Gedichte über das Meer, den Wind, das Wetter, Gedichte über's Allein- und Traurigsein, Gedichte von Liebe, Glück und Übermut. Gedichte über alles Mögliche also.Der springende Punkt: Es ist ein kleines Buch voller Gedichte von Jürg Schubiger. Einem Autor, der nach 50 Jahren des Erzählens und Dichtens von sich sagt: 'Ich bin ein geborener und inzwischen auch überzeugter Anfänger'.Tatsächlich ist dies Schubigers große Kunst: das Anfangen. Seine Sätze und Verse lassen den Leser einen Moment lang ohne Ordnung dastehen, ohne die alten Selbstverständlichkeiten. Das irritiert und amüsiert, das macht hellwach und bringt in Bewegung. Die jungen Leser, die sowieso immer auf dem Sprung sind. Und die erwachsenen Leser, die ein bisschen eingerostet sind. Im Kopf, im Herz und an den Gliedern.Wiebke Oeser - die wir so vermisst haben! - gliedert mit ganzseitigen Buntstift-Illustrationen Schubigers Gedichte nach Themen und spiegelt dann Seite für Seite mit feinen Vignetten die Stimmung seiner Verse wider.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2011Der literarische Marktplatz
Gedichte für Kinder
und Jugendliche
Wie muss man sich einen Dichter vorstellen, der Verse für Kinder schreibt? Ist es ein alter Professor? Oder ein dicker Märchenonkel? Für den Schweizer Schriftsteller Franz Hohler ist die Sache ganz einfach: „Es war einmal ein Mann / An dem war fast nichts dran. // Er war ein dünner Strich / Und das war ärgerlich. // Lief man in ihn hinein / Dann schrie er: Nein, nein, nein! // Es handelt sich beim Strich / Um mich, um mich, um mich!"
Vielleicht ist Franz Hohler deswegen so schlank, weil er tagein, tagaus am Schreibtisch sitzt. So viele Bücher hat er schon geschrieben, dass man sie kaum aufzählen kann. In seinem neuesten Kinderbuch holt er sich Tiere vor die Feder. Hunde, Schweine, Hühner, aber auch Nilpferde und ein etwas unentschlossenes Lama haben ihren Auftritt. Doch was heißt schon Auftritt? Franz Hohler setzt seine Tiere nicht einfach nur in Szene, er schickt sie vielmehr in die unglaublichsten Situationen. Da gibt es einen Wal, der einen Schal strickt, um seiner Frau zu gefallen – was ihm durchaus gelingt. Und jenen Hai, der auch an Franz Hohlers Büchern scheitern dürfte: „Es war einmal ein Hai / Der zählte nur bis drei // Dann fehlte ihm die Vier – / Was für ein dummes Tier!“
Aber es sind nicht allein Tiere, die den Dichtern durch die Köpfe gehen, immerzu strömen die Gedanken und Bilder hin und her. Ein Fluss, eine Postkarte, ein Ballon – es gibt nichts, das nicht Anlass für ein Gedicht sein könnte. Franz Hohlers Schweizer Kollege Jürg Schubiger findet das „höchst erstaunlich“. Nur scheint es gar nicht so leicht, die vielen Dinge mit der Sprache zu bändigen. Deshalb verrät uns Schubiger ein Geheimnis, das zumindest für die meisten Kinderverse gilt: „Was braucht's für ein Gedicht? / Ein Wort, das reimt, mehr nicht. / Der Reim ist das, was leimt. / So gibt sich Schicht um Schicht.“ Doch der Reim leimt nicht nur, er kann noch weitaus mehr. Er hilft, dass wir uns Verse und Dinge gut merken können. Er bringt ungewöhnliche Ideen zusammen und kann sogar die Gegensätze verbinden, „eins“ und „keins“ zum Beispiel oder „dunkeln und funkeln“.
Dabei müssen Reime keineswegs immer sauber sein. Hohler wie Schubiger sind Meister des schrägen Reimes. Wo der eine „Igel“ auf „Flügel“ und „Euro“ auf „Kairo“ erfindet der andere gleich ein neues Wort: „Na, wie geht's? / Miserabel. / Wie der Gabel / ohne Zinken, / dem Soldaten / ohne Sabel.“ Das klingt nicht bloß witzig, sondern zeigt zugleich, wie schön man mit Sprache spielen und eigene Welten bauen kann. Versteht sich von selbst, dass die Kinderverse der beiden Schweizer auch etwas für Erwachsene sind. Mit Hohlers Erzählung vom Frosch namens Carl-Friedrich Bosch lässt sich mühelos ein halber Abend bestreiten, auch deshalb, weil Kathrin Schärers Bilder die kleinen Versgeschichten nicht einfach nur illustrieren, sondern sie deuten, manchmal sogar weiterspinnen. Dagegen wirken Wiebke Oesers Zeichnungen zu Jörg Schubigers Gedichten eher wie Tupfer, die sich einem Detail aus den Versen widmen. Das ist minimalistisch, passt aber gut zu seiner Vorliebe, mit der Verslänge und dem Rhythmus zu experimentieren. Mitunter, etwa wenn er über das Traurigsein schreibt, moralisiert er ein wenig. Meist aber hüpft er mit wenigen Wörtern über die Kontinente: „Woher? / Vom Meer. / Wohin? / Nach Wien.“
Vielleicht auch nach Bombay. Oder nach Bitterfeld. Dort lässt Reiner Kunze seine jungen Leser kurz rasten, bevor er sie aus dem „Kinderbett“ ins „Internet“ holt. Seine Traumreisen führen in den Regenwald – oder gleich auf die nächste Blumenwiese. Kunze schafft Atmosphären und sieht sich die Dinge mit seiner Sprache genau an. So können wir in seinen Versen unentwegt etwas wahrnehmen. Eine dunkle Wolke aus Vögeln etwa, die ins Wiesengras sinkt und verschwindet. Ziegen, die Eisschollen ähneln. Es sind Vergleiche und Bilder, die uns das Vertraute neu zeigen. Als würde der Wind in einen Strauch fahren – und man sähe die Blätter für einen Moment von unten.
