sind keine braven Übersetzungen im Stil der "Illustrierten Klassiker" der fünfziger und sechziger Jahre. Mahler schreitet mit Verve zur radikalen Interpretation.
So auch beim "Weltverbesserer". Erstes Bild: ein geschlossener Vorhang. Zweites Bild: Der Vorhang hebt sich. Drittes Bild: der Weltverbesserer. Er fläzt sich auf einem Sessel. Zerknautscht sieht er aus, winzig neben der monolithischen Rückenlehne. Dieses Bild bleibt. Das hat zwei Gründe. Erstens: Mahler zeichnet die gesamten hundertzwanzig Seiten aus der Perspektive des Theaterbesuchers. Zweitens: Bernhard lässt den Weltverbesserer das ganze Stück über an seinem Thron kleben. Nur die Lebensgefährtin kommt und geht, vom Weltverbesserer herumkommandiert. Ob das zu eintönig geworden wäre? Mahler nimmt sich dann doch die Freiheit, den Weltverbesserer mit Krücken auf eine kurze Gespenster-Exkursion zu schicken.
"Der Weltverbesserer", 1978 uraufgeführt, ist ein bissiges Drama über einen betagten Egomanen, der die Verleihung der Ehrendoktorwürde für seinen philosophischen Traktat erwartet. Diese soll, da er angeblich krank ist, bei ihm zu Hause stattfinden. Mit ebenso launischen wie widersprüchlichen Anweisungen zur Vorbereitung dieses "Staatsakts" drangsaliert der Weltverbesserer seine buckelnde Lebensgefährtin, sein "notwendiges Übel". Es geht ins Absurde. Er verlangt ein Hörrohr, versteht aber trotzdem nichts. Als sie dann aus dem Traktat vorlesen soll, raunzt er: "Beim Umblättern die Lärmentwicklung vermeiden".
Mahler beschränkt sich in den Sprechblasen auf Originalzitate aus Bernhards Stück. Natürlich muss er radikal kürzen, denn ein Satz verschlingt bei ihm häufig eine ganze Seite. Indem er die Chronologie des Stücks verändert, ganze Gesprächsstränge ausspart und sich auf prägnante Schlüsselsätze beschränkt, schafft der Illustrator ein extrem reduziertes Porträt des Weltverbesserers.
Der melancholische Zug, der diese Figur bei Bernhard ambivalent macht, geht dabei leider fast vollständig verloren. "Die Leute haben es leicht / die sich mit der Oper zufrieden geben / und mit einem daran angeschlossenen Nachtmahl / oder die in den Zug steigen / und drei Stationen weiter ihr Glück finden." Solche Passagen fehlen.
Man kann Mahler deswegen vorwerfen, dass er das Stück zu stark ins Komödiantische zieht - aber das tut er gekonnt. Seine Fähigkeit, mit wenigen Strichen und Wortfetzen Spannung und Tempo zu erzeugen, zeichnet ihn als begnadeten Minimalisten aus. Sein feiner Humor hat etwas Schelmisches. Ein genialer Coup: Er spart mit der Preisverleihung den Höhepunkt des Stücks aus. Als die Abordnung der Universität angekündigt wird, senkt sich Schwärze über die Bühne. Dann steht da: "Man bringt mich um alles." Ende.
FRIEDEMANN BIEBER
Thomas Bernhard: "Der Weltverbesserer". Gezeichnet von Nicolas Mahler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 124 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicolas Mahlers Comic nach Thomas Bernhards "Der Weltverbesserer"
Thomas Bernhard scherte sich wenig um die Übersetzungen seiner Werke. Was er zu einer graphischen Übersetzung gesagt hätte? Mit "Der Weltverbesserer" legt Nicolas Mahler bereits die zweite Comic-Adaption eines Bernhard-Buchs vor. "Alte Meister" erschien 2011 im Suhrkamp Verlag und markierte den Beginn einer Serie literarischer Klassiker im Comic-Format.
Weltliteratur als Comic? Mahler hat da keine Skrupel. Vor einem Jahr stauchte er Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" - immerhin tausend Textseiten geballte Sprachgewalt - auf hundertfünfzig Bilderseiten zusammen. Dazu benötigte der Wiener Illustrator nur zwei Farbtöne, Schwarz und Grün, und über weite Strecken nicht mal Worte. Seine Adaptionen sind keine braven Übersetzungen im Stil der "Illustrierten Klassiker" der fünfziger und sechziger Jahre. Mahler schreitet mit Verve zur radikalen Interpretation.
