Der Weltreisende Adelbert von Chamisso war ein Mensch, der sich ruhelos zwischen den Grenzen und Kulturen bewegte, ein vaterlandsloser, »wilder« Europäer. 1781 als französischer Aristokrat geboren und 1838 als deutscher Dichter gestorben, war sein abenteuerliches Leben ein Entwurf der Freiheit.Nach jahrelanger Flucht aus dem Frankreich der Revolution gelingt es der Familie des Grafen de Chamisso in Berlin ein neues Leben aufzubauen. Nach Stationen in Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth finden sie erst hier, in der zu einem Viertel von Franzosen bewohnten preußischen Hauptstadt, eine neue Heimat. Adelbert von Chamisso, wie er sich fortan nennt, befreundet sich mit Rahel Varnhagen, Alexander von Humboldt, Jean Paul, August Wilhelm Schlegel, Ludwig Börne und vielen anderen Größen der Berliner Salons jener Zeit. Mit dem "Peter Schlemihl" macht er sich früh einen Namen als bedeutender Dichter deutscher Sprache. Doch es zieht ihn in die Ferne, er nimmt an einer abenteuerlichen Weltreise mit dem russischen Schiff »Rurik« teil und widmet sich verstärkt den Naturwissenschaften. Bis zu seinem Tod 1838 führt er ein unruhiges Leben, er wechselt mehr-fach die Nationalität, forscht und schreibt und hinterlässt ein widersprüchliches Bild.Beatrix Langner löst die Widersprüche in Chamissos Leben auf und wirft erstmals ein klares Licht auf sein Denken und Tun. Sie vermittelt in ihrer meisterhaften literarischen Biographie ein lebendiges Bild der Epoche und lässt das spannende Leben eines der ersten Europäer auferstehen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2008König der stillen Inseln
Adelbert von Chamisso gehört zu den schillerndsten Figuren der deutschen Romantik. Beatrix Langner hat ihn brillant porträtiert.
In Windeseile jagt Peter Schlemihl mit seinen Siebenmeilenstiefeln über den Globus. Seinem Autor war die Lust am Geschwindigkeitsrausch fremd. Drei Jahre lang segelte Adelbert von Chamisso auf einer Forschungsexpedition um die Welt. Und kam sich doch "wie eine abgeschossene Kanonenkugel" vor, als ihm sein Kapitän die Bitte abschlug, ihn auf Honolulu unter den Eingeborenen zurückzulassen.
Von den vielen Gestalten der deutschen Romantik gehört Chamisso fraglos zu den faszinierendsten. Dass sich seines außergewöhnlichen Lebens 170 Jahre nach seinem Tod mit Beatrix Langner eine brillante Biographin angenommen hat, ist ein Glücksfall. Mit Einfühlungsvermögen und Sprachkraft löst Langner nicht nur die vielen Gegensätze im Leben dieses "wilden Europäers" auf. Sie lädt auch ein, den großen Ethnologen, Sprachwissenschaftler, Reiseschriftsteller und nicht zuletzt erotischen Dichter wiederzuentdecken. Und verabschiedet nebenbei so manche Legende der Chamisso-Forschung.
Geboren 1781 in der Champagne als fünfter Sohn des Comte de Chamissot, war dem Knaben ein Leben im Dienst des französischen Königs vorherbestimmt. Zum schwarzen Schwan in seiner Existenz wurde die Revolution, die die Familie wie viele Adlige mittellos aus dem Land jagte: "Ich bin kein Franzose mehr . . . mein Schicksal ist seltsam", notiert der Neunjährige während der Fahrt in der Kutsche. In Berlin findet die Familie eine neue Heimat. Chamisso wird erst Page bei Königin Luise, dann Fähnrich im preußischen Heer. Er steht Wache am Brandenburger Tor, lässt seinen Namen eindeutschen und erregt mit seinem wallenden Haar und seinem Akzent in den Literatursalons Aufsehen. Schwierig wird das Verhältnis zur Familie: Seine Brüder träumen von Restauration, Chamisso dagegen findet sich früh mit den veränderten Lebensumständen ab: "Ich bin unwiderruflich Preuße", lässt er sie wissen.
Die Zeit stellt die selbst gewählte Identität auf eine harte Probe. Innerlich zerrissen erlebt er die Napoleonischen Kriege, fast hätte er auf seine Landsleute schießen müssen. "Ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd", klagt er bei Madame de Staël. Dann gibt er seinem Leben eine neue Richtung und wird Botaniker. Als Naturforscher an Bord der russischen "Rurik" lässt er zwischen 1815 und 1818 das europäische Elend hinter sich. Glaubt er zumindest: Dass die Suche nach der Nordwestpassage nur ein Vorwand war, um heimlich im Pazifik eine neue Versorgungsbasis für den russischen Pelzhandel zu finden, ist Chamisso erst spät gedämmert. Nach der Rückkehr lässt er sich von Freunden wie Eduard Hitzig und E.T.A. Hoffmann als "König der stillen Inseln" feiern und erfindet sich noch einmal neu: Aus dem eskapistischen Träumer wird ein fürsorglicher Familienvater und sozialkritischer Dichter; seine Sympathie gilt der Julirevolution, Heine und den einfachen Leuten wie seiner alten Waschfrau, der er eine seiner schönsten Balladen widmet. Dass ihn Nationalisten als "Judenfreund" beschimpfen, kümmert ihn kaum, staunend nimmt er den Erfolg seiner Bücher zur Kenntnis: "Deutschland, scheint es, will mich wirklich zu einem seiner Dichter zählen."
