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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Verlag der Kunst Dresden
  • Seitenzahl: 367
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 896g
  • ISBN-13: 9789057051166
  • ISBN-10: 9057051168
  • Artikelnr.: 24366079
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Ironie und doch auch Bewunderung spricht Wolfgang Pehnt über Frederic J. Schwartz` "Interpretationskünste". Er bringe nicht nur einen "enormen Wissensvorrat" mit, sondern schaffe es auch noch, in dem Kölner Werkbundstreit von 1914 die Fronten umzukehren. In bisherigen Geschichten dieser Ur-Institution des modernen Designs standen die Anhänger der "Typenbildung" auf der Seite des historischen Fortschritts, bei Schwartz seien es ganz im Gegenteil die Verteidiger des "freien Künstlers". Denn die ersten seien noch der Sphäre der Produktion, also der Dinge, verhaftet, die zweiten hätten die Herrschaft der Zeichen in der Postmoderne begriffen. Schwartz jongliere mit Begriffen, und manchmal fielen sie ihm dabei auch zu Boden. Aber ihr Eintrittsgeld sei diese "Hochseilartistik auf beschränktem Terrain" allemal wert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Das prasselt ja richtig
Frederic J. Schwartz gießt Öl ins Feuer der Diskussion um die Bedeutung des Deutschen Werkbunds / Von Wolfgang Pehnt

Zum Deutschen Werkbund, dieser 1907 gegründeten Einrichtung zwischen Kunstwille und Geschäftsinteresse, Kulturpolitik und Wirtschaftsförderung, muss man sich schon seit langem bei Autoren anderer Nationalität informieren. Seine Mischung aus Verbandspolitik, rastloser Publizistik, hochgemuten Idealen und handfesten Strategien scheint sich für den fremden Blick deutlicher zu konturieren als in der Nahperspektive. Barbara Miller Lane bezog ihn 1968 in ihre Darstellung deutscher Baupolitik ein. Bei Joan Campell findet man seit 1978 die einschlägigen Fakten und Figuren in solider Nacherzählung und ausreichender Vollständigkeit. Beide Bücher liegen seit langem auch im Deutschen vor.

Dass sich die Kolleginnen aus den Vereinigten Staaten so eingehend mit diesem merkwürdig deutschen Thema befassten, hat nicht nur mit den beneidenswerten Fonds und Stipendien zu tun, die den gelehrten Einbahnverkehr in Richtung Europa alimentieren. Angesichts der unbegrenzten Wertschätzung, deren sich der neue Kontinent bei den Formenmachern der Alten Welt erfreute, hat das Engagement aus Übersee auch historische Gründe. Nicht erst Taylor und Ford, die der Moderne die Prinzipien arbeitsteiliger Organisation beibrachten, hinterließen hierzulande größten Eindruck. Amerika war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein begehrtes Reiseziel deutscher Fachtouristen. Seine Silobauten, fand Walter Gropius, erinnerten in ihrer "ungekannten Majestät" und "überzeugenden Wucht" an die Bauten des alten Ägypten. Wenn angloamerikanische Designhistoriker sich mit der Frühgeschichte von Werkbund und Designreform beschäftigen, gehen sie nicht zuletzt dem Einfluss nach, den ihre Urahnen ausgeübt haben.

Der jüngste Forscher auf diesem Felde, Frederic J. Schwartz, hat sich für seine Expedition ins Werkbund-Land mit einem enormen Wissensvorrat verproviantiert. Zeitgenössische Äußerungen von Wirtschaftspolitikern, Nationalökonomen und Soziologen wie Friedrich Naumann, Georg Simmel, Werner Sombart, Ferdinand Tönnies, Max und Alfred Weber gehören selbstverständlich zu seiner Ausrüstung. Aber die überraschendsten Pointen gewinnt er aus Texten, die man bisher für marginal hielt, wie den Aufsatz, in dem der Hagener Kulturpolitiker und Mäzen Karl Ernst Osthaus das Schaufenster als den Ort der mystischen Vermählung des Käufers mit der Ware feierte. Mit solchen Belegen gelingt es dem Autor, aus einem vermeintlich längst ausgeschriebenen Thema wie dem Kölner Werkbundstreit von 1914 neue Funken zu schlagen. Funken? Ein ganzes Feuerwerk.

In der damaligen Diskussion stritten sich eine Partei, deren Wortführer Hermann Muthesius war, und eine Gegenpartei, die Henry van de Velde anführte und Osthaus, Gropius und Bruno Taut auf ihrer Seite wusste. Muthesius und die Seinen setzten sich für Typenbildung ein, für die strenge, disziplinierte Form. Van de Velde, Osthaus und ihre Anhänger verteidigten dagegen die "heiligsten Rechte" des freien Künstlers. Gewöhnlich gelten die Typenfreunde als diejenigen, die für sich die Zukunft hatten. Tatsächlich bekannten sich in den frühen zwanziger Jahren, nach der Konsolidierung der Finanzmärkte und der Belebung der Nachkriegswirtschaft, auch "Individualisten" wie Gropius zur Typisierung, die ihn ohnehin bereits vor 1914 beschäftigt hatte. Der Streit schien sich erledigt zu haben.