So auch beim "Weltverbesserer". Erstes Bild: ein geschlossener Vorhang. Zweites Bild: Der Vorhang hebt sich. Drittes Bild: der Weltverbesserer. Er fläzt sich auf einem Sessel. Zerknautscht sieht er aus, winzig neben der monolithischen Rückenlehne. Dieses Bild bleibt. Das hat zwei Gründe. Erstens: Mahler zeichnet die gesamten hundertzwanzig Seiten aus der Perspektive des Theaterbesuchers. Zweitens: Bernhard lässt den Weltverbesserer das ganze Stück über an seinem Thron kleben. Nur die Lebensgefährtin kommt und geht, vom Weltverbesserer herumkommandiert. Ob das zu eintönig geworden wäre? Mahler nimmt sich dann doch die Freiheit, den Weltverbesserer mit Krücken auf eine kurze Gespenster-Exkursion zu schicken.
"Der Weltverbesserer", 1978 uraufgeführt, ist ein bissiges Drama über einen betagten Egomanen, der die Verleihung der Ehrendoktorwürde für seinen philosophischen Traktat erwartet. Diese soll, da er angeblich krank ist, bei ihm zu Hause stattfinden. Mit ebenso launischen wie widersprüchlichen Anweisungen zur Vorbereitung dieses "Staatsakts" drangsaliert der Weltverbesserer seine buckelnde Lebensgefährtin, sein "notwendiges Übel". Es geht ins Absurde. Er verlangt ein Hörrohr, versteht aber trotzdem nichts. Als sie dann aus dem Traktat vorlesen soll, raunzt er: "Beim Umblättern die Lärmentwicklung vermeiden".
Mahler beschränkt sich in den Sprechblasen auf Originalzitate aus Bernhards Stück. Natürlich muss er radikal kürzen, denn ein Satz verschlingt bei ihm häufig eine ganze Seite. Indem er die Chronologie des Stücks verändert, ganze Gesprächsstränge ausspart und sich auf prägnante Schlüsselsätze beschränkt, schafft der Illustrator ein extrem reduziertes Porträt des Weltverbesserers.
Der melancholische Zug, der diese Figur bei Bernhard ambivalent macht, geht dabei leider fast vollständig verloren. "Die Leute haben es leicht / die sich mit der Oper zufrieden geben / und mit einem daran angeschlossenen Nachtmahl / oder die in den Zug steigen / und drei Stationen weiter ihr Glück finden." Solche Passagen fehlen.
Man kann Mahler deswegen vorwerfen, dass er das Stück zu stark ins Komödiantische zieht - aber das tut er gekonnt. Seine Fähigkeit, mit wenigen Strichen und Wortfetzen Spannung und Tempo zu erzeugen, zeichnet ihn als begnadeten Minimalisten aus. Sein feiner Humor hat etwas Schelmisches. Ein genialer Coup: Er spart mit der Preisverleihung den Höhepunkt des Stücks aus. Als die Abordnung der Universität angekündigt wird, senkt sich Schwärze über die Bühne. Dann steht da: "Man bringt mich um alles." Ende.
FRIEDEMANN BIEBER
Thomas Bernhard: "Der Weltverbesserer". Gezeichnet von Nicolas Mahler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 124 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Judith von Sternburg hat sich prächtig mit der von Nicolas Mahler gezeichneten Graphic Novel zu Thomas Bernhards Roman "Der Weltverbesserer" amüsiert. Beeindruckt sieht sie, wie es Mahler gelingt Bernhards Jammerlappen als kleinen meckernden Wicht, dem Buch, Hörrohr und Perrücke viel zu groß sind, erscheinen zu lassen, um ihm doch zugleich mit nur wenigen gekonnten Strichen Tragik zu verleihen. Nicht zuletzt findet die Kritikerin Mahlers Kürzung des Textes brillant.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Seine Fähigkeit, mit wenigen Strichen und Wortfetzen Spannung und Tempo zu erzeugen, zeichnet ihn als begnadeten Minimalisten aus.« Friedemann Bieber Frankfurter Allgemeine Zeitung 20141106