Allerdings möchte Kunze in seinen Gedichten immer auch Wissen vermitteln. In einem eigenen Anhang hat er festgehalten, wie Elefanten hören oder wie Flamingos ihre Jungen erkennen. Die dazu passenden Verse sind ihm ein wenig didaktisch geraten, mit einer Pointe hier und einer kleinen Lehre dort. Viel angenehmer ist es, sich Horst Sauerbruchs Bilder anzusehen, die in ihrer Mischung aus hingetuschten Flächen und groben Umrissen unsere Augen wandern lassen. Und noch angenehmer, Reiner Kunzes Mikadogedicht zu lesen. Was für eine schöne Idee, die Mikados mit kleinen Fischen zu vergleichen. Da würde man am liebsten gleich selber versuchen, ein Stäbchen abzuheben: „Wem das gelingt, / der hat gewonnen / und darf sich mit den kleinen Fischen sonnen.“ NICO BLEUTGE
FRANZ HOHLER: Es war einmal ein Igel. Kinderverse. Mit Bildern von Kathrin Schärer. Hanser 2011. 59 Seiten, 12,90 Euro.
REINER KUNZE: Was macht die Biene auf dem Meer? Gedichte für Kinder. Mit Bildern von Horst Sauerbruch. Fischer Schatzinsel 2011. 79 Seiten, 14,95 Euro.
JÜRG SCHUBIGER: Der Wind hat Geburtstag. Mit Illustrationen von Wiebke Oeser. Peter Hammer 2010. 48 Seiten, 12,90 Euro.
Was braucht’s für ein Gedicht?
Ein Wort, das reimt,
mehr nicht.
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Gedichte für Kinder
und Jugendliche
Wie muss man sich einen Dichter vorstellen, der Verse für Kinder schreibt? Ist es ein alter Professor? Oder ein dicker Märchenonkel? Für den Schweizer Schriftsteller Franz Hohler ist die Sache ganz einfach: „Es war einmal ein Mann / An dem war fast nichts dran. // Er war ein dünner Strich / Und das war ärgerlich. // Lief man in ihn hinein / Dann schrie er: Nein, nein, nein! // Es handelt sich beim Strich / Um mich, um mich, um mich!"
Vielleicht ist Franz Hohler deswegen so schlank, weil er tagein, tagaus am Schreibtisch sitzt. So viele Bücher hat er schon geschrieben, dass man sie kaum aufzählen kann. In seinem neuesten Kinderbuch holt er sich Tiere vor die Feder. Hunde, Schweine, Hühner, aber auch Nilpferde und ein etwas unentschlossenes Lama haben ihren Auftritt. Doch was heißt schon Auftritt? Franz Hohler setzt seine Tiere nicht einfach nur in Szene, er schickt sie vielmehr in die unglaublichsten Situationen. Da gibt es einen Wal, der einen Schal strickt, um seiner Frau zu gefallen – was ihm durchaus gelingt. Und jenen Hai, der auch an Franz Hohlers Büchern scheitern dürfte: „Es war einmal ein Hai / Der zählte nur bis drei // Dann fehlte ihm die Vier – / Was für ein dummes Tier!“
Aber es sind nicht allein Tiere, die den Dichtern durch die Köpfe gehen, immerzu strömen die Gedanken und Bilder hin und her. Ein Fluss, eine Postkarte, ein Ballon – es gibt nichts, das nicht Anlass für ein Gedicht sein könnte. Franz Hohlers Schweizer Kollege Jürg Schubiger findet das „höchst erstaunlich“. Nur scheint es gar nicht so leicht, die vielen Dinge mit der Sprache zu bändigen. Deshalb verrät uns Schubiger ein Geheimnis, das zumindest für die meisten Kinderverse gilt: „Was braucht's für ein Gedicht? / Ein Wort, das reimt, mehr nicht. / Der Reim ist das, was leimt. / So gibt sich Schicht um Schicht.“ Doch der Reim leimt nicht nur, er kann noch weitaus mehr. Er hilft, dass wir uns Verse und Dinge gut merken können. Er bringt ungewöhnliche Ideen zusammen und kann sogar die Gegensätze verbinden, „eins“ und „keins“ zum Beispiel oder „dunkeln und funkeln“.