Doch diese Rechnung ist ohne Schwartz gemacht. Indem die Fronde der Individualisten die Ware zur Kunst erklärte, habe sie die Magie des Kunstwerks auf die Serienfabrikate der Industrie übertragen. Schwartz gelangt zu einer glatten Umkehr der bisherigen Bewertung. Jetzt sind die Künstler-Eigenbrötler Medienspezialisten, die vorausblickend Symbole und Signale organisierten. Als kluge Zeichenstrategen betrachteten sie den Handel als ihr Tätigkeitsfeld, nicht mehr die Produktion. Damit erscheint die vermeintlich rückständige Fraktion des guten alten Werkbunds bei Schwartz als eine Gang verwegener Glasperlenspieler, die mit allen Wassern postmoderner Diskurstheorie gewaschen waren. Sie nahmen das virtuelle Zeitalter vorweg und wussten, dass die neue Kultur eine Kultur der Zeichen sein werde.

Eines der Indizien, auf die Schwartz seine Interpretationskünste richtet, ist das Sechseck mit den drei eingeschriebenen kleineren Sechsecken, das Peter Behrens als Logo für die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft entwickelte. Schwartz bezieht es auf die Kristallomanie der Jahrhundertwende, die in der Tat beim frühen Behrens einen Höhepunkt ereicht hatte. Aber der Autor sieht in den Hexagonen auch Anspielungen auf die Präzision der Maschinenwelt, auf Benzolringe, auf die Waben der fleißigen Bienen. Sogar Lippen, die sich im Kuss aufeinander gepresst haben, geraten ihm in den behenden Sinn.

Ein changierendes Bedeutungsgewebe kommt zustande, das über Produkt und Produktion kaum noch eine Aussage trifft, stattdessen eine freischwebende, autonome Welt der Assoziationen entfaltet. Allein der Einprägsamkeit und Verführungsgabe des Markenzeichens ist sie verpflichtet. Dass dabei die Phantasie des Interpreten Schwartz die Gegenstände und ihre Symbole mit einem Sinn auflädt, den sie nicht von sich aus mitbringen, irritiert ihn nicht. So sind Poststrukturalisten eben. Indem Schwartz den Zeichen Bedeutungen beilegt, die weder in ihnen noch in den Produkten enthalten sind, verhält er sich wie der Konsument, der seine Wünsche in die leere Botschaft des Logos projiziert.

Den ultimativen Kick gewinnt diese Argumentation, wenn Schwartz gegen Ende seines Großessays eine Quelle heranzieht, auf die in diesem Zusammenhang nur kreative Phantasie kommen kann. Er zaubert einen Text aus dem Hut, den nicht PR-Genies oder Werkbund-Idealisten verfasst haben, sondern Juristen: das deutsche Warenzeichen-Gesetz von 1894. Wort- oder Bildsymbole wie die AEG-Sechsecke, die das Gesetz urheberrechtlich schützt, trugen ihre unverwechselbare - und nur darum schutzfähige - Gestalt ins kommerzielle Chaos. In erster Linie war die Ware nun nicht mehr ein Angebot von Nutzwerten, sondern eine Anmutung, ein kulturelles Signal.

Ob dieser luftige Brückenschlag zum Verbraucher, wie Schwartz es mit großer Sympathie für die Täter von damals suggeriert, allen Ernstes eine "Transzendenz der Entfremdung" genannt zu werden verdient, ist eine andere Frage. Und auch sogar, ob die Beschreibung dieser Strategie überhaupt die Vorstellungswelt der Künstler-Individualisten aus dem Osthaus-Stall trifft. Denn bei ihnen war die Botschaft der Marken und Zeichen noch immer an die Gebrauchsqualitäten der Produkte gekoppelt. Nur darum legte man sich für sie ins Zeug.

Über lange Partien betreibt der Autor auf beschränktem Terrain Hochseilartistik. Er weiß immer noch eine überraschende Wendung, führt ohne Netz nicht enden wollende Volten vor, riskiert dabei den Blick ironischer Verständigung ins Publikum von heute. Dann freilich findet man den Akrobaten plötzlich beim Bodenpersonal wieder, wo er ächzend die Bälle einsammelt, mit denen er noch eben jonglierte, und das eigene Verfahren umständlich erörtert. Ihr Eintrittsgeld ist diese Aufführung aber allemal wert. So intelligent hat lange niemand mehr über diesen Stoff nachgedacht, den man abgehandelt und erschöpft glaubte.

Frederic J. Schwartz: "Der Werkbund". Ware und Zeichen. 1900-1914. Aus dem Englischen von Brigitte Kalthoff. Verlag der Kunst, Dresden 1999. 368 S., 117 Abb., br., 84.- DM.

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