OLIVER PFOHLMANN
Beatrix Langner: "Der wilde Europäer - Adelbert von Chamisso". Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2008. 370 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adelbert von Chamisso gehört zu den schillerndsten Figuren der deutschen Romantik. Beatrix Langner hat ihn brillant porträtiert.
In Windeseile jagt Peter Schlemihl mit seinen Siebenmeilenstiefeln über den Globus. Seinem Autor war die Lust am Geschwindigkeitsrausch fremd. Drei Jahre lang segelte Adelbert von Chamisso auf einer Forschungsexpedition um die Welt. Und kam sich doch "wie eine abgeschossene Kanonenkugel" vor, als ihm sein Kapitän die Bitte abschlug, ihn auf Honolulu unter den Eingeborenen zurückzulassen.
Von den vielen Gestalten der deutschen Romantik gehört Chamisso fraglos zu den faszinierendsten. Dass sich seines außergewöhnlichen Lebens 170 Jahre nach seinem Tod mit Beatrix Langner eine brillante Biographin angenommen hat, ist ein Glücksfall. Mit Einfühlungsvermögen und Sprachkraft löst Langner nicht nur die vielen Gegensätze im Leben dieses "wilden Europäers" auf. Sie lädt auch ein, den großen Ethnologen, Sprachwissenschaftler, Reiseschriftsteller und nicht zuletzt erotischen Dichter wiederzuentdecken. Und verabschiedet nebenbei so manche Legende der Chamisso-Forschung.
Geboren 1781 in der Champagne als fünfter Sohn des Comte de Chamissot, war dem Knaben ein Leben im Dienst des französischen Königs vorherbestimmt. Zum schwarzen Schwan in seiner Existenz wurde die Revolution, die die Familie wie viele Adlige mittellos aus dem Land jagte: "Ich bin kein Franzose mehr . . . mein Schicksal ist seltsam", notiert der Neunjährige während der Fahrt in der Kutsche. In Berlin findet die Familie eine neue Heimat. Chamisso wird erst Page bei Königin Luise, dann Fähnrich im preußischen Heer. Er steht Wache am Brandenburger Tor, lässt seinen Namen eindeutschen und erregt mit seinem wallenden Haar und seinem Akzent in den Literatursalons Aufsehen. Schwierig wird das Verhältnis zur Familie: Seine Brüder träumen von Restauration, Chamisso dagegen findet sich früh mit den veränderten Lebensumständen ab: "Ich bin unwiderruflich Preuße", lässt er sie wissen.
Die Zeit stellt die selbst gewählte Identität auf eine harte Probe. Innerlich zerrissen erlebt er die Napoleonischen Kriege, fast hätte er auf seine Landsleute schießen müssen. "Ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd", klagt er bei Madame de Staël. Dann gibt er seinem Leben eine neue Richtung und wird Botaniker. Als Naturforscher an Bord der russischen "Rurik" lässt er zwischen 1815 und 1818 das europäische Elend hinter sich. Glaubt er zumindest: Dass die Suche nach der Nordwestpassage nur ein Vorwand war, um heimlich im Pazifik eine neue Versorgungsbasis für den russischen Pelzhandel zu finden, ist Chamisso erst spät gedämmert. Nach der Rückkehr lässt er sich von Freunden wie Eduard Hitzig und E.T.A. Hoffmann als "König der stillen Inseln" feiern und erfindet sich noch einmal neu: Aus dem eskapistischen Träumer wird ein fürsorglicher Familienvater und sozialkritischer Dichter; seine Sympathie gilt der Julirevolution, Heine und den einfachen Leuten wie seiner alten Waschfrau, der er eine seiner schönsten Balladen widmet. Dass ihn Nationalisten als "Judenfreund" beschimpfen, kümmert ihn kaum, staunend nimmt er den Erfolg seiner Bücher zur Kenntnis: "Deutschland, scheint es, will mich wirklich zu einem seiner Dichter zählen."
OLIVER PFOHLMANN
Beatrix Langner: "Der wilde Europäer - Adelbert von Chamisso". Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2008. 370 S., geb., 29,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht eben wortreich lässt sich Oliver Pfohlmann aus über die Chamisso-Biografie von Beatrix Langner. Macht nichts. Dass Chamisso zu den schillerndsten Figuren der deutschen Romantik gehört, erfahren wir ja. Und über das Buch? Genug, um es lesen zu wollen. Genug, um Langner mit Pfohlmann für kompetent, sprachgewandt und einfühlsam genug zu halten. Einfühlsam genug, um die Gegensätze in Chamissos Leben aufzulösen. Kompetent genug, um die Chamisso-Forschung um das ein oder andere Märchen zu erleichtern und uns Chamisso schmackhaft zu machen, als Enthnologen, Linguisten und Reiseschriftsteller, der bis Honolulu kam.
© Perlentaucher Medien GmbH
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