Dabei müssen Reime keineswegs immer sauber sein. Hohler wie Schubiger sind Meister des schrägen Reimes. Wo der eine „Igel“ auf „Flügel“ und „Euro“ auf „Kairo“ erfindet der andere gleich ein neues Wort: „Na, wie geht's? / Miserabel. / Wie der Gabel / ohne Zinken, / dem Soldaten / ohne Sabel.“ Das klingt nicht bloß witzig, sondern zeigt zugleich, wie schön man mit Sprache spielen und eigene Welten bauen kann. Versteht sich von selbst, dass die Kinderverse der beiden Schweizer auch etwas für Erwachsene sind. Mit Hohlers Erzählung vom Frosch namens Carl-Friedrich Bosch lässt sich mühelos ein halber Abend bestreiten, auch deshalb, weil Kathrin Schärers Bilder die kleinen Versgeschichten nicht einfach nur illustrieren, sondern sie deuten, manchmal sogar weiterspinnen. Dagegen wirken Wiebke Oesers Zeichnungen zu Jörg Schubigers Gedichten eher wie Tupfer, die sich einem Detail aus den Versen widmen. Das ist minimalistisch, passt aber gut zu seiner Vorliebe, mit der Verslänge und dem Rhythmus zu experimentieren. Mitunter, etwa wenn er über das Traurigsein schreibt, moralisiert er ein wenig. Meist aber hüpft er mit wenigen Wörtern über die Kontinente: „Woher? / Vom Meer. / Wohin? / Nach Wien.“
Vielleicht auch nach Bombay. Oder nach Bitterfeld. Dort lässt Reiner Kunze seine jungen Leser kurz rasten, bevor er sie aus dem „Kinderbett“ ins „Internet“ holt. Seine Traumreisen führen in den Regenwald – oder gleich auf die nächste Blumenwiese. Kunze schafft Atmosphären und sieht sich die Dinge mit seiner Sprache genau an. So können wir in seinen Versen unentwegt etwas wahrnehmen. Eine dunkle Wolke aus Vögeln etwa, die ins Wiesengras sinkt und verschwindet. Ziegen, die Eisschollen ähneln. Es sind Vergleiche und Bilder, die uns das Vertraute neu zeigen. Als würde der Wind in einen Strauch fahren – und man sähe die Blätter für einen Moment von unten.
Allerdings möchte Kunze in seinen Gedichten immer auch Wissen vermitteln. In einem eigenen Anhang hat er festgehalten, wie Elefanten hören oder wie Flamingos ihre Jungen erkennen. Die dazu passenden Verse sind ihm ein wenig didaktisch geraten, mit einer Pointe hier und einer kleinen Lehre dort. Viel angenehmer ist es, sich Horst Sauerbruchs Bilder anzusehen, die in ihrer Mischung aus hingetuschten Flächen und groben Umrissen unsere Augen wandern lassen. Und noch angenehmer, Reiner Kunzes Mikadogedicht zu lesen. Was für eine schöne Idee, die Mikados mit kleinen Fischen zu vergleichen. Da würde man am liebsten gleich selber versuchen, ein Stäbchen abzuheben: „Wem das gelingt, / der hat gewonnen / und darf sich mit den kleinen Fischen sonnen.“ NICO BLEUTGE
FRANZ HOHLER: Es war einmal ein Igel. Kinderverse. Mit Bildern von Kathrin Schärer. Hanser 2011. 59 Seiten, 12,90 Euro.
REINER KUNZE: Was macht die Biene auf dem Meer? Gedichte für Kinder. Mit Bildern von Horst Sauerbruch. Fischer Schatzinsel 2011. 79 Seiten, 14,95 Euro.
JÜRG SCHUBIGER: Der Wind hat Geburtstag. Mit Illustrationen von Wiebke Oeser. Peter Hammer 2010. 48 Seiten, 12,90 Euro.
Was braucht’s für ein Gedicht?
Ein Wort, das reimt,
mehr nicht.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Staunen lässt dieser Gedichtband eines Erwachsenen für Kinder die Kritikerin Elisabeth von Thadden. Denn es handelt sich, schreibt sie, weder um Pädagogisch-Sinnvoll-Kindgerechtes, noch um Lautmalerei-Nonsense, sondern Texte auf der Höhe der Kunst, die zudem die wesentlichen Fragen zu den Dingen und der Kunst stellten. Auch die großen Themen wie Gott, Liebe, Verzweiflung, Glück oder Natur fand die Kritikerin verhandelt. Doch bei Jürg Schubiger sei alles Komplizierte daran umgewandelt: Sie seien so frei, sich auf das zu konzentrieren, worauf es ankomme.
© Perlentaucher Medien GmbH
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